Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von den Rednern der Regierungsfraktionen habe ich heute eine Menge Selbstverständlichkeiten gehört. Der einen oder anderen stimme ich zu, mancher auch nicht. Es war aber etwas verkrampft, fand ich.
Es gibt einen saloppen Spruch, den ich immer mal wieder gerne benutze: Jeder blamiert sich, so gut er kann. – Das habe ich gedacht, als ich am Samstag die „Rheinische Post“ gelesen habe, nach dem Motto: Die GEW lässt aber auch nichts aus.
„Jeder blamiert sich, so gut er kann“ passt aber auch auf Ihren Antrag für die heutige Aktuelle Stunde.
Herr Stahl, Sie legen doch sonst immer so großen Wert darauf, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das man Ihnen hinhält. Aber bei der GEW machen Sie jetzt eine Ausnahme: Da springen Sie und werten etwas auf, was hier in NRW gar kein Thema zu sein bräuchte.
Wir hätten mit Ihnen lieber über die notwendige Reform des Ehegattensplittings diskutiert. Die Debatte darüber beginnt erfreulicherweise ja nun auch in Ihrer Partei. Da hätte mich schon interessiert, was Sie davon halten, was unser Ministerpräsident davon hält und wie sich die neue CDU im Westen mit einer Frage auseinander setzt, die viele Kinder betrifft, die Eltern betrifft, die Frauen betrifft. Das hätte mich interessiert.
Über welches Stöckchen reden wir heute? Ich habe dazu eine Menge zu sagen. Was ist das nun für ein gefährlicher Angriff auf unsere Hymne? Ich weiß ja nicht, wer von Ihnen diese „subversive Kampfschrift“ überhaupt kennt. Etliche Seiten mit dem Titel: „Argumente gegen das Deutschlandlied“ und dem Untertitel „Geschichte und Gegenwart eines furchtbaren Lobliedes auf die deutsche Nation“. Wie gesagt: eine Broschüre, die sehr alt ist, aus meiner Sicht völlig einseitig und nicht besonders gut gemacht.
Aber dass es – das hat Herr Sternberg deutlich gemacht – sehr wohl auch darin Passagen gibt, die uns nachdenklich machen müssen, weil es eine Rezeptionsgeschichte der Nationalhymne gibt, darauf sollte man im Unterricht hinweisen, wenn man Kinder und Jugendliche fachlich aufklären, sie aber auch zu kritischen Geistern erziehen will. Das steht zumindest nach wie vor in unseren Richtlinien, dass man das tun soll.
Welche Rezeption das phasenweise – hören Sie doch mal zu, seien Sie doch mal ein bisschen differenzierter! – für Opfer des Nationalsozialismus hatte, auch das steht darin. Wir sind uns doch einig, dass das wichtig ist, dass wir das ernst nehmen. Ich finde, Sie haben sich mit dieser Debatte keinen Gefallen getan.
Aber muss man diese Broschüre deshalb gleich verbieten? Frau Sommer, glauben Sie wirklich, Sie könnten jeden Unfug, den Verbände, Gewerkschaften oder Parteien an Lehrkräfte verteilen, verbieten? Haben Sie so wenig Vertrauen in die Kompetenz der Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer, dass sofort ministeriell interveniert werden muss? Also viel Lärm um nichts, damit wir endlich einmal unsere Schulministerin als Heldin sehen oder aber noch größere Helden wie Herrn Papke, die die Nationalhymne gegen die böse GEW verteidigen?! Hurra!
Hätten Sie gut recherchiert, dann hätten Sie gemerkt: Die Broschüre, über die wir hier und heute diskutieren, sollte in NRW überhaupt nicht verteilt werden. In Hessen wurde sie nur an Vertrauensleute geschickt. Die wollen jetzt aber alle nachsehen, was darin steht. Sie haben also Ihrem eigentlichen Anliegen auch noch einen Bärendienst erwiesen!
Die GEW in Nordrhein-Westfalen bekennt sich auf ihren Internetseiten zu Einigkeit und Recht und Freiheit als wichtige Orientierung gerade für Lehrkräfte.
Weil hier so viel zitiert worden ist, bringe ich auch das Folgende noch, damit das hier nicht so im Raum stehen bleibt. Herr Lindner, Ihnen von der FDP ging es offenbar darum, die Gewerkschaften zu verunglimpfen. Zitat aus dem Papier der GEW NRW: „Wir haben keine Probleme mit der deutschen Nationalhymne, noch weniger mit Fans, die sie zur Unterstützung der deutschen Nationalmannschaft singen.“ Originalton GEW NRW! Wenn Sie das recherchiert hätten, wäre die Sache vom Tisch. Herr Thöne hat es auch noch klargestellt.
