Protocol of the Session on June 21, 2006

Ich komme zum Schluss

(Beifall von der SPD)

ich weiß, das tut Ihnen weh, aber da müssen Sie durch – und sage noch einmal: Die CDUFraktion ist froh und dankbar, dass unser Innovationsminister Andreas Pinkwart diesen wegweisenden Gesetzentwurf jetzt vorlegt. Ich bin sicher, das Hochschulfreiheitsgesetz wird den Hochschulen helfen, die Herausforderung der Zukunft zu bestehen. Es wird die Hochschullandschaft Nordrhein-Westfalens nachhaltig verändern. Es wird Kreativität und Ideenreichtum fördern. Ich bin zuversichtlich, dass mit diesem Schritt NordrheinWestfalen zum Innovationsland Nummer eins wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Kuhmichel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Dr. Seidl.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kuhmichel, das waren ja gerade große Worte. Aber bei allem Respekt: Selbst Ihnen ist es nicht gelungen, diesen Gesetzentwurf der Landesregierung schönzureden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Fragen Sie doch einmal draußen bei allen, die an den Hochschulen arbeiten, studieren, forschen und lehren nach, ob das heute ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen ist.

Eines ist klar: Die vernichtende Kritik aus der Hochschullandschaft am Referentenentwurf zum Hochschulfreiheitsgesetz hat zwar dazu geführt, dass dieser verbal entschärft wurde. Im Kern hat sich aber nichts geändert. Es bleibt bei der höchst umstrittenen politischen Weichenstellung, die staatliche Verantwortung für Wissenschaft, Forschung und Lehre zugunsten eines pseudomodernistischen Markt- und Wettbewerbsansatzes aufzugeben. Wir sagen: Ein solches Staatsverständnis können wir nicht mittragen. Wenn Sie, Herr Pinkwart, die Universität Bremen als leuchtendes Beispiel für eine besonders gute Hochschule heranziehen, dann kann ich nur feststellen, dass Bremen weder das Personal verselbständigt hat noch einen Hochschulrat besitzt.

In Ihrem Entwurf, Minister Pinkwart, vertrauen Sie auf eine marktförmige Steuerung zwischen den Hochschulen, aber auch innerhalb der einzelnen Einrichtungen. Ob die Hochschulen hierdurch frei werden, Herr Pinkwart, ist höchst fraglich. Sieht

man sich die drei wesentlichen Eckpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs an, die Verselbständigung als Körperschaft, die neue Hochschulverfassung und die neue Hochschulsteuerung, dann ist vom einstigen humboldtschen Bildungsideal, das Sie ja eben noch zitiert haben, nicht mehr viel zu erkennen. Das ist doch vielmehr das Ende der Gruppenuniversität und der akademischen Selbstverwaltung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Statt die Binnenorganisation und die Selbstverantwortung der Hochschulen zu stärken, legen Sie dem Senat und der Hochschulleitung gewissermaßen die Zügel an. Entsprechend negativ fällt auch das Echo der Hochschulen aus. So stellt Professor Dr. Bulst, der Vorsitzende des Senats der Universität Bielefeld, fest:

„Mit diesem Gesetz in der vorliegenden Form, das zu Unrecht den Titel ‚Hochschulfreiheitsgesetz’ trägt, wird eine neue Unfreiheit institutionalisiert und die Hochschulen einer neuen Gängelung, die man eigentlich gerade auch im Hinblick auf eine bessere Erfüllung ihrer Aufgaben überwunden glaubte, unterworfen.“

In der Stellungnahme des Senates der Universität Duisburg/Essen heißt es:

„In Bezug auf die Hochschulautonomie stehen gravierenden systematischen Einschränkungen lediglich wenige marginale Gewinne gegenüber.“

