Protocol of the Session on July 7, 2016

Weil wir diese Entwicklung haben, weil der Extremismus von dem Tempo der Veränderung unserer Gesellschaft befördert wird, reicht es eben nicht aus, nur repressiv vorzugehen. Zusätzlich müssen wir versuchen, diesen extremistischen Phänomenen durch

Prävention das Wasser abzugraben. Das tun wir. Das haben wir ja verstärkt. Wir haben Strategien entwickelt.

Der Verfassungsschutz geht raus und informiert auf Veranstaltungen gerade Multiplikatoren über die Vorgehensweise derjenigen, die unsere Kinder und Jugendlichen verführen wollen.

Wir versuchen im Rahmen der Prävention, mit Aussteigerprogrammen denen die Hand zu reichen, die friedlich in diese Gesellschaft zurückkehren wollen.

Wir wollen auch denen, die Gefahr laufen, sich zu radikalisieren, auf eine Rutschbahn zu geraten, möglichst frühzeitig helfen, um eine Radikalisierung zu verhindern. Das tun wir beispielsweise, Herr Stamp, mit unserem Projekt Wegweiser. Es wird nie eine 100%ige Erfolgsquote in der Prävention geben.

Da, wo wir eine Tür aufmachen, gehen viele durch und lassen sich helfen. Manche gehen nicht durch diese Tür. Trotzdem ist es wichtig, diese Prävention anzulegen, Herr Dr. Stamp.

Ich bedaure sehr, dass Sie jeden Fall, wo es nicht gelingt, diese Prävention bei einzelnen Personen durchzuführen, als ein Versagen von Projekten bezeichnen. Das zeigt, dass Sie die langfristig angelegte Konzeption von Prävention nicht verstanden haben.

(Beifall von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass wir in Nordrhein-Westfalen – genau wie in Deutschland, genau wie in Westeuropa – eine Radikalisierung an den Rändern unserer Gesellschaft bis hin zum Extremismus haben. Diese Radikalisierung zerrt an der Mitte unserer Gesellschaft.

Ich meine, es wäre viel zu kurz gegriffen, die Frage, was wir gegen politischen Extremismus in diesem Land tun können, ausschließlich den Sicherheitsbehörden zu überlassen. Das muss ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz sein. Aus der Mitte der Gesellschaft muss das Bekenntnis für Freiheit und Demokratie nicht nur gesagt, sondern auch gelebt werden, meine Damen und Herren. Das ist die beste Prävention gegen politischen Extremismus, den wir mit aller Macht in diesem Land bekämpfen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hendriks.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Jäger, es ist richtig, dass wir die Entwicklung in Deutschland nicht von der Entwicklung in Nordrhein

Westfalen abkoppeln können. Richtig ist aber auch, dass insbesondere in Nordrhein-Westfalen die Zahl der politischen Extremisten gestiegen ist, und zwar in einem krassen Verhältnis zur Steigerungsrate in der Bundesrepublik Deutschland, und Sie nach wie vor kein geschlossenes Konzept haben, diesen zu begegnen. Auch das gehört zur Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Trotzdem halte ich es für sehr klug, an dieser Stelle einmal nachdenkliche Töne anzuschlagen. Denn alle diejenigen, die bei dem Blick auf den politischen Extremismus bisher beide Augen geschlossen haben oder zumindest ein Auge zugemacht haben, sind spätestens seit der Vorlage dieses Verfassungsschutzberichts darüber aufgeklärt,

dass wir ein Problem haben. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – das ist richtig –, weil sich die Gesellschaft insgesamt ein Stück radikalisiert hat.

Aber insbesondere die Daten und Fakten sowohl im Bereich Salafismus und im Bereich Rechtsextremismus als insbesondere auch im Bereich Linksextremismus machen deutlich, dass wir es mit einer Steigerungsrate zu tun haben, die allen zu denken geben sollte.

Meine Damen und Herren, somit ist es klug und richtig – das sage ich auch ganz offen –, ein Programm wie „Wegweiser“ auf den Weg zu bringen, wenn es damit gelingt, dem einen oder anderen den richtigen Weg zu weisen und ihn von dem falschen Weg abzubringen. Das kann natürlich nicht immer gelingen, wie auch der Anschlag auf den Sikh-Tempel gezeigt hat.

Letztlich ist aber ein einziges Programm wie „Wegweiser“, und das nur in 13 Städten, zu wenig.

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Wo ist Ihr Haus- haltsansatz?)

Wir brauchen mehr davon, um präventiv wirken zu können und alle in sämtlichen Phänomenbereichen des Extremismus zu erreichen, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deswegen müssen wir den Blick sowohl auf den Rechtsextremismus als auch auf den Linksextremismus richten. Ich finde es schon bezeichnend, wenn Sie, Herr Minister und Herr Körfges, bei dem Phänomen Linksextremismus nur davon sprechen, dass die Linksextremisten sich durch die Rechtsextremisten hochschaukeln ließen, und das nicht als einzelnes Phänomen betrachten. Wir haben in NordrheinWestfalen ein Problem mit gewaltbereiten Linksextremisten. Das muss man erkennen. Das muss man bekämpfen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michele Marsching [PIRATEN]: Vollkommener Bulls- hit!)

