Protocol of the Session on June 1, 2006

Wir haben dann sozusagen die Arbeit für die Koalition gemacht, damit die wenigstens zu einem aus Ihrer Sicht einigermaßen akzeptablen Antrag kommt. Das finde ich peinlich. Ich würde mir wünschen, dass es dazu noch eine Aufarbeitung gibt. Das kann man vielleicht an anderer Stelle machen. Das Verfahren ist aber fatal.

Ich finde es noch heftiger, dass Sie dann nicht wenigstens Ihren Antrag als Entschließungsantrag ins Verfahren einspeisen, sondern dass Sie so tun, als ob Ihr Antrag jetzt die neue Erfindung der Welt sei. Die Anträge der SPD-Fraktion und von unserer Fraktion sind im Beratungsverfahren. Vielleicht können Sie sich darauf besinnen, dass dies der Ursprung ist, warum überhaupt noch ein Antrag zustande gekommen ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich möchte noch etwas zu dem Inhalt sagen. Auch wenn man die Rede von mir zu dem Thema aus dem letzten Jahr jederzeit einsehen kann, möchte ich noch etwas zu dem sagen, was mich an Ihrem Antrag in der veränderten Fassung extrem stört.

Das Strafrecht steht für Sie im Mittelpunkt. Wenn man sich ansieht, in welcher Situation diese jungen Frauen sich befinden, dann wird klar, dass eine Strafrechtsverschärfung nicht das ist, was einer jungen Frau in dem Moment, in dem sie von ihrer Familie eine Zwangsehe angedroht bekommt, in irgendeiner Weise hilft. Darüber steht das Damoklesschwert: Wenn du dich outest, wirst du abgeschoben. Wenn du sechs Monate zu Hause bist, kannst du auch nicht wieder zurückkommen.

Das heißt, man muss darüber reden, wie man einen gesetzlichen Rahmen schaffen kann, sodass die jungen Frauen auch von diesem Recht geschützt werden, nämlich insoweit, dass sie die Sicherheit haben: Wenn ich gegen den Täter etwas unternehme, dann geschieht mir nichts, denn ich bekomme Schutz in diesem Land, wenn ich versuche, gegen eine nicht gewollte, geahndete Struktur anzugehen, nämlich gegen diese patriarchalische Familienstruktur, wonach Frauen „verheiratbar“ sind.

Im Moment ist es so, dass diese jungen Frauen nicht geschützt sind. In dem Augenblick, in dem es – wie auch immer – zu einer öffentlichen Auseinandersetzung um die Situation der Zwangsheirat kommt, werden sie unter dem Druck ihrer Familien noch massiver angegangen, in den meisten Fällen sogar in ihr Heimatland abgeschoben. Dann haben sie das Problem, dass zum Beispiel diejenigen, die nur deutsch sprechen, sich in einem anderen Land wiederfinden, in dem die dort gesprochene Sprache nichts mit ihrer eigenen Sprache zu tun hat.

Wir sagen: Nicht die Frage des Strafrechts, sondern die Frage des Opferschutzes muss im Vordergrund stehen. Wir hatten in dem Antrag einen Punkt stehen, in dem es heißt: Überprüfung der Notwendigkeit einer Korrektur. Das war schon der Kompromiss. Wir haben nicht gesagt, eine Veränderung, sondern wir haben nur formuliert, Überprüfung der Notwendigkeit einer Korrektur weiterer zivilrechtlicher, aufenthaltsrechtlicher und jugendhilferechtlicher Bestimmungen zum Schutz der Opfer.

Das waren Punkte, die sogar die Staatssekretärin und auch der Minister mehrfach angesprochen haben, dass man natürlich darüber zu reden hat, ob man zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht kommen muss – in welcher Form auch immer –, ob man zu zivilrechtlichen Änderungen kommt, ob man auch über die Jugendhilfe Zugang zu bestimmten Instrumenten erhält, damit die Opfer geschützt werden.

Das sind aber Themen, die spielen bei SchwarzGelb keine Rolle mehr. Dieser Spiegelstrich ist aus dem Antrag in der letzten Überarbeitung herausgestrichen worden, weil die zivilrechtliche, die aufenthaltsrechtliche und die jugendhilferechtliche Überprüfung, eine Korrektur, eine Veränderung von Ihrem großem Koalitionspartner, zumindest von der Mehrheit, nach dem Beschluss nicht gewollt ist.

