Protocol of the Session on January 24, 2008

Auf Seite 8 finden Sie:

„Jugendliche Straftäter müssen frühzeitig, nicht erst nach einer langjährigen kriminellen ‚Karriere’, etwa in Erziehungscamps mit therapeutischem Gesamtkonzept ein Leben mit fester Struktur und Respekt vor anderen lernen. Es bestehen insbesondere in unionsgeführten Ländern bereits vorbildhafte Projekte, in denen jugendliche Täter mit strengen Regeln, Sport, Disziplin, Arbeit und Verhaltenstraining wieder einen Weg in die Gesellschaft finden. Diese müssen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger flächendeckend ausgebaut werden.“

Und so weiter. – Ich glaube, dagegen kann selbst von Ihnen niemand etwas haben.

(Frank Sichau [SPD]: Was ist da die gesetz- liche Grundlage?)

In diesem Sinne sollten wir gemeinsam daran arbeiten, die Prävention auszubauen, keine Frage. Aber da, wo es um 8.000 mehrfach delinquente jugendliche Gewalttäter geht, sollten wir auch bei der Repression gucken, ob das, was wir heute tun, noch reicht. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Engel zur Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Sache und ein wenig auch zur Beruhigung der Gemüter. – Die meisten von Ihnen wissen, wovon ich jetzt rede.

In unserem nordrhein-westfälischen Partnerland Brandenburg gibt es in der Uckermark seit über 15 Jahren ein bundesweit einzigartiges, sehr erfolgreiches und wissenschaftlich evaluiertes Projekt der verbindlichen Unterbringung und Betreuung von delinquenten Kindern und Jugendlichen in der Trägerschaft des dortigen Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks Lazarus; abgekürzt: EJF.

Das Einzigartige an dieser Einrichtung ist, dass sie nicht geschlossen ist. Es gibt keine Gitter. Es gibt keine Zäune, keine Mauern. Sie ist offen. Es ist eine offene Kinder -und Jugendeinrichtung. Durch ihre ortsferne Lage in reizarmer Umgebung, durch eine sehr engmaschige Betreuung und Begleitung durch qualifiziertes und erfahrenes Fachpersonal gelingt es den Kindern und Jugendlichen nicht, die Einrichtung durch Flucht dauerhaft zu verlassen. Sie kommen in der Regel wieder zurück, oder in den sehr seltenen Fällen von Entweichungen – meist zu Beginn der Maßnahme in der Einrichtung – werden sie schnell wieder aufgegriffen.

Da Gitter, Zäune und Mauern fehlen, lassen sich die Kinder und Jugendlichen viel früher auf die Einrichtung ein. Sie müssen sich nicht mehr mit der Frage befassen, wie sie möglichst schnell dieses oder jenes Schloss überwinden können oder in einem günstigen Moment über Zäune oder Mauern hinweg abhauen können. Das ist der Kern des Erfolgs. Die Kurzform lautet: Menschen statt Mauern.

(Ralf Jäger [SPD]: Das ist Herrn Wüst nicht bekannt!)

Wer als delinquentes Kind oder delinquenter Jugendlicher nach Petershagen kommt, hatte meist keine Chance, seine Kindheit zu leben, war im

sogenannten Großstadtdschungel nachtaktiv unterwegs, lag entwurzelt auf der Straße, lebte von Straftaten und hatte bereits viele Heim- und Psychiatrieaufenthalte hinter sich – erfolglos – und kein Unrechtsbewusstsein trotz Sanktionen und pädagogischer Beeinflussungen.

Das besondere Konzept von „Menschen statt Mauern“ stoppt kriminelle Karrieren selbst bei eingelieferten Kindern und Jugendlichen, die zum Beispiel bis zu 80 Straftaten hinter sich haben. Die Rückfallquote ist gering. Durch „Menschen statt Mauern“ haben sie gelernt, dass es einen anderen Weg gibt – einen Weg ohne Straftaten, aber mit Werten, mit Schulunterricht und Berufsausbildung und letztlich mit eigenem Einkommen.

