Protocol of the Session on August 23, 2007

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Eltern, Schulen und Lehrer wollen Verlässlichkeit und keine unausgegorenen Experimente. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Recker. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Beer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einmal die PISA-Gleichung des Tages aufmachen. Und sie ist, wie es auch sein muss, anwendungs- und lebensweltorientiert und heißt folgendermaßen:

Wüste schwarz-gelbe Vermummungsstrategie – das haben wir heute Morgen schon gehabt – plus wenig glückliche Kommunikationsstrategie der SPD, die – das muss man deutlich sagen – auch fortschrittliche CDU-Menschen wieder in die Gräben treibt, und ein paar gymnasiale SPDPartisanen mit Diskussionsbedarf macht deutlich: Die gemeinsame Schule in Nordrhein-Westfalen wird es nur mit den Grünen geben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Frau Ministerin, den Finnen wird in der Tat das Blut pädagogisch in den Adern gefroren sein bei dem, was Sie hier eben zur Schulformdebatte gesagt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Zukunftsminister a. D. aus dem vorigen Jahrhundert – heute übrigens Ministerpräsident dieses Landes –

(Lachen von der SPD – Zuruf von Sören Link [SPD])

konnte gestern gar nicht – und nicht nur bei dem Thema Schulpolitik – der Opposition in die Augen blicken. Er hat konsequent seine Fraktion angepredigt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Er wird wissen, warum das nötig ist. Denn schließlich kocht die kommunale CDU-Volksseele mittlerweile auch in der Schulpolitik ob der gelbmotivierten Fehlleistungen. Und der Ministerpräsident hat noch gestern versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen: Er habe nichts mit den Ergebnissen der aktuellen Lernstandserhebungen zu tun. – Das ist bewusste Irreführung.

Die Lernstandserhebungen haben im achten Jahrgang stattgefunden, und die Ergebnisse bestätigen die PISA-Ergebnisse zum x-ten Mal. Die Lernstandsergebnisse in der Grundschule zeigen aber zum wiederholten Male gleichzeitig: Hier gelingt es, mit einer vielfältigeren Schülerschaft, Leistung in der Breite zu erzielen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Regierung ist seit dem Schuljahr 2005 in der Verantwortung. Und seitdem zählt jede Minute einer verfehlten Politik in der Sekundarstufe I doppelt. Sie versuchen, die Auslese zu optimieren – daran krankt das System der Sekundarstufe –, und Sie ernten die Ergebnisse dieser verpassten Zeit. Sie verstärken die soziale Spaltung im Bildungssystem.

Medizinmann Rüttgers empfiehlt gegen die Systemkrise flächendeckend einzügige Hauptschulen. Damit steuern Sie geradewegs darauf zu, die Jugendlichen in den Hauptschulen noch weiter abzuhängen und ihnen Zukunft zu nehmen.

Die Vorschläge, die Herr Hurrelmann jetzt wieder einmal in einem Zweisäulenmodell macht, lösen in der Tat die Schulmisere nicht. Denn das Zweisäulenmodell trägt die alte Begabungslehre in sich und betreibt weiterhin die soziale Spaltung. Das sind übrigens auch die neuen Ergebnisse, die – Herr Recker, Sie müssen auch bitte einmal das Aktuelle von Herrn Baumert lesen – Herr Baumert in Bezug auf die Regelschulen in den neuen Bundesländern und die Verbundsschulen dort vorlegt.

In einem Punkt hat Hurrelmann Recht: Es ist unverantwortlich und es ist zutiefst asozial, die Hauptschülerinnen und Hauptschüler nicht aus ihrer Schulformfalle zu befreien, gegen die auch engagierte Lehrkräfte nicht anarbeiten können. Sozial benachteilige Schülerinnen und Schüler

werden in eine sozial benachteiligende Schulform gesteckt nach dem Motto: Liebe Problemgruppen, kuriert euch untereinander, aber belästigt bitte die anderen nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es sind gerade Handwerk und Mittelstand in Schöppingen, die hinter dem Modell der Gemeinschaftsschule stehen und sagen: Hauptschulabsolventinnen und -absolventen werden keine Zukunft mehr haben. Sie unterstützen deshalb dieses Modellvorhaben.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Sie versuchen, einen Popanz aufzubauen, und sind mit bewusster Desinformation unterwegs. Ich habe noch nirgendwo Bagger gesehen, die irgendeine Schule abreißen wollen. Es geht nicht darum, den Menschen in Nordrhein-Westfalen das Gymnasium wegzunehmen.

(Zurufe von CDU und FDP)

Die Grünen wollen die Stärken der einzelnen Schulformen in der gemeinsamen Schule für alle Kinder wirksam werden lassen. Es ist allerdings erschütternd, wie unverhohlen die Philologen ihren Lobbyismus pflegen und per Pressemitteilung verbreiten, dass es ihnen zu allererst um den gymnasialen Arbeitsplatz geht. Das hat nämlich mit dem Wohl der Kinder überhaupt nichts zu tun.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Und im Klartext heißt es sowohl bei dem Philologen- wie auch beim Realschullehrerverband: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern! Die Arbeit sollen mal die anderen machen. Schickt uns problemfreie Kinder, und aus denen können wir dann was machen.

