Nachdem repräsentative Informationen zum Impfstatus bislang nur im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen der Bundesländer erhoben wurden, stehen mit dem bundesweiten Kinder-
und Jugendgesundheitssurvey jetzt erstmals differenzierte Daten aller Altersgruppen – von der Geburt bis zum Alter von 17 Jahren – zur Verfügung. Im Durchschnitt liegen die Quoten der vollständigen Grundimmunisierung gegen Tetanus, Diphtherie und Polio sowie der ersten Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln für Zwei- bis Siebzehnjährige über 90 %. 93,6 % aller Kinder im Alter von über 24 Monaten in Deutschland haben eine Masernimpfung erhalten. Aber offiziell wird die erste Impfung zwischen dem elften und 14. Lebensmonat, die zweite bis zum 23. Monat empfohlen.
Der Survey zeigt, dass in den Geburtsjahrgängen bis 1999 weniger als 10 %, im Geburtsjahrgang 2000 dagegen 24,9 % und im Jahrgang 2002 bereits 50,1 % bis zum Ende des zweien Lebensjahres die vollständige Masernimpfung hatten. Das belegt, dass gemeinsame und dauerhafte Anstrengungen bereits viel bewirkt haben. Es stimmt aber natürlich auch: Wollen wir eine Quote von 95 % erreichen, ist noch mehr notwendig.
Ich will nicht noch einmal auf die für Tetanus und Diphtherie erwähnten Auffrischungsimpfungen eingehen oder auch die Impfung älterer Kinder gegen Keuchhusten, auch nicht auf die besondere Situation bei Kindern mit Migrationshintergrund, bei denen oft nicht nur die Auffrischungsimpfungen, sondern schon die Grundimmunisierung fehlen. Ich will auch nicht auf die sozialen Statusunterschiede hinweisen. Vielleicht nur eines: Die Kinder und Jugendlichen aus Familien mit einem hohen Sozialstatus erhalten häufiger als ihre Alterskameraden keine Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. Ich nenne das „Wohlstandsverwahrlosung aus Hochmut“.
Vor diesem Hintergrund sind alle Anregungen zur Verbesserung des Impfschutzes in NordrheinWestfalen zu begrüßen. Wir teilen die Zielsetzung einer Durchimpfungsquote von 95 %. Es ist gut, dass das Ministerium ein Konzept für eine Landesimpfkampagne vorbereitet, das zielgruppenspezifische Maßnahmen zur Schließung von Impflücken vorsieht. Es mag ja auch sein, dass aus diesen Vorbereitungen ein Schatten vorausgefallen ist, der sich nun im Antrag der SPD-Fraktion wiederfindet. So etwas ist uns früher schon einmal zugestoßen und hat uns auch immer sehr gefreut.
Ob man deshalb gleich das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst ändern muss, erscheint mir noch zweifelhaft. Aber die angeführten Ziele im Einzelnen halte ich fachlich im Wesentlichen für sinnvoll. Das gilt auch für den Gedanken,
in Gemeinschaftseinrichtungen wie etwa Kindertagesstätten nur Kinder mit dem Nachweis aller empfohlenen Schutzimpfungen aufzunehmen, weil anders der Kollektivschutz in diesen Einrichtungen gefährdet wird.
Ich darf vielleicht noch eine letzte Bemerkung als Arzt machen: Ich finde auch die Idee einer öffentlich zugänglichen Rangliste mit den jeweiligen Durchimpfungsquoten der Kommunen sehr attraktiv, wenn die Daten auf der Basis vergleichbarer Erhebungen wie zum Beispiel der Schuleingangsuntersuchung in einer auch tatsächlich vergleichbaren Weise gesammelt und zusammengestellt werden. Wer mit dem Impfschutz schlampt, soll auffallen.
