Protocol of the Session on August 28, 2008

Ich will dabei insbesondere die Unterscheidung zwischen Zuwanderern, die eingebürgert sind, und Zuwanderern, die nicht eingebürgert sind, hervorheben. Denn durch diese methodische Innovation ist zugleich eine Erfolgsgeschichte in der Integrationspolitik unseres Landes sichtbar geworden. Es ist sichtbar geworden, dass pauschale Vorurteile, die mancher in unserer Gesellschaft noch hegt, gegenstandslos sind.

Wenn wir also mit diesem Bericht feststellen können, dass sich Zuwanderer, die eingebürgert sind, sowohl was ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt als auch was ihren Bildungsstand angeht, nicht unterscheiden von Deutschen, die ihre Wurzeln in Deutschland haben, dann ist dies ein Erfolg. Es ist kein Erfolg unserer schwarz-gelben Integrationspolitik. Es ist kein Erfolg Ihrer rot-grünen Integrati

onspolitik. Es ist zuvörderst der Erfolg der Menschen, die zu uns gekommen sind, die ihre Chance ergriffen haben, die gearbeitet haben und die ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden haben.

(Beifall von der CDU)

Das sollten wir alle gemeinsam würdigen.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen braucht Zuwanderer. Nordrhein-Westfalen ist selbst ein Land, das wie kein zweites in Deutschland von Zuwanderergeschichte geprägt ist. Seit dem 19. Jahrhundert haben Menschen aus dem Ausland in Nordrhein-Westfalen Arbeit gesucht und gefunden. Sie haben im Ruhrgebiet mit dazu beigetragen – etwa polnische Zuwanderer, was man immer noch in den Telefonbüchern sehen kann –, dass dort Wohlstand hat erwirtschaftet werden können.

Auch in Zukunft sind wir auf Zuwanderer angewiesen, insbesondere auf hoch qualifizierte, die in Deutschland mit dazu beitragen wollen, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit international erhalten und ausbauen können, und die mit dazu beitragen, dass unsere Sozialsysteme weiter finanziert werden können, und zwar für alle, die in Deutschland leben.

Deshalb ist es so notwendig, so wichtig, dass wir in der Zuwanderer-, in der Integrations-, in der Einwanderungspolitik einen parteiübergreifenden Konsens pflegen und verteidigen. Das gilt nicht nur für das Land Nordrhein-Westfalen, sondern darüber hinaus auch für den Bund.

Ein parteiübergreifender Konsens heißt indes nicht, die Augen davor zu verschließen, dass es noch Defizite gibt. So wie man loben muss, dass sich Zuwanderer, die eingebürgert sind, in nichts unterscheiden von der deutschen Herkunftsbevölkerung, so müssen wir auch wahrnehmen, dass es noch Gruppen von Migranten gibt, die großen Nachholbedarf in der Integration haben. Wenn in diesem Bericht etwa ausgesagt wird, dass die Erwerbsquote der türkischen Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen nur bei 55 % liegt und dass die Erwerbslosigkeit von Zuwanderern insgesamt bei 17,9 % liegt, dann sind das erschreckende Zahlen, die zeigen, dass viele ihren Platz in unserer Gesellschaft eben noch nicht gefunden haben. Das ist zahlenmäßig eine große Gruppe.

Ich kann Ihnen nicht den Gefallen tun zu verschweigen, dass diese erschreckenden Zahlen natürlich auch ein Ergebnis Ihrer jahre- und jahrzehntelang eben nicht konsequent verfolgten Integrationspolitik sind, meine Damen und Herren

von Sozialdemokraten und Grünen, weil nicht hinreichend Wert darauf gelegt worden ist, dass Menschen, die zu uns gekommen sind, erfolgreich das Bildungssystem durchlaufen. Das war Ihre Politik. Ihre Politik war, Multikulturalismus zu pflegen und gelegentlich die Augen davor zu verschließen, dass manche sich eben nicht anstrengen wollen, ihren Platz zu finden. Deshalb haben Sie diese Menschen auch nicht gefördert und nicht angehalten, ihren Platz zu suchen.

Das war die rot-grüne Bilanz. Mit ihr haben wir uns auseinanderzusetzen. Wir als schwarz-gelbe Koalition tun viel, tun alles, was in unserer Macht steht, um bei der Qualifikation und bei den Sprachkenntnissen von Menschen mit Zuwanderergeschichte besser zu werden.

Dazu gehört – darauf ist verschiedentlich hingewiesen worden –, dass wir Sprachförderangebote in den Kindestageseinrichtungen intensivieren. Das geht nur im Alltag. Ich kann gar nicht verstehen, Britta Altenkamp, dass Sozialdemokraten kritisieren, dass diese Sprachförderprogramme in einer Einrichtung in den Alltag integriert werden.

(Beifall von der CDU)

Es bringt nichts, wenn man kleine Kinder herauszieht und ihnen eine Art Crashkurs verpasst. Das kann man mit Führungskräften machen. Das kann man mit Managern machen. Aber das kann man nicht mit Vier-, Fünf- und Sechsjährigen machen.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Es werden nicht die gefördert, die es nötig haben!)

Die brauchen in Alltagssituationen einen Umgang mit Sprache, wie das in Skandinavien mit dem sogenannten Sprachbadkonzept seit vielen Jahren schon gepflegt wird.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Es werden aber nicht alle gefördert, die es nötig haben!)

Deshalb ist unser Weg hier richtig. Die Anstrengungen, die unternommen worden sind, sind beachtlich und zeigen erste Erfolge.

Es ist richtig, dass wir gemeinsam auch weiter an den Bund appellieren, seine integrationspolitischen Bemühungen mit den Integrationskursen des Bundes zu verstärken. Diese Kurse müssen noch zielgruppenorientierter werden. Es hilft nichts, wenn man eine Frau aus Anatolien, die vielleicht gar Analphabetin ist, mit einem Germanisten aus Istanbul in einen Kurs steckt und hofft, sie würden gemeinsam die deutsche Sprache lernen. Das wird nicht gelingen. Die Kurse müssen zielgruppenorientiert sein. Sie müssen im Übrigen auch mit ganz klaren Leistungsanforderungen

verbunden sein – Fördern und Fordern eben –, um sicherzustellen, dass alle mindestens über einen Überlebenswortschatz im Deutschen verfügen können.

Viele weitere Maßnahmen wären zu benennen. Der 20-Punkte-Aktionsplan Integration ist hier ja schon an unterschiedlichen Stellen diskutiert worden. Ich will deshalb nicht weiter darauf eingehen.

Ich will vielmehr den Blick darauf lenken, dass Integration für uns als Freie Demokraten – und ich denke, für alle Fraktionen in diesem Haus – bedeutet, dass Menschen ihren Platz in unserer Gesellschaft finden. Das heißt, dass sie nicht nur teilhaben am Arbeitsmarkt, sondern dass sie auch teilhaben am sozialen und kulturellen Leben, dass sie sich engagieren in Vereinen und Verbänden, im Sport, in der Kommune, in Parteien, dass sie mit uns unser Leben, unser kulturelles Leben gestalten, dass sie auch eigene kulturelle Hintergründe einbringen und uns damit bereichern.

Deshalb möchte ich, wenn wir den Blick nach vorn richten – auch den Blick nach vorn, was die Integrationsberichterstattung in diesem Land angeht –, den Wunsch äußern, dass wir uns in der Zukunft natürlich weiter um die ökonomischen Indikatoren von Integration bemühen, dass wir aber auch ein noch stärkeres Augenmerk auf die soziale und kulturelle Integration richten.