Das ist die Antwort unserer Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Das ist die Antwort engagierter Erziehungshilfe auf beinahe hoffnungslose Fälle. Genau an diesem Punkt haben wir uns orientiert. Wir haben nicht resigniert, nein, wir haben durchgehalten. Und nachdem es Rot-Grün im Herbst 2003 verpasst hatte, in diesem so wichtigen Bereich etwas zu tun – damals waren die Redner Frau Haußmann von den Grünen und der Kollege Jentsch von der SPD; Kollege Orth hat es eben erwähnt –, wollten wir das besondere Know-how von Brandenburg nach Nordrhein-Westfalen importieren. Dazu mussten geeignete Liegenschaften gefunden und Widerstände überwunden werden.

Das hört sich so einfach an, aber NordrheinWestfalen ist dicht besiedelt. Sie ahnen, welcher Aufwand nötig war. Und am Ende konnte man immer noch scheitern: Entweder war die Renovierung bzw. der Umbau einer Liegenschaft trotz einer von der Landesregierung mit Datum vom 13.01.2006 zugesagten oder in Aussicht gestellten Landesrückbürgschaft zu teuer; dies gilt beispielsweise für die angedachte Liegenschaft in Straelen-Herongen. Oder der Bürgermeister hat eine Umnutzung versagt, so zum Beispiel für Hamminkeln.

Das ist übrigens auch die Vorgeschichte von „Ausblick“. „Ausblick“ ist die Nummer drei auf einer Liste weiterer Objekte. Am 24. April wird eingeweiht. Es ist ein echter Meilenstein in der Erziehungshilfe in Nordrhein-Westfalen. Ich danke allen und insbesondere den Trägern EJF und der Kaiserswerther Diakonie, die eine gemeinnützige GmbH für „Ausblick“ gebildet haben. Ganz besonders danke ich Frau Benninghoff-Giese und Frau Jordan-Nimsch. Ich danke allerdings auch dem LAZARUS HILFSWERK in Deutschland e. V. Denn diese drei Träger haben nicht aufgegeben.

Wir freuen uns auf die Einweihung dieser ersten Einrichtung in Nordrhein-Westfalen.

(Frank Sichau [SPD]: Der dritten!)

Freuen Sie sich mit! – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Löhrmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte jenseits des fachlichen Austausches noch einmal auf die Fragen der Ursachen und der Gesamtverantwortung zu sprechen kommen. Ich möchte auch die Verantwortung des Ministerpräsidenten, der dieser Debatte heute leider nicht beiwohnt, aus meiner Sicht beleuchten.

Gäbe es nicht in Hessen einen notleidenden CDU-Wahlkämpfer, bräuchten wir uns heute hier mit den Irrungen und Wirrungen der schwarzgelben Landesregierung nicht auseinanderzusetzen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich erinnere: Es war in der Winterpause, als die Debatte um Jugendkriminalität von Hessen aus über Deutschland schwappte und sich Herr Laschet und Herr Rüttgers kräftig verschluckt haben, als sie auf dieser Welle mitschwimmen wollten. Erziehungscamps in Nordrhein-Westfalen? – Erst nein, dann ja, erst sofort, dann später, erst in Neukirchen-Vluyn, dann in Bedburg-Hau.

Im Vergleich zum Chaos, das die Regierung Rüttgers da angerichtet hat, meine Damen und Herren, war die babylonische Sprachverwirrung ein Hort der Verständigung.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Und es war nicht nur eine Ortsverwechslung, Herr Laschet. Da war mehr im Spiel. Und all das geschah nur, um Herrn Koch in einem Wahlkampf voller Diskriminierung, Ausländerfeindlichkeit und Spaltung der Gesellschaft zur Seite zu springen.

Frau Müller-Piepenkötter, meistens zeichnen Sie sich zumindest durch eine gewisse Sachlichkeit aus. Eben habe ich mich allerdings gefragt, ob Ihnen Herr Wüst oder die hessische Wahlkampfzentrale von Herrn Koch diesen Redebeitrag geschrieben hat. Das habe ich mich wirklich gefragt.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Warum erinnere ich an die Gesamtverantwortung des Ministerpräsidenten? – Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist ein weltoffenes Land, in dem die soziale Frage eine große Rolle spielt. Darauf bin ich stolz, und darum lebe ich sehr gerne in diesem Land. Wir haben einen großen sozialen Frieden, bei allen Schwierigkeiten.

