Protocol of the Session on June 1, 2006

über Arbeitgeber verärgert ist und er sie sogar – man höre und staune – angreift. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

Es kann nicht dabei bleiben, dass nur jeder dritte Betrieb Lehrstellen zur Verfügung stellt. In der sozialen Marktwirtschaft ist es eine Verpflichtung, für die Ausbildung der nachfolgenden Generation zu sorgen.

Da kann ich nur sagen: Willkommen in der Wirklichkeit!

(Minister Karl-Josef Laumann: Die Warte- schleife ist nicht von mir gemacht worden!)

Ich darf nach dem Beitrag von Herrn Knieps anfügen: Nehmen Sie ihn mit in die Wirklichkeit. Er hat das offensichtlich noch nicht verstanden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Was folgt denn jetzt aus dem Ankommen in der Wirklichkeit? – Ich habe heute gehört, dass Sie sich weiterhin darüber beklagen, dass sich die Wirtschaft der Verantwortung entzieht. Was ist das andere Lösungsmodell? – Sie suchen den schwarzen Peter bei den Jugendlichen selbst.

(Minister Karl-Josef Laumann: Nein!)

Doch, ich zitiere. Ganz ruhig, ich meine nicht Sie, Herr Laumann!

(Dr. Stefan Romberg [FDP]: Wen zitieren Sie denn?)

Ganz ruhig, warten Sie ab, ich komme dazu! Ich mache das natürlich kenntlich, Herr Romberg.

So erklärte Frau Ministerin Thoben am bundesweiten Tag des Ausbildungsplatzes in Coesfeld – ich darf aus den „Westfälischen Nachrichten“ vom 30. Mai zitieren –: „Viele Jugendliche sind mit dem Schulabgang noch nicht ausbildungsfähig.“

Nun ist „viele“ ein dehnbarer Begriff.

(Dr. Stefan Romberg [FDP]: Richtig!)

Bevor wir Jugendliche in eine solche Ecke stellen, sollte man sich über die Größenordnung klar werden.

(Rudolf Henke [CDU]: Gibt es denn solche Jugendliche, oder gibt es sie nicht?)

Ganz ruhig! Natürlich gibt es welche,

(Ah-Rufe von der FDP)

aber man muss sich doch über die Größenordnung verständigen. Man muss sich anschauen, welche Größenordnung das ist und ob man damit die Jugendlichen insgesamt in die Ecke stellt. Herr Henke, vielleicht erinnern Sie sich auch daran, dass in der Anhörung zum Werkstattjahr im Februar dieses Jahres

(Ralf Witzel [FDP]: 29 %!)

Herr Brink von der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung dazu ausgeführt hat, dass von den 150.000 Jugendlichen in NordrheinWestfalen – ich erinnere daran, dass Sie vorhin sagten: Es gibt 1.500 freie Stellen –, die sich in den verschiedensten Maßnahmen im Wartestand befinden, zwei Drittel sofort ausbildungsfähig seien.

(Beifall von der SPD)

Es kann doch nicht angehen, dass in der politischen Diskussion das fehlende Drittel – Sie haben vorhin sogar eingeräumt, es seien nur 25 %, also noch nicht einmal ein Drittel –, für das man besondere Maßnahmen ergreifen muss, um die Jugendlichen an den Arbeitsmarkt heranzuführen, als Alibi dafür benutzt wird, dass Jugendliche keinen Ausbildungsplatz erhalten.

(Beifall von der SPD)

Äußerungen, die Sie, Frau Thoben, gemacht haben – wenn Sie das so isoliert betrachten –, viele Jugendliche seien nicht ausbildungsfähig, liefern meines Erachtens den Vorwand für die Unternehmen, ihre Hände in Unschuld zu waschen.

So fallen Sie meines Erachtens auch Ihrem Ministerpräsidenten in den Rücken. Stattdessen wäre es doch auch Ihre Aufgabe, die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, zumindest die zwei Drittel der Jugendlichen in das duale System aufzunehmen. Sie wissen, dass wir davon meilenweit entfernt sind.

Dabei gibt es sehr wohl auch positive Ansätze: In meiner Heimatstadt Gelsenkirchen haben wir im letzten Monat den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen, das heißt bei den Arbeitslosen unter 25 Jahren gehabt. Trotz der im Vergleich zum Sommer 2004 höheren Neubewerberzahlen im Sommer 2005 waren im April 2006 154 Jugendliche weniger arbeitslos als im April 2005. Das ist keine große Zahl; aber über jeden Jugendlichen, der es geschafft hat, können wir froh sein.

Das ist nicht den Maßnahmen der Landesregierung, sondern den veränderten Strukturen durch die Hartz-Gesetzgebung geschuldet. In Gelsenkirchen

ist die Vorgabe, dass sich ein Berater beziehungsweise Vermittler um maximal 75 Jugendliche zu kümmern hat, Realität. Das zeigt inzwischen Wirkung. Außerdem funktioniert in diesem Bereich insbesondere die Zusammenarbeit von Agentur und Argen. SGB-II-Jugendliche werden von der Agentur genauso beraten und vermittelt wie andere, sodass es zu keiner Stigmatisierung kommen kann. Gleichzeitig kann der Fallbetreuer oder die Fallbetreuerin der Bedarfsgemeinschaft, der dieser Jugendliche unmittelbar angehört, auf die Ergebnisse der Beratungs- und Vermittlungsgespräche zugreifen.

