Protocol of the Session on May 23, 2007

Das würde so lange passieren, bis das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wieder hergestellt wäre. Da die Anzahl der Langzeitarbeitslosen schon jetzt unerträglich hoch ist, kann das nicht ernsthaft irgendjemand in diesem Hause wollen.

Unsere Aufgabe ist eine andere. Unsere Aufgabe ist es, Erwerbsanreize für gering qualifizierte Arbeitslose zu schaffen. Das setzt voraus, dass bestehende Verhaltensanreize und mit ihnen die eigentlichen Gründe für die Misere im Bereich der Niedriglohnbeschäftigung beseitigt werden. Diese Debatte müssen wir führen, um den arbeitslosen und gering verdienenden Menschen im Land wirklich zu helfen. Es bringt nichts, immer neue staatliche Eingriffe und monströse Kontrollapparaturen zu fordern, nach denen jede Dönerbude regelmäßig überprüft werden müsste. Je eher Sie Ihre Genossen in Berlin davon überzeugen, desto besser wäre dies für die Menschen und für unser Land.

Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der SPD, ist gut gemeint, aber er ist nicht durchdacht. Er widerspricht den Regeln der ökonomischen Logik.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Quatsch!)

Mit unserer Zustimmung können Sie dafür nicht rechnen. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Weisbrich. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Steffens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Weisbrich, ich muss sagen, Ihr Redebeitrag hat mich zumindest in einem Punkt wirklich massiv geschockt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist doch kei- ne Überraschung!)

Geschockt hat mich, dass Sie aufzählen, wie die Stundenlöhne einer Familie mit zwei Kindern im ALG-II-Bezug aussehen, und auf einen Stundenlohn kommen. Dabei hatten wir gerade erst den Sozialbericht über Kinderarmut auf dem Tisch, den wir morgen diskutieren werden. Sie fangen hier an, irgendwelche Sachen zusammenzuzählen, obwohl die Kinderleistungen überhaupt nichts mit dem Stundenlohn der Eltern zu tun haben. Dann sagen Sie, Sie könnten das nicht verstehen, kein vernünftiger Mensch würde doch unter diesen Sätzen von ALG II arbeiten.

In welcher Welt leben Sie eigentlich?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wissen Sie, wie viele Menschen weit unterhalb von ALG II arbeiten? Wir haben 1,9 Millionen Menschen, die unterhalb des ALG-II-Satzes arbeiten und die keine aufstockenden Leistungen in Anspruch nehmen, weil sie sich aus eigener Kraft ernähren wollen. Sagen Sie, diese Menschen sind blöd? So haben Sie sich gerade geäußert. Sie haben gesagt, kein vernünftiger Mensch arbeitet dafür. Doch, es gibt Menschen, die dafür arbeiten. Es gibt Menschen, die dafür arbeiten, weil sie sich aus eigener Kraft ernähren wollen. Diese Menschen haben das Recht, geschützt zu werden,

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

damit sie nicht für 1,92 € arbeiten müssen, sondern für ihre Leistung eine angemessene Entlohnung bekommen.

Es kann doch nicht sein, dass Menschen in diesem Land Vollzeit die ganze Woche und den ganzen Monat arbeiten und am Ende mit ihrem Geld nach Hause kommen und sich davon nicht selber ernähren können. Das ist aber Realität. Wir haben nicht nur das Beispiel von der Hotelfachkraft, die in Hamburg für 1,92 € gearbeitet hat.

(Minister Karl-Josef Laumann: In NRW ist das allgemeinverbindlich!)

Ja, jetzt für das Hotelfachgewebe. Sollen wir einmal darüber reden, wie viele andere Fälle es in NRW gibt, wo die Leute für 2,50 € arbeiten?

(Minister Karl-Josef Laumann: Die gibt es nicht!)

Sie haben das nicht für alles allgemeinverbindlich erklärt. Sie haben für bestimmte Bereiche eine kleine Allgemeinverbindlichkeitserklärung geleistet.

(Minister Karl-Josef Laumann: Mehr als Sie jemals hatten!)

Es ist nett, dass das ein erster kleiner Schritt ist. Aber damit haben Sie überhaupt nicht flächendeckend die Niedriglöhne bekämpft, sondern wir haben in Nordrhein-Westfalen genug Beispiele, dass Menschen für einen Hungerlohn arbeiten müssen und sich von dem Geld, das sie mit nach Hause bringen, nicht ernähren können.

Familieneinkommen: Wir müssen nicht darüber reden, dass man als Alleinverdiener von seinem Gehalt eine Familie ernähren kann. Das ist schon lange nicht mehr die Realität. Deswegen haben wir ja überall Doppelverdiener. Das liegt daran, dass man nicht mehr mit einem Einkommen Familien ernähren kann. Aber man muss sich doch von seinem eigenen einzelnen Einkommen selber ernähren können und selbst davon leben können. Da sind Sie in der Verantwortung. Ich habe Ihnen gerade gesagt: 1,9 Millionen Menschen nehmen das nicht in Anspruch.

Wir haben doch gerade im SGB-II-Bezug mittlerweile den größten Teil der Menschen – hören Sie mir doch auch zu, Herr Weisbrich, denn ich antworte Ihnen gerade! –, die die Leistungen beziehen, um damit auch ihr Einkommen aufzustocken. Das heißt doch: Wir haben da ein flächendeckendes Kombilohnmodell, wo wir als Staat den Unternehmen den Zuschuss über SGB-II-Leistungen gewähren, weil sie kein anständiges Gehalt bezahlen.

