Protocol of the Session on June 8, 2016

(Stefan Zimkeit [SPD]: Schöner wäre, wenn Sie auch selber was tun würden!)

Alle Analysen zu Radikalisierung, meine Damen und Herren, zeigen aber auch eines: Es ist vor allem die soziale Lage, die Jugendliche in die Armen von Radikalen treibt. Deshalb ist Sozialpolitik die beste Präventionspolitik. Da sind in unserem Land in den vergangenen Jahren viel zu viele Kinder zurückgelassen worden.

(Beifall von der CDU)

Wie an diesem Ort die Ministerpräsidentin vor fünf Jahren, am 31. März 2011, versuchte, notwendige und fraglos wichtige Bildungsausgaben, die immer wieder und für jedes neue Kind anfallen, mit einmaligen Investitionen zu verwechseln, um ihre Schuldenpolitik zu legitimieren, das hat nicht nur dreimal das Verfassungsgericht, sondern inzwischen auch die Misserfolgsanalyse als Täuschungsmanöver entlarvt.

So gehören auch die Wirtschaftspolitik und die Wirtschaftsförderung in das Feld von Extremismusprävention. Die wirtschaftliche Lage vor allem im Ruhrgebiet mit Hartz-IV-Karrieren bis in die dritte Generation ist ein Nährboden für Radikalisierung.

(Widerspruch von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Menschen, die sich abstiegsbedroht oder abgehängt fühlen, sind anfällig für Hetzparolen und Menschenhass. So kommen auch die Infrastruktur und die Verhinderung von Gewerbeansiedlungen, Hemmnisse für die Entwicklung von Handwerk und Gewerbe, in den Blick –

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist jetzt unfassbar!)

vom LEP bis zu einem absolut gesetzten Naturschutz.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das scheint Ihnen voll- kommen egal zu sein!)

Wir müssen in unserem Land Kindern und Jugendlichen Chancen eröffnen und ihnen Selbstbestimmung und Partizipation durch selbstbestimmte Arbeit ermöglichen. Prävention gelingt nicht alleine über ein so flaues Konzept.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich mit einem anderen Gedanken schließen, der uns noch einmal alle angeht. Vor wenigen Tagen wurde in Frankreich eine Studie veröffentlicht, die seit 1947 einen jährlichen Bericht zum Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit darstellt. Das ist ein Rapport mit einer völlig unangefochtenen Methodik.

Die soeben erschienene Studie hat 2015 in einem besonderen Abschnitt die besondere und wichtige Rolle der politischen, sozialen und medialen Eliten für radikale Einstellungen bzw. für den Abbau von radikalen Einstellungen herausgestellt. Öffentliche Meinung entsteht nämlich nicht im luftleeren Raum.

Man erlebt zunehmend, wie im Bereich der politischen Kommunikation mit scharfen Worten allzu großzügig umgegangen wird. Aus vielleicht auch berechtigtem Ärger über zu viel Political Correctness spielt man mit Begriffen aus dem Arsenal der Radikalen. Da sind dann auf einmal Tabuverletzungen möglich, die normalerweise eingeleitet werden mit der Bemerkung: „Man muss es ja mal sagen dürfen“.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das sagt nor- malerweise Markus Söder!)

Das ist nicht etwa das Problem nur einer politischen Gruppe; das findet sich unter Anhängern aller politischen Richtungen und droht hoffähig zu werden. Nicht nur wir als Politikerinnen und Politiker tragen hier Verantwortung für das, was wir sagen. Das gilt für alle Menschen, die in Führungsverantwortung stehen, ob in der Politik, in der Wirtschaft, in Kultur oder Medien, in Vereinen oder Clubs. Wir sind aufgerufen, nicht verbal zu zündeln, nicht Panik zu machen, nüchtern zu bleiben. Nicht zuletzt sind die Medien hier angesprochen, die mir durch den Lügenpresse-Vorwurf manchmal regelrecht verunsichert erscheinen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Schönen Gruß an Erika Steinbach!)

