Der Antrag wurde gemäß § 79 Absatz 2 Buchstabe b vom Plenum an den Innenausschuss überwiesen mit der Bestimmung, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung hier im Plenum erfolgen. Diese Beschlussempfehlung und der Bericht des Innenausschusses liegen Ihnen nun vor. Entschuldigen Sie bitte, ich muss nur deshalb so lachen, weil hier in meinem Manuskript steht „liebt vor“.
Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Kollegen Kutschaty das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht haben wir uns ja doch noch alle lieb zu diesem Thema, aber ich bezweifle es.
Um es vorweg zu sagen: Wir als SPD-Fraktion möchten keine Verschärfung des Versammlungsrechts. Das ist nicht Intention unseres Antrags. Wir sind der Auffassung, dass die Aggressionen weniger nicht dazu führen dürfen, dass die Frei
Wir haben uns daher die Frage gestellt – die Frage ist ja auch schon in den Ausschüssen diskutiert worden –: Brauchen wir daher ein neues Versammlungsrecht, ein Versammlungsrecht für Nordrhein-Westfalen? Wir sind zu der Überzeugung gekommen: Ja, wir müssen jetzt den Schritt in Richtung eines neuen Versammlungsrechts für Nordrhein-Westfalen gehen. Ich möchte Ihnen heute noch einmal zwei wesentliche Gründe dafür erläutern, weswegen wir zu dieser Auffassung gekommen sind.
Der erste Grund ist die Föderalismusreform. Wenn im Versammlungsrecht etwas geändert werden soll, dann sind jetzt wir als Länder der Bundesrepublik Deutschland gefragt. Die Kompetenz ist auf die einzelnen Landtage übertragen worden. Einige Landesparlamente haben auch schon davon Gebrauch gemacht. Sie haben sich eigene Versammlungsgesetze gegeben. Brandenburg hat eines. Sachsen ist gerade dabei, ein eigenes Versammlungsgesetz zu schaffen. Da wir wissen, dass Versammlungen nicht unbedingt an einer Landesgrenze Halt machen, ist es wichtig, jetzt, zum jetzigen Zeitpunkt, mit in die Diskussion einzugreifen, damit wir dann auch ein möglichst einheitliches Gebilde in der Bundesrepublik Deutschland bekommen. Deswegen kann ich ein längeres Zögern in Nordrhein-Westfalen auch nicht verstehen.
Der zweite Punkt ist: Das derzeit geltende Versammlungsrecht ist aus dem Jahre 1953. Es ist also ein Versammlungsrecht, das jetzt gut und gerne 54 Jahre auf dem Buckel hat und sich in den letzten Jahren nur ganz unwesentlich verändert hat.
Verändert hat sich aber die Art der Versammlungen. Als das Versammlungsrecht 1953 geschaffen wurde, sahen die Veranstaltungen und Versammlungen, die Probleme bereitet haben, gänzlich anders aus. Damals war die Versammlungskultur geprägt von großen Parteikundgebungen, Versammlungen von Organisationen. Das wandelte sich dann einmal. Wir hatten Studentendemonstrationen. Wir hatten große Friedensbewegungen. Wir hatten Antiatomkraftdemonstrationen, die Probleme gemacht haben. Heute liegen die Probleme im Bereich der Versammlungen insbesondere bei Rechtsradikalenversammlungen. Das macht uns Sorgen. Das findet auch im Ausland starke Beachtung. Insoweit können wir festhalten, dass sich die Art der Versammlungen massiv geändert hat, das Versammlungsrecht als solches aber nicht.
Das hat dazu geführt, dass das Versammlungsrecht heute eigentlich nicht mehr durch das Gesetz bestimmt wird, sondern das Versammlungsrecht wird durch die Gerichte bestimmt. Wir haben eine Rechtsprechung bekommen, die nahezu die wesentlichen Inhalte regelt. Der einfache Juristensatz „Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung“ gilt gerade im Versammlungsrecht leider nicht. Daher muss nach unserer Auffassung das Versammlungsgesetz der geltenden Rechtsprechung angepasst werden, insbesondere der geltenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 8 des Grundgesetzes.
