Protocol of the Session on January 25, 2007

Das Wohl von Kindern geht uns alle an. Kindern, Jugendlichen und Eltern kann in ihrer Not nur geholfen werden, wenn sie auf klare Behördenstrukturen und verlässliche Verfahrensvorgaben bauen können. Für jeden in unserem Land ist wichtig, dass jede und jeder das zuständige Jugendamt und das Familiengericht kennt. Eltern müssen wieder erfahren, dass Jugendhilfe Hilfe ist, die ihnen in der Not zur Seite steht. Es ist nötig, Vertrauen zu den Helferinnen und Helfern zu haben. Es nutzt nichts, wenn die oder der Helfende sagt: „Alles was du mir erzählst, muss ich der Polizei melden“. Noch schlimmer könnte beispielsweise für eine drogenabhängige Mutter sein, wenn sie zum Entzug bereit ist und mit der Drohung konfrontiert wird, ihr das Kind zu entziehen. Einfühlsam reagieren, aber gesetzlich sicher geregelt aufgestellt sein – das sind wir mit dem SGB VIII.

Die Zweigliedrigkeit der Jugendhilfe – auf der einen Seite das Jugendamt, 1922 eingerichtet, auf der anderen Seite der Jugendhilfeausschuss – sollte erhalten bleiben. Sie hat sich bewährt. Gerade der Jugendhilfeausschuss erlaubt durch seine Zusammensetzung aus Mitgliedern der Räte

und Kreistage und durch den Sachverstand der Träger der Jugendhilfe eine demokratische Unterstützung der Arbeit des Jugendamtes. Hier werden örtliche Entscheidungen zu Planung, Finanzierung und Grundsatzfragen der Jugendhilfe genau in dieser Gemeinde, in dieser Stadt, in diesem Kreis getroffen. Als Sonderausschuss genießt er bei allen Beteiligten eine hohe Akzeptanz.

Lassen Sie mich einmal ein Schlecht-PracticeBeispiel konstruieren. Nehmen wir an, es gäbe eine Gemeinde in NRW, der es finanziell nicht schlecht ginge, was auch so bleiben solle. Es gibt kein eigenes Jugendamt, weil die ja abgeschafft wurden. Es gibt nur städtische und kirchliche Einrichtungen für Kinder und einen guten Kämmerer, der gemeinsam mit dem Sozialamt darauf achtet, dass nicht zu viele Kinder in Heime eingewiesen werden und, wenn doch, dann in den östlichen Ländern oder in den Alpen, weil dort die Unterbringung in Heimen preiswerter ist. Die Kindertagesstätten sind gut belegt; sie werden vom Schulamt betreut. Er kann Gruppen schließen, 19 % Elternbeiträge werden erreicht, alles wunderbar. Jugendarbeit wird vom Sport- und Kulturamt geleistet. Jugendheime gibt es nicht, weil sie zu teuer sind. Spielplätze braucht die Gemeinde nicht. Prävention bei 5 % auffälligen Familien ist nicht nötig. Die Größe ist zu vernachlässigen.

Wollen wir das? Wollen wir, dass ausschließlich die finanzielle Ausstattung der Gemeinde entscheidend ist, ob ein Kind oder ein Jugendlicher gut versorgt wird oder nicht? Ich kann mir nicht vorstellen – und Sie haben das meines Wissens auch noch nie geäußert –, dass Sie von den Koalitionsfraktionen zurück zur Kleinstaaterei wollen, dass Sie die Bedingungen für Kinder und Jugendliche in NRW, in seinen Städten und Gemeinden, anders als im Rest der Republik gestalten wollen.

(Christian Lindner [FDP]: Besser!)

„Freistaat NRW“ nach Bayern und Sachsen ist doch nicht Ihr Ziel. Zu Ende gedacht kann das auch heißen: Raus aus dem Bund, raus aus Europa. – Aber das war ja nur eine Konstruktion.

