Von den Dumpinggehältern, den Niedrigstlöhnen, von dem sich verfestigenden Niedriglohnsektor sind überwiegend Frauen betroffen. Mit fast 60 % sind Frauen in diesen Bereichen in Vollzeit tätig, gerade auch Frauen, die als Alleinerziehende versuchen, ihre Familie und ihre Kinder zu ernähren.
Die Argumentation, dass ein Mindestlohn dazu führen würde, dass gerade für gering Qualifizierte Arbeitsplätze verloren gehen, ist ein Trugschluss. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest: Niedriglöhne sind nicht das Sammelbecken gering Qualifizierter. Zwei Drittel derjenigen, die sich als Geringverdiener im Niedriglohnsektor befinden, sind Leute mit abgeschlossener Berufsausbildung, sogar mit abgeschlossenem Studium. Durch Niedriglöhne kann man gering Qualifizierte also nicht ins Berufsleben integrieren. Es ist auch nicht der Einstieg für Jugendliche. Denn zwei Drittel derjenigen, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, sind älter als 30. Fast 84 % sind älter als 25. Das heißt, es sind eher ältere Menschen, nicht Jugendliche oder Berufseinsteiger, die in diesem Sektor tätig sind.
Es ist auch falsch, dass der Bereich der Niedriglöhne nur die einfache Tätigkeit umschließt. Denn nur ein Drittel der Tätigkeiten im Niedriglohnbereich sind einfache Tätigkeiten; zwei Drittel sind Tätigkeiten, die relativ hohe oder höhere Qualifikationen voraussetzen.
Seit 1961 haben wir eine Europäische Sozialcharta, nach der 60 % der durchschnittlichen Nettolöhne das Mindeste sind, was man in einem Vollzeitjob verdienen muss. 2003 bedeutete das einen Nettolohn von 1.012 € oder einen Bruttolohn von 1.442 €. 3,3 Millionen Menschen arbeiten in diesem Land aber für weniger. Das heißt, wir liegen weit unter dem, was in der Europäischen Sozialcharta einmal beschlossen worden ist.
Im Moment wird in der öffentlichen Debatte häufig ein Mindestlohn von 7,50 € gefordert. Das klingt sehr hoch: 7,50 €. Aber was heißt das denn in Bezug auf die genannten Eckdaten? Das wäre bei einer 38,5-Stunden-Woche ein Bruttolohn von 1.250 €. Wer mir sagt, dass das eine zu hohe Forderung sei, der beschäftigt sich nicht mit den Lebensrealitäten in diesem Land. Der Armutsbericht der Bundesregierung hat klar und deutlich gesagt, dass das höchste Armutsrisiko, das wir derzeit haben, im Niedriglohnsektor liegt.
Wenn man sich die Entwicklung auf europäischer Ebene anschaut – Dienstleistungsrichtlinien, Herkunftslandprinzip und Dienstleistungsfreiheit –, kommt man zu dem Schluss, dass die Forderung nach einer Mindestlohnregelung oder nach einer adäquaten Regelung über das Entsendegesetz richtig ist. Sie müsste relativ schnell und zügig umgesetzt werden.
Wie war das Beispiel des Kollegen, der sich gerade so intensiv unterhält, mit dem Frisör, der sich das höhere Gehalt nicht leisten kann, noch?
Wenn man sagt, ein höheres Gehalt sei nicht bezahlbar, dann muss man darüber reden, wie man das bezahlbar machen kann. Wie können wir niedrige Löhne auch von Kosten entlasten? Wie können wir niedrigere Einkommen steuerlich anders stellen? Darüber müssen wir reden. Aber wir können nicht bei den niedrigen Stundenlöhnen bleiben und die Menschen unterhalb des Existenzminimums 38 Stunden Vollzeit arbeiten lassen.
Von daher halte ich den Vorschlag, die Landesregierung aufzufordern, sich intensivst dafür einzusetzen, für richtig, auch wenn ich es ein bisschen problematisch finde, dass wir den Koalitionskonflikt der Berliner Koalition, der dort nicht lösbar ist, auf Landesebene diskutieren sollen.
Das Herkunftslandsprinzip hat man auf Bundesebene nicht abwenden können. Gleichzeit bekommt man auf Bundesebene den Mindestlohn nicht gemeinsam in der Koalition hin. Ich halte es schon für ein bisschen bedauerlich, dass wir das hier diskutieren.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Deswegen helfen wir ja! – Wolfram Kuschke [SPD]: Da wollen wir helfen! – Lachen von der FDP)
Ich helfe gerne ein bisschen nach, die CDU anzuschieben. Aber eigentlich müsste man das auf Koalitionsebene in Berlin doch auch alleine schaffen können.
