Protocol of the Session on October 5, 2016

Deshalb ist es für uns ausgesprochen wichtig, jedem Kind die Zeit zu geben, die es braucht. Das ist der Kerngedanke des Konzeptes, mit dem wir in die Diskussion gehen. Wir sind gespannt und freuen uns auf gute Beratungen. – Glück auf!

(Beifall von der SPD und von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vielen Dank. – Frau Voigt-Küppers, bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Frau Pieper von der Piratenfraktion. Bitte schön, Frau Pieper, wenn Sie Ihr Mikrofon aktivieren, dann haben Sie das Wort.

Herzlichen Dank. – Frau Voigt-Küppers, Sie sprechen davon, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Schon vor zwei Jahren lagen über Hunderttausend Unterschriften vor, die sich dafür ausgesprochen haben, das G9 wieder einzuführen. Die letzte Umfrage zeigt, dass 80 % aller Eltern, Lehrer und Schülerinnen und Schüler für das G9 sind. Wann, meinen Sie, sollte man diese Betroffenen tatsächlich zu Beteiligten machen und sich darum kümmern, was die Menschen hier im Land wirklich wollen?

Dann sagen Sie, es gebe auch Schüler, die kämen mit dem G8 zurecht. Es ist meines Erachtens unbestritten, dass wir Möglichkeiten vorhalten sollten, sodass Schüler auch in acht Jahren zum Abitur kommen können. Ihr Modell jedoch bleibt beim G8 und sieht das G9 als Ausnahme vor.

Halten Sie es nicht für besser, das Ganze andersherum anzugehen und als Modell das G9 zu nehmen? Dann könnten diejenigen, die etwas fitter sind, die Chance bekommen, schneller voranzugehen. Das ist doch etwas anderes, als zu sagen: „Naja, die, die es nicht so gut auf die Kette kriegen, müssen halt noch ein Jahr länger bleiben“?

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Pieper, ich denke, dass bei der G8/G9-Diskussion zwei Stränge verfolgt werden. Der eine betrifft die Schulzeit, der andere die Strukturen, und dort – das war eine sehr wichtige Argumentationslinie – den Ganztag an den Schulen.

Von einer Elterninitiative heißt es beispielsweise, sie wolle das G9 als Halbtags-G9, also so, wie wir das G9 seit Ewigkeiten gewöhnt waren. Die Frage allerdings, in welcher Struktur wir das Gymnasium gestalten werden, ist für mich noch nicht abschließend geklärt.

Der Ganztag ist für mich eine ganz entscheidende Frage. Es ist unbestritten, dass der Ganztag für eine größere Chancengleichheit sorgen kann. Diese Elemente wollen wir in der Diskussion natürlich mit bewerten. Ich halte es für viel zu kurz gesprungen, jetzt einfach in das alte G9 zurückzuspringen, ohne all die anderen Elemente, die in dieser Diskussion eine Rolle spielen, ebenfalls zu beleuchten.

(Beifall von der SPD und von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vielen Dank, Frau Voigt-Küppers. – Ich rufe den nächsten Redner ans Pult. Das ist für die CDU-Fraktion Herr Kaiser.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Pieper, der Antrag ist vom Inhalt her ja nicht neu. Zudem ist er populistisch;

(Michele Marsching [PIRATEN]: Populär ist der, nicht populistisch!)

deshalb ist es sehr schwierig, sich mit ihm in der Sache auseinanderzusetzen.

(Zuruf von Daniel Düngel [PIRATEN)

Die Rückmeldungen, die wir bekommen, umfassen zwei Ebenen: Auf der ersten Ebene heißt es: G8 funktioniert bei uns ohne Probleme. – Auf der zweiten Ebene wird gesagt: Mit G8 geht gar nichts; wir müssen komplett zurück zu G9.

Wenn man jetzt hinginge und sagte: „Wir haben da jetzt eine ideale Lösung, also marsch, marsch zurück“, dann wäre das ja die gleiche Methode wie bei der Einführung von G8, wo es gelegentlich heißt, dass das zu schnell war.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Man geriete wieder in die gleiche Hektik und würde die gleiche unsichere Situation schaffen, in der man nicht weiß, wie man das Ding handeln kann.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wenn man also seriös unterwegs ist und die wissenschaftlich fundierten Bedenken – die Studie von Prof. Dollase ist es übrigens durchaus wert, dass man sich näher damit befasst – sowie die Bedenken, die seitens der Landeselternschaft formuliert werden, ernst nimmt, dann muss man umso sorgfältiger agieren; denn eine populistische Lösung kann uns nicht zum Ziel führen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das ist der Hintergrund, warum diesem Antrag nicht zustimmen können.

