Im Übrigen gehen diese Ängste bis weit in die Mittelschicht der Bevölkerung hinein. Diejenigen, die früher als Facharbeiter bei namhaften großen Unternehmen tätig waren, dort feste Jobs hatten und sicher waren, haben heute Angst – weit in die Gesellschaft hinein. Die unendliche Kette der Ankündigungen, Arbeitsplätze abzubauen – ich nehme nur die letzten; ob es BenQ war, Nokia oder BMW –, steht für diese Ängste in der Gesellschaft.
(Christian Lindner [FDP]: 1 Million Arbeits- plätze hat man in der Wirtschaft geschaffen! – Gegenruf von der SPD: Sie doch nicht!)
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Sie haben doch Arbeitsplätze vernichtet! – Weitere Zu- rufe)
Herr Kollege Lindner, lassen Sie mich einmal kurz zur FDP kommen, wenn Sie hier schon den Generalsekretär und Lautsprecher machen. Herr Kollege Papke hat eben sehr groß und staatstragend gesagt, mit wem man nicht zusammengehen dürfe. Jetzt nenne ich Ihnen einmal ein Wahlergebnis. Hamburger Bürgerschaftswahl 2001: 26,2 % CDU; 19,4 % Schill-Partei, der Rechtsausleger. Wer war mit 5,1 % in der Koalition, vergisst das, was er gemacht hat, erzählt uns hier, man dürfe nicht mit diesen und jenen zusammengehen, und spielt sich zum Schiedsrichter auf? Ihre Partei!
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Herr Kolle- ge, das ist Gedächtnisverlust!)
Nein. Bitte entschuldigen Sie. Ich habe sorgfältig zugehört und würde das, was ich Ihnen noch alles ins Buch schreiben möchte, jetzt gerne auch im Kontext zu Ende bringen. – Sie legen die Latte immer so hoch und vergessen dabei, wo Sie Dreck am Stecken haben und selber umgefallen sind.
Während es in der Gesellschaft diese zunehmenden Ängste gibt – ich habe es eben eindringlich geschildert –, gibt es auf der anderen Seite des sozialen Spektrums eine zunehmende Maßlosigkeit. Das kann niemand leugnen. Als Beispiel nenne ich nur die Gehaltssteigerungen der Vorstände der DAX-30-Unternehmen von durchschnittlich 17 % in 2007. So etwas ist unten doch nicht zu vermitteln.
Dass das für sozialen Unfrieden sorgt und die Leute unten – die wir immer wieder dazu zwingen und überreden, Opfer zu bringen, und denen wir sagen, dass wir die sozialen Sicherungssysteme nicht auf dem jetzigen Stand halten können und über die Rente mit 67 reden müssen – zur Weißglut treibt, ist doch nicht zu leugnen.
Gleichzeitig haben wir eine zunehmende Zahl von Menschen, die, obwohl sie den ganzen Tag arbeiten, von ihrem Lohn allein nicht mehr leben können und ergänzende Sozialhilfe benötigen. In der Bundesrepublik sind es über 700.000 Menschen, die den ganzen Tag arbeiten, aber davon nicht
leben können. Dass die Leute sauer sind und fragen, warum das System aus dem Ruder läuft, ist doch nachvollziehbar.
Letzte Bemerkung dazu: Warum hat eine Gewerkschaft wie die GDL – mit einem Vorsitzenden, der nun weiß Gott kein Sympathieträger ist – so viel positive Resonanz, dass selbst bei den wochenlangen Auseinandersetzungen Bahnfahrer sagen, dass sie es dort richtig machen? Warum? Weil sie die Asterixe einer Bewegung von unten sind, die sagt: Wir halten es nicht mehr aus, dass man sich immer nur oben bedient und schamlos damit umgeht und die anderen unten alles einstecken müssen. – Deswegen hat die GDL diesen Erfolg gehabt.
Jetzt ist die nach vorne gerichtete Frage: Wie gehen wir mit dieser neuen Truppe um, deren Angebot wirklich qualitativ indiskutabel ist? Führen wir jetzt eine hysterische Diskussion – im Sinne: Weltuntergangsdebatte, Oktoberrevolution, Trotzki oder Ähnliches? Machen wir Berührungsverbote – nach dem Motto: niemals im Westen; im Westen nie?
An dieser Stelle – das muss ich ganz ehrlich sagen – habe ich die SPD-Männer in Berlin auch nicht verstanden. Ich habe nun wirklich jede Zeitung gelesen und alle Nachrichten gehört und habe gedacht, ein Parteiratsbeschluss, dem außer Garrelt Duin aus Niedersachsen alle anderen zustimmen, sei eine Klärung. Und am nächsten Tag gehen sie alle raus und quaken durcheinander wie ein Hühnerhaufen – wie bei uns in der allerschlimmsten Zeit! Das war nicht mehr nachvollziehbar.
