Protocol of the Session on November 15, 2006

Der sitzt in der Abschiebehaft in Büren. Für ihn kommt offensichtlich, wenn man nicht aufpasst, die Regelung, die morgen oder übermorgen hoffentlich beschlossen wird, zu spät. Für mich ist es deswegen völlig unverständlich, dass sich ein Innenministerium in Nordrhein-Westfalen, geführt von einem sogenannten liberalen Innenminister,

(Monika Düker [GRÜNE]: Wo ist er über- haupt?)

in den letzten Tagen öffentlich in den Zeitungen damit brüstet, dass man in einem großen Kraftakt allein in den letzten Monaten 20.000 Menschen aus Nordrhein-Westfalen abgeschoben hat. Da

sage ich Ihnen: Das ist auch eine große Sauerei; denn unter diesen 20.000 Menschen haben sich viele befunden,

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

die seit ihrem zweiten Lebensjahr hier sind, seit 18 Jahren hier sind, die die Schule anständig besucht haben, die – ich zeige Ihnen das gerne –

(Der Redner hält ein Schreiben hoch.)

sehr anständig deutsch schreiben können und die offensichtlich sehr gut integriert waren.

Deswegen finde ich es wichtig, wenn es zu einer Verabredung, zu einer verlässlichen Regelung kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir dann auch endlich das durchsetzen können, was wir ja als SPD – die Grünen haben es auch getan – seit mehreren Monaten anmahnen: Wir brauchen eine Vorgriffsregelung. Eines darf nämlich nicht passieren: Es gibt hoffentlich bald eine Regelung in der IMK, eine große Verabredung. Ein Gesetzentwurf kommt. Das parlamentarische Verfahren setzt ein. Ich unterstelle, man ist relativ zügig in Berlin mit Bundesratsbeteiligung, und das Gesetz tritt beispielsweise am 1. März 2007 in Kraft. Und anschließend stellen wir fest, dass von NordrheinWestfalen wieder 5.000 Menschen abgeschoben wurden, die unter diese Regelung fallen würden. Das wäre, meine Damen und Herren, beschämend und unanständig.

Deswegen appelliere ich noch einmal an diejenigen, die den Innenminister vielleicht noch treffen – er ist ja schon abgereist –: Bitten Sie ihn darum, dass er sich für Nordrhein-Westfalen und im Sinne der gerade beschriebenen Punkte dafür einsetzt, dass wir endlich zu einer Vorgriffsregelung kommen, die diejenigen erfasst,

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

die nach der umfassenderen Regelung dann auch hier bleiben können!

Die Realitäten anerkennen – damit beginnt ja jede Politik. Die Landesregierung hat, seitdem sie angetreten ist, diese Realitäten bei der Zuwanderung nicht anerkannt. Das sage ich ganz ausdrücklich. Dafür steht ja nicht nur die extensive Praxis der Abschiebung von Tausenden von Menschen. Wenn man genauer hinguckt, wird man auch sehen, dass das, was zu Bleiberechtsinitiativen vom Innenminister bis heute vorgetragen wird – übrigens auch noch in seiner Presseerklärung von gestern –, zeigt: Er ist immer noch ein halbes Jahr zurück. Das ist besonders traurig.

Ich habe die Hoffnung, dass der Kollege Biesenbach zusammen mit der CDU-Fraktion diesen Innenminister jetzt zu mehr Liberalität bewegen kann. In Wahrheit – lesen Sie die Pressemitteilung einmal nach – bewegt er sich immer noch auf dem Niveau seiner alten Bleiberechtsinitiative und hat gar nicht gemerkt, dass selbst Herr Beckstein inzwischen liberaler geworden ist. Das ist schon erstaunlich für einen sogenannten liberalen Innenminister, von dem man ja eigentlich in diesem Punkt hätte mehr erwarten dürfen als von seinem Kollegen Beckstein.

Wir brauchen, wenn wir ehrlich und damit bei der Realität sind, eine Lösung – dafür sollte sich Nordrhein-Westfalen dann auch im Bund einsetzen –, die vor allen Dingen ein Faktum anerkennt. Wir müssen nämlich zugeben: Mindestens 20 % der langjährig Geduldeten in unserem Land oder auch bundesweit wird man gar nicht abschieben können. Denn die haben so gute Gründe hier zu bleiben, weil es ihnen in ihrer Heimat so schlecht gehen würde, dass die kein Innenministerium, jedenfalls nicht in einem liberalen Rechtsstaat, abschieben kann. Wenn das so ist, dass man 20 % gar nicht abschieben kann, dann braucht man auch eine Bleiberechtslösung, die deutlich macht: Wir wollen möglichst viele erfassen.