Lassen Sie uns in den Ausschussberatungen auf eine gemeinsame Haltung aller Fraktionen zur Verbesserung des Impfschutzes in NordrheinWestfalen hinarbeiten. Eine solche gemeinsame Haltung ist ein wichtiger Faktor dafür, der zwar unberechtigten, aber vorhandenen Impfmüdigkeit entgegenzuwirken. Wir bringen die Leute komplett durcheinander, wenn wir aus politischen Gründen politisch unterschiedliche Signale zum Impfschutz geben. Deswegen ist es bei diesem Thema vielleicht noch stärker als bei dem vorhin diskutierten Thema wirklich wichtig, dass wir so gemeinsam wie nur irgend möglich vorgehen, weil es hier um ganz konkrete Maßnahmen für individuelle Menschen geht. – Ich bedanke mich dafür, dass Sie mir zugehört haben.
Vielen Dank, Herr Kollege Henke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält Frau Abgeordnete Steffens das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In das Konzert des „Wir-müssen-uns-da-alle-einig-Sein“ möchte ich mit einer etwas anderen Tonlage einstimmen. Wir sind uns in dem Punkt nämlich nicht in Gänze einig. Es ist notwendig, dass wir uns mit dem Thema Impfen – gerade bezogen auf die Masernimpfung – im Ausschuss wirklich intensiver beschäftigen.
Sie, Herr Henke, haben starke Vorwürfe wie Wohlstandverwahrlosung aus Hochmut erhoben und gesagt: Wer schlampt, soll auffallen. Damit haben Sie Menschen in diesem Land stigmatisiert und in eine Ecke gedrängt, die eine andere Meinung haben. Dabei geht es nicht darum, dass Kinder Kinderkrankheiten durchleben müssten, sondern vielmehr um eine Fachmeinung von Me
dizinern und Ärzten. Ein großer Teil von Ärzten, die zusammengeschlossen sind, vertritt zum Impfen die Meinung, dass eine individuelle Entscheidung dahinter steckt, wann das geht und wann nicht.
Deswegen würde ich mich freuen, wenn wir mit diesen ärztlichen Vertretern ein Fachgespräch führen würden. Denn ich finde es falsch, diesen Teil der Bevölkerung mit einer anderen medizinischen Auffassung einfach in eine Ecke zu drängen, sondern bin der Meinung, dass wir als Ausschuss die Verantwortung haben, uns damit sehr umfassend zu beschäftigen. Bestmögliche Aufklärung ist immer der richtige Weg.
Ich fand es auch sehr gut, dass das Ministerium die Faltblätter mehrsprachig erstellt hat. Denn so besteht die Möglichkeit, dass sich Eltern damit beschäftigen – auch Eltern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind – und die Entscheidung treffen können.
Aber: Zum einen ist nicht jeder Impfstoff gleich und bietet nach wie vor nicht die gleiche Qualität, und zum anderen ist nicht jedes Kind gleich. Wir haben Kinder, die mit einer hohen Vorbelastung oder mit Krankheitsbildern auf die Welt kommen. Deren Eltern müssen entscheiden, ob sie das für diese Kinder ungleich höhere Nebenwirkungsrisiko eingehen wollen oder nicht. Das sind Fragen, die diese Eltern mit ihrem Gewissen vereinbaren müssen. Da können Sie nicht sagen: Das ist verantwortungslos; das ist Wohlstandsverwahrlosung aus Hochmut. – Hier geht es nämlich eine individuelle Entscheidung der Eltern.
Es gibt Eltern, die von ihren Ärzten überzeugt oder überredet worden sind, ihr Kind impfen zu lassen, bei denen dann Folgeschäden aufgetreten sind. Die halten sich dann selbst für verantwortungslos, weil sie den Weg der Impfung gegangen sind. Deswegen müssen wir darüber diskutieren, und zwar auch mit den Medizinern, die anderer Meinung sind.
Aber es gibt auch Mediziner, die behaupten: Selbst wenn man die erste Impfung durchführt, muss man die zweite Impfung nicht automatisch auch durchführen, sondern kann nach drei Monaten eine Antikörperbestimmung machen lassen. Diese Antikörperbestimmung kann man wiederholen, um zu prüfen, ob die Impfung gegriffen hat und erfolgreich war. Man muss nicht pauschal jedes Kind direkt mehrfach impfen.
wurden, eine Reihe an Impfausfällen gibt. Also eigentlich reicht auch das nicht. Wenn sie den richtigen Schutz durch Impfung haben wollen, dann müssen sie auch nach der zweiten Impfung eine Antikörperbestimmung machen und anschließend eine Entscheidung treffen, ob weiterer Schutz notwendig ist.