Meiner Meinung nach müssen wir auch darüber reden, dass Zwangsheiraten nur die Spitze des Eisberges ist, dass es um sehr viel mehr geht. Das wird auch in der Studie des Bundesministeriums aus dem Herbst 2004 deutlich. Danach besteht gegen Migrantinnen, insbesondere gegen junge Migrantinnen, ein deutlich höheres Gewaltpotential als gegen andere Teile der Bevölkerung. Wir müssen gegen Gewalt und gegen häusliche Gewalt gegen Migrantinnen massiv mehr unternehmen.

Als letzter Punkt, um die Kurve zu dem zu kriegen, was die Landespolitik in dem Bereich macht:

Die Schutzeinrichtungen, die Strukturen für die Opfer müssen erhalten bleiben. Das wird in dem letzten Haushalt nicht in der notwendigen Form sichergestellt. Das wird auch über den nächsten Haushalt, so wie ich es im Moment höre, wahrscheinlich nicht verbessert.

Wer sagt, wir müssen etwas gegen Zwangsheirat machen, der muss in die Strukturen für die Opfer investieren, der muss Opferschutz groß schreiben. Er kann sich nicht dahinter verstecken, einfach zu sagen: Wir wollen ein neues Strafrecht und eine Strafrechtsverschärfung haben. Das hilft den Menschen, den betroffenen Frauen letztlich nicht. Vielleicht ist das in 10, 20, 30 oder 40 Jahren der Fall, wenn sich die Gesellschaft theoretisch einmal verändert haben würde. Aber ein Wenn und Dann können wir nicht setzen; wir wollen den Opfern heute, hier und jetzt helfen. – Danke.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Laschet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist gut, dass wir diesen Antrag heute beraten. Ich will gar nicht auf die Geschichte eingehen, warum kein gemeinsamer Antrag zustande gekommen ist. Ich denke, im Ergebnis wäre es gut, wenn der gesamte Landtag dieses Thema mit einvernehmlichen Handlungskonzepten und einvernehmlichen Positionen – vielleicht nach der Ausschussberatung – beraten und sich diese Position zu Eigen machen würde.

Die erste Frage lautet, weshalb wir ein solches Thema eigentlich erst seit wenigen Jahren diskutieren. Nach 50 Jahren Zuwanderung und Einwanderung nach Deutschland beginnt man jetzt, über Straftatbestände zur Zwangsverheiratung, über Konzepte, über Opferschutz, über zivil- und ausländerrechtliche Regelungen nachzudenken.

Das Thema haben wir in der Gesellschaft lange Zeit verdrängt. Wenn wir es thematisieren, sollten wir das nicht nur für Deutschland tun. Der Bericht der Vereinten Nationen ist zitiert worden, der Zwangsverheiratung als eine moderne Form der Sklaverei bezeichnet hat. Es gibt Berichte von Unicef, dass jährlich weltweit Millionen von Mädchen in jungen Jahren ohne ihr Einverständnis verheiratet werden. Insofern ist es richtig, dieses Thema als generelles Thema der internationalen Politik zu benennen und es nicht nur auf eine in

nerdeutsche Diskussion zwischen Zuwanderern und Zugewanderten zu beschränken.

Unser Problem ist allerdings, dass wir keine gesicherten Zahlen über das Ausmaß dieser Praxis haben. Es steht nur fest: Es sind keine Einzelfälle, in denen junge Frauen und auch Männer unter psychischem, wenn nicht gar physischem Druck verheiratet werden. Die tatsächliche Zahl von Zwangsverheiratungen in Nordrhein-Westfalen oder in ganz Deutschland ist schwer zu erfassen. Fachleute schätzen, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt, als uns bekannt ist. Sie gehen von einer steigenden Tendenz aus.

Es ist wichtig, dass diese Debatte nicht nur von uns, von der deutschen Gesellschaft gegen die Zuwanderer geführt wird, sondern dass Zuwanderer selbst zunehmend artikulieren, dass sie nicht bereit sind, das für sich selbst hinzunehmen, und als Frauen – und ganz bewusst als türkische Autorinnen – dieses Thema in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken.

Mit einer Delegation des Ministeriums war ich vor wenigen Tagen in der Türkei. Selbst dort beginnt nun die Debatte darüber, wie man gegen Zwangsverheiratungen oder ähnliche Phänomene stärker vorgehen kann. Sie ist noch nicht ganz so engagiert wie die Debatte um Ehrenmorde. Nun kann man sagen: Diese sogenannten Ehrenmorde sind natürlich eine noch größere Menschenrechtsverletzung; aber dass diese Debatte auch in anderen Ländern beginnt und wir dadurch Rückwirkungen auf uns erleben, ist ein sehr gutes Signal.

