Ich lüge gar nicht. Sie haben doch entsprechende Verfassungsgerichtsurteile kassiert, meine Damen und Herren. Haben Sie das vergessen? Blenden Sie die Realitäten aus? Ich finde, dieses Verhalten ist skandalös. Sie sollten sich schämen für das, was Sie hier machen, meine Damen und Herren.
Herr Sagel, Sie wollen dann immer auch alles miteinander vermengen. Wenn Sie – und auch Sie, Frau Walsken – dann in einem Nebensatz behaupten, es würden hier Mauern des Schweigens aufgebaut, dann sagen Sie doch bitte den Zuhörerinnen und Zuhörern, was Sie eigentlich meinen. Sagen Sie doch, dass Sie kritisieren wollten, dass sich Minister Linssen in der Haushalts- und Finanzausschusssitzung an das Aktienrecht gehalten hat, anstatt in öffentlicher Sitzung zur
WestLB etwas zu sagen. Sagen Sie doch, dass Sie nur eine Show inszenieren wollten, während er sich rechtstreu verhalten hat. Und dafür danke ich dem Minister ganz herzlich.
Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass wir hier eine Glücksritterpolitik machen. Wir haben den Haushalt systematisch vom Kopf auf die Füße gestellt. Man kann die Früchte dieser Arbeit hier sehen. Wenn wir das weiter gemacht hätten, was Sie wollten und was auch Sie, Frau Walsken, noch in der letzten Haushaltdebatte alles beantragt haben, dann wäre jedenfalls das, was an Steuermehreinnahmen gekommen ist, eben nicht in die Entschuldung gegangen, sondern wir hätten es, meine Damen und Herren, verfrühstückt. Und das haben wir nicht mitgetragen, und das wollen wir nicht mittragen.
Insofern bin ich froh, dass wir den Regierungswechsel hatten, dass wir dieses Parlament, das hier eine vernünftige Politik macht, nutzen, und dass der Haushalt bei Ablauf der laufenden Legislaturperiode ganz anders aussieht. Wer diesen Haushalt dann in der nächsten Legislaturperiode zu verantworten hat, hat es leichter als wir. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir wieder den Auftrag bekommen und Sie weiterhin Opposition sind.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich die Auftritte des Regierungsvertreters Linssen und der Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen zusammenfasse, kann ich sagen: Ihre Auftritte schwanken zwischen rührend, unverfroren und schäbig.
Rührend in dem Bemühen, der schallenden Ohrfeige, die das Verfassungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen Ihnen und Ihrer Regierung auf den Weg gegeben hat, auch noch etwas Positives abzugewinnen. Unverfroren in dem Versuch, das Urteil des Verfassungsgerichts umzuschreiben und damit zu dokumentieren, dass Ihnen jedweder Respekt vor dem Verfassungsgerichtshof dieses Landes abgeht.
Last but not least schäbig in dem Versuch, Geschichtsklitterung zu betreiben, insbesondere in den Versuchen, die die Kollegen Möbius und Dr. Orth gerade präsentiert haben.
Nach dem Verfassungsgerichtshofsurteil stehen – da sollten wir der Ehrlichkeit in diesem Hause Genüge tun und das festhalten – einige Punkte vollkommen klar auf der Tagesordnung:
Erstens. Ihr damaliger Versuch, Herr Finanzminister Linssen, einen neuen verfassungsrechtlichen Ausnahmetatbestand zu erfinden, ist grandios gescheitert. So einfach ist das.
Zweitens. Herr Finanzminister und liebe Kolleginnen und Kollegen von den regierungstragenden Fraktionen, Ihr Versuch – ich kann mich an die vielen Bemühungen damals erinnern –, Rot-Grün eine Schlussbilanz anzuheften, indem Sie überhöhte Schulden in den Haushalt hineinpfuschen, um sich danach als große Sanierer aufzuspielen, ist ebenso grandios gescheitert.
Drittens. Es ist vollkommen richtig – das muss man in diesem Haus, um der Wahrheit Genüge zu tun, auch sagen –, dass es in der Vergangenheit, insbesondere in den 2000er-Jahren, Monita des Verfassungsgerichtshofs an den Haushalten des Landes Nordrhein-Westfalen gegeben hat. Aber – das muss man offen und ehrlich hinzufügen – Ihr Nachtragshaushalt 2005 ist der erste, der rundheraus und von Anfang bis Ende für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt wurde, der erste, den es in dieser Form gegeben hat.
