Deshalb muss die Integrationsdebatte der letzten Jahre, die vor allen Dingen sämtliche Anpassungsanforderungen an die Migranten richtete, wieder in eine ausgewogene Balance gebracht werden. Integration ist keine Einbahnstraße; das wissen wir alle. Sie ist ein Prozess des gemeinsamen Aufeinander-Zugehens.
Das heißt, dass wir alle als Mehrheitsgesellschaft uns in Zukunft mehr auf die Frage konzentrieren müssen, welche Leistungen auch wir, die Aufnahmegesellschaft, tatsächlich zu erbringen haben. Welche Maßnahmen müssen entwickelt werden, um Diskriminierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken? Wie erreichen wir das von allen immer wieder beschworene positivere Klima, das den zugewanderten Menschen signalisiert: „Ihr seid eine Bereicherung für uns; ihr seid hier willkommen; wir brauchen euch“?
Eines ist klar: Die unsäglichen Debatten über die Moscheebauten überall im Land müssen aufhören. Heute Nachmittag wird im Rat der Stadt Köln wieder eine solche Debatte geführt werden. Die große Fraktion der CDU im Kölner Rat hat angekündigt, dass sie gegen den Bau dieser Moschee stimmen wird. Bei diesem unverhohlenen Misstrauen gegen den Islam handelt es sich um ausgrenzende und spaltende Botschaften. Diese Botschaften tragen dazu bei, dass die Migrantinnen und Migranten wieder die Vertrautheit ihrer eigenen Milieus suchen und sich dort abkapseln.
Dazu kommen dann auch noch offene fremdenfeindliche Strömungen wie zum Beispiel die Demonstration der gesammelten europäischen Rechtsradikalenszene am 20. September in Köln. Das ist polarisierend und wirft uns alle in unseren Integrationsanstrengungen zurück, meine Damen und Herren.
Es wäre deshalb ein gutes Signal, wenn alle hier im Haus vertretenen Fraktionen das Gleiche machen würden wie alle demokratischen Fraktionen im Kölner Rat, die ganz klar gesagt haben: Wir erteilen diesem Treffen der europäischen Rechtsradikalenszene mit allen Botschaften, die damit verbunden sind, eine klare Absage. – Ein solches Treffen darf auf nordrhein-westfälischem Boden nicht stattfinden.
Ich gestehe gerne ein und Herrn Minister Laschet auch immer wieder zu, dass er auf der verbalen Ebene an dieser Stelle die richtigen Worte findet. Das Gleiche gilt für den Integrationsbeauftragten Thomas Kufen, dessen Bericht wir heute mit beraten. Letztlich kommt es aber nicht auf die Worte, sondern auf die Taten an, meine Damen und Herren.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine Aussage des Berichts noch einmal ganz deutlich unterstreichen. Integration ist in der Tat eine Querschnittsaufgabe. An dieser Stelle genügt es nicht, dass ein Integrationsminister überall im Lande wirbt und überall im Lande den Dialog mit den Migrantinnen und Migranten sucht. Das ist gut und richtig, aber nicht ausreichend. Integration als Querschnittsaufgabe wahrzunehmen heißt, dass alle Mitglieder dieses Kabinetts sich Integration zu eigen und sie zu ihrer Aufgabe machen.
Die Präsenz des Kabinetts heute Morgen bei diesem Thema – inzwischen sind ein paar mehr Mitglieder anwesend – stimmt mich nicht sehr hoff
Wo bleibt eine aktive Migrationspolitik mit Substanz, die tatsächlich als Querschnittsaufgabe betrachtet und von allen Ressorts und natürlich auch der Staatskanzlei mitgetragen wird? – Ich will beispielhaft ein paar Punkte nennen, bei denen wir sogar eklatante Fehlsteuerungen verzeichnen.
Statt Migrantinnen und Migranten mehr Partizipationsmöglichkeiten in unserer Gesellschaft zu geben, lehnen Sie das kommunale Wahlrecht unisono vehement ab. Ein Gesetzentwurf zur Änderung der Gemeindeordnung, der die Benachteiligung von Migrantinnen und Migranten auf kommunaler Ebene landesweit verringert, lässt weiter auf sich warten. Er wurde für diesen Sommer angekündigt.