Nach der Brokdorf-Entscheidung gibt es das Kooperationsgebot zwischen Veranstalter und Genehmigungsbehörde. Im Gesetz finden wir dazu nichts.
Wir haben datenschutzrechtliche Bestimmungen zu akzeptieren und zu respektieren. Diese müssten auch entsprechend gesetzlich aufgenommen werden.
Noch immer gibt es Gerichte, die davon ausgehen, dass das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist. Auch solche abwegigen Gerichtsmeinungen sind vorhanden, zuletzt beim Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern im Zusammenhang mit den Demonstrationen in Heiligendamm. Auch da ist sicherlich gesetzlicher Klärungsbedarf gegeben, um eine einheitliche Rechtsprechung zu bekommen.
Aus meiner Sicht ganz wichtig ist, dass heutzutage gerade kleinere Versammlungsbehörden in der rechtlichen Bewertung häufig überfordert sind. Da werden Demonstrationen, da werden Kundgebungen angemeldet. Die entsprechende Versammlungsbehörde ist oftmals nicht in der Lage, gerade in kleineren Kommunen und bei kleineren Einheiten die Lage rechtlich richtig zu beurteilen, weil das Gesetz eben zu unbestimmt und zu unkonkret ist. Wir haben ja häufig den Fall, dass meistens noch am letzten Tag vor der Versammlung erst Gerichte entscheiden, welche Veranstaltung stattfinden kann und welche nicht, eben weil wir nicht genügend Rechtsklarheit haben.
Nach unserer Auffassung ist es daher Zeit, jetzt zu handeln. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie können gestalten. Manchmal habe ich aber den Eindruck, Sie haben in den letzten zweieinhalb Jahren, seitdem Sie regieren, die Lust am Gestalten verloren. Sonst würden Sie jetzt nämlich Ihren Mut zusammen
nehmen und sagen: Wir wollen ein Versammlungsrecht gestalten. – Wir jedenfalls wären dabei. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Kollege Lohn das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für die Diskussion des SPD-Antrags sind aus meiner Sicht mindestens drei Fragen zu beantworten.
Die erste Frage lautet: Brauchen wir in NordrheinWestfalen wirklich zwingend ein eigenes Versammlungsrecht?
Die zweite Frage lautet: Falls ja, muss es dann kurzfristig und möglichst schnell eingeführt werden?
Die dritte Frage ist, meine ich, die wichtigste: Sollte ein Versammlungsgesetz, so wie die SPD es will, speziell auf die einseitige Beschränkung von Demonstrationen Rechtsextremer abzielen?
Verehrte Damen und Herren, zur ersten Frage: Das heute gültige Versammlungsrecht gilt auch nach der Föderalismusreform weiter fort. Das heißt, wir haben keinen rechtsfreien Raum. Eine zwingende Handlungsnotwendigkeit ergibt sich so erst einmal bis dahin nicht.
Ich gestehe Ihnen zu, Herr Kutschaty, dass das Gesetz recht alt ist, nämlich von 1953. Nicht einer Meinung bin ich mit Ihnen, was den jetzigen Zustand angeht. Es ist 1978 neu bekannt gemacht worden. In der Zwischenzeit ist es insgesamt zehnmal novelliert worden. Die letzte Novelle ist vom März 2005 und wurde von der rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebracht. Sie hatte die Intention, rechtsextreme Versammlungen zu erschweren. Von daher stimmen Ihre diesbezüglichen Aussagen nur teilweise.
Das Problem, woraus sich eine gewisse Handlungsnotwendigkeit ergeben könnte, sehe ich in der Formulierung des Versammlungsgesetzes. § 15 Abs. 1 stellt die zentrale Beschränkungsnorm dar. Er ist lediglich in Form einer Generalklausel formuliert. Dadurch gibt es diese Vielzahl von Urteilen, die Sie zu Recht erwähnt haben.
