Protocol of the Session on May 4, 2007

Ansonsten auch hier Fehlanzeige auf der ganzen Linie!

Nun zum vierten Punkt: 4.000 zusätzliche Lehrerstellen. Auch durch noch so viele Wiederholungen, Herr Recker, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie den Vorwurf nicht entkräften können, dass Sie an dieser Stelle einen klassischen Wortbruch fabriziert haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Im Wahlkampf hat die CDU von 4.000 zusätzlichen Stellen gesprochen, die FDP sogar von 8.000. Mittlerweile steht eines fest: Die Landesregierung bleibt weit hinter ihren Ankündigungen zurück.

(Ralf Witzel [FDP]: Falsch! Das stimmt doch nicht! – Weitere Zurufe von CDU und FDP: Das ist falsch!)

Finanzminister Linssen hat es schwarz auf weiß belegt: Im Zuge des angekündigten Abbaus von 12.000 Stellen stehen gleich 2.000 Lehrerstellen mit auf dem Streichzettel. Damit ist völlig klar, dass sich auch diese Operation als ein riesiges Täuschungsmanöver entpuppt.

(Beifall von der SPD)

Unter Punkt 2 des Antrages werden wir Abgeordneten aufgefordert, die von der Landesregierung bereits ergriffenen Maßnahmen im Bildungsbereich zu begrüßen. Dass Sie, verehrte Kollegen von den Regierungsfraktionen, das tun werden, gehört zu Ihrer Rolle – das können wir auch nachvollziehen –, aber Sie werden nicht ernsthaft annehmen, dass wir der Landesregierung auf diesem bildungspolitischen Irrweg folgen, der rein ideologisch begründet ist. Wir werden Ihnen dafür auf keinen Fall die Hand reichen.

(Beifall von der SPD – Ralf Witzel [FDP]: Schade!)

Das können Sie nicht erwarten.

Im Übrigen stellt sich für mich die generelle Frage, ob Sie selbst ernsthaft annehmen, dass Sie mit Ihrem Antrag, über den wir reden, irgendeinen fachlichen Beitrag dazu leisten, mehr jungen Menschen in unserem Land zu einem qualifizierten Schulabschluss zu verhelfen. Das können Sie nicht wirklich und ernsthaft annehmen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

So stellt sich für mich letztlich die Frage, was Sie mit diesem substanzlosen Antrag eigentlich erreichen oder bewirken wollen. Für mich ist dieser Antrag ein Beitrag für die Abteilung Propaganda und nicht mehr.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Mit diesem Antrag kommen wir unserem gemeinsam erklärten Ziel, die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit Schulabschlüssen zu steigern, keinen Schritt näher. Es ist wohl eher ein weiterer hilfloser Versuch, von der verfehlten Bildungspolitik der derzeitigen Landesregierung abzulenken. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Stotz. – Jetzt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Beer das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich heißt es ja so schön „Alles Neue macht der Mai“. Aber stattdessen erleben wir hier den x-ten Aufguss der schwarz-gelben Bildungs-Selbstbeweihräucherungsarie. Allerdings ist es nicht der Gesang der Königin der Nacht, betörend schön, den wir erleben dürfen, sondern die Koalition der Umnachtung im Versuch der Selbsthypnose.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Scheinbar haben sie es bitter nötig, sich selbst zu feiern; denn die Menschen in den Schulen tun das aus gutem Grund nicht. Sie sind lediglich die Koalition der schönen Überschriften, aber das Kleingedruckte darunter stimmt mit den Botschaften nicht überein.

(Zuruf von Minister Dr. Helmut Linssen)

Herr Linssen, genau Sie wissen das. Wenn das nicht mit dem Kleingedruckten darunter übereinstimmt und wenn die Menschen einmal richtig hinschauen, dann machen sie die Augen auf und sind bestürzt; denn dann sehen sie die Wirklichkeit und das, was sich dahinter verbirgt.

Das Einzige, das Sie in Ihrer bisherigen Regierungszeit gelernt haben – das gestehe ich Ihnen allerdings zu –, ist die Methode, sich Begriffe anzuheften und so zu tun, als sei das Ihre Erfindung. Aber Sie haben weder das Copyright noch gar die richtige Umsetzungsstrategie, sondern Sie pervertieren sogar unter dem richtigen Stichwort die eigentlich notwendigen Schritte und Inhalte.

(Beifall von den GRÜNEN)

So zum Beispiel bei der individuellen Förderung. Wer individuell fördern will, der darf Kinder nicht in Schulformschubladen sortieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihre Aschenputtelstrategie – die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen – hat nichts, aber auch gar nichts mit individueller Förderung zu tun. Ich möchte an dieser Stelle Aschenputtel aber nicht zu nahe treten; sie hat das schließlich nur mit Erbsen gemacht und nicht mit Kindern.

Es ist geradezu abenteuerlich, wie Sie sich der notwendigen Erkenntnis, dass innere und äußere Schulentwicklung zusammengehören, verweigern. Sie werden mit Ihrer Sortiermanie auch nicht zum schönen Bildungskönigskind wie im Märchen, sondern Sie bleiben leider das Bildungsrumpelstilzchen, das sich dann schwarz ärgert, wenn der richtige Name fällt für das, was Sie da treiben, nämlich Selektion im Bildungssystem.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zurufe von der CDU)

Wenn Sie die Begriffe „Leistung“ und „Wettbewerb“ schwingen, dann wird mir angst und bange für die Schulen, weil Sie immer noch nicht gelernt haben, dass Leistungs- und Chancengleichheit zusammengehören und Leistungs- und Chancengleichheit nur im Verbund gemeinsam und nachhaltig entwickelt werden können, und weil Sie glauben, durch einen radikalen Wettbewerb soziale Disparitäten im Schulsystem aufheben zu können.

