Protocol of the Session on May 3, 2007

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/4246

Hierzu liegt Entschließungsantrag Drucksache 14/4289 der SPD-Fraktion vor.

Ich eröffne die Debatte und gebe das Wort an Frau Düker von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Kommunaldebatte verlassen viele den Raum.

(Unruhe)

Ich bitte um Ruhe. Frau Präsidentin, geht das?

(Glocke)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um ein ziemlich wichtiges Anliegen. In dem Antrag geht es um die Würde des Menschen, die nach unserem Grundgesetz unantastbar ist. Um nichts weniger als um Art. 1 des Grundgesetzes geht es nämlich, wenn wir über Onlinedurchsuchung und Lauschangriff in unserem Land reden. Es geht um den Kernbereich der Privatheit, in dem der Staat nichts zu suchen hat. Für nichts weniger als einen Skandal halte ich es, wenn ein liberaler Innenminister die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema auf so eklatante Weise ignoriert.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn Innenminister Wolf seinen Bundeskollegen Schäuble vor dem Überwachungsstaat warnt, dann ist das aus meiner Sicht blanker Hohn. Wenn Herr Westerwelle auf dem Parteitag der FDP eine Philippika gegen Schäuble loslässt, dann ist das Heuchelei. Den Bürgerrechten und dem Grundgesetz ist es egal, ob das BKA von Herrn Schäuble oder der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz von Herrn Innenminister Wolf die Privatheit der Bürger verletzen. Herrn Schäuble beschimpfen und den eigenen Innenminister Wolf machen lassen und ihn auch noch kultig finden, wie Herr Westerwelle es sagt! Wenn es in unserem Land Kult wird, in Bürgerrechte einzugreifen, dann kann man der FDP den Anspruch, eine Bürgerrechtspartei zu sein, nur absprechen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was tun die handelnden Personen dieser FDP? – In Niedersachsen haben sie, nachdem sie dort Regierungsverantwortung übernommen haben, ein Polizeigesetz mit präventiver Telefonüberwachung gemacht, das vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde. In NRW macht der liberale Innenminister kurz nach der Regierungsübernahme dieses Gesetz zur Onlineüberwachung, in dem er eklatante Schutzrechte von Bürgern missachtet.

Es ist schon schlimm genug, dass Innenminister Wolf den verfassungsrechtlichen Wertekanon missachtet. Auf Bundesebene, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird mal eben ohne gesetzliche Grundlage Onlinedurchsuchung durch den Bundesnachrichtendienst und den Verfassungsschutz des Bundes auf Dienstanweisung des – man höre und staune – ehemaligen Bundesinnenministers Otto Schily durchgeführt. Ich freue mich, dass sich die SPD der Bürgerrechtsargumente annimmt, aber es war leider Ihr Innenminister, der dies ohne gesetzliche Grundlage getan hat. Es gehört zur Wahrheit, dies zu sagen. Ihr Innenminister, Kollegen von der CDU, Herr Schäuble, hat lange genug gebraucht, um dieses eindeutig rechtswidrige und verfassungswidrige Verhalten von BND und Bundesamt für Verfassungsschutz zu stoppen.

Meine Damen und Herren, wenn diese WildwestManier weitergeht, wenn mit dem Rechtsstaat weiter so umgegangen wird, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in einen funktionierenden demokratischen Rechtsstaat schwindet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Jede Woche wird eine neue sicherheitspolitische Sau durchs Land getrieben, zuletzt zentrale Speicherung und Onlinezugriff auf Passfotos und Fingerabdrücke. Ich frage mich, warum wir nicht eine erkennungsdienstliche Behandlung von jedem Neugeborenen machen und das zentral speichern. Dann hätten wir den ganzen bürokratischen Aufwand nicht mehr. Das ist ja fast die logische Konsequenz, wenn man hört, was zurzeit diskutiert wird.

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Schaar, warnt zu Recht und sorgt sich um das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit.

Die Liste der Urteile des Bundesverfassungsgerichts ist lang, um die Umsetzung von Sicherheitsgesetzen zu stoppen. Vielleicht wird das nächste Urteil zur Vorratsdatenspeicherung ergehen, vielleicht aber auch zur Onlineüberwachung durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Ihr Parteikollege Baum klagt ja gerade in Karlsruhe gegen Ihr Gesetz, Herr Innenminister.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache mir ernste Sorgen. Ich mache mir nicht nur Sorgen wegen eines Überwachungsstaats, der sich abzeichnet, sondern auch wegen des Umbaus des Rechtsstaats in einen Präventionsstaat und darum, dass der verfassungsrechtliche Wertekanon aus dem Bewusstsein der Innen- und Rechtspolitik schwindet und weiter relativiert wird.

