Protocol of the Session on February 20, 2008

(Beifall von den GRÜNEN)

Die kreisangehörigen Gemeinden im Kreis Recklinghausen stellen alleine sieben von zehn der ersten Plätze bei den Kassenkrediten. Allein bei diesen Gemeinden: sieben Plätze unter den ersten zehn.

Ähnliches finden Sie bei den Sachinvestitionen. Seit 1992 haben sich die kommunalen Sachinvestitionen von 6,4 Milliarden € Jahr für Jahr deutlich reduziert und betrugen Ende 2006 noch 2,95 Milliarden €. Ende 2005 waren es noch 3,4 Milliarden €.

Auch wenn diese Zahlen natürlich durch die Ausgliederung der kommunalen Eigenbetriebe und der kommunalen Firmen ein Stück weit zu relativeren sind, findet man aber, wenn man diese einbezieht, immer noch die gleiche Tendenz. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Kommunen ihre Investitionen massiv zurückgefahren haben und diese auch für die Zukunft weiter massiv zurückgefahren bleiben.

Meine Damen und Herren, in Anbetracht der Redezeit, die eigentlich für dieses Thema viel zu kurz ist, möchte ich Ihnen noch einige Gedanken mit auf den Weg geben: Ich habe schon verschiedentlich – auch bei der Verabschiedung der Gemeindefinanzierungsgesetze der letzten Jahre – ausgeführt, dass Sie sich eben nicht entschulden und dass Ihr vermeintlicher Abbau der Landesschulden bzw. des Zuwachses der Landesschulden ganz deutlich zulasten der Kommunen gegangen ist.

Natürlich ist es eine besonders dramatische Entwicklung, dass die Kommunen, die aus eigener Kraft nicht aus dieser Lage herauskommen, in die Kassenkredite gezwungen werden, weil sie noch nicht einmal normale „investive Schulden“ mit

langfristigen Zinsbindungen aufnehmen können. Sie müssen diese Entschuldung des Landes ausgerechnet über Kassenkredite finanzieren. Das genau ist die Umfinanzierung, die hier stattfindet, und ich finde sie dramatisch. Ich sage Ihnen: Neben diesem Punkt müssten Sie sich eigentlich mit einer Reihe von inhaltlichen neuen Aufstellungen beschäftigen, zu denen wir Ihnen verschiedene Aufschläge geliefert haben, die wir heute noch einmal in Kürze nennen:

Erstens. Sie brauchen neue Regeln für die Aufbringung der Eigenanteile für die EU-Förderprogramme, damit Nothaushaltskommunen, gerade diese Kommunen in den strukturschwachen Gebieten, auch von wichtigen Programmen profitieren können.

Zweitens. Sie brauchen Kreditregeln, die ihnen nachhaltige und auf Dauer wirtschaftliche Zukunftsinvestitionen erlauben und diese – aus einem sturen Umgang mit diesen Regeln – nicht weiter verhindern.

Drittens. Sie brauchen Korrekturen der Regelungen des Solidarpaktes II und damit eine Senkung.

Viertens. Sie brauchen Investitionsmittel für ein Klimaschutzprogramm, das insbesondere den notleidenden Kommunen hilft, ihre Betriebskosten zu senken und gleichzeitig den Klimaschutz voranzubringen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für die grüne Fraktion in diesem Hause fasse ich zusammen: Zumindest für einen Teil der Kommunen im Ruhrgebiet, sicher für den überwiegenden Teil der Kommunen im Kreis Recklinghausen ist festzustellen: Sie können aus eigener Kraft nicht das schaffen, was die Landesregierung immer wieder vorgibt, alleine durch Sparsamkeit erreichen zu können. Die Landesregierung ist aufgerufen, zusammen mit diesem Haus vernünftige Regeln zu finden, damit die Kommunen die Chance erhalten, etwas zu tun, und die kommunale Selbstverwaltung nicht weiter dadurch gefährdet wird, dass ein Frust entsteht, weil Sie von Menschen etwas verlangen, was diese ehrlicherweise überhaupt nicht leisten können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Becker. – Für die CDU spricht der Kollege Hovenjürgen.

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Sehr geehrter Herr Becker, Ihr Redebeitrag war nicht anders zu er

warten. Die Wertschätzung und Aufmerksamkeit, die Sie insbesondere den Nothaushaltskommunen im Ruhrgebiet entgegenbringen, hätten sich unsere Kommunen sicherlich in den 39 Jahren der Gesamtverantwortung der SPD und in den zehn Jahren der gemeinsamen rot-grünen Verantwortung in unserem Lande gewünscht.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

Herr Jäger, bleiben Sie ruhig. – Es bleibt richtig – hier beißt die Maus keinen Faden ab –: Die Nothaushaltssituation in unseren Kommunen ist in der Regel in den Jahren 2000 bis 2005 entstanden. Grundlage hierfür ist die unsägliche Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung gewesen, die es Unternehmen ermöglichte, Verluste von Töchtern im Ausland im Inland abzuschreiben. Das hat zu einem Einbruch der Gewerbesteuer geführt. Auch die Kommunen im Kreis Recklinghausen sind in dieser Zeit in die Nothaushaltssituation und in die nicht genehmigten Haushaltssicherungskonzepte gerutscht. Das ist die Wahrheit.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Dieses muss man sagen dürfen, Herr Becker. Wenn Sie dies zugestehen, dann ist das sicherlich ein richtiger Weg.

