Meine Frage: Wenn dass in dieser günstigen konjunkturellen Lage – hohe Steuereinnahmen, niedrige Zinsen, niedrige Arbeitslosigkeit, hohe Verbundmasse – 105 Kommunen nicht mehr in der Lage sind, den Haushaltsausgleich trotz aller Sparbemühungen absehbar herbeizuführen, reicht es nach unserer Auffassung nicht aus, ein bisschen die Kreisumlage anzufassen. Sind da nicht grundlegendere Reformen in der kommunalen Finanzausstattung erforderlich?
Wenn Sie das Ende meiner Rede abwarten würden, Herr Jäger, würden Sie noch weitere Vorschläge hören, wie wir damit umgehen können.
Wir sollten zum Beispiel bei der Erbringung der Eigenanteile bei staatlichen Zuweisungen bei Nothaushaltskommunen in begründeten Einzelfällen auf den Eigenanteil verzichten können und es ermöglichen, dass er von Dritten erbracht werden kann, damit wir dort wieder Handlungsmöglichkeiten hinbekommen. Wir sollten nachweisbar sinnvolle wirtschaftliche Investitionen auch durch Kreditaufnahme ermöglichen, wenn diese nachweislich Erträge durch Einsparungen generieren.
Wenn wir Strategien entwickeln können, die uns in die Lage versetzen, dieses auf den Weg zu bringen, Herr Jäger, dann glaube ich, dass wir im Ruhrgebiet, meine Damen und Herren, nicht zum Finanzkollaps kommen. Diejenigen, die die Anfrage sicherlich zu Recht gestellt haben und gewiss auch an der einen oder anderen Stelle mit der Antwort der Landesregierung nicht zufrieden sind, sei bei der sicherlich in Teilen durchaus zulässigen Kritik immer gegenwärtig, dass sie diese Problemlage, in der sich unsere Kommunen befinden, mit verursacht haben.
Das entbindet Sie aus meiner Sicht auch nicht von der Verantwortung, daran mitzuhelfen, dass wir gemeinsam Lösungen finden. Ich bitte Sie dringend, sich nicht nur in der Rolle als Opposition zu bewegen. Ansätze habe ich heute gehört. Wenn wir diese fortführen und vertiefen können, dann schaffen wir vielleicht doch noch gemeinsam einen Weg, wie wir unsere Kommunen aus der Nothaushaltssituation herausbekommen, sie zukunftsfest machen und sie ihre Eigenständigkeit erhalten lassen. Ich hoffe, dass uns das gelingt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohl die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schon fast ein halbes Jahr alt ist, ist es gut, dass das Thema kommunale Finanzen heute auf der Tagesordnung steht, nachdem, wie auch meine Vorredner festgestellt haben, der Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform am 16. Januar mit der Arbeitsgemeinschaft der Nothaushaltsgemeinden des Städte- und Gemeindebundes gesprochen hat.
Denn es ist wichtig, dass dieses Parlament die besondere Situation der Kommunen in unserem Land, insbesondere der Nothaushaltsgemeinden im Ruhrgebiet, diskutiert. Es ist wichtig, dass das Parlament anerkennt, dass die schlechte finanzielle Situation der Kommunen in unserem Land nicht hausgemacht ist, sondern durch besondere strukturelle und soziale Rahmenbedingungen verursacht ist und dass es besonderer Anstrengungen und Hilfestellungen des Landes bedarf, um diesen Kommunen einen Weg aus dieser Lage zu ermöglichen, statt ihre Lage durch eine unsägliche Politik zu verschlimmern.
Beispiele, Daten und Fakten für die schlechte finanzielle Situation und ihre zumindest teilweise Strukturbedingtheit sind zahlreich und ganz offensichtlich. Sie sind auch von anderen Rednern genannt worden.
Ich will nur drei nennen: So können wir dem Kommunalfinanzbericht entnehmen, dass die sozialen Leistungen seit dem Jahr 2000 um rund 3 Milliarden € gestiegen sind, während die Gewerbesteuereinnahmen netto nur um 2,5 Milliarden € zugenommen haben. In der bereits erwähnten Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik wurde auf den dramatischen Anstieg der Kassenkredite in Höhe von rund 3,1 Milliarden € im Jahre 2001 auf 13,7 Milliarden € Mitte 2007 und auf die große Konzentration dieser Kassenkredite auf die Städte in Nordrhein-Westfalen hingewiesen, wo sich 45 % aller Kassenkredite in Deutschland ansammeln. Und schließlich hat der Landrat des Kreises Recklinghausen bei der Einbringung des Kreishaushaltes 2008 darauf hingewiesen, dass die zehn Städte des Kreises einen Anteil von knapp 4 % an der Gesamtbevölkerung des Landes, aber einen Anteil von 22 % an den Schulden aller Städte des Landes haben.