Wenn man jetzt 20 % abbucht und sagt, wir brauchen eine Regelung, die nachhaltig wirkt, dann müssen wir Zahlen erreichen, die deutlich über 50 % liegen. Sonst prophezeie ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir in zwei oder drei Jahren in dieser Runde wieder über das Problem Altfälle und Geduldete diskutieren.

Deshalb brauchen wir eine großherzige, klare, einfache und unbürokratische Regelung. Mit Schrecken stelle ich fest, mit welchem Bürokratieaufwand inzwischen solche Fälle bearbeitet werden. Scharen von Rechtsanwälten kommen hinzu, Gerichte werden bemüht. Die Härtefallkommission in Nordrhein-Westfalen läuft voll mit diesen Fällen. Demnächst kann man bei den kommunalen Ausländerbehörden noch Mitarbeiter umsetzen, damit die das bewältigen können. Das alles spricht dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine einfache, nachvollziehbare, klare, unbürokratische und nachhaltige Regelung zu treffen. Ich appelliere an die Landesregierung, dass sie sich morgen und übermorgen auf der IMK für eine solche Regelung einsetzt.

Da sich in der Zwischenzeit vieles verändert hat – ich hoffe, zum Guten –, begrüßen wir den Vorschlag der Großen Koalition. Wir begrüßen insbesondere, dass eine Art Windhundrennen mit denjenigen verhindert werden konnte, die nach ersten

Plänen hier nur vorübergehend geduldet werden sollten. Den Hinweis, dass wir keine Zuwanderung im Sozialhilfesystem wollen, unterstützen wir auch. Man darf aber anschließend keine unkontrollierte Zuwanderung auf einen sehr beladenen Arbeitsmarkt verlangen.

Deswegen fand ich es unanständig, dass die Regierung in Nordrhein-Westfalen gesagt hat: Wir können uns mit einer Regelung anfreunden, die davon ausgeht, dass wir die vorläufig weiter dulden. Es dürfen dann diejenigen längerfristig bei uns bleiben, die innerhalb von ein paar Monaten einen Job gefunden haben. – Sie wissen, die Realitäten auf dem Arbeitsmarkt sind auch in Nordrhein-Westfalen zum Teil immer noch bedrückend. Diejenigen, die in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit wohnen, hätten dann kaum eine Chance gehabt, eine Arbeit zu finden. Zudem hätten sie der Versuchung erliegen müssen, jeden Job anzunehmen, weil das der Strohhalm ist, nach dem man greift, um hier bleiben zu können.

Deswegen bin ich froh, dass Franz Müntefering und Wolfgang Schäuble, aber auch die jeweiligen Zuständigen in der CDU/CSU- und der SPDBundestagsfraktion abgesprochen haben, ein solches Windhundrennen auf Jobs nicht zuzulassen, sondern sich dafür aussprechen, dass man zunächst ein gesichertes Aufenthaltsrecht braucht und dass man die Residenzpflicht aufhebt, damit die Betreffenden mobil sind, um sich um eine Arbeit zu kümmern, und nicht in ihren Orten festhängen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen nicht den Vorwurf ersparen, dass die Landesregierung in Punkto Bleiberecht in den letzten Monaten versagt hat. Schon der erste Satz im Entschließungsantrag, Herr Kollege Biesenbach,

„Der Landtag begrüßt, dass der Innenminister mit dem nordrhein-westfälischen Vorschlag für eine Bleiberechtsregelung in der Innenministerkonferenz einen wichtigen Impuls für die politische Debatte gegeben hat.“

ist Legendenbildung und Mythos. Ich habe einmal in den Ländern nachgefragt, auch in den CDULändern. Die haben keinen Impuls aus NordrheinWestfalen feststellen können. Das war vielleicht ein Impülschen, aber in der ganzen öffentlichen Debatte ist Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht wahrnehmbar. Es ist natürlich ein Problem und ein Skandal, dass das größte Land der Bundesrepublik bei einem solch wichtigen Thema abgetaucht ist.

(Ralf Witzel [FDP]: Es gibt überhaupt keinen Skandal!)

