Man braucht sich nicht zu wundern, dass man, wenn ein Betroffener sich einen Gutachter aussuchen kann, über einen Akt der Waffen- oder Chancengleichheit spricht.
Ich stelle mir vor, einer von uns müsste dort im Verfahren sitzen und sich dem hingeben, was an Gutachten belegt wird, ohne die Möglichkeit zu haben, einen eigenen Gutachter auszusuchen. Wir alle würden uns darüber beschweren. Genauso geht es den Betroffenen in diesem Land, wenn § 109 SGG verändert werden würde.
Wir reden nicht über eine Bevorzugung von Menschen, sondern wir reden darüber, dass die Behinderten dieses Gutachten aus eigener Tasche bezahlen müssen. Wir reden nicht über Geld, das der Staat bezahlen muss, sondern die Betroffenen, die den Antrag stellen, ein solches Gutachten einzuholen, bezahlen dieses Gutachten mit
- So ist es, Frau Ministerin, auch wenn Sie mit dem Kopf schütteln. Sie will diesen Menschen, die sich bereits heute selber um ihr Gutachten kümmern und es selbst bezahlen müssen, das Recht nehmen, auf eigene Kosten ein Gutachten einholen zu lassen. Das wollte die Landesregierung; das höre ich ständig im Plenum: Wir müssen den Menschen ihre Verantwortung wiedergeben, der Staat muss sich zurückziehen. - Ja, wunderbar! Dann hat er sich zurückgezogen, und jetzt nehmen Sie den Menschen auch noch das Recht, das Gutachten in eigener Verantwortung einzuholen. Das kann nicht richtig sein.
Minister Laumann aus Ihrer Regierung wird das wohl auch wissen. Er hat nach der Bundestagswahl gesagt, die CDU habe die Arbeitnehmer sträflich vernachlässigt. Frau Ministerin, ich drohe Ihnen nur an: Sie sind dabei, nicht nur die Rechte der Behinderten, der Hinterbliebenen und der anderen benachteiligten Menschen in diesem Lande sträflich zu vernachlässigen, sondern weit weg von diesen Interessen eine Entscheidung zu treffen. Wir halten das nicht für die richtige Idee.
Man muss auch einmal bedenken - Sie kommen vom Fach, von daher gehe ich davon aus, dass Sie das wissen -, worüber wir gerade reden: Es geht hier um 10 % aller Gutachten, die in sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt eingeholt werden. 10 % - diese Summe kennen wir; das ist die Summe, die die CDU hier in Nordrhein-Westfalen am 18. September verloren hat, nämlich von 44 auf 34 %. Den ganzen Morgen fanden Sie es nicht besonders schlimm, 10 % verloren zu haben. Da freut es mich, dass es bei den Gutachten das Gleiche ist. Da sind es auch nur 10 %, also kann es so schlimm nicht sein.
Sicherlich führt ein Gutachten manchmal zu dem Problem, dass ein Rechtsstreit verlängert wird. Aber worüber reden wir hier denn? Diejenigen, die sich über verlängerte Verfahren beschweren, sind die Bürger. Aber der Bürger, der den Antrag stellt, ein Gutachten einzuholen, wird sich doch nicht darüber beschweren, dass das Verfahren dann länger dauert; denn er verbindet mit diesem Gutachten - das wissen viele, die vom Fach kommen - seine letzte Möglichkeit der Überprüfung. Das führt letztendlich auch zu Rechtsfrieden, denn wenn der eigene Gutachter keine andere Stellungnahme abgibt als der des Gerichts oder
der der Verwaltungsbehörde, wird sich der Bürger dem hingeben, und es ist Rechtsfrieden selbst bei einem abweisenden Urteil oder für den Fall der Klagerücknahme.
Wir freuen uns, dass wir als SPD-Landtagsfraktion uns mit unserem Antrag in guter Gesellschaft befinden. Denn wie Sie vielleicht wissen: Der DGB-Bundesvorstand hat am 15. Mai dieses Jahres eindeutig erklärt, er lehne diesen Vorschlag, diese Initiative ab. Gleiches gilt für den SoVD als den Interessenvertreter der benachteiligten Menschen in diesem Land. Der SoVD hat Sie, Frau Müller-Piepenkötter, am 24. August aufgefordert, dieser Änderung nicht zuzustimmen. Ich hoffe, dass Sie dem nachkommen, weil immerhin auch ein Berufener, nämlich der Sozialrichter Flint aus Hamburg - übrigens aus dem Bundesland, aus dem der Antrag kommt -, deutlich gesagt hat: Das kann so nicht sein. Die Behörde sucht sich ihren Gutachter aus. Dann muss dieses Recht letztendlich auch den Betroffenen zustehen.
