Online-Durchsuchungsgesetz verfassungs widrig und nichtig – Innenminister Wolf muss politische Verantwortung übernehmen!
Ich eröffne die Beratung und erteile für die erste antragstellende Fraktion, die SPD, dem Abgeordneten Dr. Rudolph das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich will in die heutige Debatte mit drei sehr grundsätzlichen Bemerkungen einleiten.
Die erste Bemerkung lautet: Ja, es ist richtig, das Bundesverfassungsgericht hat am 27. Februar ein Stück Verfassungsgeschichte geschrieben, indem es ein neues Grundrecht, das sich etwas kompliziert als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme oder kurz als Computergrundrecht ausspricht, begründet hat. Im Kern geht es darum, dass damit der Bürger im digitalen Zeitalter vor heimlichen Zugriffen auf seinen PC, auf seinen PDA, auf sein Notebook, auf seinen Laptop oder auf seine anderen persönlichen Datenspeicher geschützt wird. Deswegen gilt analog zum Spruch „My home is my castle.“ nach diesem Urteil „My PC is my castle.“
klargemacht, dass nur eingegriffen werden darf, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragendes Rechtsgut durch einen Richter positiv festgestellt werden. Damit ist auf jeden Fall klar, dass den ausufernden Bestrebungen von Bundesinnenminister Schäuble bei der Novelle des BKA-Gesetzes deutlich ein Riegel vorgeschoben wurde.
Schließlich reicht die Dimension des Urteils noch weiter. Das hat der in Karlsruhe erfolgreiche Beschwerdeführer, nämlich der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, zu Recht gesagt. Dieses Urteil und dieses neue Grundrecht werden auf vielen anderen Rechtsgebieten gravierende Folgen nach sich ziehen – sei es im Strafrecht, im Arbeitsrecht, im Sozialrecht oder im IT-Recht. Als Gesetzgeber stehen wir vor der Aufgabe, das gesamte Datenschutzrecht in naher Zukunft vollständig neu zu ordnen.
Im Übrigen – auch das ist damit angedeutet – geht es bei diesem Grundrecht nicht allein um das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, sondern es geht beispielsweise auch um das Verhältnis von Bürger und Wirtschaft. Denn ich glaube, die Erfassung des Nutzerverhaltens im Internet aus kommerziellen Gründen wird nach diesem Urteil auch nicht mehr ohne Weiteres möglich sein. Das begrüßen wir ausdrücklich.
Zweite Bemerkung: Die Landesregierung hat sich am 27. Februar 2008 in Karlsruhe eine historische Niederlage eingehandelt. Wer von Ihnen den weltberühmten Roman von Gabriel Garcia Márquez „Die Chronik eines angekündigten Todes“ aus dem Jahr 1981 gelesen hat, kann beurteilen: Seitdem ist ein solcher politischer Tod nicht mehr so lange vorher und so präzise von sehr vielen Experten vorhergesagt worden.
(Zuruf von Parl. Staatssekretär Manfred Palmen – Gegenruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Herr Palmen ruft schon wieder dazwischen!)
Was wir erleben, ist der verfassungsmäßige Tod eines schlampig gearbeiteten Gesetzes. Sie erinnern sich vielleicht ungern daran, aber der Kollege Jäger und ich hatten am 28. August 2006 auf einer Landespressekonferenz bereits darauf hingewiesen. Wenn die Eckpunkte, die das Landeskabinett im Monat zuvor verabschiedet hatte, in Gesetzesform gegossen werden sollten, käme dabei etwas Verfassungswidriges heraus. Das haben Sie alle bestritten. Sie haben das dann gemacht und die Gesetzgebung in Gang gesetzt. Sie sind mehrfach gewarnt worden, aber Sie waren nicht zu belehren.
Die Erfahrung zeigt: Auch wenn man eine Mehrheit im Parlament hat, ist man nicht automatisch im Recht, und man bekommt auch nicht automatisch Recht.
Insofern sollte es Ihnen zu denken geben, dass Sie es geschafft haben, innerhalb von zehn Monaten drei Niederlagen vor Verfassungsgerichten zu erleiden. Daher kann mit Ihrer Gesetzgebungsarbeit irgendetwas nicht stimmen, um es ganz freundlich auszudrücken.
Dieses Infiltrieren von informationstechnischen Systemen, das Sie in Ihrer Novelle vorgesehen haben, ist zumindest in seiner Tragweite vom Gericht voll erkannt worden. Der Versuch, sich bei der Anhörung zu verstecken und den Bürgern und dem Gericht einreden zu wollen, man wolle gar nicht so weit gehen, wie es der Buchstabe des Gesetzes erlaube, ist in der Tat, meine Damen und Herren, gesetzgeberischer Dilettantismus.
