Protocol of the Session on July 7, 2016

Beispielsweise wurden die Aussteigerprogramme für Rechtsextreme in NRW erst im Jahr 2015 einer externen Evaluation unterzogen. Das ist zwar zu begrüßen – keine Frage –, aber nach 14 Jahren Laufzeit – eingeführt wurden sie 2001 – ist das etwas spät. Man hätte die Fehler, die diese Evaluation aufgedeckt hat, schon Jahre vorher beseitigen können, wenn man vorher evaluiert hätte.

Deshalb muss ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass eine kontinuierliche, externe und unabhängige Evaluation aller Aussteigerprogramme unbedingt notwendig ist, um Erfolge dauerhaft sicherzustellen und bestehende Maßnahmen weiter zu verbessern. Bislang ist hier allerdings ein großes Manko zu erkennen.

Interessant fand ich übrigens die Ergebnisse der Studie von Kurt Möller zum Aussteigerprogramm Rechtsextremismus NRW. Darin weist er nämlich unmissverständlich darauf hin, dass der Verfassungsschutz als Feindbild Nummer eins der Szene angesehen wird. In den letzten Jahren hat die Piratenfraktion immer wieder das Betreiben von Aussteigerprogrammen durch den Verfassungsschutz kritisiert

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

und den Erfolg der zivilgesellschaftlichen Maßnahmen wie EXIT hervorgehoben, die politisch und fachlich unabhängig von staatlichen Stellen agieren.

Vielen Ausstiegswilligen fällt es nämlich bislang sehr schwer, gerade beim Verfassungsschutz Schutz bzw. Hilfe zu suchen. Denn sie haben ihn bislang immer als Gegner wahrgenommen. Zudem haben viele das Gefühl, dass dort lediglich ein Interesse an ihren Informationen herrsche und dass sie dort nicht wirklich Hilfe bekämen. Das Misstrauen ist erheblich. Das steht alles in diesem Evaluationsbericht.

Wenn ich mir die Erfolgsbilanz anschaue, stellen sich mir schon Fragen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Jeder Rechtsextreme, dem Sie zum Ausstieg verholfen haben, ist ein Gewinn für die Gesellschaft. Das ist keine Frage. Aber seit 2001, also seit 15 Jahren, gab es gerade einmal 158 erfolgreiche Aussteiger, also ungefähr zehn pro Jahr. Das ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Beifall von den PIRATEN und Dr. Joachim Stamp [FDP])

Die Frage ist deshalb, ob nicht durch Förderung anderer Initiativen noch mehr Aussteiger hätten hervorgebracht werden können, als es bei Ihnen der Fall war. Diesen anderen Initiativen wird nämlich mehr Vertrauen als dem Verfassungsschutz, deren Feindbild Nummer eins, entgegengebracht.

Sie sehen: Es gibt hierbei noch viel zu tun. Wir müssen darauf achten, diese Diskussion so breit und so vielschichtig wie möglich zu führen, um nachhaltige Ergebnisse zu erzielen.

Die Redezeit.

Dieser Landesregierung traue ich das allerdings nicht zu – vor allem nicht mit einem Innenminister, dem es eher um seine eigene öffentlichkeitswirksame Profilschärfung als um die Sache geht. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Der nächste Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Schwerd.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Verfassungsschutzbericht NRW ist Zeugnis organisierten Staatsversagens.

(Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Straftaten von rechts erreichen ein neues Hoch mit über 4.400 Taten. Dennoch wird in diesem Bericht suggeriert, es gebe eine annähernd gleich große Gefahr von links. Um ein Zitat von Frank Bsirske zu verwenden: „Das ist, mit Verlaub, Bullshit“.

Eine Unverschämtheit ist, dass Teile der Linken in NRW vom Verfassungsschutz beobachtet werden, als ob eine Gefahr von ihnen ausgehen würde, während die AfD im Verfassungsschutzbericht nicht einmal erwähnt wird – die AfD, deren Töne immer rassistischer werden, die den geistigen Boden für Rechtsterrorismus legt und die von Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit sowie Hass auf Muslime durchdrungen ist. Das ist gefährlich naiv. Hören Sie aber endlich auf, die Linke in NRW zu kriminalisieren. Der Kalte Krieg ist vorbei.