Liebe Kollegin Verena Schäffer, dass in Ihrem Beitrag der Linksextremismus gar keine Rolle gespielt hat, wirft auch ein Licht auf die Gesamtdenke, wie man mit Extremismus insgesamt umgeht.

Im Übrigen bin ich der Letzte, der zwischen Rechts- und Linksextremismus vergleichen wollte. Ich sehe beide als Gefahr. Als jemand, der sich seit 30 Jahren mit dem Phänomen Extremismus beschäftigt, auch mit dem Rechtsextremismus, gestehe ich auch zu, dass sich dort einiges verändert hat.

Der Rechtsextremismus ist gefährlicher geworden. Im Gegensatz zu den 80er-Jahren ist es möglich – wir sehen es beim NSU –, dass sich daraus Zirkel bilden bzw. Zellen bilden, die dann auch rechtsterroristische Aktivitäten entfalten. Das ist ein neues Phänomen im Bereich des Rechtsextremismus. Das müssen wir bekämpfen.

Fakt ist aber, dass das kein neues Phänomen im Bereich des Linksextremismus ist. Vor dem Hintergrund der Zahlen müssen wir beim Linksextremismus dringend aufpassen, dass sich nicht genau das wiederholt, was wir in den 70er-Jahren mit der RAF kennengelernt haben, und sich dort Zellen bilden, die linksterroristische Anschläge verüben – auch hier in Nordrhein-Westfalen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Was für ein Blödsinn, der da erzählt wird! Unglaublich!)

Deswegen fordern wir ein Handlungskonzept gegen Linksextremismus. Das gibt es nämlich bisher in diesem Land nicht.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, wir müssen auch einmal ein Stück auf die Anzahl der Fälle schauen. Winston Churchill hat gesagt, er traue keiner Statistik, die er nicht selbst gefälscht habe. So weit würde ich nicht gehen. Es ist aber schon richtig, dass man eine Statistik auch sehr differenziert betrachten muss.

Fakt ist, dass im rechtsextremistischen Bereich das sogenannte Propagandadelikt mit in die Statistik aufgenommen wird. Das heißt – und das ist richtig so –: Wenn jemand eine Hakenkreuzfahne verwendet, begeht er eine strafbare Handlung, die dann in der Statistik als entsprechendes Delikt auftaucht.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Sitzblockade, Herr Kollege!)

Wenn aber, wie in Dortmund gesehen, auf einer linksextremistischen Demonstration jemand eine Flagge mit Hammer und Sichel zeigt, wird dies nicht bestraft und taucht auch nicht in der Statistik auf.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Weil es halt nicht strafbar ist! Das ist einfach nicht strafbar! Unbelievable!)

Weil es keine strafbare Handlung ist. Aber das ist ja genau der Fehler, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Das ist der doch Fehler. Ein guter Demokrat darf auf keinem Auge blind sein. Extremismus, egal von welcher Seite, muss bekämpft werden. Das muss unsere gemeinsame Aufgabe sein, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ich weiß, dass das keine Straftat ist. Das bemängele ich. Man kann heute sogar so weit gehen, wie ich es bei einer Diskussion erlebt habe. Dort hat ein Redner angezweifelt, dass unter Stalin Millionen Menschen misshandelt, gefoltert und umgebracht worden sind. Auch das stellt bisher keine strafbare Handlung dar. Hingegen ist das Leugnen des Holocaust zu Recht eine strafbare Handlung.

Deswegen muss man die Statistiken sehr differenziert betrachten und feststellen, dass insbesondere bei den Delikten Brandstiftung und Körperverletzung zurzeit die Linksextremisten in Nordrhein-Westfalen die führenden Gewalttäter sind. Damit sagen wir nicht, dass das andere nicht genauso zu bekämpfen ist.

Aber sowohl beim Rechts- als auch beim Linksextremismus und auch beim Salafismus gilt für einen guten Demokraten – und das sollten wir alle sein –: Wehret den Anfängen. Sonst ist es irgendwann zu spät, meine Damen und Herren. Insofern sollte das unser Motto sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Hendriks. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Wolf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte jetzt eigentlich auf die sachlichen Kritikpunkte von CDU und FDP eingehen.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Auf was?)

Ja, das fällt mir tatsächlich etwas schwer. Das, was die CDU hier abgeliefert hat, war ziemlich pauschal.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Kollege Dr. Stamp, Sie haben das hier deutlich differenzierter gemacht. Sie haben nicht einfach pauschal die Verantwortung auf dem Innenminister ab