Denn die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sollten schon wissen dürfen, was die Gesetze zu bedeuten haben. In diesem Fall, in dem es in der Tat um eine schwierige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit geht, haben Sie kläglich versagt.
Aus dem Prestigeobjekt des einzigen liberalen Innenministers in Deutschland ist seit dem Urteil das tägliche Dementi einer verantwortungsvollen FDP-Innenpolitik geworden, die es eben nicht schafft, Sicherheit und Freiheit in eine vernünftige Balance zu bringen. Deshalb ist der Rücktritt gefordert. Das kann man machen. Ich sage: Seitdem zieht dieser FDP-Innenminister erst recht wie ein flackerndes Irrlicht durch die deutsche Innenpolitik.
Weil wir so schön ruhig beieinander sitzen, sage ich Ihnen vertraulich, ohne dass es die Presse mitschreibt: Selbst wenn die FDP bei der nächsten Landtagswahl 55 % der Stimmen holen sollte,
Ich sage Ihnen auch, woran das liegt: Das liegt daran, dass Herr Wolf als Verfassungsminister ein Totalausfall ist.
(Gerd Stüttgen [SPD]: Nicht nur als Verfas- sungsminister! – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Auch als Kommunalminister! – Weitere Zuru- fe)
Kurzum: Die Landesregierung hat sich in diesem Punkt als nicht regierungsfähig erwiesen. Ihr sorgloser Umgang mit den Grundrechten hat einmal mehr bewiesen, dass Sie nicht im Stande sind, den internationalen Terrorismus mit rechtsstaatlichen Mitteln effektiv zu bekämpfen.
Wir empfinden dabei keine Schadenfreude, höchstens vielleicht – das gebe ich zu – etwas Genugtuung. Denn den Schaden hat NordrheinWestfalen. Den Schaden dieses gesetzgeberischen Murkses hat das Land. Die Nachteile haben die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, deren Freiheitsrechte und Sicherheitsbedürfnis bei dieser Landesregierung nicht in guten Händen sind.
Dritte und letzte Bemerkung: Ich glaube, unser Land braucht jetzt verfassungsgemäße Gesetze, die Sicherheit und Freiheit in die richtige Balance bringen. Ich halte das Karlsruher Urteil nicht nur für klar, sondern auch für praktikabel – übrigens auch die Ausführungen zur praktischen Durchführung einer akustischen Wohnraumüberwachung. Es lässt natürlich unter strengen Bedingungen die Onlinedurchsuchung bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu. Das finde ich gut und richtig.
Wir erwarten jetzt von der Landesregierung entsprechende Gesetzesnovellen. Ich biete Ihnen – ich gebe nicht auf – nochmals die Mithilfe der SPD an. Denn ich glaube, dass in solch sensiblen Bereichen jede Regierungskoalition, auch wenn sie genügend Stimmen für die Mehrheit hat, gut beraten ist, das fraktionsübergreifende Gespräch zu suchen.
Das haben wir auch gemacht, als es um solche sensiblen Punkte ging. Das entsprach immer der Haltung und der Linie der SPD, von Herbert Schnoor bis Fritz Behrens. Deswegen mein Appell an Sie, diese Linie der Vernunft aufzugreifen und auch mit der Opposition in solchen Fragen anständig ins Gespräch zu kommen.
Wir möchten Ihnen nämlich helfen, dass der gesetzgeberische Dilettantismus endlich zum Ende kommt, weil wir glauben, dass unser Land Nordrhein-Westfalen saubere und klare, verfassungsgemäße und auch effektive Gesetze verdient hat. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Dr. Rudolph. – Für die zweite antragstellende Fraktion, die von Bündnis 90/Die Grünen, spricht die Fraktionsvorsitzende, Frau Löhrmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Rudolph, aus meiner Sicht ist diesem Innenminister nicht mehr zu helfen.
Mein Mitleid hält sich in Grenzen, Herr Dr. Wolf. Aber an Ihrer Stelle würde ich mich ziemlich einsam fühlen, muss ich sagen, wenn ich mir hier die Regierungsbank angucke.
Was diese Koalition und der Innenminister in Karlsruhe erlebt haben, meine Damen und Herren, ist ein Desaster. FDP-Innenminister Wolf hat mit seinem Vorgehen eine erschreckende Ignoranz gegenüber elementaren Grund- und Freiheitsrechten an den Tag gelegt. Das Gesetz, das diese Landesregierung in Karlsruhe vergeblich zu verteidigen suchte, war für die Verfassungsrichterinnen und -richter eine seltene Zumutung. Diese inhaltliche und handwerkliche Katastrophe hat Innenminister Wolf der Regierung eingebrockt.
Im Ergebnis: Das Gesetz ist in wesentlichen Teilen verfassungswidrig. Bestimmte Normen sind sogar für nichtig erklärt worden. Das Schlimmste daran ist: Der Innenminister wusste das von Anfang an.