Protocol of the Session on August 23, 2007

(Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])

Diese Regierungspolitik zeigt sich ganz praktisch etwa beim Werkstattjahr, bei dem man sich vor allem um Jugendliche kümmert, die zuvor überhaupt keine Chance hatten und als hoffnungslose Fälle galten. Die Landesregierung hat dafür gesorgt, dass viele dieser Jugendlichen eine Perspektive erhalten und ihnen der Weg in eine Berufsausbildung erleichtert wird. – Durch die Bildungsschecks wurde ein wichtiger Beitrag zum lebenslangen Lernen geleistet. Damit wird auch die Arbeitsfähigkeit gesichert. 80.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Angebot bisher in Anspruch genommen.

Es gibt auch Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen, die gleichfalls das Ende der Förderphase begründen. Argen und Optionskommunen sind seit Anfang 2005 gesetzlich zu einer umfassenden Beratung und Betreuung aller arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen verpflichtet. Ergänzend ist in Zukunft besonders die kommunale Ebene gefragt. Dort müssen alle Fäden zur Integration von Langzeitarbeitslosen und von Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, zusammenlaufen. Gerade weil der Bedarf dort hoch ist, ist es wichtig, vorhandene Strukturen sinnvoll zu vernetzen.

Genau vor diesem Hintergrund hat das Ministerium eine Verlängerung der Förderphase bis zum 30. September 2008 angekündigt und entsprechende Unterstützungsleistungen in Form eines Informations- und Erfahrungsaustauschs zuge

sagt. Die betroffenen Zentren und Beratungsstellen werden also nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.

Selbstverständlich ist eine solche Situation auch für die Mitarbeiter vor Ort nicht einfach. Aber es gibt für uns zwingende Gründe, diesen Schritt jetzt zu tun, und wir haben ein vernünftiges Unterstützungsangebot vorbereitet. Auch in Zukunft steht kein Arbeitsloser ohne Unterstützung und Beratung da.

Dass auch in der SPD über solche Dinge zumindest einmal nachgedacht wurde, kann man, wenn man in die Vergangenheit schaut, zum Beispiel an der Pressemitteilung von Herrn Minister a. D. Schartau vom 13. September 2004 – das ist noch gar nicht ganz so lange her – sehen. Dort sagt er, im Verlauf des ersten Jahres konkreter Praxis mit Hartz IV werde sich zeigen, wie sich die Aufgaben der Arbeitslosenzentren im Zusammenspiel mit den neuen Strukturen entwickelten. Erst dann werde über die Zukunft der Landesförderung entschieden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Es ist doch da- mals von uns entschieden worden: keine Kürzung!)

In diesem Sinne haben wir das getan, was Sie vorüberlegt haben. –Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU – Zuruf von der SPD: Das ist aber ein Eigentor, Herr Kolle- ge!)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Romberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat als nächste Rednerin Kollegin Steffens das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Romberg, ich finde es gut, dass Sie gerade noch einmal die damaligen Überlegungen der rot-grünen Landesregierung zitiert haben. Natürlich musste man überlegen, welche Rolle die Arbeitslosenzentren und die Arbeitslosenberatungsstellen in diesem neuen Kontext spielen sollen, welche Rolle sie spielen müssen und welche sie spielen können.

Damals sind wir zu einem komplett konträren Ergebnis gekommen als Sie heute. Wir haben gesagt: Die unabhängige Beratung ist sogar noch notwendiger als vorher, weil die Argen und die Optionskommunen sie weder leisten können noch leisten. Ich will Ihnen dazu ein paar Zahlen nennen.

In die Beratungsstellen kommen Menschen, die sich Ihre Bescheide erklären lassen wollen. Dabei kommen auf sechs richtige Bescheide nach wie vor bis zu 300 falsche Bescheide, die inhaltlich nicht stimmen und für die Betroffenen zu Minderleistungen zwischen 10 und 500 € führen. Bei diesem Ergebnis – die Menschen bekommen weniger Leistungen, als ihnen zustehen – können Sie mir nicht sagen, dass die Argen die Menschen hervorragend beraten. Die logische Konsequenz, die Sie daraus ziehen müssten, wäre die Aussage: Okay, das können die Argen nicht leisten; wir brauchen mehr unabhängige Beratung. – Dann wären wir gerne wieder bei Ihnen im Boot. Man kann darüber nachdenken, ob die Struktur der Arbeitslosenzentren, die wir haben, ausreicht. An der einen oder anderen Stelle kann man sicher nachbessern und optimieren.