Genauso gilt es aus unserer Sicht die Frage zu stellen, wie die Kommunen in diese Situation geraten konnten. Es gab Kommunalaufsicht bis hin zum Land. Wie konnte es sein, dass die Kommunen unter Kommunalaufsicht in diese Situation überhaupt geraten konnten? Wir haben am 16. Januar die Anhörung im Hause durchgeführt. Die Nothaushaltskommunen hatten damit erstmalig im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit, ihre Situation darzustellen. Das zeigt im Übrigen den qualitativen Unterschied: Wir sind bereit, uns mit diesen Dingen ernsthaft auseinanderzusetzen.

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

Insofern haben wir auch zur Kenntnis genommen, dass es Kritik an der Landesregierung gibt: Kritik daran, dass der Anteil der Grunderwerbssteuer gestrichen worden ist, Kritik an der Verdoppelung der Krankenhauspauschale. All das haben wir zur Kenntnis genommen. Wir müssen uns auch ans Revers heften lassen, dass diese Kritik sicherlich nicht ganz unberechtigt ist.

(Ralf Jäger [SPD]: Richtig!)

Richtig bleibt aber auch, Herr Jäger – nicht so schnell „Hurra“ rufen –, dass sich seit Antritt dieser Landesregierung die Finanzausstattung der

Kommunen deutlich verbessert hat. Sie haben mehr Einnahmen.

(Lachen von Markus Töns [SPD])

Herr Töns, Sie lachen. Ich weiß nicht, wie es in Gelsenkirchen aussieht. Die Einnahmen der Städte sind gestiegen. Erstmals sind dort wieder mehr Mittel zur Verfügung. Ich sage nicht, dass sie ausreichen, aber es gibt eine Tendenz nach oben, die es vorher in eine andere Richtung gegeben hat. Es macht einen Unterschied, Herr Töns, ob Sie eine Krankenhauspauschale für Nothaushaltskommunen auf den Weg bringen, deren Einnahmen weiter heruntergehen, oder ob Sie eine Situation herbeiführen, in der Sie sagen: Wir tun etwas, was wir eigentlich anders dargestellt haben, aber die Kommunen haben auch mehr in der Kasse. Das dies nicht ausreicht, ist unbestritten. Und für den Wunsch, dass die Kommunen dies gerne anders hätten, haben wir im Übrigen großes Verständnis.

Insofern sollten wir uns gemeinsam fragen, wie wir unter den gegebenen Rahmenbedingungen der Kommunalaufsicht, von der gesetzlichen Situation der Kommunen her, die sich so entwickelt hat, diesen Status quo ändern und – Herr Becker, Sie haben gerade durchaus Ansätze genannt – gemeinsam einen Weg finden können, diesen Kommunen zu helfen.

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Becker. Möchten Sie die zulassen?

Herr Becker, bitte schön.

Bitte schön, Herr Becker.

Danke, Herr Kollege, dass Sie es mir ermöglichen, eine Zwischenfrage zu stellen.

Sie führen richtigerweise aus, dass die Steuereinnahmen und die kommunale Finanzsituation im Moment gut sind. Aber Sie haben das eben auch relativiert, indem Sie auf die Kürzungen hingewiesen haben. Meinen Sie vor diesem Hintergrund nicht auch, dass es in einen möglichen konjunkturellen Abschwung hinein, der ja am Horizont zumindest aufscheint – lassen Sie uns ein Jahr warten –, eine dramatische Lage ist, dass in dieser Situation, die Sie gerade beschrieben haben, ein Kassenkreditaufwuchs in dieser Form stattfindet, wie er stattfinden muss? Wäre es nicht besser

gewesen, jetzt den Kommunen das zu geben, was ihnen anteilsmäßig zugestanden hätte, damit sie ein Stück weit aus der Lage wieder herauskommen?

Erstens, Herr Becker, hoffe ich, dass es nicht zu einem konjunkturellen Abschwung kommt.

Zweitens. Ich gebe Ihnen dahin gehend recht, dass man Sorge haben muss, dass die Situation, die wir jetzt haben, nämlich eine deutlich verbesserte Einnahmeseite der Kommunen aufgrund der konjunkturellen Lage, noch nicht ausreicht, um das benötigte Kapital selbst zu erwirtschaften. Dass das ein Problem bei einem Abschwung werden könnte, ist unbestritten. Deswegen müssen wir uns jetzt Gedanken machen, wie wir das hintereinander bekommen. Da macht es auch keinen Sinn – da bin ich in der Kritik gar nicht weit weg von Ihnen –, Dinge miteinander zu vergleichen, die man nicht vergleichen kann. Die Stadt Recklinghausen mit der Stadt Paderborn zu vergleichen, ist nicht zulässig.