Immerhin ist dieses Bewusstsein bei der Parteibasis der FDP angekommen. Peinlich genug, aber wir wollen der FDP heute die Chance geben, das Anliegen ihres Parteitages umzusetzen. Ich zitiere:

„In der aktuellen Fassung des Verfassungsschutzgesetzes gibt es zwei Kernpunkte, die im Lichte einer liberalen Innen- und Rechtspolitik einer Änderung bedürfen:

1. Die Fortschreibung der Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden zum Mithören und Aufzeichnen des in der Wohnung nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln („Großer Lauschangriff“).

2. Die Befugnis der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörden, Computer in Privathaushalten auszuspähen.“

So lautet der Text des FDP-Landesverbandes.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, diesen Text haben wir in unserem Antrag übernommen. Wir übernehmen Ihren Parteitagsbeschluss. Sie haben die Chance, hier zu handeln. Tun Sie es, oder ziehen Sie Ihren Innenminister aus dem Verkehr. Das wäre dann konsequent. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Düker. – Für die CDU spricht der Kollege Biesenbach.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Düker! Wenn Sie ans Rednerpult gehen, bemühe ich mich immer, wirklich zuzuhören, weil es manchmal Möglichkeiten gibt, sich zu verständigen. Aber heute ist die Entscheidung relativ eindeutig: Sie liegen völlig daneben. Was Sie hier heute machen, hat mit dem von Ihnen proklamierten Anspruch, sich um die Würde des Menschen kümmern zu wollen, weiß Gott nichts zu tun.

Sie haben eine mögliche, vermeintliche, von Ihnen gesehene Chance genutzt, sich an der FDP zu reiben. Dass die gegenseitigen Sympathien begrenzt sind, mag uns ja nicht stören, nur: Wir haben hier in 80 bis 90 % Ihrer Redezeit etwas gehört, was sich in Berlin abspielt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Nein, das ist ge- nau das Gleiche!)

Für Berlin, liebe Frau Düker, sind wir hier nicht zuständig. Wir sind auch nicht im Bund, sondern auf einem Parkett, auf dem wir uns bemühen, die

Schutzpflichten, die wir wahrzunehmen haben, gemeinsam wahrzunehmen.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Wir haben alle Argumente zu unserem Verfassungsschutzgesetz wirklich ausgetauscht. Ungeachtet aller Differenzen bei der verfassungsrechtlichen Würdigung und bei der politischen Bewertung von sensiblem Umgang mit Grundrechten darf aber eines nicht vergessen werden – das klammern Sie völlig und komplett aus –: dass es eine nicht mehr nur theoretische Bedrohung bisher ungeahnten Ausmaßes auch in Deutschland – auch in Nordrhein-Westfalen – gibt. Das zeigen zum Beispiel die gescheiterten Anschläge auf Nahverkehrszüge in unserem Land.

Es ist die Aufgabe des Staates, in der Wahrnehmung seiner Schutzpflichten für die Bevölkerung und im Interesse einer effektiven Terrorabwehr darüber nachzudenken, wie mit Grundrechten umgegangen wird und wie die ihm anvertrauten Bürger geschützt werden können.

Ich möchte eines in Erinnerung rufen: Eine ähnliche Diskussion haben wir seit den 70er-Jahren permanent gehabt; und die Erweiterung strafprozessualer oder gefahrenabwehrrechtlicher Befugnisse war nie Selbstzweck im Sinne von Aktionismus, sondern stets Reaktion. In den 70er-Jahen haben wir auf die Terrorismusgefahr seitens der RAF reagieren müssen. Später hatten wir das Phänomen der organisierten Kriminalität, und seit dem 11. September 2001 haben wir auf einen global agierenden, aber lokal organisierten Terrorismus zu reagieren.

Wir haben zweimal, nämlich auf die RAF und auf die organisierte Kriminalität, mit den Möglichkeiten reagiert, die es gab, um dem Stand der Technik zu entsprechen. Es wurde jedes Mal der Überwachungsstaat propagiert und jedes Mal der Popanz „gläserner Menschen“ aufgebaut. Wir haben weder in den 70er-Jahren noch im Kampf gegen die organisierte Kriminalität einen solchen Überwachungsstaat gehabt. Wir haben heute keine RAF mehr und haben im Kampf gegen die organisierte Kriminalität deutliche Fortschritte gemacht, und keiner beschwört mehr Gefahren herauf.

