Protocol of the Session on October 5, 2016

4 G9 für Nordrhein-Westfalen jetzt!

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/13031

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten Frau Kollegin Pieper das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich einen Satz vorwegschicken. Heute ist Weltlehrertag. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die sich Tag für Tag für die Kinder und Jugendlichen in diesem Land engagieren – und das nicht immer unter einfachen Bedingungen.

(Beifall von allen Fraktionen)

Ich stelle fest: G8 ist in NRW gescheitert. Es fehlt an Akzeptanz – bei Eltern, Schülern, Kolleginnen und

Kollegen. Wir haben schon zu Beginn des ersten runden Tisches ein Ausstiegsszenario gefordert, falls die Verhandlungen beim runden Tisch scheitern. Da war die Empörung in diesem Haus riesengroß: Wie können wir es wagen, zu sagen: „Lasst uns überlegen, was passiert, wenn es nicht klappt“?

Heute stellen wir fest: Hätte man damals auf uns gehört, könnten wir heute auf einem ganz anderen Niveau debattieren und uns gemeinsam überlegen, wie wir aus dem Mist wieder rauskommen, um es mal ganz deutlich zu sagen.

Es ist doch wie im wahren Leben. Am runden Tisch war man sich einig, dass die Einführung des G8 ein Fehler war. Ich kenne es nur so: Wenn ich zu Hause einen Fehler mache und ich erkenne ihn, dann sehe ich zu, dass dieser Fehler revidiert wird. Ich beschreite einen neuen Weg und versuche, das Ganze besser hinzukriegen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Sie sind doch immer noch bei den Piraten!)

Da braucht es auch keinen neuen runden Tisch.

Wenn man Schule vom Kind aus denkt, dann landet man mit Blick auf das Gymnasium zwangsläufig bei G9; denn nur ein G9 mit einer sechsjährigen Sekundarstufe I erreicht die von Schülern und Eltern gewünschte Entzerrung und bietet die notwendige Zeit für eine persönliche Entfaltung und gute Entwicklung innerhalb der Schullaufbahn. Nur ein G9 mit einer echten sechsjährigen Sekundarstufe I steht für die Abkopplung des Gymnasiums von den anderen Schulformen. Darüber haben wir lang und breit diskutiert.

Bei einer Flexibilisierung der Schullaufbahn muss man von einer sechsjährigen Sekundarstufe I als Normalfall ausgehen; anderenfalls sind Brückenjahre und Orientierungsjahre nur schöne Namen für die Wiederholung einer Klasse, und sonst gar nichts.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Entscheidung über die Gestaltung der Schullaufbahn darf nicht allein bei den Gymnasien liegen; vielmehr wollen alle Schulen diese Auseinandersetzung. Frau Gebauer, wir waren ja bei der gleichen Veranstaltung. Da haben die Lehrer und auch die Eltern gesagt: Nein, das möchten wir nicht; das trägt Ärger in die Schulen. In der Schulkonferenz ist es häufig so, dass letztlich der Schulleiter entscheidet, was getan wird. Das kann nicht die Lösung sein.

Herr Lienenkämper – er ist jetzt leider gerade nicht im Raum –, sich hierhin zu stellen und irgendwas von „Reife“ und „Wahlalter mit 16“ und „Geschäftsfähigkeit“ zu erzählen, dann aber Jugendliche mit 17 Jahren an eine Universität in einer fremden Stadt zu schicken – da rege ich mich jetzt wirklich auf! Wenn Sie auf der einen Seite Jugendlichen in diesem Alter zumuten, alleine zu leben und zurechtzukommen,

dann aber auf der anderen Seite sagen, dass sie mit 16 nicht wählen dürfen – das muss mir hier mal jemand erklären. Das ist doch nicht nachvollziehbar!

(Beifall von den PIRATEN)

Warum das Ganze zum nächsten Schuljahr? Die grundlegenden Probleme der Schulzeitverkürzung am Gymnasium sowie die mangelnde Akzeptanz sind lange bekannt. Es bringt nichts, jetzt noch länger zu warten, bis man daran geht, die Fehler auszuräumen. Ich finde, wir sollten keine weiteren Jahrgänge in die verkürzte Schullaufbahn schicken.

Frau Ministerpräsidentin hat heute Morgen hier erklärt: Wir machen Politik für die Menschen in NRW. Die Umfragen belegen: NRW will kein G8. Wenn wir die Menschen in diesem Land ernst nehmen und die Ministerpräsidentin beim Wort nehmen, dann sollten wir dafür sorgen, dass das G9 im nächsten Jahr wieder eingeführt wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Kein einziges Bundesland, das an NRW grenzt, hat am G8 festgehalten. Erklären Sie mir: Warum sollen nicht auch die Schüler in NRW in den Genuss einer umfassenden Bildung kommen? Warum sollen die Schüler in NRW nicht die Zeit dafür bekommen, so wie es in anderen Bundesländern üblich ist?

Im Vergleich zu einer Verkürzung ist die Verlängerung der Schulzeit relativ einfach zu organisieren. In anderen Ländern hat man es vorgemacht, daran kann man sich orientieren. Das Gleiche gilt für einige G9-Gymnasien und ihre Konzepte hier in NordrheinWestfalen.

