Protocol of the Session on May 23, 2007

Mit Blick auf die weiteren Verhandlungen hoffen wir, dass sich die Bundeskanzlerin und die CDU insgesamt eher von wirtschaftlichen und sozialpolitischen Sachargumenten leiten lassen als von Aktionismus und den Parolen der SPD. Deren Scheitern bei den Verhandlungen im Koalitions

ausschuss zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns bestärkt uns in dieser Hoffnung.

Zum Thema Entsendegesetz: Die Mindestlohnverordnung, mit deren Hilfe der Bundesarbeitsminister dafür sorgen kann, dass bestimmte Branchen ohne Zutun des Tarifausschusses ins Entsendegesetz aufgenommen werden, ist hinsichtlich der weiteren Bedeutung der Tarifautonomie natürlich äußerst kritisch zu sehen.

Hinzu kommt, dass keineswegs alle Branchen die Aufnahme ins Entsendegesetz herbeisehnen. Als Beispiel kann man die Gastronomiebranche nennen.

Die Entscheidung von Arbeitsminister Laumann, den zwischen den Tarifpartnern ausgehandelten Tariflohn in dieser Branche für allgemein verbindlich zu erklären, ist etwas völlig anderes. Das Ergebnis ist auf eine Weise zustande gekommen, die die Tarifautonomie verlangt: Der Staat hat sich nämlich aus den Gesprächen herausgehalten.

Die DEHOGA hat diesen Schritt begrüßt. Von einem Mindestlohn nach Vorstellung der SPD ist die DEHOGA dagegen keineswegs angetan.

Das Beispiel zeigt, man kann auftretende Probleme im Bereich der Lohnpolitik auf anderen Wegen lösen als durch staatlichen Dirigismus.

(Beifall von der FDP)

Daran müssten eigentlich auch der DGB und die übrigen Gewerkschaften allergrößtes Interesse haben. Denn wenn künftig der Staat das Geschäft der Tarifpartner innerhalb der Lohnpolitik übernimmt und eher auf das Motto „handeln statt verhandeln“ setzt, dann wird die Rolle der Gewerkschaften sicher nicht gestärkt.

In dem Zusammenhang möchte ich gerne die Sicht einer christlichen Gewerkschaft zitieren:

„Mit Unverständnis verfolgt die DHV – Die Berufsgewerkschaft die Debatte um die Einführung von Mindestlöhnen und um die Ausweitung des Entsendegesetzes. Anstatt den DGBGewerkschaften auf den Leim zu gehen und eine unweigerlich zu Lasten der christlichen Gewerkschaften gehende Einschränkung der Tarifautonomie zu fordern, sollte Müntefering lieber im eigenen Haus kehren und z. B. die Ein-Euro-Jobs abschaffen, die nichts anderes als staatliches Lohndumping sind und in der Realität zu erheblichen sozialen Verwerfungen führen.“

Weiter heißt es bei der DHV:

„Wenn die DGB-Gewerkschaften mit ihrer Forderung nach Mindestlöhnen ihre Vergütungstarifverträge im Bereich des Friseurhandwerks, der Gebäudereiniger, der Fleischverarbeitung oder des Wach- und Schließgewerbes in Frage stellen, dann ist dies ein Armutszeugnis ihrer ‚machtvollen’ Tarifarbeit!“

Es bleibt darauf hinzuweisen: Der Eindruck verstärkt sich, dass die SPD aufgrund vielfältiger Sinnkrisen zwischen Baum und Borke hängt – zerrissen zwischen der Agenda 2010, der ungeliebten Reform aus der Schröder-Ära – das Wort „Hartz“ möchte man gar nicht mehr in den Mund nehmen –, und den Bemühungen, die alte Garde ihrer Anhänger nicht ganz zu verprellen, wie es ihr in großen Teilen schon gelungen ist, und bedrängt von der wachsenden Konkurrenz der Linken, die ungeniert versucht, die SPD sozialpolitisch zu unterminieren und ihr das Wasser abzugraben, und damit immer erfolgreicher wird.

Herr Dr. Romberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Garbrecht?

Nein, ich möchte gerne zum Ende kommen.

Bitte schön.

Leider – das ist sicher besonders bitter – gibt es immer lauteren Applaus von Ihrer alten Gefolgschaft, gerade innerhalb der Gewerkschaft, die immer mehr zur Linken tendiert. Dieser Zustand der SPD ist nicht beneidenswert. Das ist aber trotzdem kein Grund, ein arbeitsmarktpolitisches Instrument durchzudrücken, das einfach nur wirkungslos, wenn nicht sogar kontraproduktiv ist.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das sieht man in 20 europäischen Ländern!)

Machen Sie Ihre Hausaufgaben in der Bundespolitik! Bringen Sie beispielsweise den Mut auf, die seinerzeit halbherzig angefangene Reform des Forderns und des Förderns konsequent umzusetzen und die Betreuung gerade von Langzeitarbeitslosen zu verbessern! Wir haben die Punkte hier häufig debattiert. Bisher ist nichts passiert.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das stimmt ja gar nicht!)

Sie sind beratungsresistent. Das sind Ihre Defizite. Die sind Ihnen anzulasten. – Danke schön.

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das hat Berlin sogar im Koalitions- ausschuss im Modellversuch übernommen!)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Romberg. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Laumann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal sollten wir ein paar Gemeinsamkeiten in dieser Debatte festhalten.