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

Ich habe es nicht unbedingt als einen fairen Vergleich angesehen, der von dem Leiter der Kommunalaufsicht des Innenministeriums angestellt worden ist. Es macht nur dann Sinn, wenn man ehrlich miteinander umgeht. Dann hätte man sagen müssen: Die Stadt Paderborn war nie Nothaushaltskommune, war nie im Nothaushaltsrecht, hat also nie die Verpflichtung gehabt, Defizite fortschreiben zu müssen, während die Stadt Recklinghausen natürlich jeweils das Defizit des Vorvorjahres fortschreiben muss und es somit logischerweise Steigerungen auf der Ausgabenseite gibt, die die Stadt in diesem Moment gar nicht verhindern kann. Insofern war dies ein äußerst unfairer und misslungener Auftritt des Leiters der Kommunalaufsicht. Das ist unbestritten. Das haben ich und viele andere, die dort waren, auch so empfunden.

Insofern appelliere auch ich an die Aufsicht, deutlich den Blick zu weiten, selbstkritisch an die bisherigen Instrumente der Steuerung heranzugehen und zu sagen, was möglich ist und was nicht möglich ist, und nicht zu sagen, die einen können sparen und die anderen nicht. So einfach geht es im Land Nordrhein-Westfalen nicht, und so einfach geht es sicherlich auch in unseren Städten nicht.

Trotzdem dürfen wir feststellen, dass die gesetzlichen Regelungen unter Beteiligung der unteren Aufsicht der Mittelinstanz des Innenministeriums die Situation eben nicht verhindert haben und

dass 105 Kommunen im Nothaushaltsrecht sind. Das heißt, die Instrumente, die wir kennen, reichen nicht aus. Selbst in einer Zeit des Aufschwungs reichen sie nicht aus – ich sagte es bereits –, um die notwendigen Einnahmen der Kommunen sicherzustellen. Deswegen müssen wir die Instrumente, die wir haben, überprüfen, Strategien entwickeln und einen Weg finden, wie wir aus der Situation herauskommen. Hierbei werden die Kommunen als Experten der Haushaltskonsolidierung nicht aus der Verantwortung entlassen werden können.

Wir müssen aber auch fair sein und sagen, dass die Belastungen einer Kommune, die durch Dritte aufgegeben werden, letztendlich auch dann von Dritten mitgetragen werden müssen. Hier weise ich auf die Sozialgesetzgebung hin. Es kann nicht sein, dass für diejenigen, die soziale Transferleistungen des Staates beziehen, die Kommune oder die Gebietskörperschaft alleine die Aufwendungen zu tragen hat, sondern es ist eigentlich eine gesellschaftliche Aufgabe. Damit darf man den Kommunen vor Ort eigentlich nicht alleine die Verantwortung aufbürden, sondern hier müssen wir eine gesamtstaatliche Lösung finden. Nur das wird der Schlüssel zur Lösung dieser finanziellen Probleme in vielen Bereichen sein.

(Beifall von der CDU)

Des Weiteren sollten wir uns zukünftig die Belastungen durch Kreisumlagen genauer anschauen. Hier sollten wir prüfen, wie wir die Umlageentwicklung besser kontrollieren können, dass hier nicht einfach, wenn der umlageberechtigten Instanz die Mittel fehlen, die Umlage erhöht wird. Wer gleichzeitig vor Ort Aufsicht ist, kann nicht sagen „Bitte Ausgaben einschränken“, aber gleichzeitig für Ausgaben sorgen. Auch hier werden wir Instrumente finden müssen, die diese Automatik aussetzen und andere Lösungen ermöglichen.

Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage von Herrn Jäger von der SPD-Fraktion.

Herr Jäger, gerne.

Bitte.

Herr Kollege, in aller Offenheit: Großen Respekt vor Ihrer Haltung, die ich teile! Es ist selten, dass ein Mitglied der CDU-Fraktion in solcher Offenheit und mit solcher Schärfe das eigentliche Problem darstellt.

Meine Frage: Wenn dass in dieser günstigen konjunkturellen Lage – hohe Steuereinnahmen, niedrige Zinsen, niedrige Arbeitslosigkeit, hohe Verbundmasse – 105 Kommunen nicht mehr in der Lage sind, den Haushaltsausgleich trotz aller Sparbemühungen absehbar herbeizuführen, reicht es nach unserer Auffassung nicht aus, ein bisschen die Kreisumlage anzufassen. Sind da nicht grundlegendere Reformen in der kommunalen Finanzausstattung erforderlich?