Dort sind neben den 90 nicht angenommenen Kindern an der Gesamtschule Dutzende von Eltern schon im Vorgespräch vom Schulleiter darauf hingewiesen worden, ihre Kinder dort nicht anzumelden, weil Fahrtzeiten, gerade aus den nördlichen Kreisgebieten, von über einer Stunde in Kauf genommen werden müssten.
Realisieren Sie an dieser Stelle überhaupt nicht, dass neben den offiziellen Zahlen von 17.000 nicht angenommenen Kindern eine Grauzone existiert, gerade im ländlichen Raum, die wesentlich höher liegt?
Ganz konkret nicht. Dieser Schulleiter hat ja sogar recht. Es ist doch unsinnig, die Kinder stundenlang durch die Gegend zu transportieren, wenn es die passende Schulform nebenan gibt.
Diese neue Landesregierung setzt sich ganz klar dafür ein, dass ein breites Schulangebot vor Ort in der Fläche vorgehalten wird, auch in Zukunft. Dazu stehen wir. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Gesamtschule ein zusätzliches Schulangebot ist, das alle Bildungsabschlüsse bereithält, die Sie parallel auch im gegliederten Schulwesen finden. Wenn diese Schulplätze belegt sind, steht nirgendwo, dass wir flächendeckend Gesamtschulen im Land anbieten oder für jeden Schüler …
Stellen Sie sich einmal vor, wir würden für jeden Schüler alternativ einen Gesamtschulplatz vorhalten. Das geht doch gar nicht. Es gibt für jeden Schüler die passende Schulform, das passende Schulangebot, und es gibt ein begrenztes Angebot an Gesamtschulen. Dann fragen Sie doch bit
te einmal Ihre eigene Fraktion, Ihre eigenen ExMinisterinnen, warum sie sich mit Händen und Füßen dagegen gesperrt haben. Dazu gibt es auch interne Papiere. Damals hat es einen Brief an alle Schulleitungen von Gesamtschulen gegeben, warum es diese internen Papiere gibt, dass man sich explizit nicht für die Neugründung für Gesamtschulen entschieden hat. Eine Gesamtschule ist eine Schule, die auch die Oberstufe hat; ich habe das eben bereits ausgeführt. Aber für eine Oberstufe brauchen Sie auch Schüler.
Sehr geehrte Frau Piepervon Heiden, nun ist es ja so, dass nicht alle Eltern die Begabungstheorie teilen, die Sie dem Schulgesetz zugrunde legen. Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass Gesamtschulen nach den Aufnahmekriterien jedes Jahr gezwungen sind, etliche Schüler und Schülerinnen abzuweisen, die dann später an Gymnasien und Realschulen unterkommen, und dass ihre Theorie, die Gesamtschule besitze eine reine Hauptschulpopulation, überhaupt nicht zutrifft?
im Falle von Hauptschulen, Frau Beer. Das wissen Sie auch ganz genau. Ohne jetzt eine ganz präzise Zahl zu kennen,
dass es mindestens 90 % Schüler mit Hauptschulbefähigung sind, die von den Gesamtschulen zurückgewiesen werden. Denn auch Gesamtschulen haben den Auftrag, viele Dinge zu berücksichtigen, zum einen die einigermaßen gleichmäßige Aufteilung zwischen Schülerinnen und Schülern, was Ihnen auch immer so wichtig ist, zum anderen die Aufteilung, dass die drei Bildungsgänge, die an Gesamtschulen vorgehalten werden müssen, einigermaßen bedient und besetzt werden. Und dann bleiben nun einmal in der Überzahl für die Hauptschule geeignete Kinder übrig. So ist es nun einmal. Das ist die Realität in diesem Land. Und daran ändern Sie auch nichts mit Ihrem Antrag. – Danke.
Vielen Dank, Frau Pieper-von Heiden. – Jetzt hat die Ministerin für Schulangelegenheiten, Frau Sommer, das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Beer, Sie wollen mehr Gesamtschulen, wir wollen zunächst einmal grundsätzlich eine Schule, in der die individuellen Voraussetzungen des einzelnen Kindes bestmöglich gefördert werden, in der Leistung als etwas Positives betrachtet wird und in der die Qualität des Unterrichts in den Vordergrund gestellt wird.
Sie sagen, dass sich die Zahl der Anmeldungen bei den Gesamtschulen gegenüber dem Vorjahr erhöht hat. Das ist richtig. Was Sie aber an dieser Stelle nicht sagen – das ist schon wiederholt angemerkt worden, aber ich sage es jetzt noch einmal – ist, dass sich die Zahl der Übergänge aus der vierten in die fünfte Klasse ebenfalls erhöht hat. Das muss man berücksichtigen. Dann ist der Zuwachs bei den Gesamtschulen nämlich bei Weitem nicht so groß, wie Sie es in den vielen Kleinen Anfragen glauben machen wollen.
Lassen Sie mich noch hinzufügen: Auch an einigen Hauptschulen mit erweitertem Ganztag – und das ist eine wirklich positive Botschaft – übersteigt die aktuelle Anmeldezahl bereits die tatsächlichen Schülerzahlen des aktuellen Schuljahres.
An diesen Schulen ist ebenfalls eine deutliche Steigerung der Zahlen für die Klassen 5 im kommenden Schuljahr zu erwarten.
Im Übrigen gilt: Der Anmeldeüberhang bei den Gesamtschulen ist nichts Neues. Der war doch auch zu Zeiten von Rot-Grün bekannt. Was hat den Zubau von Gesamtschulen verhindert?