Ich kenne niemanden im nordrhein-westfälischen Landtag, der will, dass es in Nordrhein-Westfalen sittenwidrige Löhne gibt. Ich kenne niemanden im nordrhein-westfälischen Landtag, der der Meinung ist, dass die Menschen für eine anständige Arbeit nicht auch anständig bezahlt werden müssen. Darunter versteht man auch, dass man davon – wenn man einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht – ein Leben führen kann, wie es in den Regionen von Nordrhein-Westfalen üblich ist.

(Günter Garbrecht [SPD]: Ich wäre froh, wenn es einen solchen Konsens gäbe!)

Den Konsens haben wir.

Jetzt sollten wir einmal zusammen darüber nachdenken, wie wir diese gemeinsamen Ziele erreichen. Ich glaube, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 60 Jahren mit der sozialen Marktwirtschaft alles in allem gut gefahren sind, dass nicht die Politik die Lohnfindung betrieben hat, sondern dass dafür Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände zuständig waren und es in der Arbeitswelt auch ein Stück Vertragsfreiheit gab.

(Beifall von der CDU)

Diese Entwicklung und dieses System der sozialen Partnerschaft hat dazu geführt, dass wir zusammen eine der glücklichsten und für die Arbeitnehmerschaft am höchsten eingestufte Zeit im Wohlstand, die es je in der Geschichte unseres Landes gegeben hat, herbeigeführt haben mit einem gleichzeitigen, riesigen wirtschaftlichen Aufschwung, von dem breiteste Bevölkerungsschichten profitiert haben.

(Günter Garbrecht [SPD]: Davon haben wir 39 Jahre regiert!)

Und dann gibt es Bereiche, in denen die Tarifautonomie leider schwach geworden ist, weil die Unternehmen zum Beispiel nicht mehr einem tarifabschließenden Arbeitgeberverband angehören. Es

gibt leider auch einige Branchen, in denen unsere Gewerkschaften nicht genügend Mitglieder haben, um Tarifverträge abzuschließen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Zum Beispiel der DAV!)

Dieses Problem hat in den letzten Jahren unzweifelhaft zugenommen, gepaart mit einer Zeit, in der wir Monat für Monat sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren haben. Das ist im Übrigen ein Umfeld, in dem es in bestimmten Branchen sehr schwer ist, ordentliche Tarifverträge abzuschließen.

Und weil wir diese Problematik in der Tarifwelt sehen, gibt es jetzt seit einer gewissen Zeit in Deutschland eine Debatte, in der wir sagen: Wie kriegen wir es da, wo die Tarifvertragsparteien nicht mehr so stark sind, hin, dass nach unserem Empfinden gerechte Löhne bezahlt werden und wir zu einer fairen Lohnfindung kommen?

Die Frage, wie wir da hinkommen, treibt jeden redlichen Menschen um. Und das nimmt jeder von uns, egal, welcher Partei er angehört, für sich in Anspruch. Diese Frage treibt auch mich um.

Dabei sind gesetzliche Mindestlöhne – und Sie haben in Ihren Antrag, Herr Schmeltzer, wohl wissend nicht hineingeschrieben, wie hoch sie sein sollen – eine denkbare Antwort. Aber man darf vielleicht doch auch ein paar Minuten darüber nachdenken, ob es jetzt die klügste Antwort ist.

Meine Politik in Nordrhein-Westfalen ist die, dass ich überall da, wo ich darauf Einfluss habe, möchte, dass Tarifvertragsparteien wieder miteinander reden und einen Tarifvertrag abschließen. Und da, wo es ein öffentliches Interesse dafür gibt – das ist längst nicht bei jedem Tarifvertrag der Fall –, ist die Landesregierung und bin auch ich persönlich bereit, ihn für allgemein verbindlich zu erklären.

Das ist kein neues Instrument; das hat es auch früher gegeben. Aber ich möchte schon in aller Bescheidenheit darauf hinwiesen, dass in der Amtszeit meines Vorgängers Harald Schartau in keiner neuen Branche ein Entgelttarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt worden ist. In keiner einzigen neuen Branche!

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Beim letzten Mal haben Sie noch behauptet, er hat gar keine für allgemeinverbindlich erklärt!)

Natürlich gab es vorher welche.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ach, auf einmal!)

Als ich ins Amt kam, gab es in NordrheinWestfalen ungefähr für 60.000 Arbeitnehmer für allgemein verbindlich erklärte Entgelttarifverträge. Und heute haben wir für 200.000 Arbeitnehmer solche Tarifverträge. Damit kann ich mich, glaube ich, ganz gut sehen lassen.

(Beifall von der CDU)

Sie fordern in Ihrem Antrag, das Entsendegesetz müsse auf weitere Branchen ausgedehnt werden. Ja, das Entsendegesetz ist eine Möglichkeit, noch einmal zusätzlich zur Allgemeinverbindlichkeit auch bei ausländischen Arbeitnehmern – vor allen Dingen wegen der offenen Grenzen zu Osteuropa, also da, wo eine Entsendeproblematik vorliegt – handeln zu können.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schartau?

Ja, sofort; ich möchte nur den Gedanken zu Ende führen. – Die Wahrheit ist, dass das Entsendegesetz Mitte der 90er-Jahre von Norbert Blüm auf den Baubereich ausgedehnt worden ist,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Begründet wor- den ist!)

dass dann in sieben Jahren Rot-Grün keine einzige Branche ins Entsendegesetz aufgenommen worden ist