Die Föderalismusreform wollte und sollte mehr Zuständigkeiten an die Länder zur abschließenden Beratung übertragen. Sie sollte erreichen, dass das, was Länder regeln können, nicht durch Bundesgesetzgebung geregelt werden muss. Das ändert aber nichts daran, dass Kinder- und Jugendschutz eine Aufgabe von Verfassungsrang ist. Auf der Internetseite des Ministeriums – die habe ich mir dann doch angesehen – heißt es dazu:

Sie – gemeint ist die Aufgabe des Kinder- und Jugendschutzes – ist insbesondere begründet in Artikel 5 Abs. 2 des Grundgesetzes – steht übrigens auch dort im Artikel 6, es sei denn, Sie meinen den Artikel mit der Presse- und Meinungsfreiheit – und in Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung für das Land NRW. Die Erfüllung des damit verbundenen Auftrages wird in unterschiedlichen Rechtssetzungen ausformuliert, unter anderem im Jugendschutzgesetz, § 14 Sozialgesetzbuch VIII.

Ihre Seite ist übrigens nicht besonders gut verlinkt.

Das Jugendschutzgesetz muss noch durch eine Bundesratsinitiative geändert werden, insbesondere § 10 im zweiten Abschnitt und § 9 im gleichen Abschnitt.

Herr Minister Laschet, wir stehen noch am Anfang der Debatte. Sie haben gleich Gelegenheit, Ihre Vorstellungen darzulegen. Wir erwarten mit Interesse Ihre Ausführungen. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Meurer. – Für die Fraktion der FDP hat Herr Kollege Lindner das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Das ist ein typischer Oppositionsantrag, ein Schuss ins Blaue. Wir haben erst seit wenigen Wochen, Monaten die Gesetzgebungskompetenz, und da wird hier schon suggeriert, wir wollten eine Abbruchpolitik im Bereich der Jugendhilfe betreiben. Ohne dass wir über die Menschen, über Fachlichkeit für Familien gesprochen haben – Frau Meurer hat dankenswerterweise einen Versuch in diese Richtung gemacht –, wird gesagt, dass sich aus der Behördenstruktur und aus den Verwaltungsfragen heraus Qualität für Menschen erreichen ließe. Das ist aber nicht so. Die Behördenstruktur und das Verwaltungsverfahren müssen vor allem dem Ziel folgen, die Lebenschancen und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Deshalb kann es kein „Weiter so!“ geben, deshalb bleibt das Bessere des Guten Feind.

(Minister Armin Laschet: Genau das ist der Punkt! – Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Das genau ist der Punkt. Das sagen Sie zu Recht, Frau Asch.

Die Föderalismusreform hat die Zuständigkeiten von Bund und Ländern klarer getrennt und auch

den Ländern neue zusätzliche Kompetenzen eröffnet. Dabei ist doch nicht beabsichtigt – zumindest nicht im Bereich der Jugendhilfe –, dass Länder diese Kompetenzen nur nutzen könnten, um vom Bundesrecht nach unten abzuweichen. Im Gegenteil erlaubt uns das neue Recht, die neue Kompetenz, die neue Zuordnung zwischen Bund und Ländern, spezifisch nordrhein-westfälische Lösungen zu finden, die besser sind als das, was sich der Bundesgesetzgeber, der manchmal problemfern ist, seinerzeit vorgenommen, was er seinerzeit geregelt hat. Es ist die große Chance der Föderalismusreform, dass wir subsidiär näher bei den Menschen entscheiden und auch Gesetze formulieren können.

Deshalb lade ich Sie sehr herzlich ein, die neue Kompetenz zu nutzen, um darüber nachzudenken, was möglicherweise verändert und verbessert werden kann, und nicht schon am Anfang dieses Prozesses mit Denkverboten zu agieren oder festzuschreiben, dass dies oder das so bleiben müsse, wie es immer war, weil es sich bewährt habe.

Natürlich – damit komme ich auf konkrete Punkte zu sprechen – haben sich die Landesjugendhilfeausschüsse und die Landesjugendämter bewährt. Ich würde nie sagen, dass sie schlechte Arbeit geleistet hätten. Aber es muss doch erlaubt sein zu prüfen, ob nicht auch eine bessere Organisation möglich ist. Wir reden über eine Struktur der staatlich und kommunal verfassten Mittelinstanzen. Wir haben eine neue Gemeindeordnung in der Diskussion, die sich möglicherweise auch auf die Jugendhilfestruktur im Land auswirkt. Das gilt es erst einmal zu beobachten, abzuwarten, darüber zu diskutieren, und dann kann neu über die zukünftige Rolle der Landesjugendämter gesprochen werden.