Ich finde es an dieser Stelle falsch, über Zwang zu reden. Denn wer Zwang sagt, muss auch sagen, was er unternimmt, wenn die Eltern es nicht machen. Wollen Sie hingehen und Eltern, die für ihre Kinder eine andere Entscheidung getroffen haben, zwingen, dass ihr Kind nicht in die Kindertagsstätte geht? Wollen Sie die Kinder mit Polizeigewalt zum Impfen führen? – Wer Zwang fordert, muss also auch sagen, wie er den Zwang umsetzen will. Ich finde, dass das eine sehr heikle Frage – gerade in Bezug auf die Impfung – ist.
Deswegen wünsche ich mir eine sehr sachliche Debatte und Diskussion im Ausschuss und möchte, dass wir dort auch diejenigen hören, die eine andere Auffassung haben.
Ich möchte davor warnen, dass wir die Menschen, die aus gutem Grund und für sich verantwortlich eine andere Entscheidung treffen, stigmatisieren. Wir können darüber reden, dass wir die Leute, denen alles egal ist und die sich nicht darum kümmern, mit Aufklärung erreichen müssen, sollten aber jeden respektieren, der eine selbstbestimmte Entscheidung für sich oder sein Kind trifft. Darüber können wir gerne diskutieren.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz der jüngsten Masernfälle hat NRW schon jetzt ein sehr gutes Impfniveau und eine sehr gute Impfquote. Man kann immer fordern, dass Impfquoten noch verbessert werden sollen, aber man sollte auch erst einmal den Vergleich ziehen. Nach Aussagen des Robert-Koch-Instituts vom 1. Dezember 2006 hatten wir in Nordrhein-Westfalen bei der ersten Impfung eine Impfquote von 94,4 %. Das kann sich wirklich sehen lassen.
Das liegt über dem Bundesdurchschnitt und insbesondere über dem Durchschnitt der alten Bundesländer. Man muss wissen, dass die Impfquote in den neuen Bundesländern etwas höher ist, weil in der DDR Impfpflicht bestand.
Wir können das auch gerne mit der Impfquote von anderen zivilisierten europäischen Ländern vergleichen. Ich zitiere Ihnen gerne aus dem europäischen Gesundheitsbericht: Belgien 75 %, Frankreich – ein bisschen besser – 86 %, Italien 83 %, Österreich – wo wir gerade noch mit dem Ausschuss waren – 84 %. Wir diskutieren hier also schon auf einem sehr hohen Niveau.
Die Krankheitsfälle haben das Bewusstsein eher noch einmal geschärft, denn dadurch ist über die Medien noch einmal bekannt geworden, dass Masern eine Erkrankung mit schweren Schäden ist, an denen man sterben kann. Das ist über Jahre kaum noch aufgetreten. Das bedeutet natürlich, Impfbemühungen und den Aufklärungsanstrengungen weiter zu verstärken.
Aber, Frau Meurer, wenn Sie hier sagen, dass das Impfen zur Vorsorgeuntersuchung gehören muss, dann kann ich Ihnen nur raten: Schauen Sie sich ein Vorsorgeheft an! – Bei den Pflichtuntersuchungen, den U-Untersuchungen ist definiert im Katalog aufgeführt, über welche Impfungen geredet wird. Das wird bei den Vorsorgeuntersuchungen natürlich auch gemacht. Sonst hätten wir doch gar nicht solche Impfquoten.