Aber nein! Offensichtlich brauchen Sie die Debatte für Ihre Identität. Was soll das? Was wollen Sie mit dieser Debatte?
Es ist wieder einmal der Versuch, zu beweisen: Wir sind die besseren Patrioten. – Darum geht es. Ministerin Sommer verteidigt die Nationalhymne. Hat sie das nötig? Frau Sommer vielleicht, aber die Nationalhymne doch sicher nicht, meine Damen und Herren.
Die GEW wollte, wie gesagt, diese Broschüre hier in NRW noch nicht einmal verteilen. Frau Sommer kämpft gegen ein Phantom. Würde sie doch einmal bei den wirklichen Problemen von Schülerinnen und Schülern in NRW so kämpfen! Sie führen eine Ersatzdebatte, die mit den Problemen an unseren Schulen nun wirklich nicht das Geringste zu tun hat.
Warum machen Sie das? – Sie wollen patriotische Gefühle für sich instrumentalisieren, wie es die GEW in Hessen mit der WM versucht hat. Das eine ist so überflüssig wie das andere.
Meine Damen und Herren, bei wem schaut man am besten nach, wenn es um guten und schlechten Patriotismus geht? – Bei Heinrich Heine. Ich zitiere:
„Der Patriotismus des Franzosen besteht darin, dass sein Herz erwärmt wird, durch diese Wärme sich ausdehnt, sich erweitert, dass es nicht mehr bloß die nächsten Angehörigen, sondern ganz Frankreich, das ganze Land der Zivilisation mit seiner Liebe umfasst; der Patriotismus des Deutschen hingegen besteht darin, dass sein Herz enger wird, dass es sich zusammenzieht, wie Leder in der Kälte, dass er das Fremdländische hasst, dass er nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Deutscher sein will.“
Patriotismus als weites offenes Herz: eine wunderbare Vorstellung. Das Deutschland von heute ist offenbar ein bisschen französischer geworden. Darüber freue ich mich sehr.
Das erleben wir mit der WM ganz deutlich. Natürlich: Wie auch Sie begeistert mich die Weltmeisterschaft. Es ist ein wunderbares Fest mit tollen Partys von überwiegend friedlichen und fröhlichen Menschen aus allen Teilen der Welt. Wir feiern Karneval im Juni.
Das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ wird hier in unserem Land wirklich mit Leben erfüllt. Darüber freuen wir uns alle sehr, und darauf bin ich stolz, denn es zeigt: Dieses Deutschland ist weltoffen, und die allermeisten Deutschen haben den Geist des Fairplays nicht nur verstanden, sie leben ihn auch. Zuwanderer sind mit deutschen Flaggen und hupend unterwegs. „Steht auf, wenn ihr Ghanaer seid“, riefen Kölner WM-Fans. Und – da bin ich Herrn Rudolf dankbar – als die NPD versucht hat, die Fratze Deutschlands zu zeigen, waren Tausende da, um zu demonstrieren: Wir sind das wirkliche Deutschland. – So war es, und das ist wichtig. Es gab doch die Instrumentalisierungsversuche.
Ihr ordnungspolitisches Mantra „Privat vor Staat“ gilt beim Feiern anscheinend nicht. – Meine Damen und Herren, Heine schrieb über das schon Gesagte hinaus – ich muss mich ein bisschen beeilen –:
Auch da sind wir weiter. Die Deutschen tun längst nicht mehr alles, was ihnen ihre Fürsten befehlen. Das ist – außer dem Gruppensieg der deutschen Mannschaft – die beste Nachricht der Woche, wenn nicht des Tages. Wir brauchen den Patriotismus nicht zu verordnen, denn er findet von selber statt. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren.
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Dr. Gerhard Papke [FDP]: Ganz schlimme Rede! – Christian Lindner [FDP]: Sie hätten auch ein bisschen Haltung bewahren kön- nen!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ausgerechnet wenn eine Nation – diesmal bedingt durch den Fußball – beginnt, wieder zusammenzuhalten, um sich über sportliche Erfolge zu freuen, beginnen hier die Diskussionen um unser Lied der Deutschen.
Seit noch nicht einmal zwei Wochen erleben wir, dass „Die Welt zu Gast bei Freunden“ angekommen ist. Nordrhein-Westfalen zeigt sich mit den drei Weltmeisterschaftsspielorten als gastfreundliches Land, und wir sind zuverlässiger Partner von Fußballspielern und Fußballfreunden.
Manches, Frau Löhrmann und Herr Rudolf, was Sie vorgetragen haben, erscheint mir doch sehr verquast.
Vielen – und auch mir – macht die Fußballweltmeisterschaft einfach Spaß. Können wir uns das nicht einmal eingestehen?