Auch der Frauenverband Courage wird im Verfassungsschutzbericht wieder erwähnt. Die einzige Straftat, die ihm vorgeworfen wird, ist, sich gegen die Nennung im vergangenen Verfassungsschutzbericht gewehrt zu haben.

Die Fallzahlen eines sogenannten Linksextremismus werden hochgejazzt,

(Zuruf von der CDU: Genau!)

indem man Leute auf Demonstrationen, die Sonnenbrillen oder Regenschirme bei sich tragen, zu Kriminellen macht und indem man Menschen, die sich auf die Straße setzen, um Naziaufmärsche aufzuhalten, zu Straftätern erklärt. Bereinigt man die Fallzahlen des sogenannten Linksextremismus um diese künstlichen Fälle, bleibt von einer Gefahr von links nichts mehr übrig.

Wenn hingegen Geflüchtetenheime brennen und wenn Hakenkreuze an die Ruinen gesprayt werden, sei kein rechtsradikaler Hintergrund erkennbar, erklärt uns die Polizei. So wird der alltägliche Rechtsterrorismus verharmlost.

Der Umfang, in dem kurdische Vereine im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden, ist auch albern. Im Bericht selbst steht, dass es schon seit vielen Jahren einen Gewaltverzicht gibt. Darin steht, dass es den Verbänden um die Generierung von medialen Aktionen und Demonstrationen geht. Wollen Sie das denn der kurdischen Gemeinde angesichts des andauernden staatlichen Terrorismus in der Türkei verdenken?

Besonders lächerlich wird dieser Verfassungsschutzbericht, wenn er sich mit klassischer Spionage, zum Beispiel mit Wirtschaftsspionage, beschäftigt. Auch im Jahr 4 nach Snowden ist Spionage durch sogenannte befreundete Geheimdienste immer noch kein Thema.

Einen Verfassungsschutz, der hauptsächlich

Screenshots von Nazi-Seiten ausdruckt und dann abheftet, brauchen wir nicht. Einen Verfassungsschutz, der rechten Terrorismus mit sogenannten Vertrauensleuten direkt finanziert, brauchen wir nicht. Einen Verfassungsschutz, der eine jahrelange Terrorserie entweder gar nicht erst bemerkt oder möglicherweise sogar von ihr gewusst und sie gedeckt hat, brauchen wir erst recht nicht. Der kann weg.

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

Es ist Zeit, den Verfassungsschutz bundesweit aufzulösen

(Widerspruch von der SPD, der CDU und der FDP – Zurufe)

und die Aufgaben, die in einer modernen Demokratie tatsächlich unerlässlich sind, auf eine neue Behörde zu übertragen, die von Grund auf einer demokratischen Kontrolle unterworfen ist. – Vielen herzlichen Dank.

Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der politische Extremismus bedroht uns alle – jeden, der zu schätzen weiß, dass wir in einer freien, demokratischen und offenen Gesellschaft leben. Der politische Extremismus wächst. Er bedroht jeden von uns, den wir in unserem demokratischen Koordinatensystem an unserer Seite wissen.

Die Bedrohungslage hat sich verschärft. Wir haben darauf mit einer Doppelstrategie aus Repression und Prävention reagiert.

Ich will mit der Repression beginnen. Wir haben unsere Sicherheitsbehörden personell verstärkt. Damit haben wir ein solides Konzept zur Bekämpfung des politischen Extremismus geschaffen. Allein 85 Stellen mehr – Herr Körfges hat es bereits zitiert – gab es in den letzten zwei Jahren im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Wir bauen den polizeilichen Staatsschutz deutlich aus.

Als Reaktion auf die Vorgänge in Syrien haben wir im Verfassungsschutz ein eigenes Referat geschaffen, das Personen mit hohem Gefährdungspotenzial identifiziert und mit nachrichtendienstlichen Mitteln belegt. Übrigens ist der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz die erste Landesbehörde bundesweit, die das tut.

Wir arbeiten im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum aller Bundesländer und des Bundes mit.

