Was die Abschlussquoten angeht, hat NordrheinWestfalen in der Tat unter den Bundesländern immer eine besonders gute Bilanz erzielt. Das war in der Vergangenheit für CDU und FDP immer nur ein Anlass, an der Qualität der Abschlüsse zu zweifeln.
Das grüne Ziel „Keine Schülerin, kein Schüler ohne Schulabschluss“ muss unser aller Ziel sein. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Aber Ihre Weichenstellungen gehen nicht dahin, alle Potenziale zu entwickeln, wenn Sie Ihre Blockade nicht aufgeben, endlich mit der Selektion aufhören und damit die unterschiedlichen sozialbedingten Lernmilieus weiter in den Schulformreservaten erhalten.
Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Sommer das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde mit meinen Ausführungen gerne wieder auf den Antrag zurückkommen und hier nicht einen Rundumschlag über die Bildungspolitik vollziehen.
8,1 % der Jungen und 5,2 % der Mädchen verließen 2006 die Schule ohne einen Abschluss. Im vergangenen Jahr waren das in absoluten Zahlen 14.383 Jugendliche ohne Hauptschulabschluss, die sich in die Arbeitswelt integrieren mussten.
Um zielgerichtet helfen zu können, muss man aber auch wissen, woher diese Jugendlichen kommen. Ohne Hauptschulabschluss bedeutet nicht, dass all diese Jugendlichen eine Hauptschule besucht haben. Die Hauptschule haben im vergangenen Jahr 5.171 Jugendliche ohne Abschluss verlassen. Die Realschule verließen 478 Jugendliche, das Gymnasium 234 Jugendliche und die Gesamtschule 1.017 Jugendliche ohne Abschluss. Leider – das ist das Schlusslicht unserer Bilanz – waren es auch 7.431 Jugendliche an Förderschulen.
Wir alle wissen, dass diesen Jugendlichen oftmals der Weg in eine qualifizierte Ausbildung versperrt ist. Wir können und dürfen das im Interesse der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen nicht zulassen. Daher bin ich Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU- und der FDP-Fraktion, dankbar für diesen Antrag, unterstützt er doch maßgeblich die Ziele, die in meinen Augen die Bildungspolitik in unserem Lande ausmachen. Damit meine ich nicht nur Nordrhein-Westfalen, denn auch die Bundesregierung verfolgt diese Ziele.
Lassen Sie mich dazu einige Schlagworte nennen. Wir schaffen mehr Möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler, dass sie die Schule überhaupt mit einem Abschluss verlassen. Wir schaffen mehr Möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler, die die Schule mit hochqualifizierten Abschlüssen verlassen. Wir schaffen mehr Chancengerechtigkeit. Wir schaffen eine Entkopplung von sozialer Herkunft und Schulerfolg.
Wir sind bereits auf dem Weg, diese Forderungen auch umzusetzen. Wir haben uns mit dem neuen Schulgesetz genau diesen Zielen zugewandt, und ich bin mir sicher, dass uns die Zahlen schon sehr
bald recht geben werden. Wir sind überzeugt, dass die Forderungen, die ich genannt habe, im Wesentlichen durch vier Leitlinien – Frau Stotz hat diese schon angeführt – erreicht werden können:
Eine Voraussetzung für eine bessere Förderung unserer Kinder ist, dass genügend Lehrkräfte da sind. Bis zum kommenden Schuljahr werden wir 3.000 der insgesamt 4.000 neuen Lehrerstellen gegen Unterrichtsausfall und für individuelle Förderung geschaffen haben. Dazu haben Sie eben den Finanzminister noch gehört. Wir werden das nachweisen können.
Lassen Sie mich auf die individuelle Förderung eingehen. Unser Ziel ist es keineswegs, alle Kinder gleichzumachen. Kinder haben unterschiedliche Talente. Sie können nicht in allen Wissensgebieten gleich stark sein. Einige brauchen mehr, andere weniger Förderung, einige in Mathematik, andere in Deutsch. Die Schule muss aber jedes Kind entsprechend seinen individuellen Begabungen zum Erfolg führen. Die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler ist daher eine wesentliche Leitidee des neuen Schulgesetzes.
Wir beginnen damit bereits vor der Schule. Ich verweise auf die Debatte von gestern. Individuelle und begabungsgerechte Förderung bezieht sich auf alle Schülerinnen und Schüler. Drohendem Leistungsversagen muss frühzeitig entgegengewirkt werden. Besondere Begabungen müssen ebenfalls früh erkannt und gefördert werden.
Bei all diesen Anstrengungen dürfen wir auch diejenigen nicht aus den Augen verlieren, die nicht gleich durch besondere Talente oder auf der anderen Seite durch schlechte Noten auffallen. Nur so stellen wir sicher, dass mehr Schülerinnen und Schüler überhaupt einen oder gar einen hochqualifizierten Schulabschluss erhalten.
Unsere Schulen in Nordrhein-Westfalen erhalten zur Umsetzung individueller Förderung Orientierung und Hilfestellung. Das Schulministerium hat ein Rahmenkonzept entwickelt, durch dass das Gütesiegel „Individuelle Förderung“ umgesetzt wird. Kern dieses Gütesiegels sind vielfältige Beispiele gelingender Förderung.
