Protocol of the Session on January 25, 2017

Weder die Wirtschaft noch die Freifunkinitiativen im Land sollten wegen unsinniger Bundesgesetze zu Schaden kommen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank. – Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion Herr Kollege Stotko.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute zu beratende Antrag zum Thema „Höchstspeicherdauer in Großbritannien und Schweden“ und den dazu ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs wird auf Wunsch von Ihnen, der Piratenfraktion, direkt abgestimmt, also ohne dass die Möglichkeit einer größeren inhaltlichen und breiten Diskussion besteht. Das erstaunt ein wenig, so will ich es deutlich formulieren.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist ein Zeit- problem!)

Ich finde, dass man das, was Sie da aufgeschrieben haben, zumindest einmal in Ruhe diskutieren könnte.

Diese Gelegenheit wollen Sie uns aber nicht geben, sondern Sie wollen, dass wir das Ganze heute im 5-Minuten-Rhythmus abhandeln. Dann machen wir das eben auch.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wir haben die Zeit nicht!)

Ich finde es jedenfalls sehr schade.

In Ihrem Antrag fordern Sie in einem Landesparlament ein Moratorium für die Umsetzung in ganz Deutschland. Dazu will ich jetzt gar nichts sagen. Es ist ja manchmal so, dass die Piraten in NRW gerne etwas versuchen, weil sie nicht im Bundestag sitzen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Bundesratsiniti- ative! Steht drin! – Marc Olejak [PIRATEN]: Fragen Sie Herrn Lersch-Mense! Der weiß, wie das geht!)

Aber Sie zitieren in Ihrem Antrag, Herr Kollege Herrmann, und alle, die das jetzt ganz doof finden, eine Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs. Vielleicht war Ihnen der Text der Entscheidung einfach zu lang. Als klar war, dass ich zu diesem Punkt reden muss, habe ich mir jedenfalls die Mühe gemacht, die ganze Entscheidung durchzulesen.

Jetzt will ich Ihnen helfen: Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich sinngemäß aus dieser Entscheidung, weil ich keinen juristischen Diskurs abhalten will.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wir sind ge- spannt!)

Der EuGH sagt, dass EU-Recht einer nationalen Regelung entgegensteht, wenn die Formulierungen nicht auf schwere Straftaten beschränkt werden oder eine vorherige gerichtliche Kontrolle erfolgt. Da wäre es doch einfacher gewesen, Sie hätten festgestellt, dass wir in den deutschen Regelungen einen Richtervorbehalt haben, der zudem auf schwere Straftaten beschränkt ist. Der EuGH – so wie Sie die Pressemitteilung zitieren – sagt eben nicht nur, das dürfe man allgemein nicht.

Ich habe nicht umsonst gesagt, es wäre schöner gewesen, wir hätten darüber in Ruhe debattieren können. Dennoch will ich auf Sie zukommen und Ihnen klarmachen, dass die SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen erst einmal abwartet, wie die Bundesregierung die beiden Entscheidungen bewertet, die Großbritannien und Schweden betrafen, und ob man in der Bundesregierung der Auffassung ist, es gebe in Deutschland entweder einen Nachbesserungsbedarf oder einen Bedarf, das Ganze vollständig abzuschaffen – aus welchen Gründen auch immer.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Letzteres!)

Diesen Handlungsnotwendigkeiten werden wir in Nordrhein-Westfalen nicht im Wege stehen, aber

Ihre in diesem Antrag formulierte undifferenzierte Einschätzung zu diesen beiden Entscheidungen können wir leider nicht mittragen.

Ein weiterer Grund, weshalb ich auf Sie zugehen will und warum ich eine Diskussion im Innenausschuss schöner gefunden hätte, ist Ihre Formulierung zum Thema „Freifunkinitiative“. Losgelöst von der EuGHEntscheidung – davon hängt das, was Sie sagen, ja gar nicht ab; die sind von Beginn an verpflichtet, das zu tun; damit hat die EuGH-Entscheidung nichts zu tun – möchte ich für meine Fraktion, sondern insbesondere auch für unseren medienpolitischen Sprecher Alexander Vogt betonen, dass uns die Arbeit und das Engagement der Freifunkinitiativen seit Jahren am Herzen liegt. Erst im Herbst 2016 – das erwähnen Sie in Ihrem Antrag nicht – haben wir von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit einem eigenen Antrag klargestellt, wie wichtig uns die Arbeit der Freifunkinitiativen ist und wie sehr wir diese wertschätzen.