Statt Berufschancen und Aufstiegsmöglichkeiten in Landesbehörden und Ministerien zu verbessern, fehlen die dazu erforderlichen effektiven Maßnahmen.
Statt die Integrationsförderung finanziell auf sichere Füße zu stellen, schreiben Sie die Kürzungen des Haushalts 2006 um 3,5 Millionen € weiter fort.
Statt Flüchtlingen – auch sie gehören zu den Zugewanderten und den Migrantinnen und Migranten in unserer Gesellschaft – Sicherheit und Zuflucht zu gewähren, lässt Innenminister „Gnadenlos“ Wolf Menschen in Nacht- und Nebelaktionen aus ihren Wohnungen zur Abschiebung abholen
Das hören Sie nicht gerne. Das sind aber die dunklen Punkte der Migrationspolitik dieser Landesregierung.
Meine Damen und Herren, wir werden bei der Integration in Nordrhein-Westfalen erst dann weiterkommen, wenn nicht nur geredet und fleißig geschrieben, sondern auch entschlossen gehandelt wird.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Aufgrund der begrenzten Redezeit ist es heute nicht möglich, auf alle wichtigen Teilaspekte des Integrationsberichts einzugehen. Eine genauere und differenziertere Betrachtung werden wir dann sicher in den Ausschüssen vornehmen können.
Der vorgelegte Integrationsbericht belegt, dass die sozioökonomische Situation von Menschen mit Migrationshintergrund in Nordrhein-Westfalen alles andere als zufriedenstellend ist.
Beispielhaft möchte ich auf die aktuelle Situation von Schülern und Schülerinnen eingehen. Mehr als jeder vierte Hauptschüler und jeder vierte Förderschüler kommt aus der Gruppe der Ausländer und Ausländerinnen sowie Aussiedler und Aussiedlerinnen, aber nur jeder 17. Gymnasiast. Neun von zehn Gymnasiasten sind weder Ausländer oder Ausländerinnen noch Aussiedler oder Aussiedlerinnen.
Die Unterschiede werden noch krasser, wenn nicht nach Schulen, sondern nach Klassen unterschieden wird. In jeder dritten Gymnasialklasse in Nordrhein-Westfalen liegt der Anteil der ausländischen und ausgesiedelten Schüler und Schülerinnen bei 0 %. Dem steht die Tatsache gegenüber, dass in jeder sechsten Hauptschulklasse über die Hälfte der Schüler und Schülerinnen Ausländer und Ausländerinnen bzw. Aussiedler und Aussiedlerinnen sind.
Im letzten Schuljahr ist die Quote der ausländischen Schüler und Schülerinnen ohne Schulabschluss wieder angestiegen, und zwar von 14,3 auf 14,8 %. Damit liegt sie im Vergleich zu den deutschen Schülern und Schülerinnen um fast das Dreifache höher. Und diese Ergebnisse zeigen ganz glasklar, dass an den weiterführenden Schulen die Teilhabe an Bildungschancen extrem ungerecht verteilt ist. Da finde ich es fast zynisch, wenn die Antwort von CDU und FDP auf diese Ergebnisse heißt: Wir machen eine Hauptschuloffensive.
Es bleibt festzuhalten, dass Menschen mit Migrationshintergrund am Ende einer sozioökonomischen Rangliste stehen. Erstaunlich und erfreulich sind dagegen die Ergebnisse bei den eingebürgerten ehemaligen Ausländerinnen und Ausländern. Ich verzichte jetzt auf eine nochmalige Auflistung dieser Ergebnisse – meine Vorrednerinnen und Vorredner sind darauf schon eingegangen und haben sie auch genannt –, obwohl es mir schwerfällt, weil diese Ergebnisse ausgesprochen erfreulich und sehr positiv zu bewerten sind.