Das mache ich jetzt auch. - Herr Kollege Biesenbach, ich hoffe, dass Ihr Anwaltskollege Haferstroh die Regierungsauffassung teilt, wenn er das nächste Mal im Kuratorium des Marienhospitals sitzt. Das nur als kleinen Hinweis.
… Der Ministerpräsident hat in vielen Demonstrationen vor der Landtagswahl in vorderster Reihe gestanden, als es darum ging, die Rechte der Betroffenen eventuell einzuschränken, und hat an vorderster Front letztendlich mitgekämpft. Ich freue mich, dass er, wenn dies hier Thema wird, …
… auch in vorderster Front steht, gemeinsam mit den Betroffenen, den Vereinen und Verbänden und der SPDLandtagsfraktion, denn diese wird dagegen stimmen. - Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Biesenbach, Sie sind schon aufgestanden. Sie haben für die CDU-Fraktion das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Moron, Sie hätten dem Kollegen gar keinen Hinweis zu geben brauchen, denn die Qualität seines Beitrags entspricht seinem Kenntnisstand zum Marienhospital in Hückeswagen. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Kollege, dass durch die unsoziale Politik der früheren Landesregierung das Krankenhaus bereits vor 15 Jahren geschlossen wurde.
Von entsprechender Klasse und Qualität ist auch die Einlassung zu dieser Situation, denn: Sie picken hier einen Punkt heraus, ohne darzustellen, in welchem Zusammenhang das in Hamburg ins Gespräch gebracht wurde.
Sie wissen, dass wir von einer Justizreform sprechen, und Sie wissen, dass wir Versuche machen, Gerichtsverfahren zu straffen. Nun hat Hamburg vorgeschlagen, das Sozialgerichtsgesetz an die Verwaltungsgerichtsordnung anzupassen. Es wurden Vorschläge, die in der Verwaltungsgerichtsordnung seit langem unstreitig sind, auch für das Sozialgesetzbuch ins Gespräch gebracht. In der Verwaltungsgerichtsordnung werden Sie eine entsprechende Vorschrift nicht finden. Darum steht auch § 109 Sozialgerichtsgesetz auf der Liste der zu beratenden Punkte.
Warum hat das Land Nordrhein-Westfalen diese Initiative unterstützt? Ganz simpel: weil im Bundesrat überhaupt noch nicht darüber beraten worden ist; die Initiative ist überhaupt noch nicht plenarreif. Das heißt, das Land hat gesagt: Da ist ein Vorschlag - Anpassen an die Verwaltungsgerichtsordnung -, der ist vielleicht gar nicht so dumm, und das wollen wir im Bundesrat beraten. - Punkt, aus, Ende! Mehr ist nicht passiert. Was Sie hier daraus machen, ist der Untergang des Rechtsschutzes bei den Sozialgerichten. Prima!
Ich komme noch einmal darauf - ich habe hier ja bereits heute Morgen zur Art und Weise des Umgangs der Opposition mit Initiativen das Wort ergriffen -: Das ist ein Beispiel dafür, mit wie viel Getöse nichts als heiße Luft produziert wird.
darüber nachdenken, ob das, was Sie sagen, wirklich ein so tolles Recht ist. Sie wissen selber - da etwas präziser, hoffe ich zumindest -, dass wir im Sozialgerichtsverfahren den Amtsermittlungsgrundsatz haben. Danach hat das Gericht zu ermitteln - Sozialgerichte stehen nicht im Verdacht, das nicht zu tun -, inwieweit Erkrankungen wirklich vorliegen. Auch unabhängig von § 109 könnte jeder seinen eigenen Gutachter bezahlen. Nur ist es längst nicht so, dass die Kläger den bezahlen; in der Regel tun sie das nämlich nicht, auch nicht den, der privatgutachterlich tätig wird.
Im Übrigen: Wenn das so wäre, bräuchten Sie erst recht keine Sorge zu haben, denn dann könnte jeder seinen Privatgutachter auch weiterhin als präsenten, sachverständigen Zeugen einbringen. Also gibt es auch hier für den Kundigen kein verfahrensmäßiges Problem.