Eben ist von Frau Pieper-von Heiden meine Vorvorgängerin genannt worden. Ich habe das entsprechende Zitat dazu. Frau Behler sagte:
„Natürlich soll die Gesamtschule weiterhin auch zum Abitur führen. In Zukunft soll aber noch genauer geprüft werden, ob an jeder Gesamtschule auch wirklich eine Oberstufe eingerichtet werden kann.“
Dieser Brief war sozusagen eine Notbremse und rüttelte auch die kommunalen Schulträger auf. Danach – Herr Kaiser hat es eben erwähnt – wurde in Nordrhein-Westfalen nur noch eine Gesamtschule gegründet.
Wir können keine Gesamtschulgründung mehr zulassen, wenn die geplante Schule ihren Bildungsauftrag, den Sie doch sehr hochhalten und den auch ich sehr hochhalte, nicht erfüllen kann, weil es an einer heterogenen Schülerschaft mangelt, zumal – das muss man an dieser Stelle nochmals deutlich sagen – in den nächsten Jahren die Schülerzahlen deutlich zurückgehen werden.
Eine Gesamtschule ohne heterogene Schülerschaft kann auf Dauer keine eigene gymnasiale Oberstufe führen. Das hat auch der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2005 aufgedeckt. Eine Gesamtschule ist kein Gymnasium, keine Realschule und auch keine Hauptschule. Eltern wählen sie wegen ihrer Heterogenität, und wir haben den Auftrag, darauf zu achten, dass dies auch geschieht.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten wissen, dass insbesondere die Gesamtschulen, an denen die Kapazität nicht ausgeschöpft wird, oder Gesamtschulen mit nur wenigen Anmeldeüberhängen weit von einer heterogenen Schülerschaft entfernt sind.
Das lässt sich anhand konkreter Beispiele belegen: Zwei Duisburger Gesamtschulen konnten keine gymnasiale Oberstufe einrichten. Etwa ein Drittel der Gesamtschulen bilden Oberstufen, die nur ganz knapp die gesetzliche Mindestgröße erreichen.
Liebe Frau Beer, zu der Unterstellung, wir würden, was die Gesamtschulen anbelangt, immer nur mit Nadelstichen arbeiten, darf ich einmal das Beispiel der Gesamtschule Wesel anführen: Die Gesamtschule Wesel hat seit Jahren eine viel zu kleine gymnasiale Oberstufe. Die Stadt möchte diese Oberstufe weiterführen, hat allerdings bisher noch kein Sanierungskonzept erarbeitet. Der Schulentwicklungsplan steht auch noch aus. Aber mit Datum von heute hat die Stadt die Zusage erhalten, die Oberstufe für ein weiteres Jahr zu führen.
Bei zahlreichen Gesamtschulgründungen ist es offensichtlich auch nicht gelungen, eine entsprechende Akzeptanz bei unterschiedlichen Schülergruppen zu erreichen.
Auch im letzten Anmeldeverfahren konnte bei mehr als 16 % der öffentlichen Gesamtschulen die Aufnahmekapazität nicht ausgeschöpft werden. Nochmals meine Mahnung an dieser Stelle: Bedenken Sie, dass wir einen Rückgang an Schülerzahlen haben, der immens ist. Bis 2009/2010
Sie verschließen schlicht und ergreifend die Augen davor, dass während Ihrer Regierungszeit Gesamtschulen entstanden sind, die heute große Mühe haben, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen. Damit ist den Gesamtschulen mit ihrem spezifischen Bildungsauftrag nicht gedient, schon gar nicht der optimalen Förderung der Kinder und Jugendlichen in unserem Land.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zu Ihnen sagen, Herr Große Brömer. Sie haben in Ihrem Vortrag mehrfach etwas über die Benachteiligung der Gesamtschulen gesagt. Sie wissen, dass ich das nicht so sehe. Ich war an einer Gesamtschule bei Ihnen im Wahlkreis mit einem Schulleiterkollegen, der Ihrer Partei angehört. Sie freuen sich doch sicherlich auch mit mir, wenn wir eine gute Zeitungskritik bekommen und man dort auch mit einer CDU-Ministerin sehr zufrieden ist. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin Sommer. – Für die FDP hat jetzt noch einmal der Abgeordnete Witzel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was entscheidend ist, ist hier viel zu wenig beleuchtet worden, sich nämlich einmal tatsächlich anzuschauen, unter welchen Startvoraussetzungen Schulen miteinander konkurrieren, und sich deshalb auch einmal dem Thema der Gesamtschulprivilegien zu widmen.
Wie viele Eltern reagieren auf notwendige Hinweise zur Qualität von Gesamtschularbeit mit dem Reflex, dass man nicht zu kritisch über die Gesamtschulen diskutieren sollte, weil sie ein Ganztagsangebot für ihre Kinder brauchen. Genau das ist das, was Sie während der zehn Jahre Ihrer rotgrünen Regierungspolitik früher zu schaffen versucht haben, nämlich das Bewusstsein: Wann immer man Ganztagsangebote braucht, muss man den Schritt zur Gesamtschule machen.
Deshalb können wir natürlich nicht über Nacht die Verhältnisse an 7.000 Schulen ändern. Wir bauen Ganztagskapazitäten jetzt auch für andere Schulformen nach und nach auf. Das ändert aber nichts an der Lage, die wir heute haben. Schauen Sie sich einmal an, was Sie alles an Informationen zu den Leistungsergebnissen in Ihren Untersuchungen finden. Frau Schäfer hat noch zu Zeiten ihrer
Amtsführung hochinteressante Daten durch die ersten Lernstandstests ans Tageslicht gefördert, die belegen, an wie vielen Stellen welche Anteile der Gesamtschüler am ehesten der Hauptschülerklientel entsprechen. Das wirft natürlich die häufige Problematik nach der Homogenitätsfrage entsprechend auf.