Protocol of the Session on March 28, 2007

(Beifall von Christian Weisbrich [CDU])

Und jetzt sind wir bei einzelnen Kennziffern – gerade beim Mittelstand – endlich wieder auf den Toppplätzen. Aber das gilt noch längst nicht für alle Bereiche. Da wollen wir jedoch hin. Wir wollen wieder zu den führenden Bundesländern innerhalb der Bundesrepublik gehören. Wir wollen zu Bayern und Baden-Württemberg aufschließen. Deshalb werden wir den eingeschlagenen Kurs fortführen. NRW kommt wieder! – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen deshalb über den Inhalt des Antrags Drucksache 14/4015 ab. Wer ist für diesen Antrag? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Antrag angenommen.

(Unruhe)

Wir kommen zu:

3 Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 41 der Landesverfassung

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/4011

Ich eröffne die Beratung und erteile Herrn Kollegen Stotko das Wort.

(Anhaltende Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf darauf hinweisen, dass wir hier im Plenum einander zuhören sollten. Es wird aber sehr viel nebenbei gesprochen; der Lärmpegel ist relativ hoch. Wenn Sie so nett wären, die Gespräche draußen zu führen! Redner und Zuhörer werden es Ihnen danken. – Herr Stotko, Sie haben das Wort.

Danke schön, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute beraten wir unseren Antrag zur Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, um Geschehnisse aufzuarbeiten, die unser Justizsystem in NordrheinWestfalen noch heute infrage stellen.

Dabei ist wichtig, zu erwähnen, dass es sich bei einem Untersuchungsausschuss nicht um eine Waffe der Opposition handelt, sondern um ein Instrument des Parlaments. Bereits 1918 hat Max Weber zu Recht die Einführung einer Minderheitenenquete als zentrale Weichenstellung für eine Entwicklung des Parlamentarismus bezeichnet. Dementsprechend gibt Art. 41 unserer Verfassung uns allen – dem Landtag als Ganzem – das Recht, Untersuchungsausschüsse einzurichten. Ein hohes Gut, welches es zu achten gilt!

Nach § 1 des Untersuchungsausschussgesetzes NRW hat ein solcher Ausschuss die klare Aufgabe, Sachverhalte, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegt, zu untersuchen. Nichts anderes verfolgen wir mit unserem Antrag.

Am 11. November 2006 erfolgte unter der Obhut des Staates in der Justizvollzugsanstalt Siegburg eine grausame Tat: Unter der Aufsicht von Justizwachtmeistern wird ein 20-jähriger junger Mann, Hermann, über mehr als 20 Stunden drangsaliert, gequält, sexuell missbraucht, gedemütigt und bestialisch umgebracht. Das geschah, nachdem er in diesem Zeitraum einmal um Hilfe gerufen, um sein Leben gekämpft hatte, die Justizbediensteten aber aufgrund von Ausreden der Täter nicht zu Hilfe kamen. Als sich dieser junge Mann schon nicht mehr wehren und bemerkbar machen konnte, als er um sein Überleben rang, wurde die Zelle kontrolliert, weil sich benachbarte Häftlinge über Lärm beschwerten. Bei dieser Kontrolle fiel den Justizbediensteten nicht auf, dass dort im Bett ein wehrloser, gequälter, um sein Leben kämpfender 20-jähriger Mann lag. Sie verließen die Zelle, ohne geholfen zu haben. Die drei Täter setzten das Martyrium dieses jungen Mannes fort, hängten ihn auf, ließen ihn in dem Glauben, jetzt sei sein Leben beendet, hängten ihn wieder ab und erneut auf. Dieser junge Mann starb in der Zelle, nachdem er unmenschliche physische und psychische Qualen durchlitten hatte. Unser aller Mitgefühl gilt der Familie des verstorbenen jungen Mannes.

Ein Justizskandal ohnegleichen, einmalig nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in der gesamten Bundesrepublik!

Seitdem fragen sich alle: Wie konnte diese schreckliche Tat nur geschehen? Es liegt im Interesse der Öffentlichkeit, genau diese Frage transparent und nachvollziehbar zu beantworten. Wie waren die Verhältnisse in Siegburg und im Jugendvollzug in NRW im November 2006? Waren sie vielleicht schon vorher nicht geeignet, eine solche Tat zu verhindern?

