Protocol of the Session on April 16, 2008

Selber ein Gesetz zu verabschieden, in das Sie Evaluationszeiträume aufgenommen haben, und dann ein halbes Jahr vor der Frist eine Große An

frage zu stellen, ist ein unfairer Stil in der Auseinandersetzung um die richtige Politik in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Ich weiß. – Wenn wir all die Anfragen an die Kommunen gestellt hätten, hätten Sie angefragt, warum es in diesem Land eine Bürokratisierung gibt.

Sie müssen einmal wissen, was Sie wollen. Deswegen bin ich der Meinung, dass es richtig ist, die Antwort heute so zu geben, wie wir es mit dem jetzt vorhandenen statistischen Material tun können. Wir können Ihnen keine Antworten auf Sachverhalte geben, zu denen wir keine Zahlen haben. Ein Minister kann dem Parlament keine falschen Zahlen nennen. Ein Minister kann bei Parlamentsanfragen keine Schätzzahlen nennen. Wir können Ihnen vielmehr nur das zur Verfügung stellen, was wir wirklich haben. Dieses haben wir nach bestem Wissen und Gewissen getan. Wenn man die Antwort auf die Anfrage einmal objektiv liest, kann man aus ihr sehr wohl viele Schlüsse für die Situation der Menschen mit Pflegebedürftigkeit in Nordrhein-Westfalen ziehen.

Dass sich die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, sollte man doch mal zugeben. Natürlich hat das etwas mit dem Landespflegegesetz und mit der Diskussion in der Enquetekommission zu tun und auch damit, dass die Strukturen sehr viel bunter und vielfältiger geworden sind. Ich finde es nicht in Ordnung, eine Debatte zu führen, in der man sagt: Alles fängt von vorne an; es hat in den letzten Jahren nur Rückschritte gegeben. – Es hat vielmehr in diesen Punkten viel Fortschritt gegeben. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir die Anfrage vernünftig – sach- und fachgerecht – beantwortet haben. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Kollege Garbrecht das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen zu einem ruhigeren Ton zurückfinden. Das wäre dem Thema angemessen. Es wäre angemessen, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Menschen, die alt und pflegebedürftig sind, in Würde alt werden können. Wir alle gemeinsam sollten die notwendigen Schritte konsensual – so weit wie möglich – un

ternehmen. Die SPD jedenfalls ist für diesen Weg bereit.

(Minister Karl-Josef Laumann: Wir auch!)

Herr Minister Laumann, wenn wir eine Große Anfrage stellen und eine Vielzahl von Fragen nicht hinreichend beantwortet worden ist, obwohl keine eigene Datenerhebung notwendig ist, sondern im Prinzip nur die Kenntnisnahme vorliegender Berichte, monieren wir das zu Recht. Kollegin Steffens, die ebenso wie ich der Enquetekommission angehört hat, hat auf die Verständigung des gesamten Hauses hingewiesen. Das ist eigentlich schon eine Brücke, die wir als Opposition Ihnen bauen.

Ich stimme Ihnen auch zu, dass – jedenfalls vonseiten meiner Fraktion – durchaus eine wohlwollende Kenntnisnahme der Eckpunkte, die Sie vorgelegt haben, stattgefunden hat.

Ich will an die Situation im Jahre 2003 erinnern, als Sie diesem Parlament noch nicht angehört haben. Auch auf Frau Monheim will ich eingehen. Die Situation sah so aus – deswegen haben wir nachgefragt –: fehlende Plätze in einer Vielzahl von Kommunen, ein Investitionsstau, eine für die Landschaftsverbände nicht mehr tragbare Objektfinanzierung und ein EU-Urteil, das die frühere Bedarfsbestätigung so erscheinen ließ, dass wir sie nicht weiter festschreiben konnten.

Obwohl diese Argumente auch damals schon vorgebracht worden sind, hat Herr Arentz die CDU-Fraktion in eine Ablehnung geführt. Eine zentrale Frage war die Abschaffung der Bedarfsbestätigung. Heute existieren keine Wartelisten mehr. Deswegen habe ich mich auch noch einmal nach dem Investitionsstau erkundigt. Es gibt ein Überangebot. Sie als Landesregierung reagieren insofern bei der Berechnungsverordnung. Wir wollen die Zahlen wissen, warum Sie so reagieren. Sie setzen auch eine bestimmte Einschätzung voraus: Es besteht ein Überangebot, und wir müssen insbesondere die Privaten bremsen.

In der letzten Plenarsitzung habe ich gefordert: Beenden Sie den Blindflug! Wir müssen zumindest vermuten, dass Sie im Blindflug arbeiten. Oder verfügen Sie über Erkenntnisse, die Sie dem Parlament nicht mitteilen wollen?

