führend sind. Wir haben acht eigenständige Einrichtungen des offenen Vollzugs, viele Bundesländer keine oder eine. Auch da hinkt der Vergleich natürlich. Acht eigenständige Anstalten machen mehr als die Hälfte der Anstalten in der Bundesrepublik insgesamt aus.
Mit Blick auf die wertvolle Resozialisierungsarbeit, die im offenen Vollzug von den Beschäftigten geleistet wird, denen wir an dieser Stelle noch einmal herzlich für ihre Arbeit danken möchten, sind Entweichungen in der Höhe, wie sie hier in Rede stehen, als unvermeidbare Begleiterscheinung hinzunehmen. Positive Statistiken über das, was alles gelingt – Gefangene gehen jeden Tag ihrer Arbeit nach, holen Schulabschlüsse nach, führen durch Substitution und Behandlungsmaßnahmen künftig ein Leben ohne Sucht –, werden leider nicht geführt.
Was bedeutet es denn für die Bürgerinnen und Bürger, wenn ein Straftäter, eine Straftäterin morgen wieder die Nachbarin, der Nachbar, der Arbeitskollege ist? Was wollen die Bürgerinnen denn, wenn diese Nachbarn, Arbeitskollegen wiederkommen? Wollen sie, dass sie den Alltag eingeübt haben, oder wollen sie, dass sie im schlimmsten Fall 23 Stunden am Tag weggesperrt sind? Sie wollen, dass diese Menschen im aktivierenden Behandlungsvollzug gearbeitet haben, von Fachleuten begleitet wurden und künftig ein Leben ohne Straftaten führen können.
Ich bin mir sicher, dass der aktivierende Behandlungsvollzug die Rückfallquote deutlich senkt. Deshalb gibt es dazu keine Alternative.
Was heißt eigentlich „Entweichung im offenen Vollzug“? Ja, da geht jemand durch die Tür – Herr Wedel hat es auch schon gesagt – und kommt mal zu spät von der Arbeit zurück in die Einrichtung. Ja, Gefangene kommen mal zu spät von einem Arztbesuch, von einer Familienfeier wegen eines Staus, Nachlässigkeit oder der verspäteten Bahn zurück in die Einrichtung. Auch das wird in der Statistik gezählt. Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, dass das eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt.
Die Ersatzfreiheitstrafen, die vorwiegend im offenen Vollzug umgesetzt werden, betreffen aktuell 500 Menschen. 500 Menschen sitzen in unseren Gefängnissen, weil sie Geldstrafen nicht bezahlen konnten. Diese Menschen sind kein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung.
Wenn Sie als Anlass für diese Aktuelle Stunde einen Pressebericht nehmen, dann möchte ich auch noch einen Artikel anführen, nämlich aus „Die Glocke“ vom 16. Februar, in der die Einrichtungsleiterin der größten offenen Vollzugseinrichtung in Europa, der JVA
Senne, Frau Höltkemeyer-Schwick, die wir alle kennen und schätzen, erklärt: „Die Nichtrückkehrerquote liegt bei 0,2 Prozent.“ Da sehen Sie eine Gefahr? Sie sagt sehr deutlich: „Es gibt keine bessere Möglichkeit“ als den offenen Vollzug. Es heißt dort weiter,
„dass sie den offenen Vollzug für das Nonplusultra hält, um Inhaftierte in die Gesellschaft wiedereinzugliedern. … Entsprechend ist die Integration der Gefangenen in den allgemeinen Arbeitsmarkt … ein besonderes Anliegen.“
Deshalb bitte ich die CDU, zu dem gemeinsamen Bekenntnis zum offenen Vollzug zurückzukehren; denn die vollzugsöffnenden Maßnahmen sind sinnvoll und helfen bei der Wiedereingliederung. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Auf Antrag der CDU führen wir eine Aktuelle Stunde zum Thema „offener Strafvollzug“ durch. Herr Kamieth, wenn Sie sich Ihre Rede noch einmal vergegenwärtigen, dann müssen Sie selber zugeben: Darin kam dieses Thema relativ wenig vor. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Sie die Aktuelle Stunde eher als Wahlkampfgeplänkel nutzen wollen und es Ihnen nicht um die Sache geht.
Auch nach Ihren Ausführungen ist nicht klar geworden, wo der große Skandal liegt; den konnten Sie nicht aufzeigen. Noch weniger konnten Sie aufzeigen, welches Ihre Lösungsansätze sind, Herr Kamieth.
Sie verweisen in Ihrer Rede auf die JVASchließungen und das Hin und Her bei der JVA Münster. Das macht schon deutlich, dass Sie eigentlich kein Problem haben, das zu Ihrer Überschrift passt. Ich kann auch nicht so recht verstehen, warum wir uns über einen Ausbruch, eine Flucht im Jahr 2014 in einer Aktuellen Stunde unterhalten müssen. Das leuchtet mir nicht ein.