Und was die Elternvoten angeht: Frau Ministerin, Sie wissen doch ganz genau, die Landeselternschaft der Gymnasien hat zu Beginn gesagt: Drittelparität, was sollen wir damit, die brauchen wir nicht. – Sie sind belehrt worden durch ihre Eltern vor Ort und treten jetzt dafür ein, dass sie wieder eingeführt wird. – Ganztag, Mittagessen am Gymnasium – nein, da kommen wir so drüber, das ist alles keine Problem. – Heute fordern die Eltern das auch an den Gymnasien ein.

Wenn man gezielt informiert und diesen Weg geht, dann kann man die Eltern mitnehmen. Dann ist die Offenheit sehr groß. Diesen Informationsweg werden wir gehen. Wir machen Information, wir machen Aufklärung, und wir werden dafür sorgen, dass sich die Menschen in NordrheinWestfalen nicht von Ihnen verdummen lassen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Schauen Sie in die Filme zum Beispiel von Reinhard Kahl! Nach diesen Veranstaltungen sagen die Eltern: Warum können wir diese Schule nicht für unsere Kinder haben? – Sie werden diese Schule bekommen – in Nordrhein-Westfalen, mit den Grünen. Ich verspreche für meine Fraktion: Wir werden Ihnen allen in diesem Haus keine Ruhe lassen, denn es ist klar: Wir stehen ohne Wenn und Aber für die gemeinsame Schule, für Chancengleichheit und Leistung, die die Schülerinnen und Schüler so dringend brauchen.

Sie schlagen heute die Schlachten der vergangenen Tage. Das ist traurig für alle Kinder, die zurzeit in der Schule sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Witzel das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorhang auf, die Maske ist gefallen. Dichtung und Wahrheit – ein unendlicher Fortsetzungsroman unserer Diskussionen im Landtag. Jetzt liegt tatsächlich der Orientierungsrahmen der SPD auf dem Tisch, den zu füllen Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen haben. Die Botschaft ist klar: Sie schaffen die Gymnasien ab. Jetzt sagen Sie es auch endlich offen und deutlich. Sie schaffen die Realschulen ab. Und dann gibt es die Einheitsschule für alle.

(Heike Gebhard [SPD]: Lesen hilft manch- mal!)

Frau Schäfer, wenn Sie hier die Frage an die Koalitionsfraktionen gerichtet haben: „Lesen Sie denn keine Zeitung?“, dann erwidere ich Ihnen: Doch, sehr wohl, aber Sie wahrscheinlich nicht. Sonst wäre Ihnen ja nicht das entgangen, was sich im Blätterwald der letzten Wochen als interessantes Farbenspiel abgezeichnet hat.

„Neue Westfälische“ vom 14. August: „Streit in der SPD NRW über Schulpolitik eskaliert. Lehrer fordern von Landesvorstand Kurskorrektur“. Oder „Westfälische Rundschau“ 22. August: „Intern regt sich bereits Widerstand – SPD: Gesamtschule soll Pflicht werden“. „Kölner Rundschau“: „Schulrevolution – NRW-SPD will Haupt- und Realschule sowie Gymnasien abschaffen“. „Ruhr-Nachrichten“: „Alle unter ein Dach – Die NRW-SPD verabschiedet sich endgültig vom gegliederten Schulsystem“. Und so weiter, und so fort. Dann wird in

langen, mehrspaltigen Berichten beleuchtet, welche Unzufriedenheit auch vor Ort bei Ihnen in der eigenen Partei, bei den Fachleuten, durch diese neuen Ansätze vorhanden ist.

Deshalb, Frau Schäfer: Wenn Sie auf nette Interview-Beiträge von Frau Kraft bei WDR 5 verweisen und die Frage stellen, ob uns das nicht überzeugt, sage ich Ihnen: Nein, mich überzeugt das nicht. Mich würde es überzeugen, Frau Kraft, wenn Sie Ihren eigenen Sohn am Gymnasium abmelden und an einer Gesamtschule anmelden würden.

(Beifall von der FDP)

Das würde mich überzeugen. Für Sie ist die Einheitsschule immer nur die beste Schule für alle anderen, aber nie für einen selbst.

(Beifall von FDP und CDU)

Und deshalb ist hier auch das so interessant, was wir vor dem Politikwechsel diskutiert haben.

(Hannelore Kraft [SPD]: Ich habe überhaupt keinen Sohn am Gymnasium! Das ist Ihr Problem!)

Gucken wir einmal in die Sammlung der Zitate von der früheren Schulministerin Ute Schäfer. Zum Beispiel unmittelbar vor der Landtagswahl, 16. März, Plenarprotokoll 13/147:

„Unser Ziel hier in Nordrhein-Westfalen besteht darin – und da haben wir einen klaren Auftrag – , das bestehende Schulsystem zu optimieren, und darauf zielen auch alle unsere Reformen ab. Änderungen der Schulstruktur stehen nicht auf der Tagesordnung.“

(Zuruf von der SPD)

Das ist das, was Sie ein paar Tage vor der Landtagswahl den Menschen in diesem Land weismachen wollten. Und heute ist die Katze aus dem Sack. Heute kennen die Menschen die Wahrheit, und sie sind froh, dass wir das damals so klar demaskiert haben. Wir stehen als Koalition der Erneuerung zu dem, was wir vor der Wahl gesagt haben, auch nach der Wahl. Darauf ist Verlass in Nordrhein-Westfalen.