Lassen Sie mich unsere Meinung kurz zusammenfassen: Erstens. Jede Änderung bedarf gut überlegter Vorbereitung. Zweitens. Ein Schnellschuss, wie er hier vorgeschlagen wird, bleibt an der Oberfläche, wird nicht zum Erfolg führen und ist auch nicht politikseriös. Drittens. Ständig gleiche Anträge werden auch dadurch nicht besser, dass sie wiederholt werden. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU)

Danke schön, Herr Kaiser. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Beer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Pieper! Ja, der Dank an die Kollegen und Kolleginnen ist berechtigt, nicht nur am Weltlehrertag, sondern wirklich an jedem Tag, weil die Lehrerinnen und Lehrer ihre Arbeit mit Leidenschaft, mit Engagement verrichten. Man kann es nicht oft genug sagen; da stimme ich Ihnen zu.

Aber dann müssen wir uns auch gemeinsam fragen: Womit beschäftigen wir die Kollegen und Kolleginnen? Wollen wir uns mit der Weiterentwicklung beschäftigen? Oder beschäftigen wir uns mit Abwicklung und Rückabwicklung und halten dadurch Unterrichtsentwicklung und Schulentwicklung insgesamt auf?

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das ist die Gretchenfrage, die wir beantworten müssen. Deswegen plädiere ich sehr dafür, nach vorne zu entwickeln und nicht rückabzuwickeln. Das ist die Linie, die wir in dieser Diskussion gern betonen wollen.

Einen Punkt will ich noch ansprechen. Sie haben darauf hingewiesen, dass es rund um Nordrhein-Westfalen Diskussionen gegeben hat – sei es in Niedersachen, sei es in Hessen. Dort ist man aber auch nicht befriedet. Obwohl man dort Wege eingeschlagen hat, zurück zu G9 zu gehen – Niedersachsen komplett –, herrscht dort keine Ruhe in der Schulentwicklung. In Hessen ist das auch nicht anders.

Bei uns in Nordrhein-Westfalen haben wir von vornherein ganz andere Wege zu G9. Es ist nicht despektierlich, wenn man seine Kinder zu einer Gesamtschule schickt und sie dort das Abitur nach neun Jahren machen lässt. Ich werfe es einigen Eltern vor, dass sie eine ganz gewisse Form von Lobbyarbeit machen, wo es heißt, es sei nicht akzeptabel, sein Kind das Abitur an einer Gesamtschule machen zu lassen.

Ich kann mir nicht vorstellen, Frau Kollegin Pieper, dass Sie so etwas mittragen. Deswegen fand ich auch das Bejubeln der Veranstaltung in Dortmund etwas merkwürdig. Das betrifft auch noch einen anderen Punkt. Sie haben diesen Antrag überschrieben mit „G9 für Nordrhein-Westfalen jetzt!“ Das steht aber genau für die Eltern, die einen Schulgesetzentwurf vorgelegt haben, mit dem sie anderen Schulformen acht Unterrichtsstunden wegnehmen wollen, um die Reform quasi gegenzufinanzieren.

(Monika Pieper [PIRATEN]: Das stimmt nicht!)

Das steht doch dort! Schauen Sie bitte auf die Seite von „G9 für Nordrhein-Westfalen jetzt!“. Dort heißt es: Die Sekundarstufe I darf nur noch 180 Stunden betragen. – Das hieße, den Gesamtschulen, den Realschulen, den Hauptschulen, den Gemeinschaftsschulen, den Sekundarschulen acht Stunden wegzunehmen. So ist das!

Man muss da sehr genau die Interessen berücksichtigen. Wir machen es nicht mit – das sage ich sehr deutlich –, den anderen Schulformen Unterrichtsstunden wegzunehmen für das Modell einer Halbtagsschule, das für ein ganz bestimmtes Familienbild und Gesellschaftsbild steht. Da bin ich bei der Kollegin Voigt-Küppers. Darüber müssen wir diskutieren, und das muss auch ein Thema am „Runden Tisch Schulzeitverkürzung“ sein.