Als Ergebnis haben wir heute gerade durch die Vielzahl von ergangenen Urteilen einen rechtlichen Handlungsrahmen für die Verwaltungsbehörden – bei uns ist das die Polizei –, aber auch
für die Gerichte, der das ganze Versammlungsrecht praktikabel macht. Er macht es nicht nur praktikabel, sondern anerkanntermaßen sogar verfassungskonform. Auf welches Gebiet man sich begeben würde, wenn man Ihre Forderungen in Gesetzesform kleiden würde, wage ich nicht zu beurteilen. Ich glaube aber, wir würden uns auf dünnes Eis begeben.
Ich komme zu Ihrer zweiten Frage, ob wir zwingend ein neues Versammlungsgesetz benötigen und, wenn ja, ob wir es ganz schnell brauchen. Diese Frage muss ich eindeutig mit Nein beantworten. Das Versammlungsrecht ist ein derart hohes Gut, dass es nicht zu Schnellschüssen geeignet ist.
Man sieht das an folgendem Fall: Der ehemalige SPD-Innenminister hat es gut gemeint, als er versuchte, die NPD zu verbieten. Es war schlecht vorbereitet und führte zu einem absolut kontraproduktiven Ergebnis. – Solche Fehler dürfen wir uns im Bereich des Versammlungsrechts nicht erlauben.
Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts haben auch klar gesagt, dass das Versammlungsrecht bei uns großzügig ausgelegt werden muss und die Versammlungsfreiheit ein Grundpfeiler der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist. Von daher sind keine Schnellschüsse angesagt. Im Gegenteil. Ich bin der Meinung, wir sollten die Erfahrungen anderer Bundesländer mit neuen landeseigenen Versammlungsgesetzen abwarten und diese auswerten. Aus den Erfahrungen, die in der Verwaltungspraxis und bei Gericht entstehen, sollten wir lernen und diese in unsere Überlegungen einfließen lassen.
Zur dritten Frage: Die SPD möchte mit einem neuen Versammlungsrecht einseitig Demonstrationen von Rechtsextremen verhindern bzw. erschweren. Gleichzeitig wollen Sie einen versammlungsfreundlichen Gesetzentwurf. Sie haben eingangs Ihrer Ausführungen noch einmal betont, dass Sie keine Verschärfung wollen.
Wenn ich einseitig Rechtsextreme mit beschränkenden Maßnahmen belasten will, ist das eine Verschärfung. Es ist zudem eine Verschärfung, die ich persönlich für sehr bedenklich halte, obwohl ich kein Verfassungsrichter bin. Es geht um das Recht nach Artikel 8 Grundgesetz, wonach man sich frei, friedlich und ohne Waffen versammeln kann. Es steht nichts darüber, in welche Richtung es geht, ob es rechts- oder linksextrem ist.
die Gelegenheit, sich zu äußern. Man muss die Meinung nicht akzeptieren. Ich denke, Sie bewegen sich verfassungsrechtlich auf ganz dünnem Eis. Das ist der Hauptgrund, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können.
Zusammenfassend konstatiere ich, dass Sie wahrscheinlich keine schlechte Absicht mit Ihrem Antrag hatten.
Er ist zu diesem Zeitpunkt aber erstens unnötig, zweitens durch den erzeugten Zeitdruck kontraproduktiv und drittens in sich widersprüchlich und greift unzulässig in den Wesensgehalt der Versammlungsfreiheit ein. Deswegen lehnen wir als CDU Ihren Antrag ab. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Engel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Versammlungsfreiheit ist das essentielle Bürgergrundrecht aller Deutschen. Es garantiert das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die Einzelheiten schenke ich mir; sie sind schon genannt worden.