Um Zwangsverheiratungen in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland zu bekämpfen, müssen wir zunächst den Sachstand kennen: Wie ist die Situation? Welche Instrumente haben wir? Welche Instrumente benötigen wird noch?

(Zuruf von der SPD: Genau das haben wir gesagt!)

Es ist wichtig, dass man diese Analyse hat.

(Zuruf von der SPD: Aber Ihre Fraktion will das ja nicht!)

Die Rednerinnen heute haben unterschieden: Arrangierte Ehen und Zwangsehen sind zweierlei. Das ist eine, glaube ich, sehr wichtige Differenzierung. Denn man darf auch hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern man muss genau fragen: Was wollen wir eigentlich mit welchem Mittel bekämpfen? Ich teile deshalb die Einschätzung, dass wir zunächst eine fundierte Untersuchung über das Heiratsverhalten von Zu

wanderern brauchen, und zwar nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit.

(Beifall von der SPD)

Das kann eines der Themen sein, die wir auch in den Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin einbringen. Der Integrationsgipfel ist sehr breit angelegt. Das Kabinett wird sich zuvor auch noch mit diesem Thema befassen und eigene Handlungskonzepte in den Gipfel einbringen. Dieses Thema gehört ebenfalls in die Debatte über eine gemeinsame Werteauffassung, eine gemeinsame Leitkultur, die Zuwanderer und Mehrheitsgesellschaft gemeinsam führen könnten und bei der wir auch die Migrantenorganisationen selbst brauchen, die uns dabei helfen müssen.

Nun haben Sie nach dem Handlungskonzept gefragt, das die Landesregierung Ihnen bis zur Sommerpause – in welchem Jahr auch immer – versprochen hat. Ich denke, dass wir bausteinartig einzelne Dinge zusammenfügen müssen: Die interministerielle Unterarbeitsgruppe hat bisher zweimal getagt und wird in den nächsten Wochen erneut tagen. Einige der Themen aus dem Antrag und aus dem, was durch die anderen Fraktionen in die Ausschussberatungen eingebracht worden ist, wird sie Punkt für Punkt abarbeiten. Diesen Zwischenbericht kann man sicherlich geben.

Erstens. Wir brauchen einen verbesserten rechtlichen Schutz. Deshalb ist dieser Straftatbestand nicht das Hauptthema und das einzige Thema, weil man das Problem nicht nur mit Strafrecht lösen kann. Aber man kann durch das Strafrecht ganz entscheidend Bewusstsein prägen. Das ist ein Thema, das zurzeit im Bundesrat behandelt wird.

Zweitens. Wir brauchen eine Problemorientierung, Aufklärung und öffentliche Sensibilisierung in die Einwanderungsgesellschaft hinein. Dabei kommt den Migrantenselbstorganisationen, auch den religiösen Gemeinschaften und den fremdsprachigen Medien als Verbündeten eine ganz große Bedeutung zu. Da Zwangsverheiratungen nicht religiös begründet sind – es gibt keine muslimische Anweisung zur Zwangsverheiratung; das ist eine bestimmte patriarchalisch gewachsene Struktur, über die wir hier sprechen –, halte ich es durchaus für denkbar, dass man mit den Imamen einmal bespricht, in ihren Freitagspredigten dieses Thema Zwangsverheiratungen verstärkt zum Thema zu machen.

Einige haben das schon gemacht, wie mir berichtet wurde. Aber da es da eine viel straffere Organisation gibt – in der katholischen Kirche würde man das Hirtenbriefe nennen, dass man also in

allen Gemeinden an einem Tag zu einem Thema sprechen kann –, wäre das sicherlich ein wichtiger Faktor, um Bewusstsein, Aufklärung und öffentliche Sensibilisierung zu schaffen.

Drittens. Wir müssen überlegen, ob sich nicht auch die Sprach- und Orientierungskurse, die wir für Neuzuwanderer machen, mit diesem Thema intensiver beschäftigen könnten, als das bisher der Fall ist.

Viertens. Wir brauchen helfende Lehrer, Sozialpädagogen und Ärzte, also alle Berufsgruppen, die als Schaltstellen fungieren können. Damit sie kompetent mit den spezifischen Problemen umgehen können, müssen sie entsprechend aus- und fortgebildet werden. Um solche Aus- und Fortbildungen einzuplanen, muss man natürlich mit den Verbänden den Dialog fortsetzen.