Natürlich ist das für Sie von der SPD ein Problem. Eigentlich ist es aber Aufgabe, damit erst einmal ganz nüchtern umzugehen. Niemand kann doch leugnen, dass Herr Wowereit in Berlin –deswegen habe ich das Theater bei der SPD auch nicht verstanden – seit zwei Legislaturperioden eine Koalition mit den Linken macht. Diese Koalition gefällt mir nicht. Meines Erachtens hätte er eine bessere machen können. Er macht sie aber. Er hat die PDL von 23 auf 13 % heruntergeholt. Sie macht dort auch alles mit, was an Kürzungsoperationen und Einsparungen notwendig ist. Ich weiß, dass das Herrn Lafontaine und anderen nicht passt. Sie macht es aber mit.
Es gibt also ein Bundesland, in dem diese Koalition selbstverständlich ist. Außerdem ist die PDL im Osten die stärkste Partei.
Wenn wir erleben, dass sie im Westen gewählt wird, ist das auch eine Realität in den Parlamenten. Dann müssen wir uns der inhaltlichen Auseinandersetzung stellen. Natürlich würde ich gerne mit dafür sorgen, dass sie hier gar nicht ins Plenum kommen – das ist die politische Auseinandersetzung –, weil sie überflüssig sind. Sie tragen zu den Lösungen der Probleme, die gelöst werden müssen, überhaupt nichts bei. Das ist völlig klar.
Nein. – Um das aber auch deutlich zu sagen: Ich habe keine Angst vor einer Partei, deren qualitativer Maßstab hier gleich ans Pult tritt und eine Rede hält.
Gut, Herr Brockes. Die einen bewegen sich vorwärts. Andere gehen in Richtung Abgrund – um einmal den Maßstab zurückzuspiegeln –
und werden immer inhaltsleerer. Dass Sie sich noch als liberale Partei rühmen, ist wirklich unsäglich. Wir können jetzt gar nicht auf das alles eingehen. Der einzige Datenschutzaspekt, der bei Ihnen noch relevant ist, ist doch der Datenschutz beim Bankgeheimnis. Alles andere ist doch nicht mehr bei Ihnen in der FDP zu Hause.
Deswegen sind aus meiner Sicht eine vernünftige inhaltliche Auseinandersetzung, eine klare Diskussion der Sachfragen und ein Eingehen auf die Menschen, die von ihren Ängsten dazu getrieben werden, eine Partei zu wählen, mit der sie eigentlich nichts zu tun haben, das Gebot der Stunde. In Teilen passiert das ja auch bei der CDU. Das ist doch gar nicht zu leugnen.
Wenn ich Herrn Laumann sehe: Natürlich gibt es die Auseinandersetzung in der Sache. Wenn Herr Westerwelle Sie beschimpft, dass Sie beliebig geworden seien und immer weiter nach links drifteten, ist das doch Ausdruck der Auseinandersetzung.
dass es einen zusätzlichen Wettbewerber auf dem Parteienmarkt gibt, mit dem wir uns wie mit allen anderen auseinandersetzen. Dann wollen wir für uns das beste Ergebnis haben. Daran arbeiten wir. – Danke.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Debatte fortfahren, möchte ich noch einen Hinweis geben. In der Aktuelle Stunde hat Frau Abgeordnete Schäfer einen Zuruf von Herrn Witzel aufgegriffen und dann gesagt: „Herr Witzel, jetzt entblöden Sie sich doch nicht mit dieser Frage.“ – Das ist ein unparlamentarischer Ausdruck, den ich hiermit rüge.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Not muss groß sein bei der SPD, wenn Sie eine solche Rede halten, Herr Groschek.
Solche Reden hält man als Generalsekretär, wenn man wiedergewählt werden will – und dann, wenn die eigene Partei tief verunsichert ist.
Die heutigen Umfragewerte der SPD liegen bei 23 % bundesweit. Damit sind Sie nicht nur intellektuell, sondern auch prozentmäßig bald auf Schill-Niveau angekommen.
Sie sind tief gespalten, weil die Linkspartei Ihnen Ihre Leute nervös macht. Sie haben heute eine große Chance, die wir Ihnen gegeben haben, verpasst, sich mit der Linkspartei auseinanderzusetzen.
(Lautes Lachen von der SPD – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Jetzt wird es karika- turhaft! – Weitere Zurufe von SPD und GRÜ- NEN)