Ja, wohl wahr: Demonstrationen von Rechtsextremisten stellen den demokratischen Rechtsstaat vor eine Bewährungsprobe. Keinen von uns lässt es unberührt, wenn hässliche Bilder um die Welt gehen, auf denen Neonazis zu sehen sind, die auf einer Demonstration durch unsere Städte ziehen.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in den letzten Jahren aber vergeblich versucht, die öffentliche Ordnung als Schutzgut bei rechtsextremistischen Versammlungen und als Basis eines Verbotes zu bemühen. Mehrmals hat das Bundesverfassungsgericht dies verworfen. Würden Sie die Ansicht des OVG Münster nun in ein Gesetz gießen, meine sehr verehrten Damen und Herren Antragsteller von der SPD-Fraktion, wäre dieses Gesetz schlicht verfassungswidrig.
Wenn Sie nun spezielle Regelungen im Versammlungsgesetz für Rechtsextreme fordern – nichts anderes machen Sie –, kann man das nur als reinen Populismus werten. Sie fordern im Prinzip ein unzulässiges Gesinnungsstrafrecht, Herr Kutschaty. Sie können doch nicht allen Ernstes verlangen, dass Versammlungsrechte von der politischen Gesinnung oder dem Demonstrationsgrund abhängig gemacht werden. Nach Artikel 18 Grundgesetz entscheidet über die Verwirkung von
Grundrechten und ihr Ausmaß allein das Bundesverfassungsgericht. Das NPD-Verbotsverfahren ist aber leider kläglich gescheitert.
Zudem enthält Ihr Antrag nicht mehr als pauschale Aussagen und Forderungen: viel heiße Luft. – Sie wollen ein Zeichen gegen rechts setzen. Das unterstütze ich. Natürlich ist Rechtsextremismus ein leider immer noch aktuelles Problem. Die Gesetzgebung muss aber erst dann eingreifen, wenn tatsächlich rechtliche Defizite vorhanden sind, die auch per Gesetz abgebaut werden können.
Das Versammlungsgesetz sowie das Strafgesetzbuch sind im März 2005 auf Bundesebene geändert worden. Experten und oberste Verwaltungsrichter haben schon bei dieser Debatte im Bundestag im Jahre 2005 gesagt, dass die bestehenden Gesetze – insbesondere mit § 130 Strafgesetzbuch – völlig ausreichend sind.
Herr Kutschaty, Ihre Begründung, die Föderalismusreform erlaube jetzt eine eigene Gesetzesinitiative, reicht nicht, um Ihrem Antrag letztendlich zu folgen. Ganz anders: Derzeit zeigen die Bürgerinnen und Bürger Zivilcourage auf kleinen und großen Gegendemonstrationen. Dies geschieht parallel zu rechten Demos wie etwa am 1. Mai bei dieser großen Demo in Dortmund. Das muss in einer Demokratie der richtige Weg sein – aber friedlich.
Ich habe mir am 1. Mai den ganzen Tag vor Ort in Dortmund den Einsatz der Polizei angesehen. Unsere Polizisten leisten dabei großartige Arbeit, die unterschiedlichen politischen Lager auseinanderzuhalten, und garantieren so die Ausübung der jeweiligen Grundrechte. Leider werden sie dabei vermehrt sogar selber zum Angriffsobjekt – verstärkt aus dem linksautonomen Umfeld. Den Polizeibeamten möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal für diesen engagierten und beherzten Einsatz danken.
Herr Kutschaty, Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Die nordrhein-westfälische Polizei – und gerade die Polizeibeamten in den Hundertschaften und ihre jeweiligen Hundertschaftsführer und Abteilungsführer – werden bei solchen großen Demos bundesweit angefragt. Ich nenne hier ausdrücklich die Bereitschaftspolizei in Brühl mit Abteilungsführer Tom Sanders. Das ist ein Markenzeichen bei den sogenannten Links-Rechts-Demos. Frau Düker nickt. Sie wird das bestätigen; sie kennt sich da ja auch aus.