Mit dem Gütesiegel dokumentieren Schulen ihre Bemühungen um die begabungsgerechte Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler. Einerseits wird mit dem Gütesiegel die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer wertgeschätzt, andererseits erhalten andere Schulen Anregung und Orientierung, selbst Konzepte zur individuellen Förderung zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, eine der Leitlinien unseres neuen Schulgesetzes ist, das Schulsystem durchlässiger und damit sozial gerechter zu machen. Der Aufstieg in eine andere Schulform wird auch schon vor der Klasse zehn stark gefördert. Zugleich haben wir den Ganztagsbereich massiv erweitert. Zum 1. August dieses Jahres bieten 2.881 Grund- und Förderschulen 164.500 Kindern einen Platz im offenen Ganztag. Bereits im vergangenen Jahr haben wir 100 Hauptschulen in Ganztagsschulen umgewandelt, 34 – das ist schon gesagt worden – werden im neuen Schuljahr folgen. Durch diese Umwandlung wurde ein großer Schritt getan. Ganztagsschulen haben deutlich mehr Möglichkeiten zur individuellen Förderung und zur sozialen Betreuung der Schülerinnen und Schüler.
Gerade für Kinder und Jugendliche, die die Hauptschule besuchen, ist der Erwerb der Grundkompetenzen zur Vorbereitung auf die Ausbildung und den Beruf elementar wichtig. Die Hauptschuloffensive stärkt nicht nur das Ansehen der Hauptschule. Vor allem die Qualität schulischer Arbeit und der in dieser Schulform vorgegebenen Abschlüsse wird damit gewährleistet und erhöht. Oberstes Ziel ist die Steigerung der Ausbildungsreife der jungen Menschen. An dieser Stelle möchte ich auf die besonderen Leistungen des Berufskollegs hinweisen.
Wir wollen Leistung und Wettbewerb. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aus der letzten Ausgabe der „Welt am Sonntag“ zitieren. Dort heißt es:
„Denn nie war Nordrhein-Westfalens Nachwuchs in ähnlichem Ausmaß gefordert wie im Frühjahr 2007. Leistungsvergleiche galten in den Schuldebatten … lange als unerwünscht. Erst mit Beginn des Schuljahres 2006/2007 trat das neue Schulgesetz in Kraft.... Einstige Zentralsteuerung durch die Bürokratie entfällt, stattdessen müssen die Schulen die Leistungsfähigkeit ihrer Konzepte selbst beweisen.“
Eine bessere Förderung braucht auch einen schulischen Rahmen. Deshalb haben wir die Eigenverantwortung der Schulen gestärkt. Die Schulen sollen ihr eigenes pädagogisches Profil entwickeln. Sie sollen den Unterricht sowie das Schulleben weitgehend eigenverantwortlich gestalten, immer vor dem Hintergrund, ihre Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu fördern.
Meine Damen und Herren, das ist uns wichtig. Jedes Kind ist anders. Kein Kind geht verloren. Damit spanne ich den Bogen zu meinen Vorrednerinnen. Sehr geehrte Frau Beer, Sie haben gefragt: Reden Sie nicht mit Hamburg? – Natürlich reden wir auch mit Hamburg – das ist doch klar –, aber Sie müssen ermessen, Hamburgs Schulen und das Schülervolumen entspricht beispielsweise in etwa dem eines Schulamtes in Köln.
Sie sagen weiter, wir klebten uns eigentlich nur die Etiketten an, die Sie schon vorbereitet hätten. Einiges davon ist sicherlich im Ansatz von Ihnen schon angedacht worden. Das will ich gar nicht bestreiten, im Gegenteil. Das ist richtig so. Aber offensichtlich haben diese Etiketten nicht geklebt, denn die Wähler haben anders bestimmt. Und jetzt machen wir es besser. – Danke schön.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Sommer, ich glaube Ihnen, dass Ihnen die Steigerung der Abgängerzahl mit Schulabschluss ein ernsthaftes Anliegen ist. Dennoch muss man sich die Frage stellen, ob dieser Antrag nun wirklich das geeignete Mittel ist, dieses Thema zu begleiten.
Die logische Struktur einzelner Formulierungen kommen mir so vor, als hätte Kollege Stahl gemerkt, dass ein Praktikant in der CDU-Landtagsfraktion gerade Langeweile hat, und er diesem den Auftrag erteilt, mal die letzten fünf, sechs, sieben, acht, neun Pressemitteilungen des Minis
teriums zu nehmen und daraus einen ZweiSeiten-Antrag zu machen. Das ist die Qualität dieses Antrages, mehr nicht.
Die Überschrift ist ja noch ernsthaft gemeint. Es geht um fehlende Schulabschlüsse. Dann beginnt schon die Zahlenspielerei, wo mit einer schlecht gemeinten und schlecht interpretierten Statistik der Nachweis geführt wird, dass unter Rot-Grün die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss gestiegen ist.
Meine Damen und Herren, dabei wird zweierlei verschwiegen. Erstens wird verschwiegen, dass unter Rot-Grün Nordrhein-Westfalen spitze bei den Schulabgängerzahlen und bei den Schulabschlüssen im Bundesländervergleich war. Als Zweites wird verschwiegen, dass in den Jahren 2000 bis 2005 Kollege Witzel genau diese erfolgreichen Zahlen immer als niveaulose Anspruchsgeschichte in Nordrhein-Westfalen diffamiert hat.
Das war die Politik von Herrn Witzel. Gestern in der Debatte haben Sie, Herr Witzel, noch eins draufgelegt. Nicht wörtlich zitiert, aber sinngemäß haben Sie gestern in diesem Haus behauptet: Wer damals Deutsch konnte, bekam das Abitur.
Kollege Witzel, in diesem einen Satz manifestiert sich die gesamte bildungspolitische Kompetenz, die Sie besitzen.