Es scheint, Herr Minister Pinkwart, als käme Ihr Freiheitsbegriff bei den Hochschulen gar nicht gut an. Der mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete Hochschulrat wird von sämtlichen Entscheidungsgremien der Hochschulen abgelehnt. Die Verselbstständigung der Hochschulen wird insbesondere vonseiten des nicht wissenschaftlichen Personals massiv kritisiert. Große Ängste bestehen hinsichtlich eines verschärften Wettbewerbes, der dazu führen kann, dass einzelne Hochschulen – ich glaube, das haben Sie auch gar nicht ausgeschlossen – zukünftig in ihrer Existenz gefährdet sein werden. Vor dem Hintergrund einer solch massiven Kritik wären Sie gut beraten, diesen umstrittenen Gesetzentwurf zurückzuziehen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Stattdessen ziehen Sie einen Zeitplan durch, der weder ausreichend Raum für die parlamentarische Debatte noch zu einer angemessenen inhaltlichen Befassung innerhalb der Hochschulen Zeit lässt. Es bleibt der bittere Nachgeschmack bei al

len Beteiligten, dass Sie Ihr Gesetz in den Semesterferien verabschieden wollen, um sich möglichst schnell der allgemeinen Kritik zu entziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen einen weiteren Ausbau der Autonomie an unseren Hochschulen. Aber da waren wir in NordrheinWestfalen schon einmal weiter. Gucken wir uns das aktuelle HG noch einmal daraufhin an: Staatliche Fachaufsicht gibt es nur noch in den Bereichen Personalverwaltung und Haushalt. Die Berufung von Professoren sowie die Einrichtung, Aufhebung und Änderung von Studiengängen sind vollständig an die Hochschulen delegiert. Die Hochschulen haben weitgehende Gestaltungsfreiheit bei der Binnenorganisation, also dem Zuschnitt sowie der Bezeichnung der wissenschaftlichen Organisationseinheiten und der zentralen Serviceeinrichtungen.

Die Hochschulen haben heute schon die Wahl zwischen Rektorats- und Präsidialverfassung. Diese und andere Freiheiten, die die Hochschulen heute schon haben, bauen Sie keinesfalls aus, Herr Minister Pinkwart. Ganz im Gegenteil: Sie nehmen sie den Hochschulen teilweise wieder weg und übertragen sie auf ein neues Gremium, auf den sogenannten Hochschulrat.

Wirklich moderne Hochschulpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, heißt aber nicht gleichzeitig Rückzug aus der Verantwortung.

Statt einer marktorientierten Steuerung brauchen wir in unserem Hochschulsystem einen Steuerungsmix, der staatliche Verantwortung, Wettbewerbsstrategien, Zielvereinbarungen, partizipatorische Entscheidungsstrukturen und ein professionalisiertes Hochschulmanagement miteinander verbindet. Es muss darum gehen, zwischen den Akteuren Hochschule und Staat sowie innerhalb der Hochschulen Machtbalancen herzustellen, aber gleichzeitig auch Hängepartien zu vermeiden, indem klare Entscheidungsstrukturen geschaffen werden.

Dass Herr Minister Pinkwart in diesen Tagen die Hochschulen auffordert, mehr Geld in Eigenregie für den Forschungsbetrieb einzuwerben, ist ein klares Signal in Richtung Wettbewerb. Wie so etwas enden kann, zeigt nicht zuletzt das Beispiel der renommierten privaten Hochschule Witten/Herdecke, die ja bekanntermaßen kurz vor dem Konkurs steht. Hier hat Ihr Parteikollege, der hochgeschätzte Prof. Schily, jahrelang die reine Lehre von Staatsferne und freiem Markt vertreten – mit dem Ergebnis, das sich heute zeigt: Ohne erhebliche staatliche Finanzspritzen wird hier nicht mehr viel zu retten sein.

Die Devise „Privat vor Staat“ ist – das zeigt auch dieses Beispiel überdeutlich – zumindest für den Bereich von Bildung, Wissenschaft und Forschung nicht die Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Deshalb sagen wir Grüne Ja zu mehr Freiheit für die Hochschulen, Ja zu Freiheit von Forschung und Lehre, aber ganz klar Nein zu diesem vermeintlichen Hochschulfreiheitsgesetz. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Dr. Seidl. – Herr Lindner hat nun für die FDP das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Obwohl wir uns heute in erster Lesung mit dem Hochschulfreiheitsgesetz befassen, ist über den Gesetzentwurf in den vergangenen Monaten bereits viel diskutiert worden. Er war auch bereits Gegenstand von parlamentarischen Vorgängen.

Anders als Sie, meine Dame und mein Herr von der Opposition, glauben machen wollten, ist dieser Entwurf auch auf große Zustimmung gestoßen.

(Beifall von FDP und CDU)

Im Übrigen hat selten zuvor ein Gesetzentwurf so hohe Weihen erhalten. Papst Benedikt XVI hat den Ministerpräsidenten bei seiner Audienz ausdrücklich dazu ermuntert, den nordrheinwestfälischen Hochschulen wie geplant mehr Selbstständigkeit zu geben.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Er kennt den Gesetzentwurf also!)