Ich will vorab eine persönliche These aufstellen: Ich halte eine überörtliche Instanz für die Fachberatung für dringend erforderlich, weil nicht jedes kleine Jugendamt die Expertise vorhalten kann, um jeden Einzelfall abzuwickeln. Aber ist es denn tatsächlich zwingend erforderlich, dass die Landesjugendämter auch sehr viele administrative Tätigkeiten im Bereich der Finanzierung der Kindertagesstätten, im Bereich des Landesjugendplans übernehmen müssen, oder gibt es nicht technisch bessere Verwaltungswege? Ich weiß das zum jetzigen Zeitpunkt nicht, will mir aber nicht verbieten lassen, darüber nachzudenken und zu prüfen, ob es effizientere Wege gibt, die möglicherweise auch Haushaltsmittel schonen, die dann für die Arbeit für Menschen verwendet werden können und nicht für Bürokratie.

Das Gleiche gilt für die Struktur der Landesjugendämter und der Landesjugendhilfeausschüsse. Es ist seit dem Reichswohlfahrtsgesetz 1922/23 eine gute Tradition, dass in Jugendhilfeausschüssen sowohl die anerkannten Träger als auch die gewählten Repräsentanten der Selbstverwaltungskörperschaften miteinander beraten und tätig sind. Aber sind wir da schon am Ende? Sind nicht auch andere Lösungen, möglicherweise nur partielle Veränderungen denkbar? Diejenigen, die etwa privatgewerblich in der Jugendhilfe tätig sind – es gibt zum Beispiel Anbieter von Hilfen zur Erziehung, die privatgewerblich tätig sind, die auch vielfach in Anspruch genommen werden –, sind nicht überall vertreten. Sie sind in der Landeskonferenz beim Ministerium vertreten, aber nicht überall auf der Ebene der überörtlichen und örtlichen Jugendhilfe. Vielleicht ist auch das eine Möglichkeit, die wir bedenken müssen, wenn es darum geht, die Behördenstruktur und das Verwaltungsverfahren neu zu regeln.

Deshalb – ich komme zum Schluss –: Wir wollen uns darauf konzentrieren, Nordrhein-Westfalen weiter zu einem kinder- und jugendfreundlichen Land zu machen.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen Nordrhein-Westfalen zu einem Land der neuen Chancen für Kinder und Familien machen. Wir haben uns ein couragiertes Programm vorgenommen: Ende dieses Jahres werden wir 1.000 Familienzentren haben. Die Landesregierung wird in den nächsten Wochen – das ist angekündigt worden, wir haben es in der „Financial Times“ und andernorts gelesen – ein Programm zum Kinder- und Jugendschutz vorlegen, das auch im Vergleich der Bundesländer noch einmal unsere Führungsposition markieren wird. Ich könnte die Liste weiter fortsetzen.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Niemand kann uns überbieten im Anspruch, in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe zu neuen Lösungen zu kommen und die Qualität für die Menschen zu verbessern. Das schließt aber nicht aus, sondern im Gegenteil ein, auch über Behördenstruktur und Verwaltungsverfahren nachzudenken, denn Behörden und Verfahren haben eine dienende Funktion. Sie sind nicht das Ziel und das Zentrum, sondern lediglich ein Instrument der Jugendhilfe. Und da behalten wir uns vor, zu besseren Lösungen zu kommen, wenn es erforderlich ist. – Haben Sie vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Herzlichen Dank, Herr Lindner. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laschet das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nahtlos an das anknüpfen, was Christian Lindner gerade beschrieben hat. Wir diskutieren solche Themen in der Tat immer so – mich wundert da ein wenig unser Landesverständnis –: Wenn eine Kompetenz an die Landesebene gegeben wird, wird alles schlechter.

Die Föderalismusreform hat dazu beigetragen, dass neue Zuständigkeiten vom Bund auf die Länder übergehen. Und Frau Asch stellt Anträge, die voller Probleme, Krisen, Standardabsenkungen, Problembeschreibungen sind, weil man davon ausgeht: Wenn ein Land entscheidet, wird es schlechter.

Wir haben ein anderes Verständnis von Landespolitik. Wir wollen Nordrhein-Westfalen zum kinder- und familienfreundlichsten Bundesland machen

(Beifall von CDU und FDP)

und begrüßen es, dass der Bund diese Zuständigkeiten endlich auf eine Ebene gibt, die näher bei den Menschen ist und die es uns ermöglicht, an konkreten Dingen zu arbeiten. Das ist unser fundamentaler Unterschied. Das ist beim Heimgesetz und bei unzähligen Gesetzen so. Immer wenn man es eine Ebene tiefer gibt, sagen die Leute: Jetzt wird alles schlechter. – Das ist das, was den Antrag von Frau Asch und der grünen Fraktion von oben bis unten durchzieht. Das ist nicht mein Verständnis von Landespolitik.