Ihre Ansichten zur Polizei usw. kennen wir aus dem Innenausschuss und aus anderen Debatten, das müsste nicht unter dem Begriff „Aktuelle Stunde“ debattiert werden. Aber sei es drum!
Nett ist dann allerdings Ihr Disclaimer am Ende Ihrer Rede, mit dem Sie ein Lippenbekenntnis zum offenen Vollzug abgeben. Nur, das ist absolut nicht glaubwürdig. Es ist einfach nicht glaubwürdig, nach einer solchen Rede zu sagen: Im Übrigen sind wir auch für den offenen Vollzug, weil das positive Effekte hat, zum Beispiel Resozialisierung.
Alle anderen Fraktionen in diesem Hause bekennen sich klar dazu. Bei Ihnen muss man den Eindruck gewinnen, dass Sie dieses Prinzip aufgeben wollen. Denn ansonsten würden Sie hier doch nicht die Politik kritisieren, mit der NRW – zugegebenermaßen gemeinsam mit Berlin – eine Vorreiterrolle übernimmt. In NRW gibt es den größten offenen Strafvollzug. Dann ist es in meinen Augen schon rein statistisch relativ logisch, dass man auch mit mehr solchen „Problemfällen“ – in Anführungszeichen – konfrontiert ist. Das ist einfach ein statistischer Normalfall, der Sie dann einholt.
Sie verschweigen hier aber die positiven Effekte dieser Politik. Resozialisierung führt nämlich dazu, dass am Ende der Haft dann ein besser integrierter Bürger steht, der nicht so häufig rückfällig wird. Insofern konterkarieren Sie an dieser Stelle genau das, was Sie immer wollen. Diese Politik führt im Endeffekt zu weniger Straftaten und zu einem sicheren NRW. Das finde ich grundsätzlich gut. Daran sollten wir festhalten.
Sie gehen auch überhaupt nicht auf die Ursachen ein oder begeben sich auf eine Problemsuche. Sie klammern das Problem der Ersatzfreiheitsstrafen, das hier schon thematisiert wurde, vollkommen aus und bieten null Lösungen an.
Was wäre denn, wenn es nach Ihnen ginge und man den Weg des offenen Vollzuges verließe? Dann verbüßte der Betreffende seine Freiheitsstrafe im geschlossenen Vollzug und würde schlechter integriert auf die Gesellschaft losgelassen. Dazu sagen Sie nichts. Dazu schweigen Sie sich aus.
Sie fühlen sich ja auch nicht gemüßigt, uns einen Antrag vorzulegen, in dem Sie einmal Farbe bekennen würden. Das ist alles nur Wahlkampfgeplänkel und führt uns nicht wirklich weiter. Sie versuchen, hier Ihren rechtspolitischen Gestaltungswillen zu demonstrieren. Aber Sie verlieren sich dabei in Phantomdebatten, die an den wirklichen Problemen in diesem Land vorbeigehen.
Wir beschäftigen uns heute ja auch noch mit Ihren Ansichten zur Wohnungseinbruchskriminalität im minder schweren Fall. Das ist Ihre Problemschiene, auf der Sie sich bewegen. Eigentumsdelikte sind also Ihre Domäne. Da meinen Sie, Sie müssten sich „Law and Order“ auf die Fahne schreiben, ohne wirklich Lösungen zu präsentieren.
Gleichzeitig erleben wir, dass bei Vermögensdelikten hier im Land – Stichwort „Teldafax-Insolvenzverfahren“ –, bei denen 750 Millionen € Schaden angerichtet werden und es verteilt in der Bundesrepublik 300.000 Geschädigte gibt, die Verantwortlichen mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Ich würde mir wünschen, dass Sie dort einmal „Law and Order“ ausrufen und dafür sorgen würden, die Rechtspolitik hier zum Besseren zu wenden und in solchen Fällen deutlich zu machen, dass man so nicht wirtschaften und Leute nicht in dieser Art und Weise schädigen kann. Da bleiben Sie still.
Aber hier beim offenen Vollzug meinen Sie, Sie könnten Ihre „Law-and-Order“-Geschichten durchziehen – nach meiner Ansicht ohne Sinn und Verstand. Lassen Sie das sein und besinnen sich eines Besseren! Damit wäre NRW mehr gedient. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Kutschaty das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich mit einem Zitat beginne:
Vollzugslockerungen und offener Vollzug sind wichtige Behandlungsmaßnahmen und damit ein unverzichtbarer Teil des Behandlungsvollzuges. Ohne sie ist eine schrittweise Reintragration nur schwer umzusetzen. Denn wie soll jemand in die Gesellschaft integriert werden, der unter Umständen jahrelang hermetisch von ihr abgeschottet worden ist?
