Protocol of the Session on March 28, 2007

Wir haben den Jahreswechsel abgewartet und glaubten, Sie würden Mitte Januar mehr Informationen geben. Das haben Sie nicht getan. Stattdessen haben Sie vermutet. Es gab Beweissicherungen in der Zelle, die in dem Moment noch immer gesichert war.

Während wir dann unseren Antrag eingereicht haben, weil nichts kam, überholte uns alle die Aktualität der Ereignisse. Denn es gab einen zweiten „einmaligen“ Justizskandal in diesem Land, in Mönchengladbach, wo ein mit Haftbefehl gesuchter Straftäter in deutschen Amtsgerichten ein und aus ging, mit oder ohne Waffe, und niemand in der Justiz es schaffte, binnen 80 Minuten für eine Verhaftung zu sorgen, wo dieser Mann zwei Frauen auf offener Strasse niederstreckte, kaltblütig erschoss. Auch hier gilt unser Mitgefühl der Familie der getöteten Frauen. Unglaublich eigentlich, aber eben nicht mehr einmalig!

Frau Ministerin, als der junge Hermann in Ihrer JVA Siegburg gefoltert und ermordet wurde, sprachen Sie von einem tragischen Tod, den man hätte verhindern müssen. Bei dem Vorfall in Mönchengladbach haben Sie gesagt, die Tat hätte verhindert werden können. Die Formulierungen ähneln sich doch sehr. Wollen Sie von nun den Familien, die aufgrund von unvorstellbarem Justizversagen ihre Angehörigen verlieren, im vierteljährlichen Wechsel erklären: „Ach, das hätte man verhindern können oder müssen, aber ich werde alles ausermitteln“? Ist das Ihre Antwort auf eklatante Mängel, die in Ihrer Verantwortung liegen?

(Beifall von Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD])

In Mönchengladbach haben Sie gesagt: Die Justiz hat versagt. – Sie haben Ihre Kritik geäußert an

der Staatsanwaltschaft, an der Eilstaatsanwältin und am Oberstaatsanwalt. In Siegburg haben Sie uns noch gesagt, Sie wollten sich nicht einmischen, Sie dürften da keine Verlautbarungen abgeben. Umso erstaunter sind wir, dass es in Mönchengladbach mit einem Mal geht. Mit Interesse werden wir weiter verfolgen, was Sie da vorhaben.

Auch in Mönchengladbach gab es eine falsche Pressemitteilung. Letzte Woche im Ausschuss mussten Sie es eingestehen. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus in Ihrem Ministerium. Das muss man so deutlich sagen. Dafür trägt nur einer die Verantwortung: Das ist die Ministerin.

(Beifall von der SPD)

In Ihrem Verantwortungsbereich kann offensichtlich jeder machen, was er will. Pressemitteilungen im Namen des Landes Nordrhein-Westfalen werden bei Suiziden oder Mordfällen wohl gar nicht mit Ihnen abgesprochen. Ständig weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Wir fragen uns, wie es zu solchen Pannen kommen kann.

Das sind Fragen, die nicht nur wir uns stellen. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, dort oben, draußen, die uns beobachten, haben unverhohlen Kritik an unserer Justiz in NordrheinWestfalen, an ihrer Leistungsfähigkeit und Effizienz.

Am schlimmsten ist aber – deshalb soll es diesen Untersuchungsausschuss geben –: Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen noch nie dagewesenen Vertrauensverlust. Der Glaube an ein funktionierendes Justizsystem ist in den Grundfesten erschüttert.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Dafür trägt nur eine Person die Verantwortung: Das ist die zuständige Ministerin.

Als Richterin mag es für Sie interessant gewesen sein, ob Kausalität vorliegt. Aber in Ihrem Amt spielt das keine Rolle. Hier geht es um die Verantwortung dafür, dass in NRW binnen vier Monaten drei Menschen starben, die heute noch leben würden, wenn die Justiz funktioniert hätte.

Für diese fehlende Funktionsfähigkeit tragen Sie die Verantwortung, Frau Ministerin. Wir werden mit dem heute einzusetzenden Untersuchungsausschuss die Fragen der Menschen in unserem Land beantworten.

(Zuruf von der CDU)

Dies geschieht zum Wohle der hier lebenden Menschen und der in der Justiz tätigen Personen.

Dies geschieht zur lückenlosen Aufklärung gegenüber den Familien und zu guter Letzt – aber nicht zum Schluss – zum Wohle der Justiz.