Herr Laschet, haben Sie Lust auf eine Zwischenfrage von Frau Asch?

Lust?

(Heiterkeit)

Frau Asch, gerne.

Wollen Sie eine Zwischenfrage beantworten?

Ja, sehr gerne.

Na dann!

Ich habe durchaus Verständnis, dass Sie das nicht freudig entgegennehmen; das muss auch nicht sein. Aber danke für Ihre Bereitschaft.

Ich habe das Gefühl, dass Staatssekretär Brendel, der unter anderem für die Verwaltungsstrukturreform zuständig ist, der dort sitzt, eben etwas irritiert geguckt hat, als Sie gefragt haben: Ist es schlecht, Dinge in die Landeszuständigkeit zu ziehen? Er macht im Auftrag des Innenministers im Moment genau das Gegenteil. Eine Vielzahl von Aufgaben – das ist beschriebenes Ziel der Verwaltungsstrukturreform – wird von der Landesebene nach unten kommunalisiert. Von daher finde ich Ihre Äußerung interessant.

Ich würde nur gerne hören, wie Sie das, was im Innenministerium im Rahmen der Verwaltungsstrukturreform nach unten gezont wird, beurteilen, Herr Minister Laschet.

(Christian Lindner [FDP]: Positiv!)

Das ist doch ganz einfach. Wenn man ein bisschen von der katholischen Soziallehre gelernt hat, weiß man, was Subsidiarität ist. Subsidiarität heißt: Das, was auf der unteren Ebene besser zu lösen ist, soll auch da gelöst werden. Dieser Grundgedanke gilt von Europa bis in den letzten Gemeinderat. Das, was nur gemeinsam auf europäischer Ebene geht, muss dann auch dorthin. Das, was der Bund besser kann, muss der Bund machen. Das, was die Länder machen können, machen die Länder. Das, was man auf die kommunale Ebene hinunterverlagert – das setzt Herr Staatssekretär Brendel im Moment mit Mühe um –, muss dort gelöst werden.

Auf kommunaler Ebene haben wir auch die Debatte – das merke ich auch beim Kindergartengesetz, wenn ich einmal aus diesen Runden plaudern darf –, dass immer die Grundeinstellung vorhanden ist: Wenn das kommunal geregelt wird, haben wir Probleme und müssen den Konsens vor Ort finden. Lieber Landesgesetzgeber, regle das lieber für uns, weil wir uns dieser örtlichen Diskussion nicht stellen wollen.

Es gibt Standards, die man für das ganze Land festschreiben muss, Frau Asch. Es gibt sogar Standards, die man für die gesamte Bundesrepublik Deutschland festschreiben muss. Deshalb gibt es den Föderalismus. Aber es gibt auch Dinge, die man besser im Land macht. Was in Mecklenburg-Vorpommern gut ist, muss längst nicht im Ruhrgebiet, in Aachen, in Köln und in Münster gut sein. Deshalb begrüßen wir, dass uns die Födera

lismusreform nun Möglichkeiten gibt, und sagen nicht direkt, was an Problemen entsteht: Wo sinken Standards? Warum wird jetzt alles schlechter?

Sie schreiben in Ihrem Antrag: Alles soll unverändert Gültigkeit haben. – Es ist ein komischer Politikansatz, zu einem Zeitpunkt x festzuschreiben: Das hat jetzt unverändert Gültigkeit. Also: Das Reichswohlfahrtsgesetz von 1922 muss Gültigkeit haben, obwohl es kein Reich mehr gibt und auch manches andere nicht mehr existiert. Jede kleinste Veränderung – Anpassungen an die Bedarfe des 21. Jahrhunderts, an neue Generationen von Kindern, vielleicht auch an den demografischen Wandel, bei dem man die Rechte von Kindern und Jugendlichen eher stärker als schwächen muss – darf man nicht vornehmen, weil – Wortlaut Asch – alles unverändert Gültigkeit haben soll. So kann man schlecht Politik machen – auch nicht für Kinder und Jugendliche.