Meine Damen und Herren, sowohl diese besondere Situation als auch die Tatsache, dass sie nicht von den Kommunen hausgemacht ist, gilt es anzuerkennen. Die Landesregierung macht das nicht. Sie ignoriert und verneint das auch in der Beantwortung der hier zu beratenden Großen Anfrage. Dort heißt es in der Vorbemerkung, dass die Landesregierung keine Faktoren erkenne, die dafür sprächen, dass sich bestimmte Konsolidierungslasten ausschließlich in einer bestimmten Region oder einem Kreis des Landes ergäben. An anderer Stelle heißt es weiter, dass es aus Sicht der Landesregierung kein Anlass gebe, einen Finanzkollaps zu befürchten. Immerhin stellt die Landesregierung diese Aussage noch unter einen Definitionsvorbehalt des Begriffs „Finanzkollaps“.
Doch Hoffnungen auf einen Lernprozess der Landesregierung wurden spätestens in der schon angesprochenen Sitzung zerstört. Dort wurde vonseiten des Innenministeriums tatsächlich erklärt, dass weder die Größe einer Stadt noch deren geografische Lage noch die Finanzkraft noch die Soziallasten noch die Umlageverpflichtungen als Erklärung für die finanzielle Situation der Nothaushaltsgemeinden taugen.
Diese Aussage untermauert die Landesregierung, das Innenministerium, mit einem Vergleich zwischen den Städten – dieser ist schon angesprochen worden –, für den die Beschreibung, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden, noch ein Kompliment ist. Ich will darauf nicht näher eingehen, weil der Bürgermeister meiner Stadt Recklinghausen – der im Übrigen nicht meiner Partei angehört – diesen Vergleich auf vielen Seiten mit zahlreichen Tabellen und Grafiken auseinandergenommen hat und dieses Schreiben als Zuschrift allen Abgeordneten zugänglich gemacht worden ist.
Jedenfalls müssen auf diese Weise die Aussagen des Innenministeriums, dass die Gestaltungsspielräume der Kommunalaufsicht bis an die Grenzen des verfassungsrechtlich Vertretbaren ausgeschöpft sein sollten, dass das Land nicht zu einer Entlastungshilfe in der Lage sei und dass es keine Alternative zur Entschuldung aus eigener Kraft gebe, den betroffenen Städten und Gemeinden wie Hohn und Spott vorkommen.
In einfachen Worten bedeutet das: Die Kommunen in NRW und insbesondere im Ruhrgebiet werden von dieser Landesregierung im Stich gelassen. Dies stellt man vor allem dann fest, wenn man sich anguckt, wie die Landesregierung das Land auf Kosten der Kommunen saniert: Statt über konkrete Hilfe nachzudenken, werden der kommunale Eigenanteil an der Krankenhausfi
nanzierung verdoppelt, der Elternbeitragsdefizitausgleich gestrichen und der bisherige kommunale Anteil an der Grunderwerbsteuer einkassiert. Die Bürgerinnen und Bürger in besonders betroffenen Städten sind die Leidtragenden.
Ein jüngstes konkretes Beispiel für diese Politik: Der Kreis Recklinghausen hat vom Land die Aufgaben im Schwerbehindertenrecht, im Elternrecht, zum Immissionsschutz und im Wasserrecht übernommen. Der Landrat hat jetzt vorgerechnet, dass sich für den Kreis Recklinghausen für das Jahr 2008 eine Finanzierungslücke von rund 380.000 € ergibt.
Das Land spart und die Städte zahlen drauf. Das muss aufhören. Mit solchen Aktionen muss Schluss sein.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten schließen uns ausdrücklich der Forderung der Nothaushaltskommunen im Städte- und Gemeindebund vom 16. Januar an. Darüber hinaus erwarten wir, dass das Konnexitätsprinzip exakt eingehalten wird und den Kommunen vollständig und auflagenfrei die überzahlten Beiträge aus dem Solidarbeitragsgesetz zurückgezahlt werden. Schließlich halten wir es für absolut sinnvoll, die Pflicht zur Erbringung von Eigenanteilen bei Nothaushaltskommunen jeweils im Einzelfall zu überdenken und die Finanzierung wirtschaftlich sinnvoller Investitionen zu erleichtern.