Herr Kollege Witzel, lesen Sie einmal den Pressespiegel von gestern, was der Innenminister sagt: viele Worte, Eierei, aber nichts Konkretes. Das ist Ihre Innenpolitik, und zwar nicht nur im Bereich Flüchtlinge, sondern auch in vielen anderen Bereichen.

(Beifall von der SPD – Minister Armin La- schet: Unsinn!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um mich nicht länger an diesem Passivposten der nordrheinwestfälischen Landesregierung aufzuhalten, schlage ich Ihnen vor, den SPD-Antrag an den Innenausschuss zu überweisen, damit wir eine weitere Begleitung des Themas haben, auch im Lichte der konkreten Ergebnisse der IMK, die morgen und übermorgen tagt.

Ich möchte nicht schließen, ohne mir zwei Forderungen zu eigen zu machen, die mir heute Morgen ein Kreis von Flüchtlingsinitiativen aus dem Ruhrgebiet überreicht hat. Sie fordern aufgrund der aktuellen Diskussion in einem Memorandum erstens: Der Landtag NRW möge der IMK ein von seiner Verantwortung für das Schicksal der geduldeten Flüchtlinge geleitetes Signal geben für eine generöse Bleiberechtsregelung. Die zweite Forderung lautet: Der Landtag und die in ihm vertretenen Parteien mögen den Deutschen Bundestag veranlassen, eine humanitäre, umfassende und nachhaltige gesetzliche Regelung des Bleiberechts zu schaffen.

Diesen beiden Forderungen kann man sich nur anschließen. Wir sollten gemeinsam dafür streiten, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Rudolph. – Für die CDU spricht nun Herr Biesenbach.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Debatte hat eine Aktualität bekommen, die eigentlich gar nicht absehbar war. Wenn wir hätten sinnvoll arbeiten wollen, dann hätten wir am besten diesen Punkt heute abgesetzt, weil wir, Herr Rudolph, auf wankendem Boden arbeiten, da die Bedingungen, unter denen wir heute hier reden, reine Spekulationen sind.

Auch über unseren Umgang müssen wir uns Gedanken machen. Die Geschäftsordnung besagt, dass wir über den Antrag abstimmen müssten, da wir bereits im Innenausschuss darüber debattiert

haben. Es gibt einen Beschluss, weshalb wir heute abstimmen müssten.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Nach Absprache mit der Verwaltung sind wir allerdings frei, was die Geschäftsordnung angeht. Aus meiner Sicht sollten wir bei der ursprünglichen Überlegung bleiben zu sagen, wir fassen heute keine Beschlüsse, sondern geben es erneut in den Innenausschuss, um dort zu überlegen, wie wir damit umgehen. Dann haben wir hier keinen großen Streit und müssen nicht die Worte ausfechten, denn wir wollen ja das Signal geben, dass wir eine Regelung wollen. Wir waren auch noch nie so nahe an einer Bleiberechtsregelung.

Nur, Herr Kollege Rudolph, Sie haben gerade versucht, diese Landesregierung, die wenige Monate im Amt ist,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wenige Mona- te?)

für die jetzige Situation verantwortlich zu machen. Es wäre sinnvoll gewesen, Sie hätten in den letzten Tagen öfters in den Spiegel gesehen.

(Lothar Hegemann [CDU]: Sehr richtig!)

Denn dass wir diese Situation haben, liegt daran, dass auch in diesem Land die Landesregierungen – Ihre Partei hat diese 39 Jahre lang gestellt – nie in der Lage gewesen sind, das zu tun, was eigentlich in einem Rechtsstaat geschehen soll, nämlich Urteile umzusetzen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Wir haben sehr hohe Ausgaben. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen, Herr Jäger. Wir zahlen nach wie vor 13 Millionen € für eine ZAB, die dafür sorgen soll, dass Urteile vollzogen werden –

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

mit dem Ergebnis, Frau Düker, dass wir in Nordrhein-Westfalen die höchsten Aufwendungen, aber das schlechteste Ergebnis haben.

Obwohl wir diese Situation haben, stellen Sie sich heute hier hin und sagen: Ihr Lieben, wir müssen aus humanitären Gründen deutliche Quoten von über 50 % erreichen und die armen Menschen und die armen Flüchtlingsräte berücksichtigen.

Herr Kollege Biesenbach, Herr Abgeordneter Jäger von der SPDFraktion äußert den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Würden Sie diese zulassen?

Nein. Ich kenne Herrn Jäger und weiß, was er jetzt erreichen möchte.

Sie brauchen das nicht zu begründen.

Der Punkt ist doch folgender: