Bei der Interpretation der Expertenanhörung geht es munter so weiter. Das habe ich in der zweiten Lesung schon gesagt, aber da Herr Wolf jetzt persönlich anwesend ist, wiederhole ich es gerne: Ich glaube, dass hier ein Innenminister, der zugleich Verfassungsminister ist, einmal mehr dieser Aufgabe nicht gerecht wird.
Wir haben es hier mit einem von allen drei juristischen Sachverständigen, die anwesend waren, konstatierten juristischen, verfassungsrechtlichen Problem zu tun, und zwar mit dem Problem, dass die Amtszeiten von gewählten Ratsvertretern und Gemeindeorganen mit der Amtszeit von noch amtierenden kollidieren, und zwar für mehr als vier Monate. Alle Sachverständigen sagen: Nur beim Vorliegen besonders gewichtiger Gründe könne man von Zeiträumen von maximal zwei bis drei Monaten abweichen.
Zum Beispiel sagt Herr Prof. Bätge, der in völliger Verkennung dessen, was er tatsächlich gesagt und geschrieben hat, von Ihnen sogar als Kronzeuge angenommen worden ist, wörtlich:
„Das kollidiert mit dem Demokratieprinzip…, an das die Kommunen aufgrund der Art. 20 und 28 auch gebunden sind.“
Meine Damen und Herren, das zeigt doch ganz deutlich, dass das nichts ist, worüber man im Plauderton hinweggehen kann, nach dem Motto: Irgendwie ist es doch wichtig, dass wir die Wahlen zusammenlegen.
Auch Koch fordert gewichtige Gründe. Ich will jetzt hier sicherlich kein Proseminar in Verfassungsrecht halten, meine Damen und Herren. Ich merke gerade, dem einen oder anderen von Ihnen würde das nicht schaden, aber ich tue es trotzdem nicht.
Die gewichtigen Gründe müssen im Wege einer allgemeinen Güter- und Interessenkollision abgewogen werden. Wir haben auf der einen Seite einen von allen Sachverständigen konstatierten Eingriff ins Demokratieprinzip. Auf der anderen Seite müssen Sie gewichtige Gründe vortragen. Sie tragen keinen einzigen gewichtigen Grund vor. Denn das, was Sie treibt, das, was Sie nachweislich treibt und was auch an anderer Stelle sicherlich zur Erhellung beitragen wird, sind parteitaktische Erwägungen, und das auch noch zugunsten eines Koalitionspartners, der kommunalpolitisch – das lassen Sie mich auch einmal sagen – ja nicht der Rede wert ist.
Auch in der Juristerei sagt man: Lucidum intervallum. Ab und zu gibt es „helle Augenblicke“, Herr Kollege. Zum Beispiel hat sich die FDP im Rat der Stadt Mönchengladbach gegen das Sparkassengesetz ausgesprochen. Ich kann nur sagen: Ab und zu gibt es da auch Abweichungen von der Regel.
Wir haben – jetzt zitiere ich den dritten Sachverständigen – mit Herrn Prof. Morlok jemanden, der die Zeiträume noch wesentlich enger sieht und von einem deutlichen verfassungsrechtlichen Risiko spricht.
Meine Damen und Herren, als sozialdemokratische Fraktion in diesem Hause bleiben wir dabei, dass es nicht sein kann, dass Wählerinnen und Wähler ihrem Willen in einer Wahl Ausdruck verleihen, dieser Wille aber dann für mehr als vier Monate in keiner Weise Berücksichtigung findet. Das kann nicht angehen.
Darüber hinaus verweise ich an der Stelle auf ein zweites Problem und beziehe mich dazu wieder auf Prof. Bätge. Das können Sie alles im Protokoll der Sitzung nachlesen. Was passiert für den Fall, dass nach einer Kommunalwahl, die aufgrund
dieser verfehlten Entscheidung vorgezogen worden ist, irgendeiner im Rahmen eines Wahlanfechtungsverfahrens die Rechtmäßigkeit der Wahl in Zweifel zieht? Ich habe in der Anhörung nach den Folgen gefragt. Da ist ganz deutlich gesagt worden: Dann wird inzidenter im Rahmen des kommunalen Wahlprüfungsverfahrens die Rechtmäßigkeit dieser Kommunalwahl überprüft.
Meine Damen und Herren, wissen Sie überhaupt, welchem Risiko Sie die allgemeinen Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen mit Ihrem Vorgehen aussetzen? Ich kann Ihnen nur sagen: Sie gehen da sicherlich sehr risikobereit heran. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir den Vorgang einer genauen juristischen Überprüfung unterziehen werden. Das verspreche ich zum wiederholten Male.
Aber – auch das wiederhole ich jetzt – es gibt in solchen Fragen immer zwei unterschiedliche Bewertungskriterien. Das juristische Kriterium – ich habe nicht ohne Grund die Gründe noch einmal aufgeführt, denn das wird nachher unter Umständen auch einmal wesentlich sein, wer hier mit welchen Argumenten für welche Dinge gefochten hat – können wir im Prinzip beschreiben, aber entscheiden tun es andere.