Von allen Beteiligten ist dazu ein hohes Maß an Engagement erforderlich. Eine Diskussion, wie wir sie gestern zum Thema Hartz geführt haben, bei der undifferenziert Agenturen und Argen bescheinigt wird, dass sie nicht in der Lage seien, die politischen Vorgaben umzusetzen – ich erinnere an Stichworte wie: Arbeitslose müssten ein Jahr warten, um überhaupt Beratungsgespräche zu bekommen –, sind nicht gerade motivationsfördernd.

(Beifall von der SPD – Rudolf Henke [CDU]: Gibt es das, oder gibt es das nicht?)

Das ist genau das gleiche Problem wie bei den Jugendlichen: Wenn ich sozusagen bestimmte Erscheinungsformen, die auch vorkommen, zum Maßstab erkläre und alle Beschäftigten, die gute Arbeit leisten, mit in einen Topf werfe, mache ich genau das Gegenteil: Ich motiviere nicht. Ich helfe nicht mit, dass die Sache auf einen guten Weg kommt, sondern ich mache das Gegenteil.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Alle verstärkten Vermittlungsbemühungen der Agentur durch einerseits verstärktes Klinkenputzen bei den Unternehmen und andererseits verstärktes Fördern und Fordern eines jeden einzelnen Jugendlichen finden natürlich dort ihre Grenzen, wo nicht genügend Ausbildungsplätze vorhanden sind. Wenn, wie in meiner Heimatstadt, auf jeden Ausbildungsplatz vier Bewerberinnen oder Bewerber kommen, dann sind und bleiben die Möglichkeiten der Vermittlung begrenzt. Dieser Realität müssen wir ins Auge sehen. Da erwarte ich – die Ausführungen des Ministers Laumann haben mir nicht ausgereicht – eigentlich die Landespolitik und Aktivitäten der Landesregierung. Die haben wir noch nicht in ausreichendem Maße sehen können. – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Gebhard. – Für die CDU spricht nun Herr Henke.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Mal sehen, ob er die Senkung der Ausbildungsvergütung for- dert! – Gegenruf von Christian Weisbrich [CDU]: Ist doch nicht verkehrt!)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Horstmann, zunächst einmal fordere ich etwas weniger bräsiges, selbstgefälliges Gezeter von Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Dass ausgerechnet Sie – ich nehme Herrn Schmeltzer und Frau Gebhard ausdrücklich aus – als Mitglied des letzten Kabinetts und als Mitverantwortlicher für die Entwicklung in den vergangenen Jahren rot-grüner Politik

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Die größte Lehr- stellenlücke aller Zeiten! – Weitere Zurufe von der SPD)

und als einer, der höchst aktiv mit dazu beigetragen hat, die sieben mageren Jahre rot-grüner Bundespolitik zu rechtfertigen und zu legitimieren, mit dem Finger auf andere zeigen, ist hanebüchen.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Dr. Axel Horstmann [SPD])

Der Abbau von einer Million Stellen in den vergangenen Jahren hat auch zum Verlust von 60.000 Lehrstellen geführt. Ohne diesen Verlust von 60.000 Lehrstellen müsste niemand die Sorge äußern, dass im September rund 50.000 junge Menschen ohne Lehrstelle bleiben könnten. Genau diese Sorge ist berechtigt. Auch NordrheinWestfalen ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen, denn von Anfang Oktober 2005 bis Ende Mai diesen Jahres wurden in NRW 77.120 Ausbildungsplätze gemeldet. Davon waren 27.230 noch nicht endgültig besetzt. Das heißt, diese Zahl nicht endgültig besetzter Stellen lag knapp 4 % höher als Ende Mai 2005. Zugleich ist aber auch die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber auf 129.580 gestiegen und liegt damit um knapp 9 % höher als im Jahr zuvor.

Wir hätten, Herr Horstmann, natürlich kein Problem, wenn es in den vergangenen Jahren in Ihrer Regierungszeit gelungen wäre, jeden Schulabgänger mit einer Lehrstelle zu versorgen.

(Zuruf von Dr. Axel Horstmann [SPD])

Fakt ist aber, dass auf jeden neuen Schulabgänger, der sich auf eine Lehrstelle bewirbt, noch ein Schulabgänger kommt, der in den vergangenen Jahren keine Lehrstelle gefunden hat. In Ihrer Regierungszeit in Bund und Land, Herr Horstmann und Frau Steffens …

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Die Lücke ist größer denn je!)

Natürlich ist sie größer denn je,

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Was heißt denn das? Das ist doch nicht natürlich!)

weil es eine Erblast Ihrer Regierungszeit im Bund ist. Es ist das Resultat Ihrer Politik,