Die Häufung von Kommunen mit schwierigen Haushaltslagen im Ruhrgebiet zeigt, dass es sich entgegen allen ministeriellen Unterstellungen auch um Strukturprobleme handelt, die die Kommunen aus eigener Kraft nicht überwinden können. Für die vom Strukturwandel betroffenen Regionen reicht es deshalb nicht aus, sie auf ihr Ausgabenverhalten hinzuweisen – insbesondere, wenn man gleichzeitig selbst dazu beiträgt, die finanzielle Basis der Kommunen zu schwächen.
Die Kommunen insbesondere im Ruhrgebiet brauchen nachhaltige Hilfe. Gerade weil wir fest an das Engagement, den Einsatz und die Fähigkeiten der Menschen glauben, halten wir eine Unterstützung seitens des Landes für lohnenswert. Auch die allermeisten Kommunalverwaltungen und Mandatsträger vor Ort leisten gute und verantwortungsvolle Arbeit.
Wenn man, statt über konkrete Ursachen zu reden, pauschal jede Entlastung durch das Land ablehnt und gleichzeitig in die Kassen der Kommunen greift, dann zeigt das entweder vollkommene Unkenntnis oder Kommunalfeindlichkeit. Egal, was es letztendlich ist: In jedem Fall schadet diese Landesregierung der finanziellen Erholung der
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ausdrücklich so, dass sich die Finanzsituation der Kommunen in der letzten Zeit verbessert hat. Ich teile ausdrücklich nicht die Einschätzung, dass das Ruhrgebiet pauschal vor einem Finanzkollaps steht, wie es die Überschrift der Großen Anfrage 12 suggeriert. Ich sage Ihnen als jemand, der aus einer der meistverschuldeten Kommunen dieses Landes kommt – meine Heimatstadt ist Essen –, dass für die Kommunen sehr wohl Wege bestehen, ihre Probleme selber zu lösen.
Wir haben in Essen gegenwärtig ein Strukturdefizit von 200 Millionen bis 250 Millionen €. Es sind zwei untrennbare Seiten einer Medaille:
Zum einen müssen wir das Primärdefizit im operativen Geschäft verringern. Ein ausgeglichener Haushalt ist durch das richtige Immobilienmanagement, Personalabbau, Privatisierung und Absenkung der Subventionierung öffentlicher Betriebe perspektivisch möglich. Wir müssen in diesem Bereich jährlich ein Volumen von 90 Millionen € stemmen. Das ist auch nach Einschätzung des Kämmerers, der nicht meiner Partei angehört – wir haben ja eine schwarz-grüne Mehrheit in Essen –, ohne Weiteres realistisch.
Zum anderen müssen wir Altschulden abbauen; das ist das eigentliche Problem. Essen hat Altschulden in Höhe von 2,4 Milliarden €, aus denen aufgrund der Zinsen und Zinseszinsen jährlich 120 Millionen bis 160 Millionen € Belastung resultieren.
Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Wenn wir den Altschuldenabbau nicht in den Griff bekommen, dann haben wir ein Problem. Das könnte man aber sofort durch zwei Privatisierungsmaßnahmen lösen. Eine der meistverschuldeten Städte dieses Landes, die Stadt Essen, wäre durch zwei Maßnahmen über Nacht schuldenfrei: zum einen durch den Verkauf der RWEAktien und zum anderen, sofern die Voraussetzungen für die Vertikalisierung des Sparkassensystems geschaffen wären, durch die Einbringung des Kapitals in die WestLB. Durch diese beiden Maßnahmen – Sparkasse und RWE-Aktien – wäre eine der meistverschuldeten Großstädte unse
res Landes über Nacht schuldenfrei und könnte von da an ihren Haushalt so fahren, ohne dass weitere Belastungen für zukünftige Generationen entstünden.
Deshalb: Die richtige Kombination aus Sparen und Strukturmaßnahmen hilft ohne Weiteres weiter und ist allemal besser als Ihr larmoyantes Gejammer über die Lage im Land.