Aber es gibt eine Entscheidung, die Sie, meine Damen und Herren von den regierungstragenden Fraktionen, in der Hand haben. Sie können hier heute eine Entscheidung treffen, die Sie wieder in den Konsens mit dem gesamten Haus bringt.
Sie können hier eine Entscheidung treffen, die viele Tausend junge Menschen an der Kommunalwahl teilnehmen lässt. Sie können hier eine Entscheidung treffen, mit der Sie den Bürgerinnen und Bürgern attestieren, dass sie zwischen Bundestagswahlen, Kommunalwahlen und Europawahlen hinreichend differenzieren können.
Oder aber Sie können Ihren Stil hier weiter fahren. Meine Damen und Herren, damit verletzten Sie mehr als gegebenenfalls Grundrechte. Damit verletzen Sie mehr als die Verfassung. Damit verletzen Sie auch ungeschriebene Gesetze der Demokratie in diesem Haus. Das sollte hier nicht passieren. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Ich schließe mich da voll und ganz dem Kollegen Lux an. Herr Becker, ich spreche Sie direkt an. Wir haben es im Parlament – zumindest in den letzten acht Jahren, für die ich reden kann – noch nicht erlebt, dass ein Abgeordneter Experten, die hierhin eingeladen wurden, als zweite Garnitur qualifiziert hat.
(Beifall von FDP und CDU – Ralf Jäger [SPD]: Echauffieren Sie sich nicht so! – Er- neut Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der vom Kollegen Lux schon erwähnten Drucksache 14/7043 hat die Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Kollegen Becker Antworten gegeben, und zwar unter anderem zu den Fragen der Monate, die hier laufend eine Rolle spielen. Ich erlaube mir, aus dieser Antwort der Landesregierung zwei Punkte herauszugreifen.
Erstens. In vier Ländern fanden landesweite Kommunalwahlen mehr als vier Monate vor dem Datum des Ablaufs der regulären Wahlperiode statt, und zwar – das können Sie alles nachlesen; mir ist es aber wichtig, dass das auch im Plenarprotokoll festgehalten wird –:
Baden-Württemberg: Kommunalwahltermin 12.06.1994; Ende der regulären Wahlperiode 31.10.1994; Grund: Zusammenlegung mit Europawahl
ebenfalls Baden-Württemberg: Kommunalwahltermin 13.06.1994; Ende der regulären Wahlperiode 31.10.2004; Grund: Zusammenlegung mit Europawahl
Brandenburg: Kommunalwahltermin 05.12.1993; Ende der regulären Wahlperiode 31.05.1994; Grund: Gebietsreform
Zweitens. Die Antwort auf die nächste Frage ist ebenfalls interessant – einschließlich der Ausführungen, die Baden-Württemberg, das Saarland und Sachsen-Anhalt betreffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, von der Opposition wird hier permanent nach den Gründen gefragt. Das kann ich ja verstehen, Herr Körfges. Fragen Sie aber einmal Ihren Kollegen Müntefering, was er gesagt hat. – Ich nenne noch einmal die elf Punkte.
Erstens. Die Wählerinnen und Wähler sollen davor bewahrt werden, in kurzer Zeit zu drei verschiedenen Terminen zur Wahlurne gerufen zu werfen.
Zweitens. Die Akzeptanz der Wahl zum Europaparlament und die Beteiligung daran werden bei den Wählerinnen und Wählern steigen. Auch die Attraktivität der Kommunalwahlen wird zunehmen; denn bei beiden Wahlen sind neben Inländerinnen und Inländern auch EU-Bürgerinnen und -Bürger wahlberechtigt.
Drittens. Eine Aufwertung der Europawahl ist dringend erforderlich; denn der Einfluss Europas wächst, und das ist gut so. Übrigens führt eine höhere Wahlbeteiligung dazu – das müssen Sie in Ihre Beurteilung mit einbeziehen –, dass mehr nordrhein-westfälische Abgeordnete ins Europäische Parlament entsandt werden können. Somit können regionale Interessen auf europäischer Ebene besser vertreten werden.
Viertens. Ein gemeinsamer Wahltermin führt zu einer Verringerung der Wahlkosten insgesamt. Die Kommunen werden finanziell entlastet. Der Bund trägt einen wesentlichen Teil der Wahlkosten für die Europawahl mit.
Fünftens. Die Europa- und die Kommunalwahlperiode dauern gleichermaßen fünf Jahre. Sie beginnen und enden auch im selben Jahr. Daher können bei dieser Koppelung Wahlkosten zum Wohle der Steuerzahler eingespart werden – und zwar dauerhaft.
Sechstens. Es ergeben sich organisatorische Vorteile. So müssen die Kommunen nur einmal die Durchführung der Wahlen organisieren, haben also einen geringeren Aufwand.
Siebtens. Es ergeben sich personelle Vorteile. So müssen Wahlhelfer nicht mehrfach mobilisiert werden.
Achtens. Von einer terminlichen Zusammenlegung der Wahltermine profitieren auch die Parteien, die innerhalb weniger Monate nur einmal einen Wahlkampf führen müssen.