Ein Ministerpräsident, der sich so gerne auf Herrn Arnold und Johannes Rau beruft, hätte in dieser Auseinandersetzung eine andere Aufgabe gehabt, als daran zu denken, wie er Herrn Koch beispringen kann und durch seinen Integrationsminister ein Erziehungscamp ausrufen lassen kann. Er hat nichts Besseres zu tun – statt dafür zu sorgen, dass das nicht auf Nordrhein-Westfalen überschwappt und dass nicht so viel an Verwirrungen und Auseinandersetzungen, auch Verwirrungen vor Ort, angerichtet wird.

(Minister Armin Laschet: Tut er doch gar nicht!)

Herr Laschet, Sie sollten wirklich ganz still sein in dieser Situation!

(Minister Armin Laschet: Da schwappt nichts über! Unsinn!)

Dann bekamen wir alle, meine Damen und Herren, einen Brief der Ministerpäsidenten zu Weihnachten, in dem viel von „Gemeinsam statt einsam“ die Rede war. Es hätte unserer Fraktion fast das Herz gebrochen, als wir das gelesen haben. Der Ministerpräsident hätte sich beim Handeln besser selbst daran gehalten.

Diese Chance zur Distanzierung von Herrn Koch und von dieser Art und Weise, einem wichtigen Thema gerecht zu werden, und zu dem Versuch, dem auch Herr zu werden – Frau Düker hat das sehr deutlich gemacht –, haben der Ministerpräsident und diese ganze Regierung vertan, denn es kommt auch in dieser Debatte darauf an, dafür zu sorgen, dass wir gemeinsam und miteinander die Probleme lösen, statt die verschiedenen Gruppen gegeneinander aufzuhetzen.

(Zuruf von Ministerin Roswitha Müller- Piepenkötter)

Diese Chance haben der Ministerpräsident und auch Sie vertan, weil Sie das nicht auseinanderhalten, weil Sie Herrn Koch helfen wollen und nicht sachbezogen arbeiten, meine Damen und Herren!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Löhrmann. – Als Nächster spricht der Kollege Sagel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In NRW leben wir immer noch relativ sicher. Trotzdem gibt es jetzt aus Wahlkampfgründen eine durchsichtige politische Kampagne. Was der Brandstifter Koch losgetreten hat, nimmt zum Teil hysterische Formen an. Die Stichworte der aktuellen Debatte, die in Hessen losgetreten wurde, wie Jugendstrafrecht, Warnschussarrest, Erziehungscamps, rasche Ausweisung ausländischer Täter oder Herabsetzung des Mindestalters für den Strafvollzug, zeigen die Absurdität der Vorstellungen vieler Entscheidungsträger in Hessen und in NRW.

Es gibt ein Vollzugsdefizit – keine Frage! Die CDU hat da ein Problem. Aber ein Blick in die USA zeigt, dass ein rigoroses, auf Abschreckung setzendes Strafrecht in keiner Weise dazu beiträgt, die Gewaltbereitschaft zu senken. Dort ist sogar die Todesstrafe üblich. Im Jugendbereich werden selbst Kinder voll zur Verantwortung gezogen. Wozu das führt, offenbart das Risiko, durch ein Gewaltverbrechen zu Tode zu kommen. In den USA ist es zehn Mal so hoch.

Doch wozu dienen dann die von Herrn Koch gemachten und von der Landesregierung teils aufgegriffenen Vorschläge zur Verschärfung des Jugendstrafrechts? Die Phantomdebatte soll die Ängste der Bevölkerung vor gewaltbereiten Jugendlichen schüren und suggerieren, dass die Gewaltgefahr überall und auf jeden lauert. Die Ankündigung von Erziehungscamps soll den Aktionismus der Landesregierung demonstrieren, nach dem Motto: Die tun ja etwas dagegen.

Am schlimmsten aber ist die Hetze gegen junge Menschen mit Migrationshintergrund, um Wählerstimmen zu bekommen.

(Minister Armin Laschet: Wer macht das denn?)

Sie machen das und vor allem Ihr Kollege Herr Koch.

(Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter: Weder noch! – Gegenruf von Thomas Eis- kirch [SPD]: Dann sind das aber Wahrneh- mungsstörungen, Frau Ministerin!)

Er hat eine sehr durchsichtige politische Wahlkampagne losgetreten. Herr Koch suggeriert, der Migrationshintergrund sei schuld und eine Abschiebung sei die einfachste Lösung. An diesem