Die Integrationsbeauftragte des Bundes, Frau Professor Böhmer, hat ein 100 Aspekte umfassendes Indikatorenset für ein systematisches und bundesweites Integrationsmonitoring entwickelt. Darin sind viele unterschiedliche Aspekte berücksichtigt. Gewiss ist das, was sie vorgelegt hat, ein wenig kleinteilig. Dennoch glaube ich, dass wir unser nordrhein-westfälisches Indikatorenset für eine nächste Berichterstattung um das Partizipationsverhalten, um Einstellungen zu Institutionen – die Gallup-Studie haben wir neulich diskutiert –, um die Wohnsituation, die Gesundheitssituation und zudem vielleicht um Aspekte der Kriminalität ergänzen sollten. Erst dann können wir ein vollständiges Lagebild diskutieren, was die ökonomische, im Übrigen aber auch die kulturelle und soziale Integration von Menschen in unserem Land betrifft.

Das ist doch unser gemeinsames Ziel in der Integrationspolitik: Menschen, die zu uns kommen, die Teilhabe am Arbeitsmarkt, aber auch in unseren Vereinen, Verbänden, Sportvereinen, in den politischen Parteien und in den Kommunen zu ermöglichen. Integrationspolitik ist dann erfolgreich, wenn alle ihren Platz an allen Stellen in unserer

Gesellschaft finden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Asch.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute beraten wir den ersten Integrationsbericht der Landesregierung. Das klingt etwas singulär und einzigartig. Wir wissen aber alle, dieser Bericht steht in der Tradition der Zuwanderungsberichterstattung der rot-grünen Landesregierung. Die rot-grüne Landesregierung hat die Vorreiterinnenrolle dieses Landes in migrationspolitischen Fragen begründet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Minister hat es eben selbst noch einmal erwähnt.

Die migrationspolitischen Debatten im Landtag sind von zwei großen Schwerpunkten geprägt. Einmal geht es um die Frage, wie wir zu einem geregelten Verhältnis zwischen dem Staat und den Bürgerinnen und Bürgern muslimischen Glaubens in unserem Land kommen. Wir wissen: Die Integration von zugewanderten Muslimen steht unter ganz besonderen und seit dem 11. September unter noch einmal erschwerten Bedingungen.

Der Dialog mit dem Islam ist ein hochsensibles Thema. Aus guten Gründen arbeiten wir in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland fraktionsübergreifend dazu. Wir haben in diesem Zusammenhang ausgesprochen schwierige Probleme zu lösen und schwierige Diskussionsprozesse zu führen. Es ist gut, dass wir diese Fragen gemeinsam angehen und aus dem Parteienstreit heraushalten. Für die Fraktion der Grünen kann ich dazu sagen, dass wir zu dieser Arbeitsweise stehen und sie auch fortsetzen wollen.

Der zweite Schwerpunkt ist in diesem Hause nicht ganz so konsensual. Ich spreche von dem Bildungsbereich. Konsens besteht aber darüber, dass die Bildung der Schlüssel zur Integration ist. Das wird auch in dem Bericht sehr deutlich und immer wieder benannt. Die Eintrittskarte in diese Gesellschaft sind Bildung und Ausbildung. Darüber sind wir uns alle einig.

Wir sind uns nicht darüber einig, welche Wege gegangen werden müssen, um unser Bildungssystem so zu verbessern, dass seine eklatanten Defizite beseitigt werden, nämlich die Kindern mit

Migrationshintergrund nicht die gleichen Chancen zu geben wie Kindern der Mehrheitsgesellschaft.

Die Zahlen aus dem Integrationsbericht zeigen das noch einmal sehr eindrücklich. Der größte Teil von Schülern mit Zuwanderungsgeschichte – 37,6 % – geht zur Hauptschule. Nur 13,3 % schaffen den Sprung zum Gymnasium.

Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere aber die nicht eingebürgerten Ausländerinnen, haben extreme Schwierigkeiten, in unserem Bildungssystem erfolgreich zu sein. Die Schulabbrecherinnenquote liegt wesentlich höher. Die Bildungsabschlüsse sind insgesamt deutlich niedriger als im Durchschnitt der Bevölkerung. 13,6 % aller Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz sind Ausländer.