Aber die vorhandenen Strukturen mit der Begründung „Wir haben sie nicht überall, deshalb streichen wir auch die, die wir haben“, die Herr Laumann einmal im Ausschuss gebracht hat, zu streichen, ist illegitim. Denjenigen die Möglichkeit – die sie jetzt noch haben –, sich zu wehren, wegzunehmen, ist zynisch.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Dann kommt wieder die Argumentation: Die können doch alle klagen. – Ja klar, die können alle klagen – super. Aber es werden nicht so viele Klagen eingereicht. Zum Teil rufen doch die Behörden die Betroffenen, die Widerspruch eingelegt haben, an und sagen: Wir werden Ihr Widerspruchsverfahren bearbeiten, und während der Bearbeitungszeit – die nächsten zwei Monate – werden ihre Leistungen ausgesetzt.

Sie werden erleben, dass viele Leute keinen Widerspruch einlegen, weil sie Angst haben, zwei Monate ohne jeden Cent dazustehen und zu Hause irgendwie sehen zu müssen, wie sie ihre Kinder und ihre Familie ernähren. Deswegen, finde ich, sind diese Argumente von Ihnen illegitim.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ein weiterer Punkt, von allen angeführt, sind die Kosten. Gerade hat uns Herr Lehne Dinge vorgetragen und vorgelesen, die nichts, aber auch gar nichts mit der Lebensrealität zu tun haben, die ich in diesem Land erlebe. Er hat die Kosten aufgegriffen. Ja, Herr Lehne, Beratung von Menschen kostet Geld. Aber Menschen nicht zu beraten, kostet sehr viel mehr Geld. Das gilt gerade für die Menschen, über deren Beratung wir hier reden.

Wir hatten im Ausschuss eine Anhörung zum Thema „Psychiatrie und psychiatrische Versor

gung in Nordrhein-Westfalen“. Wenn ich mich recht erinnere, haben auch Sie an der Anhörung teilgenommen; zumindest waren Sie zwischendurch mal da. Sonst können Sie das im Protokoll nachlesen. Auch in der Anhörung ist von vielen das Problem angesprochen worden, dass gerade bei Langzeitarbeitslosen, bei Menschen, die diese Beratung in Anspruch nehmen, zunehmend psychische Belastungen in einem extremen Maße auftreten und wir für diese Personengruppe nicht nur eine hochschwellige Versorgung brauchen. Wir benötigen vielmehr niedrigschwellige Beratung und Angebote, damit sich die Probleme, die die Menschen haben, nicht in dem Maße verfestigen, wie es derzeit der Fall ist, und um Folgekosten und vor allen Dingen Belastungssteigerungen der Menschen zu verhindern.

Noch ein weiterer Punkt als Argument, der irgendwann in den Debatten um das SGB II aufkam: Pflichtaufgabe nach Weisung. Minister Laumann hat uns allen erklärt, es wäre dringend notwendig, in bestimmten Punkten auf die Kommunen Einfluss nehmen zu können, weil zum Beispiel die psychosoziale Beratung in den Kommunen sehr unterschiedlich gehandhabt werde und zum Teil sehr defizitär sei.

Jetzt sagen Sie: Wir wissen, dass vor Ort ein Defizit vorhanden ist. Wir wissen, dass wir die einzige Struktur, die für diese Menschen derzeit erreichbar und ansprechbar ist, streichen. – Das finde ich ziemlich unverantwortlich von Ihnen, Herr Minister.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Und all das von einer Fraktion, von einer Regierung, die im Wahlkampf verkündet hat: Ehrenamt und Selbsthilfe sind uns wichtig. – Da kann ich nur sagen: Die Beratungsstellen versuchen, für die Ärmsten der Armen mit Ehrenamt, mit Selbsthilfe unter die Overhead-Kosten, die man braucht, zu kommen. Die Beratungsstellen bekommen nun wirklich nicht viel Geld. Wenn dann eine Fraktion, die behauptet hat, sie stünde für Ehrenamt und Selbsthilfe, von ihnen verlangt: „Macht’s doch so, oder macht es auch gar nicht mehr!“, finde ich das ziemlich entlarvend und enttarnend.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Man sieht es auch an anderen Stellen, aber hier wird besonders deutlich: Sie führen Ihre eigenen Forderungen ad absurdum und machen klar, dass Sie im Grunde genommen weder für Ehrenamt und Selbsthilfe noch für die Menschen in diesem Lande eintreten. Ich finde das unverantwortlich.