„Darüber hinaus wird die Landesregierung aufgefordert, alle erdenklichen Möglichkeiten für eine Bundesratsinitiative zu prüfen, die eine verbindlichere bundesgesetzliche Regelung zum Ziel hat.“
Frau Meurer, vielleicht erklären Sie mir einmal, was eine „verbindlichere bundesgesetzliche Regelung“ sein soll. Denn eben haben Sie gesagt, dass Sie die Impfpflicht eigentlich gar nicht wollen. Da müssen Sie uns schon erklären, was Sie eigentlich wollen, wenn Sie so einen Antrag stellen.
Auch trotz der guten Aufklärungsbemühungen – das Ministerium hat zusätzlich zu den Maserfällen öffentlichkeitswirksam reagiert, das Impfmobil war in den letzten Monaten sehr viel unterwegs – und des hohen Impfniveaus werden wir das Risiko von Infektionskrankheiten nie ganz ausschließen können. Wir sollten das Risiko, so gut es geht, minimieren.
Ich möchte keine Impfpflicht. Frau Steffens hat eben schon die Konsequenzen einer Impfpflicht angesprochen. Da stehe ich voll dahinter. Ich möchte auch keinen Impfzwang einführen. Menschen müssen aufgeklärt sein, müssen wissen, dass sie von Impfungen profitieren. Es ist ja interessant, dass Grippeimpfungen immer mehr zunehmen. Das Gleiche gilt für den Schutz vor Zecken. Derzeit sind keine Impfstoffe mehr da, weil aufgrund der Frühsommer-Meningoenzephalitis eher eine Impfhysterie aufgetreten ist, die in Nordrhein-Westfalen eigentlich kein Gefährdungspotential darstellt.
Ich fasse zusammen: Erklären Sie uns, was Sie wollen. Verbindlichere gesetzliche Regelungen auf Bundesebene würden mich interessieren. NRW hat ein sehr hohes Impfniveau, was ich gerne mit Aufklärung noch weiter steigern will, aber machen Sie auch keine Panik. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Romberg. – Jetzt hat für die Landesregierung Herr Minister Laumann das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der große Masernausbruch im letzten Jahr in NordrheinWestfalen hat uns allen vor Augen geführt, wie wichtig die Impfungen sind und welche gravierenden Folgen es hat, wenn Impfungen vernachlässigt werden und kein ausreichender Schutz der Bevölkerung besteht. Nur aufgrund unzureichender Durchimpfungsraten konnten sich die Masern letztes Jahr so rasant ausbreiten, nur deshalb mussten zwei kleine Kinder sterben.
Auch dieses Jahr breiten sich Masern regional aus. Bis zum 21. Mai wurden bereits 164 Erkrankungen in Nordrhein-Westfalen gemeldet. Alleine 63 dieser Fälle traten in Düsseldorf und 55 weitere in Mettmann auf. Hauptsächlich betroffen sind wieder Kinder und Jugendliche im Schulalter sowie junge Erwachsene, also Altersgruppen mit besonders häufigen Impflücken.
Bisherige Erfahrungen zeigen, dass Personen mit Zuwanderungshintergrund aktuellen Impfempfehlungen der Behörden zur raschen Masernimpfung in der Regel folgen. Als problematische Zielgruppe bei den Masernausbrüchen erwiesen sich dagegen öfter deutsche Betroffene mit besserer Schulausbildung, die Impfungen verweigern. So traten in Düsseldorf etliche der ersten Erkrankungen dieses Jahres bei Impfgegnern auf, die je
Insgesamt lässt sich sagen, dass festgestellte Impflücken in den meisten Fällen auf Nachlässigkeit oder Vergesslichkeit zurückzuführen waren. Gerade hier bieten sich nach meiner Auffassung effektive Ansätze für Gegenmaßnahmen, nicht zuletzt durch die behandelnden Ärzte.
Lassen Sie mich betonen: Es ist eine eindeutige Aufgabe der Ärzteschaft, insbesondere der Kinderärzte, für einen ausreichenden Impfschutz zu sorgen. Unmittelbares Ziel der Impfungen ist es, den Geimpften selbst vor einer ansteckenden Krankheit zu schützen. Mittelbares Ziel ist es, durch eine Erhöhung der Durchimpfungsraten eine Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern, wie wir sie gerade bei Masern immer wieder erleben.