Es kann aber nicht angehen, dass das sozusagen staatliche Aufgabe ist. Unsere Steuergelder sind doch für andere Sachen notwendig. Die Unternehmen müssen einen angemessenen Lohn zahlen. Ich rede nicht über fiktive oder utopische Löhne oder sonstiges. Gucken Sie sich doch die Tabelle an, gucken Sie sich doch an, wo wir im europäischen Vergleich stehen würden und wo man sich im europäischen Vergleich platzieren sollte! Von den 27 Mitgliedstaaten haben 20 einen gesetzlichen Mindestlohn. Wir reden doch hier nicht über Utopien oder irgendwelche spinnerten Illusionen,

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

sondern wir reden über das, was in Luxemburg, in Irland, in Frankreich, in den Niederlanden, in Großbritannien und in Belgien weit über dem diskutierten Mindestlohn schon längst Standard ist,

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

auch weit über dem, was selbst der DGB fordert.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Also hören Sie auf, hier so zu tun, als ob das alles Blödsinn wäre und nicht realisierbar wäre!

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

Mittlerweile wollen doch auch viele Unternehmen einen Mindestlohn. Warum wollen Unternehmen das? – Sie wollen das zum Beispiel im Postbereich. Was ist denn mit der Post nach dem Monopolfall? Entweder muss die Post ihre Löhne, die sie jetzt zahlt, massiv absenken, oder sie muss sich eingestehen, dass sie nicht konkurrenzfähig ist, weil die anderen Zulieferbetriebe, die wir ja mittlerweile schon haben, inzwischen Leute mit Stundenlöhnen von 4 € – das ist sogar noch gut bezahlt – beschäftigen. Wir sind in der Situation, dass entweder dann die Konkurrenzfähigkeit verloren geht, oder aber der Staat greift ein und sagt, es muss einen Mindestlohn geben. Ich finde, dass man da nicht nur den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gegenüber in der Pflicht ist, sondern auch den Unternehmen gegenüber.

Herr Laumann, zu Folgendem würde ich von Ihnen schon gerne eine Antwort haben. Herr Schmeltzer hat mir gerade die Liste mit den Allgemeinverbindlichkeitserklärungen gegeben, die in den letzten Jahren hier in Nordrhein-Westfalen erfolgt sind.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Sie sagen an der Stelle, Sie hätten ein leeres Blatt. Ich weiß nicht, ob Sie das Trennblatt in Ihrem Aktenordner mit der Liste verwechseln.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Schmeltzer wird Ihnen das sicher gerne zur Verfügung stellen. Aber so zu tun, als ob niemand etwas getan hätte und Sie der Held im Land wären, das finde ich schon überzogen. Das hat nichts mit der Lebensrealität zu tun. Setzen Sie sich in Berlin dafür ein, dass es einen Mindestlohn gibt, dann applaudieren wir Ihnen hier auch! Dann können Sie von mir aus auch irgendetwas über leere Blätter erklären, dass von NRW noch nie ein Mindestlohn auf Bundesebene durchgesetzt worden ist. Denn das würde stimmen. Aber versuchen Sie hier nicht, das, was in der Vergangenheit gelaufen ist, einfach vom Tisch zu wischen! Stehen Sie doch dazu, dass Sie jetzt eine Verbindlichkeitserklärung gemacht haben. Das ist ja ganz nett.

(Minister Karl-Josef Laumann: Zwei!)

Zwei von mir aus. Aber es reicht nicht für das, was die Menschen in diesem Land brauchen. Es wird immer noch nicht dazu führen, dass die Leute nach Hause kommen und von ihrem Gehalt leben können. Dafür müssen Sie noch viel mehr tun.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Dr. Romberg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Schmeltzer, laute, erregte, schimpfende Menschen überzeugen selten. Ganz im Gegenteil: Das zeugt häufig von mangelnder sozialer Kompetenz.

(Beifall von der FDP)

Diese Mindestlohnklassenkämpfe, die hier stattfinden, schaden den Langzeitarbeitslosen. Mindestlöhne sorgen nicht für mehr Arbeit, sondern dafür, dass Arbeitsplätze vernichtet werden. Das bedeutet verminderte Chancen für Langzeitarbeitslose.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Wenn Sie Ihre Position hier so vertreten, wird Ihnen dieses Etikett umgehängt.

Zunächst eine grundsätzliche Bemerkung: Wenn es im Bund innerhalb der Großen Koalition zum wiederholten Male klemmt und sich die SPD im machtpolitischen Ringkampf wieder einmal als unterlegen erwiesen hat, wird der Streit in die Landesparlamente gebracht. Hauptsache, das Thema bleibt im Gespräch!

Man sollte es aber nicht übertreiben. Es ist in der Regel sinnvoller, Diskussionen über bestimmte Themen dort zu führen, wo sie hingehören. Im Falle des Mindestlohns ist das nun einmal in erster Linie der Bund.

Der Bundesarbeitsminister ist inzwischen auf die CDU zugegangen und hat sein eigenes Wunschkonzept – den gesetzlichen Mindestlohn – zumindest für den Augenblick zurückgestellt. Jetzt geht es um die Festlegung der Lohnuntergrenze durch eine unabhängige Kommission.

Mit Blick auf die weiteren Verhandlungen hoffen wir, dass sich die Bundeskanzlerin und die CDU insgesamt eher von wirtschaftlichen und sozialpolitischen Sachargumenten leiten lassen als von Aktionismus und den Parolen der SPD. Deren Scheitern bei den Verhandlungen im Koalitions