Um es hier deutlich zu sagen: Diese Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland ist außerordentlich gut.

Als Beleg dafür nehmen Sie bitte, dass es aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus 16 Anschlagsversuche in Deutschland gegeben hat. Drei sind leider gelungen. Das war die Messerattacke einer 15-Jährigen auf einen Bundespolizisten in Hannover; das war der Angriff auf GIs auf dem Frankfurter Flughafen; das war nicht zuletzt in Essen der Anschlag auf den Sikh-Tempel. Bei zwei Anschlägen hatten wir auch nur Glück. Das gehört zur Wahrheit dazu. Beispielsweise hat der Zünder bei der Kölner Kofferbombe nicht funktioniert.

Aber elf Anschläge in Deutschland sind verhindert worden, weil die Sicherheitsbehörden außerordentlich gut zusammenarbeiten. Das betrifft insbesondere das Zerschlagen der Sauerland-Gruppe und der Düsseldorfer Zelle.

Wir sind im Rahmen der Repression gut aufgestellt. Trotzdem wird es nie einen 100%igen Schutz geben. Es wird nie eine 100%ige Sicherheit geben, selbst

wenn Sicherheitsbehörden alles tun und alle Maßnahmen ausschöpfen.

Wir haben es aktuell mit einer Wechselwirkung der verschiedenen extremistischen Phänomene zu tun. Die Gewalt der extremistischen Szene provoziert unter anderem eine gewaltsame Reaktion der linksextremistischen Szene. Beide Seiten schaukeln sich gegenseitig hoch.

Hinzu kommt der extremistische Salafismus, die am stärksten wachsende Extremismusströmung, deren verblendete Ideologie über das Internet bis zu unseren Kindern in den Kinderzimmern verteilt wird. Das ist ein hochexplosiver Cocktail.

Hinzu kommt eine Entwicklung, die wir verstärkt seit dem letzten Jahr beobachten – Herr Stamp, jetzt hören Sie bitte genau zu; ich hoffe, dann verstehen Sie es –, nämlich, dass Menschen sich immer schneller radikalisieren. Die Zeit zwischen ihrem Eintauchen in die Szene bis zur Verübung von Gewalttaten wird immer kürzer. Übliche Zwischenschritte – in eine Organisation einzutreten, dort mitzuarbeiten und sich radikalisieren zu lassen – werden vielfach übersprungen.

Herr Stamp, gerade bei den rechtsextremistischen Taten gegen Flüchtlinge und Einrichtungen macht diese Entwicklung uns wirklich Probleme. Über zwei Drittel der Täter waren vorher in der rechtsextremistischen Szene nicht aktiv.

Das ist Turboradikalisierung, Herr Stamp. Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, das wir wahrnehmen müssen. Es mit dem Prozess der RAF zu vergleichen, die ungefähr zehn Jahre gebraucht hat, Herr Stamp, ist schlichtweg falsch und Kokolores.

(Beifall von der SPD und Dagmar Hanses [GRÜNE])

Ich will ganz gerne auch noch auf Ihren Redebeitrag eingehen, Herr Biesenbach. Ich habe mir lange überlegt, ob ich es tue, ob ich wirklich Ihr Weltbild zerstören will. Aber ich habe mich dazu entschlossen. Sie müssen jetzt sehr tapfer sein, Herr Biesenbach. Nordrhein-Westfalen hat einen Bevölkerungsanteil von 21 % – und bei den politisch motivierten Straftaten einen Anteil von 19 %. Wir liegen also im Durchschnitt.

Die eindimensionale Betrachtungsweise, der Tunnelblick, dass so etwas nur in Nordrhein-Westfalen stattfindet, Herr Biesenbach, ist leider falsch. Vielmehr wachsen der politische Extremismus und die Straftaten, die daraus hervorgehen, in ganz Deutschland und Westeuropa.

Weil wir diese Entwicklung haben, weil der Extremismus von dem Tempo der Veränderung unserer Gesellschaft befördert wird, reicht es eben nicht aus, nur repressiv vorzugehen. Zusätzlich müssen wir versuchen, diesen extremistischen Phänomenen durch