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

Sie propagieren immer: Die Pflege muss bei den Menschen am Bett ankommen. Zu diesem Spruch sage ich okay. Aber, Herr Minister, ich frage Sie: An welchem Bett? Wo steht das Bett? Steht das Bett im Heim, oder steht es daheim? Wer steht

vor dem Bett? Steht vor dem Bett eine qualifizierte ausgebildete Fachkraft, die mit den Pflegebedürftigen in seiner Muttersprache kommunizieren kann, oder steht dort jemand anders? Das sind die Fragen, die uns bewegen und auf die wir die Antwort wollten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Darauf zu antworten ist eine notwendige Pflicht. Ich bin mit der Aussage einverstanden: Bestimmte Daten können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht liefern. – Aber klar ist doch: Die Prioritäten haben sich verschoben. Mit den Auswirkungen des demografischen Wandels beschäftigt sich auch Ihr Parteitag in der nächsten oder übernächsten Woche. Viele gesellschaftliche Gruppen haben dieses Thema aufgenommen. Wir kommen zu anderen Versorgungskonzepten und anderen Fragestellungen.

Der Grundsatz des Pflegeversicherungsgesetzes „Ambulant vor Stationär“ wird also endlich gelebt – auch in den Kommunen. Ich will Ihnen ein Beispiel aus der gestrigen Sitzung des Sozialausschusses in Bielefeld nennen. Da gibt es auf einmal einen Investor, der 18 Einrichtungen bauen will, zum Glück in Ostwestfalen und nicht allein in Bielefeld. Wir als Kommune wollen aber keinen weiteren stationären Platz in unserer Stadt, weil wir in einer gemeinsamen Kraftanstrengung – davon konnten Sie sich selbst überzeugen – erreicht haben, dem Bedürfnis der Menschen, in ihrer eigenen Häuslichkeit zu bleiben, Rechnung zu tragen und das auch durchzusetzen.

In vielen Kommunen des Landes, nicht nur in Bielefeld, ist dieses Wollen im Prinzip vorhanden. Auf der Bundesebene beschreibt das SGB XI diesen Grundsatz. Das Land muss die Lücke jetzt endlich füllen, damit die Kommunen auch die Möglichkeit haben, privaten Investoren, die stationäre Pflegeplätze errichten wollen, weil sie meinen, das sei eine Lizenz zum Gelddrucken, den Weg verbauen zu können.

Dazu gebe ich Ihnen einen Hinweis: Vor Kurzem ist das Positionspapier Zukunft Quartier des „Netzwerkes Soziales neu gestalten“ erschienen. Darin wird die Bedarfsbestätigung als ein alter Maßstab bezeichnet und ein sehr konstruktiver Vorschlag unterbreitet – ich habe erwartet, Sie würden ihn aufgreifen –, nämlich in Anlehnung an die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Sozialverträglichkeitsprüfung in Auftrag zu geben. Machen Sie sich – nicht nur Sie, sondern auch der Bauminister und die gesamte Landesregierung – kreative Gedanken, damit die Kommunen diesen

Grundsatz „Ambulant vor Stationär“ in der kommunalen Realität durchsetzen können. Das ist Ihre Aufgabe und mein Appell an Sie.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Garbrecht. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deswegen schließe ich die Beratung und stelle fest, dass die Große Anfrage 17 der Fraktion der SPD damit erledigt ist.

(Günter Garbrecht [SPD]: Nein! Noch lange nicht! Sie wurde nur beantwortet!)

Beantwortet und hier in der Plenarberatung auch für heute erledigt. Wie diese Frage in Zukunft aufgegriffen und behandelt wird, steht selbstverständlich im Ermessen der einzelnen Fraktionen und der Abgeordneten.

Ich rufe auf:

11 Riskante Geldgeschäfte von Kommunen: Der Innenminister darf nicht weiter wegsehen!

Antrag

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 14/6520

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen Becker das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir alle in diesem Hause stimmen überein, wenn wir es bedauern und auch kritisieren, dass Kommunen in den letzten Jahren verstärkt dazu übergegangen sind, Geschäfte mit Derivaten und Swaps zu machen, die sie offensichtlich in ihren Auswirkungen nicht durchschaut haben und in die sie sicherlich von der einen oder anderen Bank auch hineingeschupst worden sind, aber wo sie auf der anderen Seite auch vor dem Hintergrund der Pflicht zur Sorgfalt im Umgang mit Steuergeldern eigentlich nicht hätten hineinstolpern dürfen.

Wenn man sich die Zahlen ansieht: Der dadurch entstandene Verlust liegt zum Beispiel in Hagen bei 50 Millionen €, in Remscheid sind es zwischen 12 und 13 Millionen €, in Neuss über 10 Millionen €. Das sind also ganz erhebliche Summen. Aber es kommt auch noch eine Reihe von Kommunen hinzu, die ebenfalls im sechsstelligen Be

reich liegen, also mit derartigen Geschäften viel Geld verloren haben.