Im Zusammenhang dieser Entscheidungen des EuGH und möglicher Entscheidungen im Bund können wir nur sagen, dass wir bisher keine existenzbedrohende Einschränkung der Freifunkinitiativen erkennen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist schade!)

Wenn dem aber so sein sollte und wir feststellen, dass Freifunkinitiativen derzeit wegen ihres ehrenamtlichen Engagements mit dem, was auf sie zukommt, nicht mehr zurechtkommen, dann wird die SPD-Landtagsfraktion einem Gespräch mit den Betroffenen über die Fragen, wie man damit umgehen kann und welche Möglichkeiten wir vonseiten des Landes haben, ihnen zu helfen, nicht im Wege stehen.

Insgesamt ist Ihr Antrag leider zu undifferenziert, als dass wir ihm in einer direkten Abstimmung zustimmen könnten. Schade drum! Das sage ich noch einmal. Sie haben es aber so gewollt. Wir werden Ihren Antrag daher ablehnen. – Besten Dank.

Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Stotko, Sie machen es mir einfach, denn Sie haben viele Teile meiner Rede vorweggenommen. Ich kann Ihnen in vielen Punkten beipflichten.

(Thomas Stotko [SPD]: Hat mir einer ge- schickt!)

Wir haben uns nicht abgesprochen. Ich zitiere zumindest gleich noch den originalen Wortlaut des Gerichtsurteils bzw. eine Passage daraus. Dann haben wir es nicht nur sinngemäß.

Herr Herrmann, es ist richtig, dass der Europäische Gerichtshof am 21. Dezember 2016 ein Urteil zur Verarbeitung personenbezogener Daten sowie der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation gefällt hat, welches sich auf Gesetze zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung in Schweden und Großbritannien bezieht. In Deutschland existiert das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht mit einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, welche – das haben Sie gesagt, Herr Herrmann; das ist richtig – spätestens bis zum 1. Juli 2017 endgültig umgesetzt werden muss.

Jetzt müssen wir im Detail aufpassen. Der EuGH hat vor allem auch das Fehlen einer richterlichen Instanz in Schweden und Großbritannien bemängelt. Ich zitiere eine kleine Passage aus dem Urteil des EuGH:

„… ohne den Zugang einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde zu unterwerfen …“

Das ist der entscheidende Unterschied. Hier in Deutschland gilt hingegen der Zugriff auf Verbindungsdaten nur für schwere Straftaten, und er steht unter einem richterlichen Vorbehalt. Dies ist der wichtige Unterschied zu den Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung in Schweden und Großbritannien, die der EuGH bemängelt hat.

Darüber hinaus – das möchte ich auch nicht unerwähnt lassen – sieht das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung sehr kurze Fristen vor.

In der heutigen Zeit, in der auch Deutschland im Fokus des internationalen Terrorismus steht, ist es von besonderer Bedeutung, dass Polizei und Strafermittler in seltenen Fällen auf alle rechtlich zulässigen Aufklärungsinstrumente zugreifen können, Herr Herrmann. Dies gilt insbesondere im digitalen Zeitalter, da schwere Verbrechen und terroristische Straftaten mitunter im digitalen Raum vorbereitet und geplant werden. Deswegen wurde ja auch dieser gesetzliche Rahmen geschaffen. Die Anschläge von Paris, Brüssel und Berlin unterstreichen die Notwendigkeit, glaube ich.

Grenzübergreifende Ermittlungsarbeit darf nicht dadurch, dass ein Mitgliedstaat keine Daten speichert, unnötig erschwert werden. Das sollte hier auch einmal betont werden.