Die Kommunen als wichtige Anbieter öffentlicher Dienstleistungen der Daseinsvorsorge auf der untersten Ebene direkt bei den Bürgern leiden in der Tat besonders stark unter den Schwankungen des Steueraufkommens, da eine der originären Gemeindesteuern, die Gewerbesteuer, stark konjunkturreagibel ist. Das ist seit Langem so und auch bekannt.
Deshalb sagen auch wir als FDP-Landtagsfraktion: Eine kommunale Finanzreform ist angeraten. Ein geeigneter Ersatz wären eine stärkere Beteiligung an der Umsatzsteuer sowie ein Anteil an der Einkommensteuer, auf den die Gemeinden ein eigenes Hebesatzrecht erhalten könnten. Die Gewerbesteuer würde dann abgeschafft. Damit würde auch das Steuersystem insgesamt vereinfacht und die kommunale Eigenverantwortung weiter gestärkt.
Alle Aufgaben sollten, wenn möglich, auf der untersten Ebene staatlichen Handelns konzentriert werden. Das meinen wir mit Subsidiaritätsprinzip.
Die Koalition der Erneuerung, Herr Remmel, setzt dieses Prinzip zum Beispiel bei der Kommunalisierung der Umwelt- und Versorgungsverwaltung um. Da haben Sie, Herr Remmel, ein ganz praktisches Beispiel, wo die Koalition der Erneuerung für mehr Subsidiarität in unserem Land sorgt. Gerne können wir Ihnen das liefern.
Dabei sind alle Systeme miteinander verbunden. Die Finanzen von Land und Kommunen sind kommunizierende Röhren. Die Finanzverteilung muss sich deshalb streng am Konnexitätsprinzip orientieren. Alle Maßnahmen der Koalition der Erneuerung beachten dieses Prinzip.
Mit den Kreditierungen hat das Land den Kommunen in den Jahren 2003 und 2004 ein zinsloses Darlehen gegeben, um die schlimmsten Ausfälle bei der Gewerbesteuer zu kompensieren. Diese Maßnahme war sicherlich notwendig. Die
Rückzahlung der Kreditierung fällt ab 2006 gleichwohl in den Verantwortungszeitraum der neuen Regierung.
Der Verbundbetrag wurde mit 23 % auch in den letzten zwei Jahren angesichts steigender Steuereinnahmen bei Land und Gemeinden konstant gehalten. Das Land hat sich damit gerade nicht auf Kosten der Kommunen saniert, wie hier von Vorrednern der Opposition behauptet wurde. Richtig ist: Das Land ist seiner Verantwortung nachgekommen. Im Jahr 2008 werden die Zuweisungen an die Gemeinden um fast 1,5 Milliarden € höher ausfallen als noch bei Ihrer Abwahl 2005. Das sind rund 20 % mehr. Dies freut uns ganz außerordentlich. – Vielen Dank.
Danke schön, Herr Witzel. – Für die Landesregierung spricht nun der Innenminister, Herr Dr. Wolf. Bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung legt Wert darauf, dass sie in Sachen Kommunalfinanzen Transparenz schafft. Das stellen die regelmäßigen Berichte sicher. Somit wissen alle kundigen Thebaner über die Jahre und Jahrzehnte hinweg auch, wie sich die Entwicklung der Kommunalfinanzen gestaltet hat.
Die skandalisierende Überschrift der Großen Anfrage der Grünen lässt deswegen natürlich sofort die Frage aufkommen: Warum erst jetzt solche interessanten Fragestellungen, wenn seit 2005 eine neue Landesregierung im Amt ist?
Herr Becker hat wieder mal mit vielen Zahlen gespielt. Ich will ihm kleinere Zahlen zurückgeben, damit es einfacher im Verständnis ist. Herr Hovenjürgen, herzlichen Dank, dass Sie auch auf die historische Verantwortung hingewiesen haben.
Die Fehlbeträge pro Einwohner in NordrheinWestfalen sind von 1990, wo sie bei nahezu 0 € lagen, bis 1997 auf 100 €, bis 2002 auf 200 € und bis 2005 auf fast 400 € angestiegen. In Ihrer Regierungszeit hat sich das alles „prächtig“ – in Häkchen – entwickelt. Die ganzen Anlagen zur Finanzproblematik in den Städten haben sich also in diesen Jahren aufgebaut.