Ich empfehle Ihnen gerne, einmal den aktuellen „Focus“ zu lesen, der über das acht Jahre lang bestehende Gymnasium in Bayern berichtet. Der Titel ist sehr einprägsam, Frau Sommer: Pauken, schlafen, pauken. Unter dem Druck und dem Lernpensum leiden viele Schülerinnen und Schüler. Eltern und Lehrer gehen gemeinsam auf die Barrikaden. Wir sind ja dank Ihrer Unglücksentscheidung, das Gymnasium von den anderen Bildungsgängen abzuschotten und allein in der Sekundarstufe I ohne entwickeltes Ganztagsangebot zu verkürzen, auf dem besten Wege, diese Belastungsszenarien auch für die Kinder in NordrheinWestfalen Wirklichkeit werden zu lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben die Schulen in einen Ganztagsbetrieb auf kaltem Weg gebracht – ohne notwendige Bewegungs- und Entspannungszeiten, ohne geregeltes Schulessen, aber dafür mit mehr Leistungsdruck auch im Bereich der Hausaufgaben; denn das Pensum vom nächsten Schuljahr muss ja schon mitbearbeitet werden. Das ist die Botschaft, die die Kinder im Augenblick mit nach Hause bekommen.

Kinder- und Jugendtherapeuten – das sollten Sie sehr ernst nehmen – berichten uns schon jetzt

davon, dass die Anzahl der Schlafstörungen und die Schulangst zunehmen. Dieser Befund gilt nicht nur für Kinder am Beginn der Sekundarstufe: Der Selektionsdruck wirkt hinein in die Grundschule. Trimmen auf den Test, auf die Übergangsempfehlung – diese fatale Denke produzieren und verstärken Sie mit Ihrer Bildungspolitik.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Am 26. April berichtet das „Westfalenblatt“: „Schulklassen verzichten auf Museumsbesuche.“ Ich zitiere:

„Seit dem Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes im August des letzten Jahres besuchen immer weniger Schulklassen die 172 Museen in Ostwestfalen-Lippe.“

Zum Teil gibt es einen Rückgang von Schulklassenbesuchen von 50 %. Das produzieren Sie mir Ihrer Schulpolitik und wollen uns dann hier erzählen, wie wichtig Ihnen die kulturelle Bildung und ein ganzheitlicher Bildungsbegriff sind.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Da sind wir auch gleich beim Stichwort Unterrichtsausfall, Herr Solf, und Unterrichtsausfallstatistik. Was Sie uns hier vorgelegt haben, hat nichts mit Qualität von Schule und Unterricht zu tun, sondern ist eine Schüleranwesenheitsstatistik. Schauen Sie einmal in die Zuschriften der Personalräte, die sehr genau sagen, wie das im Augenblick an den Schulen gehandhabt wird, weil sie Angst haben, in der Statistik mit Unterrichtsausfall aufzutauchen. So funktioniert das. Das ist eine Verschwirbelung, eine Geschichtsklitterung, die Sie hier betreiben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch die Durchlässigkeit gehört zu den Themen, bei denen Realitätsverweigerung besteht. Das Schulgesetz schottet das Gymnasium ab. Es vermindert damit die Durchlässigkeit. Schulpraktiker/innen sagen zu Recht, dass sie eine weitere Homogenisierung nach unten befürchten und ablehnen.

Sie verstärken damit noch einmal die herkunftsbedingten Disparitäten. So nennt sie Jürgen Baumert im Schulsystem. Ich sage es einmal eingängiger für Sie: Aschenputtelstrategie – die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!

Die Segregation, die Sie betreiben und optimieren, hält Jugendliche in einem Umfeld und in Lerngruppen fest, die wenig bildungsanimierend sind. Das ist Ihre tagtägliche politische Verantwortung, der Sie sich zu stellen haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie beschneiden damit das Recht auf umfassende, anspruchsvolle Bildung für genau diese Schülerinnen und Schüler. Da ist Ihnen die Hamburger CDU um Meilen voraus. Reden Sie eigentlich mal über die Landesgrenzen miteinander? Es ist schon recht interessant, dass Sie sich offensichtlich auch aus diesem Dialog ausklinken.

Aber bei uns werden ja auch andere Aktivitäten entwickelt. Bei uns reist der Staatssekretär durch die Lande, der gar keine Richtlinienkompetenz hat, wie wir gestern gehört haben, und stemmt sich massiv gegen die Planungen von Kommunen zu Verbundschulen, die ihre Hauptschule schon einmal in einem ersten Schritt aus der Isolation holen wollen, um damit die Schulstandorte zu sichern. Was der Staatssekretär vor Ort treibt, ist unverantwortlich. Dem muss endlich Einhalt geboten werden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Aber die Kommunen werden sich freischwimmen, so, wie sich Horstmar und Schöppingen mit der Gründung ihrer Gemeinschaftsschule freigeschwommen haben und sich auch nicht weiter von der Landesregierung gängeln lassen wollen. Die Kommunen haben wie die Schulen selbst längst begriffen, was Eigenständigkeit von Schule wirklich bedeutet. Die Schulen wollen Eigenverantwortung und pädagogische Souveränität, die ihnen allerdings nicht gewährt wird. Bei Ihnen verkommt Eigenständigkeit von Schule zu einem Verwaltungsszenario.

Was die Abschlussquoten angeht, hat NordrheinWestfalen in der Tat unter den Bundesländern immer eine besonders gute Bilanz erzielt. Das war in der Vergangenheit für CDU und FDP immer nur ein Anlass, an der Qualität der Abschlüsse zu zweifeln.