Der Papst weiß, wovon er spricht.

(Zurufe von SPD und GRÜNEN)

Denn bekanntlich war er Professor in Bonn und Münster. Da verhält es sich mit der Opposition in diesem Haus schon anders.

(Lachen von SPD und GRÜNEN – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Etwas ganz Neues!)

Sie sehen nämlich nicht die Chancen, die mit diesem Gesetz verbunden sind, sondern Sie konzentrieren sich auf die Risiken. Sie leisten selbst dort, wo Sie es besser wüssten, keinen Beitrag zur Aufklärung in der Sache, sondern Sie schüren Ängste und streuen Fehlinformationen. Sie wollen in Wahrheit auch keine Veränderung in der Hochschulpolitik, sondern Sie wollen an den Grundlinien Ihrer Hochschulpolitik festhalten.

Deshalb ist es zu Beginn dieser parlamentarischen Beratung des Hochschulfreiheitsgesetzes erforderlich, die Ausgangslage zu bestimmen, deretwegen ein Neustart in der Hochschulpolitik alternativlos ist.

Erstens. Während in den USA im Studienjahr 2004/2005 statistisch gesehen ein Professor 32 Studierende betreute, waren es in Deutschland im Schnitt 53 und in Nordrhein-Westfalen sogar 82 Studierende. Nordrhein-Westfalen gehört in dieser Hinsicht sowohl zum Schlussfeld innerhalb der OECD als auch im Bundesländervergleich.

Zweitens. Im Bereich der laufenden Grundmittel je Studierenden gehört Nordrhein-Westfalen ebenfalls zum unteren Drittel. Laut der Hochschulfinanzstatistik des Statistischen Bundesamtes standen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2003 lediglich 6.900 € pro Studierenden zur Verfügung, während es im Bundesschnitt 7.300 € waren.

Drittens. Das hat Folgen. So lag die durchschnittliche Studiendauer in Nordrhein-Westfalen 2003 bei 11,9 Semestern; das war der drittschlechteste Wert hinter Berlin und Bremen.

Viertens. Im Gegensatz zum Bundestrend ist in Nordrhein-Westfalen die Anzahl der Absolventen im Bereich der Naturwissenschaften und in Ingenieurberufen in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen. Die Wirtschaft beklagt mittlerweile einen zunehmenden Fachkräftemangel auf diesem Gebiet.

Fünftens. Der Mangel an gut ausgebildeten Akademikern, der optimierungsbedürftige Wissenstransfer zwischen Hochschulen und Wirtschaft sowie die insgesamt zu beklagende Forschungsabstinenz der Wirtschaft wirken sich auf die Zahl der Patentanmeldungen aus. Im Jahr 2004 wurden in Baden-Württemberg 13.449 Patente angemeldet. In Nordrhein-Westfalen waren es gerade einmal 7.830 Patente. Tendenz: fallend.

(Bernd Schulte [CDU]: Daimler-Chrysler!)

Ich erspare Ihnen und mir weitere Beispiele für die Ergebnisse sozialdemokratischer und rot-grüner Hochschulpolitik. Ich bilanziere allerdings eines: Wir haben in Nordrhein-Westfalen bislang zwar die dichteste, aber eben nicht die beste Hochschullandschaft in Deutschland.

Warum ist das trotz der Ballung von Wissenschaft und Forschung so? Warum ist so wenig Exzellenz bei uns sichtbar? – Unsere Wissenschaftler sind doch nicht weniger kompetent. Die Studierenden sind doch nicht dümmer, und die Mitarbeiter in den Hochschulverwaltungen sind doch nicht weniger engagiert als anderswo. Aber unser rechtli

cher Rahmen ist schon lange nicht mehr zeitgemäß.

So hat der Stifterverband in einer Studie aus dem Jahr 2002 die Qualität der Landeshochschulgesetze in 28 Einzelfragen untersucht. Lediglich in fünf Kategorien entsprach das nordrheinwestfälische Hochschulrecht den Anforderungen der Prüfer.

(Dr. Ruth Seidl [GRÜNE]: Wir haben 2005 ein neues Gesetz bekommen!)

Seit 2002 hat sich das Hochschulrecht nicht so grundlegend verändert, liebe Frau Seidl.