Protocol of the Session on May 31, 2006

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, dass die Bürgerinnen und Bürger – die Öffentlichkeit – einen Anspruch darauf haben, zu wissen, welche Dimension ein Thema hat, mit dem sich dieses Hohe Haus beschäftigt. Frau Ministerin Sommer, ich habe eigentlich erwartet, dass Sie minutenlang darstellen würden, wie viele Hunderte von Fällen es in den vergangenen Wochen und Monaten gegeben hat, die es notwendig machen, dass eine solche gesetzliche Änderung auf den Weg gebracht wird. Dazu haben Sie kein einziges Wort gesagt.

(Beifall von der SPD)

Der in diesem Zusammenhang wirklich „arm“ zu nennende Kollege Papke musste auf einen gelösten Einzelfall aus dem Jahr 2003 zurückgreifen.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Aber was für ei- nen!)

Erbarmungswürdig, Herr Kollege Papke!

(Beifall von der SPD)

Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, wo wir kein Erbarmen mit Ihnen haben werden. Das, was Sie mit Ihrer Mehrheit heute auf den Weg bringen werden, wird vom Bundesverfassungsgericht definitiv kassiert werden. Es wird definitiv dazu führen, dass sich der Europäische Gerichtshof damit befasst. Herr Kollege Papke, ich kann mir das bei Ihnen und Ihrer Fraktion überhaupt nicht erklären, es sei denn, Sie würden billigend in Kauf nehmen, dass damit alle religiösen Symbole aus dem Schulunterricht verschwinden. Das ist möglicherweise Ihre Absicht.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege Stahl, Sie und Ihre Fraktion haben das überhaupt noch nicht begriffen.

Herr Abgeordneter Kuschke, erlauben Sie eine kurze Zwischenfrage des Abgeordneten Papke?

Bitte schön.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Er hat einen großen Rechtfertigungsdrang!)

Herr Kollege Kuschke, Sie haben noch einmal offensiv thematisiert, Sie seien sich sicher, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz kassieren werde. Darf ich Ihnen daher noch einmal die Frage stellen: Was haben Sie unternommen, um die Sozialdemokraten im Saarland, in Baden-Württemberg und in anderen Ländern daran zu hindern, Gesetze zu verabschieden, die textidentisch sind mit dem Gesetzentwurf, den der Landtag gleich verabschieden wird?

(Beifall von der FDP)

Wenn Sie so sicher sind: Was haben Sie unternommen? Oder lassen Sie Ihre Genossinnen und Genossen sehenden Auges in den Verfassungsbruch laufen? Das kann ich mir nicht vorstellen.

(Beifall von der FDP)

Herr Kuschke.

Herr Papke, ich bin genau wie Sie gewählter Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtags.

(Beifall von der SPD)

Wir haben uns darum zu kümmern, wie die Rechtspflege und die Rechtsgestaltung in Nordrhein-Westfalen aussehen. Wir werden Frau Ministerin Sommer – wenn sie zuhörte, wäre das schön; hallo, liebe Landesregierung, liebe Kollegin Sommer; zumindest auf der Seite ist die Landesregierung zahlreicher vertreten als auf der anderen Seite …

(Minister Armin Laschet: Witzbold! – Zurufe von CDU und FDP)

Herr Kollege Laschet, den Hinweis „Witzbold“ fasse ich freundschaftlich auf. Der kostet Sie nachher einen Espresso.

Von der Regierungsbank aus ist er jedenfalls unstatthaft, Herr Kollege Laschet.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Frau Ministerin Sommer, Sie werden zukünftig mitnichten eine Situation erleben, in der Muslima in den Schulen keine Kopftücher tragen werden. Wenn Sie sich nämlich Ihren eigenen Gesetzentwurf anschauen, können Sie im letzten Satz des § 57 lesen – dort wird der neue Absatz 4 eingeführt –: „Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen.“ Sie wissen sehr genau, was das bedeutet. Sie haben es wahrscheinlich den Koalitionsfraktionen nicht erklärt.

Ich will Ihnen das verdeutlichen. Eine Muslima, die normalerweise ein Kopftuch tragen würde, trägt, nachdem das Gesetz in Kraft getreten und vom Bundesverfassungsgericht noch nicht kassiert worden ist, ein Kopftuch. Sie verlässt den Klassenraum und beginnt woanders mit dem islamischen Religionsunterricht, in dem sie, wenn man von Ihrem eigenen Gesetzentwurf ausgeht, wieder ein Kopftuch tragen kann. Nachdem dieser Religionsunterricht beendet ist, nimmt sie das Kopftuch wieder ab und betritt den nächsten Klassenraum. Sie kann möglicherweise auch ein Problem bekommen, wenn sie gerade nicht weiß, wo

sie sich aufhält und in welchem Unterricht sie sich befindet.

