Seit gestern befindet sich die GEW auf dem ungeordneten Rückzug. Ihr Bundesvorsitzender hat sich für Missverständnisse entschuldigt. Plötzlich war alles nicht mehr so gemeint, wie es gedruckt worden ist. Eine klare inhaltliche Distanzierung von der Broschüre steht allerdings aus. Auch die GEW in Nordrhein-Westfalen hat sich bislang nicht klar distanziert. Sie hat gestern lediglich wissen lassen, dass diese Debatte im Landtag überflüssig sei,
weil den Mitgliedern die Broschüre nicht über die NRW-Organisation, sondern über den Hauptvorstand zugänglich war. Aber was, bitte schön, macht das für einen Unterschied?
Deshalb ist diese Debatte im Landtag alles andere als überflüssig. Was die Menschen in Nordrhein-Westfalen bewegt, muss Thema im Landtag sein. Was in einer Gewerkschaft geschieht, deren Mitglieder sich in Erziehungs- und Bildungsberufen betätigen, muss erst recht Thema im Landtag sein, meine Damen und Herren.
Die GEW im Bund und in NRW wäre gut beraten, die Verunglimpfung des Deutschlandliedes nicht nachträglich und nur pro forma zu relativieren, sondern sich klar zu unserer Nationalhymne zu bekennen. Dafür gibt es gute Gründe. Gerade das „Lied der Deutschen“ ist in besonderer Weise als Hymne geeignet, weil es selbst – wie Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1991 schrieb – der deutschen Geschichte ausgesetzt war:
„Es wurde geachtet und bekämpft, als Zeichen der Zusammengehörigkeit und gemeinsamer Verantwortung verstanden, aber auch in nationalistischer Übersteigerung missbraucht.“
Das Deutschlandlied ist auch mit der Geschichte der Bundesrepublik verbunden, denn es wurde 1954 auf dem Rasen von Bern genauso gesungen wie 1990 aus Anlass der Wiedererlangung der staatlichen Einheit. In der dritten Strophe – Herr Sternberg hat es ausgeführt – kommen mit Einigkeit, Recht, Freiheit und Brüderlichkeit zudem diejenigen Werte zum Ausdruck, denen wir uns als Deutsche und Europäer verpflichtet fühlen. Wir können uns deshalb mit Respekt und ohne Vorbehalt zu unserer Nationalhymne bekennen.
In Wahrheit geht es bei dieser Debatte um eine andere Frage. Es geht darum, ob in Deutschland ein unverkrampfter, ein weltoffener Patriotismus auch nach der Fußballweltmeisterschaft möglich ist. Als Freie Demokraten stellen wir uns allen Versuchen entgegen, dumpfe Ressentiments und nationale Überheblichkeit als Patriotismus auszugeben.
Anderseits dürfen Verbundenheit mit der Heimat, die Zuneigung zu dieser Gesellschaft, der Stolz auf ihre Leistungen und die Verantwortung für die Werteordnung des Grundgesetzes nicht länger unter Verdacht gestellt werden, meine Damen und Herren.
Die Patriotismusdebatte muss aus der muffigen Ecke heraus, denn Gesellschaft, Demokratie und Staat brauchen einen emotionalen Ankerpunkt. Wer keine Zuneigung zu seinem Gemeinwesen empfindet, kann auch keinen Respekt gegenüber anderen Nationen entwickeln. Wie sollen wir Verantwortung gegenüber einer staatlichen Gemeinschaft wecken, wenn wir uns nicht positiv mit ihr identifizieren?
Als Freie Demokraten bekennen wir uns deshalb zu einem Patriotismus der liberalen Zivilgesellschaft, durch den sich Menschen mit unserer freiheitlichen Verfassung identifizieren und durch den sie unsere Gesellschaft mitgestalten. Dieser Verfassungspatriotismus ist nicht blutleer, denn er kann sich auf Persönlichkeiten, auf individuelle wie gemeinschaftliche Leistungen und auf die gemeinsame Geschichte beziehen.
Wenn wir die drohende Fragmentierung der Gesellschaft verhindern und ihren inneren Zusammenhalt sichern wollen, müssen wir die Werte unserer republikanischen, freiheitlichen Verfassung an die Herzen und Köpfe aller Bürgerinnen und Bürger, egal welcher Herkunft, vermitteln. Diese Werte kommen nirgendwo besser zum Ausdruck als in der dritten Strophe des Deutschlandliedes. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist zu Gast bei Freunden. Das sehen wir in diesen Tagen. Sie ist bei Freunden, die Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus eine klare Absage erteilen.
Das haben wir im Landtag zusammen besprochen und beschlossen. Deswegen haben wir die Demonstration, die Veranstaltung in Gelsenkirchen gegen die Neonazis unterstützt.