Letzter Punkt. Herr Romberg hat gesagt: Wir haben die Prioritäten anders gesetzt. – Ja, aber dann sagen Sie den Menschen auch ganz klar und deutlich: Wir als Koalitionsfraktion finden es wichtiger, Ausbildungsplätze zu finanzieren, die die Wirtschaft nicht zur Verfügung stellt. Denn das tun Sie aus den ESF-Mitteln. Sie bezahlen Ausbildungsplätze, die eigentlich vonseiten der Arbeitgeber finanziert werden müssten, mit einer extrem hohen Subventionierung. Im Ausbildungskonsens hätte man mit Sicherheit auch andere Ergebnisse erzielen können.

Sie finanzieren diese Ausbildungsplätze und nehmen den Menschen die einfachen, notwendigen Beratungsstrukturen flächendeckend im Land weg. Das ist Ihre Form der Politik. Das ist eine Prioritätensetzung gegen die Menschen in diesem Land. Wer hatte eben gesagt, dass die Menschen in diesem Land sehr wohl mitbekommen, was Sie machen? Ja, das bekommen die Menschen in diesem Land mit. Und die Menschen in diesem Land werden Ihnen auch die Quittung dafür geben. – Danke.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Jetzt hat für die Landesregierung Minister Laumann das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Steffens, ich möchte Ihnen zunächst einmal sagen: Das Urteil der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land über das, was gegen die Menschen ist, warte ich in Ruhe ab.

(Beifall von der CDU)

Ich habe im Januar über ein Landesprogramm, das jedes Jahr 30 Millionen € kostet – das ist richtig –, rund 3.000 jungen Leuten, die teilweise 70, 80 oder sogar 100 Bewerbungen für eine Lehrstelle geschrieben hatten und die in der Regel Hauptschulzeugnisse hatten, die leistungsmäßig in der unteren Hälfte lagen, einen Ausbildungsplatz, einen Ausbildungsvertrag und das Versprechen gegeben, nach drei Jahren in diesem Land eine Kammerprüfung machen zu können und eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben.

Wenn das Politik gegen die Menschen ist, weiß ich nicht, wer Politik für die Menschen macht! Ich bin mir schon ziemlich sicher, dass viele Menschen verstehen, was ich entschieden habe. Dass Sie Beratungsstellen gegen das Lehrstellenpro

gramm ausspielen, sollten Sie politisch verantworten. Ich finde das auf jeden Fall unmöglich, um das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich lasse mir auch nicht gefallen, dass die Frage der Beratungsstellen in den Arbeitslosenzentren von Ihnen und von einigen in der SPD genutzt wird, um eine moralische Diskreditierung der Landesregierung zu betreiben.

(Karl Schultheis [SPD]: Die braucht man nicht zu betreiben!)

Sie sind nach meiner Meinung dabei überhaupt nicht glaubwürdig.

Herr Minister.

Nein. – Denn der Forderung nach einer Finanzierung von Arbeitslosenzentren und -beratungsstellen liegt doch ohne Zweifel die grundsätzliche Fragestellung zugrunde, wie im Kontext der beruflichen Integration insbesondere langzeitarbeitsloser Menschen die Betreuung und Beratung dieser Personengruppe organisiert sein soll.

Herr Minister, darf ich Sie kurz unterbrechen?

Nein. Ich möchte jetzt erst einmal vortragen.

Wenn Ihre Situationsbeschreibung in allen Facetten der Wirklichkeit entsprechen würde, wäre es doch wohl politisch geboten, sich für Veränderungen dort einzusetzen, wo die Entscheidungen aktuell getroffen werden. Ich meine die Verhandlungen über die Änderung der Sozialgesetzbücher II und III.

Mir sind aber entsprechende Initiativen von der SPD-Fraktion und von der Grünen-Fraktion im Bund und in den Ländern sowie von den Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, nicht bekannt.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Mir ist allerdings wohl bekannt, dass mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern in den Flächenländern, in denen Förderangebote für solche Einrichtungen in der Vergangenheit existierten, diese Angebote eingestellt worden sind – auch von Landesregierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung.

Überall, Herr Kollege Garbrecht, waren die Argumente mit jenen vergleichbar, die auch mich veranlassen, dieses Förderangebot nicht dauerhaft fortzuführen. Allerdings bieten wir im Unterschied zu anderen Ländern, die die Förderung teilweise bereits 2005 eingestellt haben, den Einrichtungen in unserem Land eine längere Übergangszeit, um sich den neuen Rahmenbedingungen anpassen zu können.

Insofern darf ich Sie bitten, in dieser Debatte wieder zur Sachlichkeit zurückzukehren und die fruchtlosen Versuche einzustellen, einer christlichdemokratisch geführten Landesregierung in dieser Frage moralische Vorhaltungen zu machen.