(Zurufe von CDU und FDP – Unruhe – Glo- cke)

Blöken Sie doch nicht so. Das ist doch nur ein Zeichen von Unsicherheit Ihrerseits.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Lachen von CDU und FDP)

Frau Ministerin Sommer, wir haben Ihnen doch vorgehalten, dass dieser Gesetzentwurf wahrscheinlich nicht nur verfassungswidrig, also nicht verfassungsgerecht, sein wird, sondern dass er auch in sich schludrig gemacht worden ist.

Den dollsten Beitrag hat aber wie immer Herr Kollege Papke geliefert, als er sich dazu verstiegen hat, zu sagen, das Kopftuchverbot sei ein klares Zeichen für Integration. Frau Kollegin Sommer, Sie haben auch noch davon gesprochen, das sei ein integrationspolitischer Impuls.

Herr Kollege Laschet, damit komme ich zu Ihrer Seite. Was ist denn das für ein integrationspolitischer Impuls? Herr Minister Laschet, wie gehen Sie demnächst mit der Forderung Ihrer eigenen Fraktion um, dass die Erzieherinnen in den Kindertagesstätten gefälligst auch kein Kopftuch tragen – und das angesichts der Situation, dass bei der Mitarbeit türkischstämmiger Mütter in den Kindertagesstätten gute Erfolge erzielt worden sind? Das war wirklich integrationspolitisch gewollt und stellt einen Fortschritt dar. Wie wollen Sie diese Lawine eigentlich aufhalten? Wie wollen Sie das, was sich zunächst wie ein Sturm im Wasserglas entwickelt hat und integrationsschädlich ist, aufhalten?

Frau Kollegin Keller, Sie haben zu Beginn Ihres Beitrags zu dieser Debatte gesagt, diese Frage müsse politisch entschieden werden. Ja, das muss sie in der Tat.

(Zuruf von der CDU: Muss sie auch!)

Ja. – Nur: Die Entscheidung, die diese Mehrheit heute treffen wird, mag zwar eine politische Entscheidung sein; in der Sache entscheiden werden jedoch – das werden wir sehen – das Bundesverfassungsgericht und möglicherweise sogar der Europäische Gerichtshof. Herr Kollege Papke, wir werden nicht schadenfroh sein. Aber wir werden kein Mitleid und kein Erbarmen mit Ihnen haben. Mit Ihnen, der Koalition der Beratungsresistenz, gibt es kein Erbarmen unsererseits. Sie fügen diesem Land mit diesem Gesetzentwurf einen erheblichen Schaden zu.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Für die CDUFraktion hat sich Herr Abgeordneter Biesenbach zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kuschke, als Sie hier sprachen, fiel auf, wie schwer Sie es haben, heute im Rahmen der zweiten Lesung etwas wirklich Fundiertes gegen unseren Antrag ins Feld zu führen. Etwas Neues haben wir nämlich nicht gehört.

Ich beginne damit, dass Sie alle, egal ob Frau Löhrmann, Herr Stotko oder Sie, gesagt haben: Wozu brauchen wir das Ganze? Das ist oberflächliche Symbolpolitik. – Erinnern Sie sich an die erste Anhörung? Eine Gelsenkirchener Schulleiterin hat hier deutlich gemacht, dass dieses Kopftuchverbot notwendig ist, damit junge Mädchen im Ruhrgebiet – von denen konnte sie sprechen – selbstständig werden können. Daher ist es aus meiner Sicht frech, heute so zu tun, als sei das eine Spielerei.

(Beifall von der CDU)

Zweite Geschichte: Wenn ich Herrn Stotko höre – Herr Kuschke deutete es auch an –, dann muss ich zu dem Schluss kommen: Sie sind vor lauter Sorge und Angst gar nicht mehr gestaltungsfähig – nach dem Motto: Das ist alles verfassungswidrig.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Sie haben in den Anhörungen nicht einen einzigen Zeugen gefunden, der Sie wirklich trägt. Selbst Ihr Flaggschiff, …

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

… Prof. Mahrenholz, gesteht zu, dass im Kern unser Gesetz verfassungsgemäß sein wird.

(Wolfram Kuschke [SPD]: Neun von zehn Verfassungsrechtler haben ihre Bedenken geäußert!)

Herr Kuschke, nehmen Sie die Verfassungsjuristen! Ich nehme keinen für öffentliches Recht, auch keinen Kirchenrechtler. Die Verfassungsrechtler machen deutlich, dass es verfassungsgemäß ist. Sie finden – das ist Ihr Pech – den namhaftesten Zeugen für uns in dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs dieses Landes, der uns geradezu aus der Pflicht heraus auffordert, dieses Gesetz zu erlassen.

Ich darf nur ganz wenige Sätze zitieren.