Diese sehr schlauen und klugen Sätze kann ich inhaltlich nur voll unterstreichen, auch wenn sie nicht von mir stammen, sondern von meiner Amtsvorgängerin, der CDU-Ministerin Frau Müller-Piepenkötter.
Sie sind jetzt zehn Jahre alt. Im Jahre 2007 hat Frau Müller-Piepenkötter das auf einem Gewerkschaftstag gesagt – übrigens in einer Zeitphase, als wir zum Beispiel im Jahre 2006 noch 395 Entweichungen hatten. Ich möchte die Zahlen einmal vergleichen: 2015 waren es nur 193 Entweichungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU, bei 395 Entweichungen zu Zeiten meiner Vorgängerin haben Sie das Hohelied des offenen Vollzuges gesungen, und jetzt, nachdem die Zahlen signifikant gesunken sind, sprechen Sie von dramatischen Zahlen. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Das Einzige, was aus Ihrer Sicht dramatische Zahlen sind, sind Ihre aktuellen Umfragewerte. Anders kann
Offener Vollzug – das sagt der Name ja schon – heißt ganz klar, dass keine oder nur sehr eingeschränkte Vorkehrungen gegen Entweichungen getroffen werden. Das heißt natürlich auch, dass es immer wieder Gefangene geben wird, die die ihnen eingeräumten Möglichkeiten missbrauchen werden.
Natürlich wäre es für einen Justizminister viel leichter und risikoärmer, wenn er den Justizvollzug umgestalten würde: Wir sperren die Gefangenen nur in ihrer Zelle ein, schieben dreimal am Tag warme Mahlzeiten durch die Zellentür und machen ansonsten die Tür nur für eine Stunde Hofgang auf.
Wäre der Justizvollzug dann nicht skandalfrei, meine Damen und Herren? Nein, für mich wäre das der eigentliche Skandal. Wir würden gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse arbeiten.
In einem ausführlichen und sehr gut recherchierten Artikel hat sich „DER SPIEGEL“ im Heft 2/2013 intensiv mit dem Justizvollzug auseinandergesetzt. Hier kann man übrigens auch nachlesen, dass das statistische Risiko, Opfer einer Straftat eines Gefangenen während eines Aufenthalts außerhalb der Gefängnismauern zu werden, unter dem liegt, das von der männlichen Durchschnittsbevölkerung ausgeht.
Trotzdem glauben die Menschen immer noch, dass sich die Zahl der Sexualmorde in Deutschland in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall: Sie sind um die Hälfte gesunken.
Sie sehen, meine Damen und Herren: Justizvollzug ist auch immer wieder ein sehr emotional aufgeladenes Thema. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren hier leider häufig auch Ängste: Angst vor den Gefangenen, Angst davor, selbst weggesperrt zu werden, Angst vor dem, was man nicht beurteilen kann. – Für diese Ängste habe ich sogar eine gewisse Portion Verständnis, werbe hier allerdings auch für eine realistische Betrachtung der Arbeit des Strafvollzugs.
Wir reden heute nur über einen kleinen Teil der komplexen Arbeit im Justizvollzug. Denn die großen tagtäglichen Herausforderungen im Justizvollzug liegen darin, unsere Gefangenen zu befähigen, zukünftig eben keine Straftaten mehr zu begehen und ein straffreies Leben zu führen. Wir versuchen, jeden Gefangenen individuell aus- oder fortzubilden, zu therapieren und ihn so zu resozialisieren, manchmal vielleicht sogar erstmals zu sozialisieren.
Ich möchte Ihr Augenmerk darauf richten, dass allein im letzten Jahr mehr als 30.000 Gefangene aus über
110 verschiedenen Nationen in unseren nordrheinwestfälischen Haftanstalten waren. Wir haben aus dieser zum Teil sehr schwierigen Klientel das Optimale herausgeholt, davon fast 4.500 Menschen in Aus- und Fortbildung gebracht, allein über 800 davon im offenen Vollzug. Diese Erfolgsquoten können sich sehen lassen.
Die rund 8.500 Kolleginnen und Kollegen aus dem Justizvollzug treffen also gerade im Umgang mit diesen Gefangenen jeden Tag auch Prognoseentscheidungen. Wir alle wissen, dass es dabei keine 100%ige Sicherheit gibt. Die Entscheidung darüber, ob sich ein Gefangener tatsächlich für den offenen Vollzug eignet, ist eine solche Prognose. Das Ergebnis kann man nicht immer 100%ig vorhersagen.