Die Vermutung liegt nahe, dass durch steigenden wirtschaftlichen Erfolg und die damit verbundene gesellschaftliche Anerkennung auch die Bereitschaft zur Einbürgerung steigt. Leider gibt der Bericht hierzu keinerlei Auskunft.
Es wäre sicherlich auch einmal lohnenswert gewesen zu erfahren, welche Gründe Menschen bewegen, aktiv zu werden und sich einbürgern zu lassen. Ich denke, die Einbürgerungshemmnisse sind uns allen bekannt. Da ist erst einmal die grundsätzliche Forderung nach Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit. Und das Einbürgerungsverfahren ist aufwendig, zeitintensiv und vor allen Dingen auch teuer.
Herr Minister Laschet, Sie haben eben die Einbürgerungsoffensive angekündigt. Auf die sind wir sehr gespannt. Denn neben der Sachinformation bedarf es der Motivation, der Unterstützung und der Begleitung der Menschen, die sich auf den Weg machen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Eine besondere Hinwendung benötigt die Gruppe der jungen Erwachsenen, die die deutsche Staatsbürgerschaft über das Optionsmodell erlangt haben. Die ersten von ihnen werden demnächst mit der Frage konfrontiert werden, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft behalten und ihre Abstammungsstaatsbürgerschaft aufgeben wollen. Ich zitiere aus dem Bericht:
Aus Gründen ihrer Integration in die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind und leben, ist zu hoffen, dass die Entscheidung zugunsten der deutschen Staatsangehörigkeit ausfallen wird.
Dieser wohlklingende Satz ist natürlich eindeutig zu wenig. Der Hoffnung müssen Programme zur Seite gestellt werden. Da in jedem Fall eine Optionspflicht besteht, ist der Hinweis eventuell der Behörden, dass sich der junge Erwachsene erklären muss, oder ein Aufmerksammachen auf die
Verwaltungsvorschriften, zweifelsfrei zu wenig. Die vor der Entscheidung stehenden jungen Menschen müssen motiviert werden, die deutsche Staatsbürgerschaft behalten zu wollen.
Schulen, Ausbildungsstellen, Betriebe, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände müssen sich diesem Thema widmen. Eltern müssen in diesen Prozess mit eingebunden werden, da es möglich ist, dass Eltern und Kinder dann in Zukunft unterschiedliche Staatsbürgerschaften besitzen werden.
Das Thema Einbürgerung ist insgesamt nicht losgelöst vom Thema Integration zu betrachten. Wir haben von den Vorrederinnen und Vorrednern sicherlich schon einiges dazu gehört.
Neben der strukturellen Integration müssen auch die kulturelle Integration, die soziale Integration und die identifikative Integration Beachtung finden. Wenn wir wollen, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich integrieren und die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen – ich glaube fest daran, dass wir alle das hier fraktionsübergreifend auch wirklich wollen –, dann müssen wir auch Bedingungen schaffen, damit diese vier Dimensionen für die Ausländerinnen und Ausländer auch erlebbar werden.
Soziale und identifikative Integration werden aber erst dann erlebbar, wenn wir uns als Aufnahmegesellschaft auch den Menschen mit Migrationshintergrund zuwenden.
Eine besondere Gruppe unter den Menschen mit Migrationshintergrund stellen die Muslime dar. Ich greife auf die Studie „Muslime in Deutschland“ zurück, um einige Daten daraus zu nennen.
Eine starke Ablehnung von Muslimen seitens der deutschen Bevölkerung ist danach nicht selten. Die Aussage, dass die muslimische Kultur in die westliche Welt passt, wird von knapp 75 % der Deutschen abgelehnt. Muslime erleben hier in Deutschland auch, dass ihr Glaube und ihre Religiosität nicht respektiert werden. Sie haben Angst, ihre kulturelle und religiöse Identität zu verlieren, und haben den Wunsch, mehr an Entscheidungsprozessen beteiligt zu werden. Hinzu kommt, dass sich in Deutschland lebende Muslime diskriminiert fühlen – hauptsächlich in Schulen, Universitäten, am Arbeitsplatz und bei der Wohnungssuche.