Inwieweit § 109 zu folgen ist oder inwieweit der Initiative zu folgen ist, das werden wir hier und auch in der Regierung zu beraten haben, wenn plenarreife Entwürfe und plenarreife Texte vorliegen. Bis dahin können wir einfach nur sagen: Wir werden in aller Ruhe abwarten, wie die Beratungen ausgehen, und dann darüber nachdenken, wie der bestmögliche Rechtsschutz auch hier gewährleistet werden kann. Bis dahin: Miesmachen kann wirklich jeder, aber Qualität, die hätten wir schon gerne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Biesenbach, lassen Sie uns doch einmal über die Menschen reden, die diese Materie betrifft, und darüber, was es für die Menschen bedeutet, wenn sie berufsunfähig sind, wenn sie einen Unfall am Arbeitsplatz hatten und es darum geht, ob sie die Erwerbsunfähigkeitsrente, die Berufsunfallrente bekommen oder nicht. Das sind für diese Menschen existenzielle Probleme; davon hängt sehr viel ab.
Ich finde, damit müssen wir sehr sensibel umgehen. Wir müssen darüber reden, wie wir den Rechtsschutz für diese Menschen erhalten können, anstatt ihn abzubauen.
Und darum geht es in diesem Antrag, meine Damen und Herren. Es geht um die Menschen, die einen Unfall am Arbeitsplatz hatten, die arbeitslos werden, die gehandicapt sind, die einen Antrag
Sie gehen zum Sozialgericht, die Klage läuft, das Gericht prüft - natürlich gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, das ist richtig - und es wird ein entsprechendes fachärztliches Gutachten eingeholt. Im Sozialgerichtsverfahren wird die Klage aber abgewiesen. Jetzt greift doch der Rechtsschutz der Betroffenen. Jetzt greift der § 109, der sagt:
Auf Antrag des Versicherten, des Behinderten, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muss ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.
Damit, Herr Biesenbach, ist der § 109 SGG die einzige Möglichkeit auf Klägerseite, Einfluss auf das Gerichtsverfahren zu nehmen, wenn durch das Urteil - das habe ich bereits ausgeführt - droht, dass den Menschen eine wirklich existenzielle Grundlage genommen wird. Ich finde, wir sollten den Menschen diesen Rechtsschutz erhalten.
Hamburg und Niedersachsen wollen dieses Recht beschneiden. Sie haben es dargestellt. Unter Umständen würde die Verfahrensdauer reduziert - das weiß man aber nicht, denn es ist nicht belegt. Aber in Anbetracht der existenziellen Fragen, die hier im Raum stehen, halten wir § 109 für ein wichtiges Korrektiv für die Versicherten gegenüber Verwaltung und Gericht. Aus unserer Sicht ist der Rechtsschutzabbau nicht zu rechtfertigen.
Im Übrigen - das belegt die Praxis - gibt es kaum echte Missbrauchsfälle, denn die Vorschrift selbst enthält einige Hürden - sie sind hier aufgeführt worden. Für die Richter gibt es eine Möglichkeit, diesen Missbrauch zu beschneiden. Von daher ist für uns überhaupt keine Grundlage vorhanden, diesen Rechtsschutz abzubauen. Rechtsschutzabbau in solch einem sensiblen Bereich kommt für uns auf keinen Fall infrage. Wir stimmen dem Antrag der SPD zu.
Der Antrag ist kurz, die Begründung kann genauso kurz sein. Ich will mich voll und ganz Herrn Kollegen Biesenbach anschließen. Was hier gemacht wird, ist schlicht und ergreifend, aus der Diskussion, ob wir die VwGO und die Verfahrensordnung der Sozialgerichtsbarkeit aneinander angleichen, einen Punkt herauszupicken, ohne das Gesamte zu sehen und bevor man überhaupt zu Ergebnissen gekommen ist.
Wir können gerne im Ausschuss darüber sprechen. Wir können in gewisser Weise auch ergebnisoffen darüber sprechen, aber den Eindruck zu erwecken, dass Gelb-Schwarz einen Abbau zulasten Behinderter und von Arbeitsunfällen Geplagter plant, das möchte ich schon zurückweisen.
Wir reden in allen Verfahrensordnungen über die Frage eines effektiv gestalteten Verfahrens. Da gibt es immer wieder die Fragestellung, ob man zusätzliche Gutachter, ob man zusätzliche Zeugen, ob man Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz, der zweiten Instanz als verbindlich festsetzt und und und. Das muss man im Gesamtkontext sehen. Nur im Zusammenhang mit dem Gesamtkontext ist auch zu entscheiden, ob wir den Betroffenen hier ausreichenden Rechtsschutz gewähren oder nicht.