Wenn das so ist und wenn es Kommunalaufsicht gibt, dann sollte man meinen, dass das Anlass genug ist, zumindest hinzuschauen und nicht wegzuschauen. Als die ersten dieser Fälle Mitte des Jahres 2006 aufgetaucht sind, habe ich eine Kleine Anfrage gestellt und das Innenministerium gebeten, darzulegen, ob es nicht nötig wäre, Aufsicht auszuüben, also mindestens zu verlangen, dass eine Anzeige- und Genehmigungspflicht für diesen Bereich eingeführt wird. Das Innenministerium hat etwas gesagt, was man eigentlich gerne von einem Ministerium hört, was aber an dieser Stelle in die Irre leitet: Es ginge um die kommunale Selbstverantwortung, es würde sich um moderne, sehr interessante Finanzmarktinstrumente handeln, und man dächte überhaupt nicht daran, es wäre kommunale Selbstverwaltung, um die man sich in dieser Form nicht kümmern müsse, Sorgfaltspflicht und Ähnliches gäbe es ja, da wisse jeder, wie man damit umzugehen habe.

Interessant ist: Es sind fast zwei Jahre vergangen, und inzwischen haben sich noch mehr dieser Fälle ereignet; einer davon in Remscheid, einer, der wegen des dortigen Kämmerers und seines Namens mehr Aufmerksamkeit in der Presse gefunden hat.

Wenn man dann, anderthalb Jahre später, sieht, dass sich nichts verändert hat, sondern dass noch mehr Fälle aufgetaucht sind, so muss man das eigentlich zum Anlass nehmen, die Haltung zu überprüfen – die Haltung des Innenministers, von der ich glaube, dass sie schon damals falsch war. Deshalb habe ich mir für unsere Fraktion erlaubt, im letzten Plenum erneut nachzufragen. Dieser Innenminister will ausweislich der Antworten kontinuierlich weiter wegsehen, er hält das weiterhin für richtig und an dieser Stelle für ein Gebot der kommunalen Selbstverwaltung. Wir aber halten das weiterhin für falsch.

Im Übrigen halte ich es auch für hochbedenklich, wie einseitig, wie fragwürdig das Herangehen dieses Innenministers bei der Entscheidung, ist, wann er eingreift und wann nicht. Meine Damen und Herren, wer die letzten Wochen und auch das letzte Jahr aufmerksam verfolgt hat, der weiß, dass sich die Kommunalaufsicht nicht scheut, von besonders armen Kommunen zu verlangen, dass sie ihre Elternbeiträge für Kindergärten erhöhen. Die Kommunalaufsicht scheut sich nicht, von Nothaushaltskommunen zu verlangen, dass sie Hallenbenutzungsgebühren für Sporthallen einführen. Und die Kommunalaufsicht scheut sich auch nicht, zum Beispiel in Aachen, obwohl keine

Haushaltssicherungskommune, zu verlangen, dass sie wegen sparsamer Haushaltsführung Abstand nehmen sollten von ihrem Ratsbeschluss und Satzungsbeschluss, ein beitragsfreies Kindergartenjahr einzuführen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei all diesen Feldern, meine Damen und Herren, sieht der Innenminister keinen Anlass, die kommunale Selbstverwaltung hochzuhalten, sondern sie interessieren den Innenminister nicht, doch bei Derivaten und Swaps wird die kommunale Selbstverwaltung ins Feld geführt.

Meine Damen und Herren, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass unter anderem der Parlamentarische Geschäftsführer der CDUFraktion, Herr Biesenbach, aber auch der kommunalpolitische Sprecher, Herr Lux, in diesem Fall von Zockerei, die verboten gehöre, gesprochen haben.

Wir wollen heute nicht prinzipiell alle diese Instrumente verbieten, sondern wir wollen Ihnen die Chance geben, mit uns zusammen eine Anzeige- und Genehmigungspflicht zu beschließen, um damit einem vernünftigen Umgang der kommunalen Selbstverwaltung mit diesen Dingen für die Zukunft Rechnung zu tragen.

Herr Kollege Becker, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Wollen Sie der Kollegin Löhrmann die Chance auf eine Zwischenfrage geben?

Aber selbstverständlich, der Kollegin Löhrmann besonders gerne.

Bitte schön, Frau Kollegin Löhrmann.

Herr Kollege, wie erklären Sie sich den Umstand, dass im Moment kein Mitglied der Landesregierung Ihrer kommunalpolitisch so wichtigen Rede zuhört, dass Sie sie alle in die Flucht geredet haben?