Wir sehen jeden Tag ein großes multikulturelles Ereignis in einer globalen Welt, in der der Sport nicht trennt, sondern zusammenführt. Dabei kann jeder und jede seine und ihre Nationalhymne unbeschwert summen oder singen oder ihr zuhören. Wir summen, singen oder hören sie ebenfalls gerne.
Dass die deutsche Nationalhymne unverkrampft gesungen werden kann, liegt zum Beispiel daran, dass es eben keine antifranzösische Prägung des deutschen Nationalbewusstseins mehr gibt. Das war 1841 eben anders, als August Heinrich Hoffmann von Fallersleben das „Lied der Deutschen“ gedichtet hat. Auch der Kölner Dom, der damals noch als ein Symbol der Befreiung von französischer Fremdherrschaft galt, gilt heute längst nicht mehr als solches. Insofern zeigt sich, wie viel sich zum Guten in unserem Land und in Europa verändert hat.
Es zeigt übrigens auch, dass eine Art europäischer Patriotismus durchaus möglich ist, indem sich Franzosen und Deutsche beispielsweise einträchtig Seite an Seite vom Krieg im Irak ferngehalten haben.
Auch das zählt zu den Lehren der deutschen Geschichte und trägt dazu bei, dass man das Deutschlandlied unverkrampft singen kann.
Man kann es auch deshalb singen, weil das deutsche Solidaritätsempfinden keine Zumutung mehr gegenüber anderen darstellt. Wir sehen in diesen Tagen, dass es eine Einladung zum gemeinsamen Feiern, zur Party und dafür ist, gemeinsam auf To-go-Areas für friedliches Zusammentreffen zu gehen.
Schließlich können wir die Nationalhymne auch deshalb völlig unverkrampft und unbeschwert singen, weil es in unserem Land keinen nennenswerten politischen Nationalismus mehr gibt.
Ich sage Ihnen, zur ganzen Geschichte gehört auch – das ist beim Kollegen Sternberg durchaus angeklungen; an einigen Punkten will ich es noch etwas deutlicher machen –: Wir können die Nationalhymne auch deshalb unverkrampft singen, weil wir Deutschen uns sehr kritisch mit ihr auseinander gesetzt haben. Was Sie in Ihrem historischen Diskurs so glatt dargestellt haben, war komplizierter.
Liebe Freunde von der liberalen Partei: Es war der FDP-Bundespräsident Theodor Heuss, der mit dem Lied und der Hymne Probleme hatte. Deswegen kam doch der Briefwechsel mit Adenauer zustande. Also bekennen Sie sich dazu, dass auch Sie in Ihrer Partei einmal Probleme mit dem Deutschlandlied hatten. Dann wird die ganze Debatte hier noch etwas unverkrampfter.
Mein Rat vor diesem Hintergrund ist gesprochen mit Paul Nolte, auf den Sie ja öfters hören: Versuchen Sie nicht, die Landesregierung zur Anstalt zur moralischen Erziehung der Nation zu machen. – Das geht schief.
Ich komme zum Schluss zum eigentlichen Thema. Der eigentliche Grund für Ihren Antrag und diese Debatte ist, dass Sie ablenken. In Wahrheit ist es nämlich so: Die GEW in Nordrhein-Westfalen verteilt Spielpläne an die Schulen, an Interessierte, vielleicht auch an Sie. Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund zur Dramatisierung.
Sie allerdings lenken vom eigentlichen Thema ab. Das müsste nämlich lauten: Warum gelingt das Solidaritätsempfinden der Deutschen eigentlich nur bei der Fußball-WM? Warum sind die Solidarität und das Solidaritätsempfinden der Nachbarn vor dem Fernseher, bei Public Viewing, im Stadion größer als im Alltag? Warum gibt es zu wenig Solidarität in unseren Schulen, in den Stadtteilen, am Arbeitsmarkt, unter Steuerbürgern? Die Antwort lautet: Anders als bei den singulären Ereignissen von Fußball-WMs gibt es in unserem Land zu wenig Anerkennung, zu wenig Solidarität, zu wenig Respekt, zu wenig Teilhabe und zu wenig Gerechtigkeit.
Insofern wäre ich jetzt gespannt gewesen, was beispielsweise der Liberalismus zum Programm eines modernen Patriotismus beizutragen hat. Die Wahrheit ist: Sie unterstützen den Patriotismus in den Stadien, aber zu wenig im Alltag.
Sie müssten einmal sagen, was Ihre praktischen patriotischen Taten in der Bildungspolitik sind, in der Hochschulpolitik, in der Arbeitsmarktpolitik.
Dann kommen wir zu einem Ergebnis und einem Befund: Wer modernen Patriotismus will und wer unser Land voranbringen will, der darf nicht spalten, sondern muss versöhnen. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von den Rednern der Regierungsfraktionen habe ich heute eine Menge Selbstverständlichkeiten gehört. Der einen oder anderen stimme ich zu, mancher auch nicht. Es war aber etwas verkrampft, fand ich.