Jeder und jede muss sich selbst der Präventionsarbeit stellen. Wir müssen auch die positiven Bilder gelingenden Zusammenlebens vermitteln, Menschenfeindlichkeit bloßstellen und gemeinsam und unnachgiebig gegen alles menschenverachtende Gerede eintreten. Wehren wir uns gemeinsam gegen Rechtsextremismus und gegen jeden menschenverachtenden Radikalismus! – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Dr. Sternberg. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Lüders das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucher auf der vollbesetzten Besuchertribüne! Ich danke der Landesregierung für die heutige Unterrichtung und die Vorstellung des Handlungskonzeptes.

Ich hätte mir gewünscht, Herr Prof. Sternberg, wenn Sie sich eingereiht hätten und nicht ins politische Klein-Klein gegangen wären, damit von diesem Parlament ein Signal ausgeht, dass NRW weltoffen und tolerant ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn Sie haben das Iintegrierte Handlungskonzept, ehrlich gesagt, nicht verstanden.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] – Lachen von der CDU)

Sie haben nicht verstanden, dass es ein Prozess ist, der nicht nur aus Bestehendem angelegt ist, sondern der sich damit beschäftigt, wie alle Akteure der Zivilgesellschaft und des Staates miteinander auftreten können, um Rassismus und Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Dieses Handlungskonzept beschreibt in einer einzigartigen Weise, wie dieser Weg aufgezeichnet worden ist. Frau Ministerin Kampmann hat diese Einzigartigkeit dargestellt. Wer bei den Regionalkonferenzen war, die mit der Zivilgesellschaft durchgeführt worden sind, dem wurde sehr deutlich, dass die zivilgesellschaftlichen Akteure nicht nur ihre Erfahrungen einbringen konnten, sondern gerade auch ihre Erwartungen und ihre Forderungen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Und dann wurden sie nicht eingebaut!)

Das ist das Wesentliche in diesem Handlungskonzept: das Zusammenführen von Zivilgesellschaft und Staat.

Dieses Handlungskonzept bildet eine Kette – eine Kette der Prävention, und jede einzelne Maßnahme ist ein Glied in der Kette und wird in dem Prozess des Konzeptes ständig auf seine Wirksamkeit überprüft werden, um Rechtsextremismus und Rassismus zu bekämpfen und vorzubeugen, dass es sich nicht weiter verfestigt.

Insbesondere freuen wir uns, dass mit Verabschiedung des Haushalts 2016 im Landtag Mittel eingestellt worden sind, um die im Konzept aufgezeigten Mittel auch in die Kommunen transportieren zu können.

Denn – so hat es ein kluger Kopf in diesem Land gesagt, Ministerpräsident dieses Landes und Bundespräsident Johannes Rau – die Kommunen sind der Ernstfall der Demokratie. Damit unsere Kommunen wehrhaft bleiben können, müssen wir unsere Kommunen befähigen, derartige Präventionsketten auflegen zu können. Daher ist die Entwicklung der Konzepte vor Ort so wichtig.

Ich kann aus eigener Erfahrung aus meiner Heimatstadt Dortmund berichten. Wir haben lange – da gehe ich über alle Parteigrenzen hinweg – immer das rechtsextreme Problem in Dortmund negiert. Wir haben es kleingeredet. Wir haben gesagt, das sei eine Randerscheinung.

2007 trat Gott sei Dank ein Umdenken ein. Der damalige Oberbürgermeister hat den ehemaligen Superintendenten der evangelischen Kirche, Herrn Anders-Hoepgen, zum Beauftragten des Oberbürgermeisters für Demokratie, Vielfalt und Toleranz ernannt. Seitdem arbeiten die Verwaltung und die übrigen städtischen Einrichtungen mit der Zivilgesellschaft und – das ist viel wichtiger – auch mit allen politischen demokratischen Kräften in der Stadt auf Grundlage eines Ratsbeschlusses zusammen, um

Kompetenzen und Kräfte zu bündeln, sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus aufzustellen.

Das, glaube ich, ist die Grundentscheidung: ein Bewusstsein zu schaffen, dass rassistische Äußerungen, rechtsextremistische Äußerungen und Angriffe auf unsere Demokratie eben keine Randerscheinung mehr sind. Es geht darum, das Bewusstsein in der Kommune zu wecken, dass man gemeinsam handeln muss. Denn nur durch gemeinsames Handeln lässt sich dieser Auswuchs verhindern.

Meine Damen und Herren, ich möchte uns alle eindringlich heute dazu aufrufen, dass wir gemeinsam weiterarbeiten, denn Prävention ist keine staatliche Aufgabe allein. Das beschreibt genau dieses Handlungskonzept. Jeder muss sich jeden Tag aufs Neue dafür einsetzen, dass Rassismus und Rechtsextremismus keinen Raum bekommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In Dortmund ist die Koordinierungsstelle weder aus dem Rathaus noch aus dem Bewusstsein meiner Stadt wegzudenken. Wer die Bilder und Medienberichterstattung vom vergangenen Samstag gesehen hat, weiß: Die Überzahl der demokratischen Kräfte, die sich den Nazis in den Weg gestellt haben, ist mit mindestens 3.000 Teilnehmern ein deutliches Zeichen. Flagge zu zeigen ist das Wichtige, zumindest ein Baustein im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus.

(Beifall von der SPD – Zustimmung von den GRÜNEN)

Demokratie fällt nicht vom Himmel. Demokratie ist auch nicht gottgegeben. Vielmehr bedarf es des täglichen Einsatzes aller Demokraten und Demokratinnen, sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu wenden. Der Bedarf unseres gemeinsamen Einsatzes – auch das hat Frau Ministerin Kampmann sehr deutlich gemacht – muss zunehmen, weil die Tendenzen zunehmen, dass Rassismus und Rechtsextremismus leichtfertig salonfähig werden.

Wir sind in der Verantwortung, denn ich bin der Überzeugung, dass der Philosoph Edmund Burke recht hatte, als er sagte: Für den Sieg des Bösen reicht die Untätigkeit der Guten. – Wir dürfen nicht untätig sein, wenn im Netz, auf der Arbeit, im Verwandten- oder Bekanntenkreis, in der Schule, im Sportverein oder wo auch immer rassistische und rechtsextremistische Äußerungen unwidersprochen bleiben. Wir dürfen nicht untätig sein, wenn Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus salonfähig werden. Unsere Aufgabe muss es sein, die Sensibilisierung unserer Gesellschaft für diese Themen zu erhöhen sowie rechtsextremem und rassistischem Gedankengut entschieden entgegenzutreten.

Genau hierbei setzt das Integrierte Handlungskonzept mit den festgelegten Zielen in den einzelnen

Handlungsfeldern an. Die Verbindung zwischen Aufklärung, Qualifizierung, Beratung und Weiterentwicklung der Wissensgenerierung befähigt uns alle, unsere gesamte Gesellschaft, wachsam zu sein und entschieden gegen Rassismus und Rechtsextremismus einzutreten.

Lassen Sie uns gemeinsam – das ist ein Appell an uns alle – daran arbeiten, dass die Ziele des Handlungskonzeptes erreicht werden: gemeinsam für ein weltoffenes tolerantes NRW. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüders. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Stamp jetzt das Wort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Zu dem, was Frau Ministerin Kampmann ausgeführt hat, was Prof. Sternberg gesagt hat zur Gefahr des Rechtsextremismus und zu den steigenden Zahlen von Anschlägen, kann ich jeden Satz unterstreichen.

Frau Kampmann hat auch Bezug zum NSU hergestellt und gesagt, dass wir den Angehörigen Aufklärung schulden, dass wir auf der anderen Seite auch in der Verantwortung stehen, als Demokraten alles zu tun, um Rechtsextremismus und Rassismus in dieser Gesellschaft zu bekämpfen.

Dazu stehen wir als Freie Demokraten. Dazu stehen wir alle in diesem Haus.

(Beifall von allen Fraktionen)