Mit derselben Differenzierung werden wir auch jetzt unserer Verantwortung gerecht, wenn es gilt, mit Mitteln umzugehen, die ganz einfach vorhanden sind. Die Mittel aber sind anders, und entgegen der Auffassung der Antragsteller sind heimliche Zugriffe auf informationstechnische Systeme inzwischen unverzichtbar, denn die Kommunikation findet nicht mehr so statt wie früher. Es trommelt niemand mehr, sondern die Kommunikation

von Terroristen hat sich auf das Internet verlagert. Die Internettelefonie, E-Mails oder Cyber-Angriffe auf fremde IT-Netze als Kampfmittel sind in Ihrer Realität, Frau Düker, vielleicht noch gar nicht angekommen, aber sie sind ganz simpel da. Im Internet gibt es Anschlagsplanungen und selbst virtuelle Trainingslager. Lassen Sie sich das von der Polizei einmal zeigen, dann haben Sie ein ungefähres Gespür dafür, was sich wirklich tut. Das sind die Möglichkeiten, bei denen wir unseren Verfassungsschutzbehörden die Chance geben wollen, Ermittlungen anzustellen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Thema verfehlt!)

Das mag nicht Ihrem Weltbild entsprechen, aber dafür haben Sie auch nicht die Verantwortung. Wir werden unsere Verantwortung wahrnehmen.

Früher war es einfach: Man konnte Akten nicht so leicht vernichten, da konnte man zugreifen. Heute stehen die Chancen völlig anders, denn Daten können mit einem Tastendruck vernichtet werden. Um dieser Gefahr zu begegnen, aufzuklären, einzugreifen und um Vorermittlungen zu führen, dafür – sind wir der Meinung – sollte unser Verfassungsschutz mit den entsprechenden Rechten ausgestattet sein.

In der Anhörung waren differenzierte Auffassungen zu hören, aber es gab namhafte Verfassungswissenschaftler, die gesagt haben: Was ihr macht, das ist okay. Das können wir tragen. – Lassen wir die Entscheidung doch demnächst in Karlsruhe treffen. Die Verfassungsbeschwerden laufen, und wir sind zuversichtlich, dass unser Gesetz, so wie wir es hier verabschiedet haben, auch halten wird. Nach dem Urteil können wir gerne weitermachen. Bis dahin sollten wir nicht so tun, als ob hier dieser politische Streit hochgezogen werden müsste. Wir wollen Bürger schützen, ohne sie zu gläsernen Menschen zu machen, und wir glauben, die richtigen Mittel dazu angewandt zu haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Biesenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Dr. Rudolph.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Biesenbach, Sie haben über weite Strecken am Thema vorbeigeredet.

(Beifall von den GRÜNEN – Monika Düker [GRÜNE]: Richtig!)

Denn das, was Sie mit Internet beschreiben, das machen unsere Verfassungsschützer mit dem entsprechenden rot-grünen Gesetz, was schon vor einigen Jahren von diesem Landtag verabschiedet worden ist; im Übrigen – wenn ich mich richtig erinnere – gegen den ein oder anderen heftigen Widerstand der FDP. Aber so ist sie ja nun einmal.

Ich glaube, dass die letzten Tage noch einmal gezeigt haben, dass der Innenminister dieses Landes längst zu einer schweren Belastung für die Koalition und selbst für die eigene Partei geworden ist.

(Christof Rasche [FDP]: So ein Quatsch!)

Nun kann man sagen, dass das für sich genommen noch nicht so schlimm wäre, testete er nicht gleichzeitig die Grenzen der Belastung unserer Sicherheitsbehörden und unserer Verfassung permanent aus. Und das zeigt sich in der Debatte längst: Der Innenminister hat nicht nur die Balance verloren zwischen Sicherheit und Freiheit, er baut beides unbeirrt ab. Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gefährdet er durch Kürzungen im Innenhaushalt 2006 und 2007 und durch praxisferne und die Polizeiarbeit behindernde Organisationsreformen. Die Freiheitsrechte der Bürger baut er ab durch ein Verfassungsschutzgesetz, in dem der Große Lauschangriff weiterhin vorgesehen ist und in dem die Online-Durchsuchung so geregelt ist, dass sie sämtlichen liberalen und freiheitlichen Maßstäben widerspricht.