Fünftens. Wir brauchen Anlauf- und Beratungsstellen für Menschen, die von Zwangsheirat betroffen sind. Hilfeeinrichtungen für Mädchen und Frauen sowie Beratungsstellen von und für Zuwanderer müssen auf die Problemlage vorbereitet sein. Das sind dann nicht die landesweiten Koordinierungsstellen, sondern das müssen Frauennotrufe, Beratungsstellen vor Ort sein, die einer Frau in einer solchen Situation, wenn sie Hilfe sucht, zur Verfügung stehen.

(Birgit Fischer [SPD]: Gibt es doch nicht mehr, wenn Sie alle wegkürzen!)

Sie wissen genau, Frau Fischer, dass keine einzige verschwunden ist. Jedes Frauenhaus ist erhalten geblieben. Die Frauennotrufe und alles, was dazu gehört, haben wir gerade dadurch, dass wir nicht pauschal gekürzt haben, als Anlaufstelle gerade für Menschen, die davon betroffen sind, erhalten.

Sechstens. Wir haben ein sehr gutes Netz an Migrantenselbstorganisationen, die einen großen Beitrag zur Vorbeugung und Aufklärung in den Familien leisten. Auch im kommenden NRWProgramm, wo sich die Kommunen sehr stark um Integrationspolitik kümmern, ist dieses Thema bereits verankert.

Siebtens. Zum Straftatbestand habe ich bereits etwas ausgeführt. Ich hoffe, dass der Beschluss des Bundesrates vom letzten Jahr jetzt von der großen Koalition im Deutschen Bundestag aufgegriffen wird, sodass recht bald eine Regelung getroffen wird.

Achtens. Ich habe die Medien bereits erwähnt. Die Zeitung „Hürriyet“ macht beispielsweise eine Kampagne gegen häusliche Gewalt, die sie in der Türkei begonnen hat und jetzt auch hier durch

führt, wodurch sie natürlich eine bestimmte Gruppe an Zuwanderern erreicht, was durch unsere deutschen Medien, auch durch Landtagsdebatten und selbst durch einen Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin nicht gelingen kann. Vielleicht lässt sich auch einmal eine vergleichbare Kampagne gegen Zwangsverheiratungen machen. Türkischsprachige Medien sind für uns ein sehr wichtiger Bündnispartner in der Bewusstseinsschaffung.

Wir haben also schon eine Menge Instrumente, aber wir müssen das optimieren und vernetzen, um den Betroffenen Schutz gegen Zwangsverheiratungen zu bieten. Insofern brauchen wir ein Handlungskonzept. Darüber, ob das jetzt im Jahr 2006 oder im Jahr 2007 vorliegt, sollten wir nicht in einen Streit eintreten. Wir sollten bald im zuständigen Ausschuss die Maßnahmen, die ich gerade erwähnt habe, vielleicht verbunden mit einem Zwischenbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe, absprechen. Dann, wenn wir mit allen Akteuren und Hilfseinrichtungen gesprochen haben, sollten wir gemeinsam ein Handlungskonzept verabschieden, wohinter möglichst alle Fraktionen des Landtages stehen sollten. Ich glaube, dass nach der Integrationsoffensive, die 2001 begonnen hat, die Fortsetzung einer solchen Initiative eine Möglichkeit böte, an diesem Thema gemeinsam weiterzuarbeiten.

Wichtig ist: Zwangsehen sind keine religiösen Sitten. Sie eignen sich auch nicht, um bestimmte Antihaltungen gegen den Islam deutlich zu machen. Sie werden auch vom islamischen Glauben verurteilt, und sie sind in der Theorie eine längst überwundene Unsitte, die wir auch in Deutschland nicht akzeptieren dürfen. Zugewanderte und Einheimische gemeinsam in Land und Kommunen stehen vor der Verantwortung, dieses Phänomen der unfreien Ehe verschwinden zu lassen. Zwangsehen sind eine Menschenrechtsverletzung, die wir in Nordrhein-Westfalen nicht dulden sollten. Die Debatte, die wir heute geführt haben, hat das noch einmal in großer inhaltlicher Übereinstimmung mit einigen Formalien bezüglich der Anträge deutlich gemacht. Insofern danke ich den Fraktionen, dass jetzt die Debatte in die Parlamentsausschüsse geht und vielleicht nach der Sommerpause in einen gemeinsamen Antrag des Parlaments mündet.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank. – Nun hat Frau Abgeordnete Kieninger, SPD-Fraktion, noch einmal das Wort.

Herr Minister Laschet, es hat sich alles wunderbar angehört. Vielleicht sollten Sie uns den Antrag schreiben,

(Beifall von SPD und GRÜNEN)