Wir wissen, eine wichtige Voraussetzung für die Bildungsbeteiligung ist die vorschulische Sprachförderung. Richtig und wichtig ist, dass Sie sich das auf die Fahnen geschrieben haben. Doch wir sehen auch die dilettantische Umsetzung der Sprachstandserhebung und die bisher nicht flächendeckend vorhandenen evaluierten Förderinstrumente. Wir wissen deshalb nicht, ob und wie diese Maßnahmen greifen und wirken.

Das Hauptproblem dieser Landesregierung ist aber, dass sie sich an diesem Schulsystem festklammert, welches gerade Kindern aus Zuwanderungsfamilien die Startchancen verbaut. Die bildungspolitischen Sackgassen im gegliederten Schulsystem können nur durch einen Systemwechsel aufgebrochen werden. Das wird Ihnen in sämtlichen Bildungsberichten und in allen Studien attestiert – bisher leider ohne Wirkung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Allerdings stimmt es mich zuversichtlich, im Integrationsbericht den Satz zu lesen: Das deutsche Bildungssystem hat hier einen großen Nachholbedarf. – Vielleicht ist das der sanfte Hinweis des Integrationsministers an die Kabinettskollegen und insbesondere an die Schulministerin, dieses Bildungssystem endlich so zu ändern, dass die Kinder länger gemeinsam lernen und somit alle Kinder – auch diejenigen mit Migrations- und Zuwanderungsgeschichte – ihre Potentiale und ihre Möglichkeiten ausschöpfen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir erkennen in der jüngeren Vergangenheit eine Entwicklung, die uns in der Zukunft noch intensiv beschäftigen wird. Genau zu der Zeit, zu der selbst die CDU erkannt hat, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist, wird es zunehmend keines mehr. Dieses Paradox

erleben wir jetzt. Die Zuwanderungsrate geht gegen null. Spätaussiedler, Familiennachzug, dauerhafte Arbeitsmigration, Jüdinnen und Juden aus Osteuropa und Flüchtlinge – alle sind durch die restriktiven Neuregelungen abgeschreckt. Das ist die Realität.

Genau das Gegenteil passiert: Wir haben eine negative Migrationsbilanz. Immer mehr zugewanderte Menschen verlassen dieses Land. Anfang August hat das ZDF über die vermehrte Rückkehr von Spätaussiedlern nach Russland berichtet. Im Mai dieses Jahres schrieb „ Der Spiegel“: Hoch qualifizierte türkischstämmige Akademikerinnen wandern aus, weil sie sich in Deutschland missachtet fühlen. – Die Abwanderung von Führungskräften betrifft nach Angaben des Krefelder Instituts futureorg 38 % der türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten. Die Gründe hierfür sind in beiden Fällen gleich: Vorurteile, Aussichtslosigkeit bei der Stellensuche, mangelnde Akzeptanz und Ausgrenzung. – Das ist die Realität, die die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte hier in Deutschland vielfältig erleben.

Im Integrationsbericht heißt es dazu lapidar, diese Entwicklung sei nicht als Kritik an den Verhältnissen in Deutschland zu werten. – Ich glaube, da irren Sie sich, Herr Minister Laschet. Das greift zu kurz.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es reicht ein Blick in die Forschungsergebnisse von Prof. Heitmeyer über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. In unserer Gesellschaft finden sich eine weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit und eine stark ansteigende Islamphobie.

Deshalb muss die Integrationsdebatte der letzten Jahre, die vor allen Dingen sämtliche Anpassungsanforderungen an die Migranten richtete, wieder in eine ausgewogene Balance gebracht werden. Integration ist keine Einbahnstraße; das wissen wir alle. Sie ist ein Prozess des gemeinsamen Aufeinander-Zugehens.