Ich will für alle Damen und Herren und alle Kolleginnen und Kollegen, die Sie sich anhand des Verfassungsgerichtshofsurteils des Jahres 2003 noch einmal vergegenwärtigen sollten, die Systematik dieses Haushalts deutlich machen: Das Ganze ist der Haushalt. Dieser Haushalt besteht aus einer Menge Einzelpläne. Nach den Einzelplänen kommen die Kapitel und dann irgendwann ganz viele der kleinen Titel.
Der Verfassungsgerichtshof hat zum Beispiel 2003 gesagt, einzelne dieser Titel würden nicht der Verfassung entsprechen, aber nicht mehr. Er hat vor allem nicht die Nichtigkeit eines gesamten Nachtragshaushalts festgestellt wie in Ihrem Fall.
Deswegen sollte man als Fazit viertens festhalten: Sie, Herr Finanzminister Linssen, haben die höchste Jahresneuverschuldung in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen produziert. Sie waren das und niemand anders.
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Traurig ist das für Nord- rhein-Westfalen! – Zuruf von der SPD: Zah- len lügen nicht!)
Deswegen können wir feststellen, Herr Finanzminister und liebe aufgeregte Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Der ehrliche Kaufmann war gestern, der Hütchenspieler und Verfassungsbrecher ist heute. Das ist das, was wir aus dem Verfassungsgerichtsurteil lernen. – Vielen Dank.
Um es noch einmal klar zu sagen, meine Damen und Herren: Bei Aktuellen Stunden gibt es nicht die Möglichkeit der Zwischenfrage. Zweimal ist das erbeten worden, beide Male musste ich es ablehnen. – Bitte schön, Herr Weisbrich.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Herr Sagel heute doppelt aufgetreten ist, lassen Sie mich das ernste Thema mit einem kleinen Scherz beginnen. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, Herr Sagel, bei Google „Rüdiger Sagel“ und „Sachverstand“ einzugeben: keine Übereinstimmung.
(Heiterkeit und Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist kein Scherz, das ist geschmacklos, was Sie ma- chen! – Zuruf von Rüdiger Sagel [GRÜNE])
Herr Kollege Börschel, bei Ihrer Rhetorik ist mir aufgefallen, dass Sie ganz sicher bei Herrn Heugel in Köln gelernt haben.
Jetzt zum ernsteren Teil: Das Urteil des Verfassungsgerichts lässt an Klarheit in der Tat nichts zu wünschen übrig.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das war kein Scherz, das war eine Unverschämtheit, die Sie wie immer hier abgeliefert haben!)
Dieses Urteil legt schonungslos die Ursachen der Finanzmisere des Landes offen. Sie können sagen, was Sie wollen: Dieses Urteil ist eine klatschende Ohrfeige für die Finanzpolitik der SPD in 39 Regierungsjahren.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie sind immer noch im humoristischen Teil! – Zuruf von Rüdiger Sagel [GRÜNE])
Entschuldung als zukunftsdienliche Investition zu verstehen. Das hat der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich hineingeschrieben. Deswegen sind zwei von drei Ihrer Klagepunkte glatt zurückgewiesen worden.
Bei dem einen Punkt, verehrte Frau Kraft, bei dem Ihnen das Gericht formal zustimmt, hätte der sagenumwobene König Pyrrhus von Epirus mit Sicherheit ausgerufen: Noch so ein Sieg, und wir sind verloren! Das, was Sie in einem von drei Punkten erstritten haben, Frau Kraft, ist ein klassischer Pyrrhussieg, denn im Klartext hat das Gericht festgestellt – ich erlaube mir, das ein bisschen mit der Axt behauen zu formulieren –: Die neue Parlamentsmehrheit muss eine Einschränkung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten selbst dann hinnehmen, wenn der von ihr vorgefundene finanzielle Saustall auf Mindereinnahmen beruht, die Folge völlig überhöhter Einnahmeansätze der Vorgängerregierung waren.
Damit tragen die Sozialdemokraten endlich höchstrichterlich bestätigt den Stempel „skrupellose Finanztrickser“ oder, wenn Ihnen das besser gefällt, „unfähige Haushälter“ mitten auf der Stirn.