Lassen Sie uns endlich gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Thema zur Ruhe kommt. Schaffen wir ein Gesetz, das die Rückkehr zu G9 für das Schuljahr 2017/2018 ordentlich regelt! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Pieper. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Voigt-Küppers.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Pieper, vorweg will auch ich mich Ihrem Dank an die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen vor Ort anschließen. Ich gebe Ihnen in diesem Punkt unbedingt recht, dass es viele Lehrer gibt, die sehr engagiert sind und die unglaublich Gutes an unseren Schulen leisten.

Wenn ich aber Ihren Antrag zum Thema „G8/G9“ sehe, dann fällt mir leider nur das Sprichwort ein, dass vom Wiegen die Sau nicht fett wird.

Ich kann ja verstehen, dass Sie zum Ende der Legislaturperiode sagen wollen, dass Sie die Fraktion waren, die die meisten Anträge zur Wiedereinführung von G9 gestellt hat.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Das wollen wir aber nicht debattieren!)

Das bringt uns aber sachlich in der Diskussion nicht weiter. Meine Fraktion und ich sind der festen Überzeugung, dass es nicht nur falsch, sondern auch verantwortungslos wäre, Ihrem Antrag jetzt zu folgen.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Fahren wir also besser weiter Karussell!)

Bei der Einführung von G8 sind einige Fehler gemacht worden: Die Einführung war völlig überhastet, vor allen Dingen kompromisslos, sämtliche Argumente, das G8 zu modifizieren oder anders zu gestalten, außer Acht lassend.

Das Gesetz wurde seinerzeit am 28. März in dieses Haus eingebracht. Am 5. April fand die erste Lesung statt, am 21. Juni die zweite Lesung, und am 22. Juni, nur einen Tag später, die Verabschiedung. Am 1. August trat das Gesetz in Kraft, das heißt: Dieses Gesetz wurde innerhalb von vier Monaten durchgepeitscht. Die schwarz-gelbe Mehrheit hat die Gesetzesänderung im Schweinsgalopp durch den Landtag gejagt und sich wenig um Kritik an den Inhalten oder dem Verfahren gekümmert.

Da hat es beispielsweise – ja, Frau Pieper, da haben Sie recht – die Verkürzung der Sekundarstufe I gegeben, was zu enormem Stress bei den Kindern führte. Dieser Einwand wurde damals ohne Wenn und Aber vom Tisch gewischt; da stimme ich Ihnen völlig zu.

Der Fehler, andere Argumente nicht zu hören und sie nicht zu bedenken, wird sich in unserer Verantwortung nicht wiederholen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Ministerin hat für Ende dieses Monats erneut einen Runden Tisch einberufen. Gemeinsam mit allen bildungspolitischen Partnern wollen wir über die Erkenntnisse und Entwicklungen zu diesem Thema sprechen. Wir halten das Expertengremium für den richtigen Kreis, um gemeinsam Überlegungen anzustellen, wie das Gymnasium zukünftig aussehen soll.

Es war der „Runde Tisch Schulzeitverkürzung“, der vor zwei Jahren mit großer Mehrheit dafür war, von einer generellen Rückkehr zu G9 abzusehen. Da war nicht die Rede davon, dass es ein Fehler war …

(Monika Pieper [PIRATEN]: Doch!)

Es war die Rede davon, dass es ein Fehler war, zum G8 zu gehen; aber genau der gleiche Runde Tisch hat gesagt, es wäre ein noch größerer Fehler,

die Rolle rückwärts zum G9 zu machen. Das war einhellige Meinung des Runden Tisches.

An diesem Votum haben wir unsere Politik ausgerichtet – eine Politik, die ich nach wie vor für richtig halte:

(Michele Marsching [PIRATEN]: Aber nicht über 80 % der Eltern, Schüler und Lehrer! – Schade!)

Es geht darum, Politik mit Beteiligten zu machen und aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Dass die Beteiligten ihre Meinung ändern würden, war nicht voraussehbar; es ist aber durchaus legitim. Nun haben sich die Player in diesem Prozess eine andere Meinung gebildet, und darauf wollen wir Rücksicht nehmen. Die Diskussion ist fortgeschritten.

Die Erkenntnis kann aber nicht heißen: Alles, was wir bislang an Erkenntnissen getroffen haben, wird einfach fortgewischt, und wir kommen auch diesmal, wiederum ohne die Argumente zu bedenken, zur Schlussfolgerung: einfach zurück zu G9.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Sie tun ja so, als würde das erst seit gestern diskutiert!)

Wir werden die Diskussion um G8 und G9 nicht befrieden, indem wir hier und heute eine Systemumstellung zum kommenden Schuljahr beschließen – ganz im Gegenteil. Wir können nur zu einer guten Lösung und breiter Akzeptanz kommen, wenn wir eine umfangreiche Diskussion führen, an der alle teilhaben und in der sich vor allen Dingen alle wiederfinden.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion geht natürlich mit einer Position in diese Debatte. Wir erkennen an, dass es Kinder gibt, für die die verkürzte Schullaufbahn belastend ist. Es gibt aber auch viele Schülerinnen und Schüler, die mit G8 zurechtkommen; auch das ist uns in Gutachten bestätigt worden. Ich will an das Gutachten von Frau Prof. van Ackeren erinnern, die sagt: G8 kann für manche Kinder gut sein, sie kommen zu guten Ergebnissen. Das heißt aber nicht, dass es für alle Kinder ist.

Deshalb ist es für uns ausgesprochen wichtig, jedem Kind die Zeit zu geben, die es braucht. Das ist der Kerngedanke des Konzeptes, mit dem wir in die Diskussion gehen. Wir sind gespannt und freuen uns auf gute Beratungen. – Glück auf!