(Zuruf von der CDU)

Ich danke Ihnen trotz der vielen Zwischenrufe für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die CDU hat jetzt Herr Abgeordneter Giebels das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wird dem Antrag der Fraktion der SPD auf Einrichtung des Untersuchungsausschusses zustimmen.

Diese Feststellung ergibt sich aber nicht nur aus dem Recht der Opposition, mit qualifizierter Mehrheit Untersuchungsausschüsse einzurichten. Vielmehr sieht auch die CDU dem Verlauf und den Ergebnissen dieses Untersuchungsausschusses mit großem Interesse entgegen. Wir als CDU haben nichts zu verbergen. Offensichtlich kann die SPD das von sich nicht behaupten.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren von der SPD, es verwundert, dass Sie diesen Antrag erst jetzt – vier Monate nach dem Vorfall – stellen. Frau Kollegin Düker von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat aus ihrer Sicht völlig recht, wenn sie anmerkt, dass dieser Antrag viel früher hätte kommen können bzw. müssen. Es drängt sich schon der Verdacht auf, dass Sie erst einmal gewartet haben, bis Ihr ehemaliger Parteivorsitzender und frühere Justizminister Dieckmann sein Amt als SPDLandesvorsitzender niedergelegt hat.

(Beifall von der CDU)

Der Name Dieckmann ist aber bekanntlich nicht ganz aus der SPD-Spitze verschwunden.

Frau Kraft: Machtlos und kraftlos gegenüber dem Dieckmann-Einfluss? – Dieser Verdacht erhärtet sich noch, wenn man sich Nummer V des Antrags der SPD genauer ansieht.

(Zuruf: Verschwörungstheorie!)

Überraschenderweise soll sich der Untersuchungsauftrag des Ausschusses auf den Zeitraum von Januar 2003 bis Dezember 2006 erstrecken. Damit schließt die SPD den Zeitraum der Jahre 2002 und früher von der Untersuchung ausdrücklich aus – dies trotz der Aufforderung der CDU,

einen längeren Untersuchungszeitraum zu vereinbaren.

(Thomas Stotko [SPD]: 1950!)

Das ist kein Wunder, wenn man sieht, dass bis einschließlich 2002 – also vor dem genannten Zeitraum – Herr Dieckmann Justizminister der damaligen rot-grünen Landesregierung war.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der CDU: Aha!)

Der danach amtierende SPD-Justizminister Gerhards scheint bei der SPD dagegen keine Lobby mehr zu haben. Offenbar soll er nach der SPDParteiregie das Bauernopfer spielen und für die Sünden der abgewählten rot-grünen Koalition büßen – oder will Herr Jäger wieder einmal jemanden grillen?

(Beifall von der CDU)

Wir werden sehen, welche Zusammenhänge sich im Laufe der Untersuchung herausstellen werden.

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie wollen sich hier als Aufklärer aufspielen. In Wirklichkeit sind Sie der Brandstifter, der nach der Feuerwehr ruft. Nichts anderes.

(Beifall von CDU und FDP)

Das muss ganz deutlich gesagt werden.

Drei Punkte kann man jetzt schon festhalten:

Erstens. Das seinerzeit SPD-geführte Justizministerium hat vor Jahren die unsägliche Zusammenlegung von Erwachsenen- und Jugendhaft in Siegburg angeordnet und organisiert.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Zweitens. Das seinerzeit SPD-geführte Justizministerium hat angeordnet, dass die Gefangenen in den Anstalten an Wochenenden 23 Stunden pro Tag in ihrer jeweiligen Zelle eingeschlossen wurden. Dies geschah auch bei Mehrfachbelegungen. Das waren Sie! Das waren nicht wir!

(Beifall von der CDU – Zuruf von Thomas Stotko [SPD])

Drittens. Das seinerzeit SPD-geführte Ministerium hat vor Jahren im Nachgang zu einer Inspektion der JVA Siegburg durch die damalige Strafvollzugskommission des Landtags eine Verbesserung der Zustände im dortigen Vollzug abgelehnt. Auch das sollten Sie noch einmal bedenken.

(Beifall von der CDU)

Der damalige und heutige rechtspolitische Sprecher der SPD – seinerzeit Vorsitzender der Straf

vollzugskommission des Landtags –, Herr Kollege Sichau, lief bei der SPD-Führung mit der Forderung nach Verbesserungen in der JVA vor Ort damals vor die Wand. Getan hat die SPD für eine Verbesserung der Verhältnisse im Vollzug trotz Kenntnis über Jahre nichts.

(Beifall von CDU und FDP)