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Die Qualität des Unterrichts und die konsequente Unterrichtsentwicklung, das individuelle Fördern – das ist doch jetzt die Punkte, über die wir uns unterhalten müssen. Es geht weder um die Heiligsprechung des G8, noch geht es um die Heiligsprechung des G9. Denn wir wissen ganz genau – da bin ich beim Kollegen Kaiser –: Es gibt Schulen, in denen funktioniert das G9 nicht gerade prickelnd; andererseits gibt es Schulen, in denen das G8 klasse funktioniert und umgekehrt.

Aus den Berichten, die uns von Schulen vorliegen – egal ob Gymnasien oder andere Reformschulen –, die sich auf den Weg gemacht haben, wissen wir: Letztlich geht es um die Qualität des Unterrichts und um das konsequente Umsetzen der individuellen Förderung.

Deswegen müssen wir raus aus den lähmenden Strukturdebatten. Jetzt haben wir die Chance, auch in dem Wettstreit der Modelle, die jetzt diskutiert werden, den Weg nach vorn zu finden und zu fragen:

Wie kann man dem Lerntempo des einzelnen Kindes, des einzelnen Schülers und der einzelnen Schülerin gerecht werden? – Dieser Punkt muss nach vorne gestellt werden. Wir müssen uns verabschieden von alten, unfruchtbaren Debatten, die die Energien nicht wirklich in die Schulen lenkt, also dahin, wohin sie muss, nämlich in die Unterrichts- und in die Qualitätsentwicklung vor Ort.

Ich hoffe, dass das auch ein zentraler Punkt beim Runden Tisch sein wird, dem wir nach den Herbstferien selbst beiwohnen können. Ich erinnere an dieser Stelle gern daran, dass auch die Bildungskonferenz schon einmal über Brückenmodelle und flexible Modelle diskutiert hat. Ich glaube, dass die Diskussion inzwischen fortgeschritten ist und es einen Schwenk bei maßgeblichen Akteuren gegeben hat. Dazu zählt in der Tat die Landeselternschaft der Gymnasien. Deswegen müssen wir miteinander reden, wie es jetzt weiter nach vorn geht.

Eines darf auf Dauer nicht sein, und das ist diese beständige Unruhe an den Schulen. Die Hilferufe der Schulleitungen kann man vielfach in der Presse nachlesen. Da heißt es: Wir wollen Ruhe an den Schulen, wir wollen die Entwicklung nach vorn. Wir

wollen uns auf jeden Fall nicht mehr mit unfruchtbaren Entwicklungen beschäftigen müssen.

Da bin ich jetzt auch noch einmal bei dem Kollegen Kaiser und bei der Kollegin Voigt-Küppers, die sehr deutlich gesagt haben, was wir nicht gebrauchen können, nämlich das, was wir schon einmal erlebt haben: dass den Schulen etwas auf den Schulhof gekippt wird und sie das ausbaden müssen. – Wir benötigen einen sorgfältigen Diskurs und eine Entwicklung nach vorne. Dafür werden wir uns einsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Beer. – Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von der Fraktion der Piraten, Frau Beer. Frau Pieper, bitte schön.

Vielen Dank. – Liebe Kollegin Beer, zwei Dinge: Die ständige Unruhe an den Schulen, die wir nicht wollen, ist meines Erachtens gerade in dem Moment hier ausgebrochen, in dem die SPD und die Grünen mit großen Strukturumwälzungen kommen: Flexi-irgendwas irgendwann. – Keiner weiß so genau, was diese Flexi-Schule sein soll. Das wäre meiner Ansicht nach eine riesengroße Strukturdebatte, die Unruhe in die Schule bringt. Insofern verstehe ich es nicht, wenn Sie hier sagen, Sie möchten keine Unruhe und keine Strukturdebatte führen, sondern lieber schauen, was in der Schule passiert.

Die nächste Sache, die hier immer wieder genannt wird, ist, dass wir jetzt kämen, sei populistisch und Wahlkampf. Wir haben das schon vor drei Jahren gesagt. Wir haben das immer gesagt.

(Beifall von den PIRATEN)