(Beifall von der CDU)

Diese Daten können einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung solcher schrecklichen Verbrechen leisten und Spuren zu den Hintermännern und deren Gehilfen offenlegen. Darüber hinaus können sie hel

fen, diese Personen einer gerechten Strafe zuzuführen. Deswegen erleichtern diese Aufklärungsinstrumente im Idealfall den Ermittlungsbehörden ihre wichtige Arbeit und sorgen dafür, dass Schwerkriminelle, dass Terroristen und deren Unterstützer schneller aus dem Verkehr gezogen werden können, bevor sie weitere Straftaten begehen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Durch die herausragenden innenpolitischen Entwicklungen, die wir in letzter Zeit erleben, sollte eigentlich die Notwendigkeit klar sein. Insofern können wir Ihrem Antrag nicht folgen und werden ihn bei der anschließenden Abstimmung ablehnen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Frank Herrmann [PIRATEN]: Wenn die GroKo in dieser Qualität das Urteil auswertet, dann gute Nacht! Dann muss man tatsächlich auf Karlsruhe warten! Das ist ja unglaublich! – Dirk Schatz [PIRATEN]: Machen die bei der CDU eine Ge- hirnwäsche?)

Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir hier über die Vorratsdatenspeicherung debattieren. Die Positionen sind weitgehend ausgetauscht. Herr Kollege Herrmann hat bereits daran erinnert. Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion, die FDP und einige Teile der Sozialdemokratie sind gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, andere Teile der Sozialdemokratie und die CDU sind für die Vorratsdatenspeicherung. Das haben wir hier oft genug miteinander besprochen.

Ich finde den Sound der heutigen Debatte durchaus wohltuend anders als in der Vergangenheit, und zwar insofern, als wir beispielsweise festgestellt haben, dass uns über die verschiedenen Sichten zum Thema „anlasslose Vorratsdatenspeicherung“ hinweg immerhin eint, dass wir beispielsweise Freifunkinitiativen unterstützen und das gemeinsam tun wollen.

Wenn wir uns das EuGH-Urteil anschauen und uns fragen, was sich substanziell geändert hat, dann ist es tatsächlich folgendermaßen: Die ersten Überschriften lasen sich – jetzt aus Sicht eines Gegners der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung – recht vielversprechend, nämlich so, als hätte der Europäische Gerichtshof die anlasslose Vorratsdatenspeicherung endgültig beerdigt. Nach dem zweiten Lesen ist das aber nicht mehr ganz so eindeutig. Das Urteil scheint eher die Linie von 2014 zu bestätigen.

Insofern muss man sehr genau hinschauen, ob diese Linie eher ein „Nein, aber“ oder eher ein „Ja, aber“ ist. Sowohl das EuGH-Urteil aus 2014 als auch das EuGH-Urteil aus 2016 schließen die Vorratsdatenspeicherung nicht kategorisch aus. Nach Einschätzung renommierter Juristen in Deutschland sind aber wesentliche Aspekte der deutschen Gesetzgebung mit diesen Anforderungen nicht oder nur schwer vereinbar, wenngleich ich weiß, dass die Bundesregierung zumindest in ihren ersten Äußerungen eine andere Position vertreten hat.

Der EuGH ordnet beispielsweise an, dass nur Kommunikationsdaten von Menschen gespeichert werden dürfen, wenn sie mit einer schweren Straftat im Zusammenhang stehen. Wenn man die deutsche Regelung daneben legt, dann stellt man fest, dass danach anlasslos und allgemein Daten erhoben werden sollen. Das beißt sich natürlich.

Wir als Grüne haben in der Vergangenheit immer wieder betont, dass aus unserer Sicht allenfalls ein Quick-Freeze-Verfahren denkbar wäre, auch wenn man sich – das ist jetzt wirklich nur noch etwas für die Fachdebatte – immer darüber unterhalten muss, ob das grundrechtlich verhältnismäßig ist. Dabei kommt es dann darauf an, wie das ausgestaltet ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen – gerade diejenigen, die sich nicht jeden Tag mit innenpolitischen und datenschutzpolitischen Fragen beschäftigen –, dass die Materie komplex ist. Deshalb ist aus meiner Sicht die Bundesregierung jetzt dringend gefragt, das Urteil sehr gründlich auszuwerten und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Die sinnvollste wäre aus meiner Sicht der Verzicht auf die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Sollte sie diese Konsequenz nicht ziehen, dann wird eben Karlsruhe diese Frage klären.

Wie sich das Bundesverfassungsgericht entscheidet, lieber Kollege Herrmann, bleibt abzuwarten. Ich bin immer im Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht als dem höchsten deutschen Gericht so unterwegs, dass ich mich mit Prognosen zurückhalte. Aber ich tendiere in eine ähnliche Richtung wie Sie. So vorsichtig will ich es sagen.