In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass viele glaubten, die SPD werde die Gelegenheit nutzen und nur den Zeitraum nach der Landtagswahl 2005 untersuchen lassen. Weit gefehlt! Wir haben absichtlich den Zeitraum ab dem 1. Januar 2003 erfasst. Damit fällt ein Zeitraum von zweieinhalb Jahren in unsere eigene Regierungszeit – mit einem SPD-Justizminister – und nur eineinhalb Jahre in Ihren Verantwortungsbereich, Frau Ministerin. Im Gegensatz zu Ihnen verfolgen wir nämlich eine lückenlose Aufklärung.

(Zuruf von der CDU)

Aber warum benötigen wir eigentlich einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um Antworten auf die fünf von uns formulierten Fragen zu bekommen? Das liegt daran, dass uns das Ministerium bis zum heutigen Tage die Antworten auf drängende Fragen nicht, nur unvollständig oder sachlich falsch gegeben hat. Heute, vier Monate nach der Tat, fragen wir uns: Gibt es noch immer nichts Neues? Wir, das Parlament, haben nichts gehört. Der Rechtsausschuss hat auch keine neuen Informationen. In der Justizvollzugskommission gibt es trotz eines Besuchs Mitte Januar keine weitergehenden Informationen.

Was hat Frau Ministerin Müller-Piepenkötter uns gesagt? Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: „Wir müssen und wir werden den grausamen Mord in der JVA Siegburg lückenlos aufklären.“ Das haben Sie, Frau Ministerin, am 6. Dezember letzten Jahres vollmundig verkündet. Seitdem ist jedoch Funkstille. Sie glauben vielleicht, Sie könnten den Vorfall aussitzen und schweigen, es würde sich niemand darum kümmern. Aber so ist es gerade nicht. Deshalb stehen wir heute hier.

Die erste Bilanz Ihrer lückenlosen Aufklärung ist mehr als traurig: Da wird dieser junge Hermann mit einem anderen Gefangenen zusammengelegt, von dem dem Land NRW und dem Staat bekannt ist, dass es sich um einen Gewalttäter mit ungezügelter Gewaltbereitschaft handelt. Trotzdem wird er nach der Zusammenlegung seinem Schicksal überlassen. Auf die Frage, wie das passieren konnte, haben wir bis heute keine Antwort.

In der Vollzugskommission sagte uns das Ministerium, es sei eine Viererzelle gewesen. Diese Aussage musste es revidieren: Es war eine Dreierzelle. Falschinformation!

Da werden von Landesbediensteten Fotos aus Justizakten an die Presse verkauft. Trotz der Brisanz des zugrundeliegenden Falls gelingt es Ihrem Hause nicht, so etwas zu verhindern.

(Zuruf von der SPD: Das ist nicht zu fassen!)

Es gibt 51 Beschwerden über die Bedingungen in Siegburg – von Januar 2005 bis November 2006. Keine dieser Beschwerden hat Sie dazu veranlasst, sich selbst um Siegburg zu kümmern oder für Kontrollen zu sorgen.

Die JVA Siegburg gibt eine Pressemitteilung heraus, die nachweislich falsch ist, in der es heißt, es handele sich um einen Suizid. – Wie kann so etwas passieren?

Der Anstaltsleiter und sein Stellvertreter müssen versetzt werden, aber erst nachdem die Vorwürfe so laut werden – es habe in Siegburg zahlreiche Fälle von Gewalt gegeben –, dass man das nicht mehr verhindern konnte. Das ist im Übrigen der Anstaltsleiter, der am Dienstag, einen Tag nach dem Mord, noch auf eine Fortbildung fuhr und von ihr zurückgeholt werden musste.

Sie wissen, dass es im geschlossenen Jugendvollzug zum Zeitpunkt der Tat eine Überbelegung von mehr als 110 % gab. Trotzdem haben Sie erst jetzt – das haben wir hier ja alle kennenlernen dürfen – in operativer Hektik entschieden, etwas zu machen. Da wird uns bei der Schaffung der Jugendhaftplätze interessieren, ob diese ganze Hektik überhaupt zu irgendeinem verwertbaren Ergebnis führt.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

Das werden wir ja aufklären. Das ist doch kein Problem, Kollege Möbius.

Über Wochen setzten Sie sich mit der Familie des jungen Hermann nicht in Verbindung. Bis heute fragen wir uns, was Sie zu dieser unangemessenen Verhaltensweise verleitet hat.

Ich könnte die Liste endlos fortsetzen; wir haben aber nur noch 14 Minuten Zeit.

Eines will ich Ihnen jedoch sagen, einen Vorwurf, den ich Ihnen im Ausschuss gemacht habe, wiederhole ich hier: Im Dezember 2005 erfuhren Sie von einer Misshandlung in einer Gemeinschaftszelle und entschieden sich, ein Gutachten in Auftrag zu geben. Während dieses Gutachten erstellt wurde – langatmig, aber sicherlich auch interessant –, erfuhren Sie am 17. April von einer weiteren Misshandlung in einer Gemeinschaftszelle: durch Überbelegung, durch Gemeinschaftsbelegung. Obwohl Sie das am 17. April hörten, machten Sie gar nichts, entschieden, das Gutachten abzuwarten, das dann, wie wir alle wissen, für den jungen Hermann viel zu spät kam, und verkündeten noch am 7. Juli der Landespresse: In nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten, im Jugendvollzug ist alles in Ordnung. Bei uns ist genau das, was im Urteil des Bundesverfas

sungsgerichts steht, erfüllt. – Das war falsch. Das ist falsch. Diese Verantwortung haben Sie bis heute auch im Ausschuss nicht übernommen.

In Ihrer gesamten Amtszeit, seit Ihrem Amtsantritt, sind Sie sehenden Auges eine bürokratische Verwalterin Ihres Ministeriums. Der Zug rollte auf die JVA Siegburg zu, kam dort an und entgleiste, und das mit Ihrer Kenntnis. Es ist Ihre Aufgabe, im Vollzug dafür zu sorgen, dass Straftaten nicht ermöglicht und, wenn doch geschehen, konsequent verfolgt werden.

Durch den Bericht Ihres Kriminologischen Dienstes und die Wertebach-Kommission wissen wir, dass Straftaten in Justizvollzugsanstalten teilweise nicht einmal angezeigt

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

oder nicht verfolgt werden. Von einer Justizministerin erwarten wir, dass sie bei solchen Sachen hart durchgreift,

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

und zwar nicht nur gegenüber den Leitungen der Justizvollzugsanstalten, sondern auch gegenüber den Beschäftigten und der Fachaufsicht ihres Hauses. In Ihre Kontrolle fällt das Justizvollzugsamt. Da haben Sie versagt. Sie haben das nicht kontrolliert. Die Konsequenzen sind uns und der Familie des getöteten jungen Hermann bekannt.

Auch in den letzten Wochen haben Sie an Ihrer schwachen und mangelhaften Informationspolitik nichts geändert. Sie haben behauptet, es gebe ein Disziplinarverfahren. Aus der Zeitung mussten wir erfahren, dass das eingestellt worden ist. Darüber haben wir von Ihnen keine Mitteilung bekommen. Das muss man sich einmal vorstellen!

In der Rechtsausschusssitzung am 23. November sagten Sie uns, Sie seien nicht informiert worden, weil sich der Anstaltsleiter falsch verhalten habe. Aber dass es ein Disziplinarverfahren gab, dass das gar nicht so war, sagten Sie uns nicht. Das ist eine Lücke in Ihrer Aufklärung.

Im Dezember durften wir erfahren – ebenfalls aus einer Zeitung –, dass die Zelle schon renoviert war, in die die Täter zurückgemusst hätten. Das mag nicht stimmen, das mag nicht richtig sein – aber wir kriegen von Ihnen keine Informationen dazu. Darum geht es. Die haben wir nicht bekommen.

Sie haben am 16. November in der Ausschusssitzung gesagt, am Personal habe es nach Ihren Anhaltspunkten nicht gelegen. Trotzdem stockten Sie das Personal in der JVA Siegburg um 25 Stel

len auf. Das macht man doch nur, wenn es einen Grund dafür gibt, oder? Das ist wieder eine Lücke in Ihrer Aufklärung.

Sie, Frau Ministerin, haben gesagt, es sei richtig gewesen, Anfang 2006 zu entscheiden, das Landesjustizvollzugsamt Ende 2007 aufzulösen. Tatsächlich wussten Sie also schon da: Die Kontrolle der JVA Siegburg funktioniert nicht. – Da hätten Sie eingreifen müssen. Das haben Sie nicht getan.

Gestern durften wir der „Rheinischen Post“ entnehmen, dass voraussichtlich in diesem Monat die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bonn abgeschlossen werden. Schön wäre es, eine Ministerin würde so etwas mitteilen.

Das sind Lücken so groß wie Scheunentore. So kann man die Informationspolitik eines Ministeriums nicht betreiben.

Wir haben den Jahreswechsel abgewartet und glaubten, Sie würden Mitte Januar mehr Informationen geben. Das haben Sie nicht getan. Stattdessen haben Sie vermutet. Es gab Beweissicherungen in der Zelle, die in dem Moment noch immer gesichert war.