Nun möchte sich auch Herr Dr. Romberg von der FDP-Fraktion zu dem Thema äußern. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ein bisschen enttäuscht sowohl über das, was im SPD-Antrag steht, als auch über das, was Frau Steffens hier verkündet hat. So ganz konkret haben Sie nicht gesagt,
(Lachen von Dr. Gerhard Papke [FDP] – Rai- ner Schmeltzer [SPD]: Man muss es nur le- sen! Sie haben nichts gelesen und nicht zu- gehört!)
was Sie eigentlich wollen, wie der Mindestlohn aussehen soll, ob es einen globalen Mindestlohn geben soll oder ob der von Branche zu Branche unterschiedlich sein soll. – Da gibt es in Ihrer eigenen Bundestagsfraktion ein Stimmengewirr. Sie bleiben auch ziemlich unkonkret. Das finde ich nicht passend. Ich hätte schon einmal gerne die Meinung der SPD-Landtagsfraktion gehört, was genau Sache sein soll. Das Volk wäre auch an Ihrer Meinung interessiert.
um ein existenzsicherndes Einkommen zu gewährleisten. Mit der Einführung solcher Mindestlöhne verbinden sich nämlich zwei Risiken: Zum einen können bestehende Arbeitsplätze verloren gehen, zum anderen wird die Schaffung von dringend benötigten neuen Arbeitsplätzen verhindert.
(Carina Gödecke [SPD]: Warum das denn? – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das widerlegt der europäische Vergleich!)
Es zählt eben nicht alleine die gute Absicht Ihrer Forderung, wie Sie in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt, sondern es zählen die zu erwartenden Ergebnisse. Angesichts der augenblicklichen Lage auf dem Arbeitsmarkt sollten wir keine leichtfertigen Experimente unterstützen, die letztlich doch auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen werden.
Die Notwendigkeit eines Handlungsbedarfs hinsichtlich gering qualifizierter Beschäftigung ergibt sich schon aus dem strukturellen Wandel, der sich immer rascher vollzieht, und aus dem internationalen Wettbewerb um Standorte. Das große Problem besteht darin, dass es gerade für eher einfache Tätigkeiten nur dann Bedarf gibt, wenn Spielräume bei der Lohnentwicklung möglich sind.
Nach Ansicht von Wissenschaftlern der HansBöckler-Stiftung kann der Mindestlohn aber nur dann greifen, wenn die Löhne zwischen 8,10 € und 8,50 € pro Stunde liegen. Damit erreicht man wahrscheinlich genau das Gegenteil: Die Beschäftigungschancen von Arbeitslosen reduzieren
Hierdurch werden besonders der Einzelhandel, die Gastronomie und die Call-Center beeinträchtigt. – Hören Sie doch erst einmal zu, Herr Schmelzer.
(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Haben wir nach Ihrer Meinung 5 Millionen ge- ring Qualifizierte?)
Die Alternative wäre eine Abwanderung in die Schwarzarbeit zum Schaden der Arbeitnehmer und zum Schaden der Gesellschaft insgesamt. Beim produzierenden Gewerbe könnte es sogar zu einer vollständigen Verlagerung von Arbeitsplätzen ins preiswertere Ausland kommen.
Zu bedenken ist außerdem, dass wir mit dem Arbeitslosengeld II faktisch bereits einen Mindestlohn haben. Jeder Mindestlohn, der oberhalb des Arbeitslosengeld-II-Niveaus liegt, begünstigt den Abbau von Arbeitsplätzen. Gerade Ostdeutschland wäre besonders betroffen: Hier ist die Zahl der gering entlohnten Jobs besonders hoch. Dieses Szenario hat auch Bundesfinanzminister Steinbrück davon überzeugt, die Einführung eines Mindestlohns kritisch zu bewerten.
Seitens der Befürworter wird immer wieder auf das Beispiel der europäischen Nachbarn verwiesen. Tatsächlich haben 18 EU-Staaten einen Mindestlohn eingeführt.
Die USA haben das auch schon vor 70 Jahren getan. Nun könnten wir uns über die Umstände in den Vereinigten Staaten unterhalten und darüber, inwieweit auch dort trotz Mindestlöhnen Armut herrscht. In vielen Bereichen wollen Sie keine amerikanischen Verhältnisse; deshalb fand ich dieses Argument schon ganz interessant.
Wer diesen Vergleich anstrebt, sollte allerdings wirklich genauer hinschauen. Fakt ist, dass gerade in den USA und in Großbritannien lediglich 1,5 bzw. 1,9 % aller Vollzeitbeschäftigten von den Mindestlöhnen erfasst werden. In den USA und in Frankreich ist mit der Einführung die Jugendarbeitslosigkeit deutlich gestiegen – in den USA um 15 %, in Frankreich sogar um 25 %. Es ist auf jeden Fall ein Unterschied, ob Mindestlöhne in Ländern eingeführt werden, die wirtschaftlich wachsen und in denen es eine niedrige Arbeitslosigkeit
Auch die Kontrolle der Einhaltung der Mindestlöhne spielt eine wichtige Rolle. Sie wird in den entsprechenden Ländern keineswegs einheitlich gehandhabt; das betrifft ebenfalls die Regelung für Sanktionen, falls gesetzliche Mindestlöhne in der Praxis umgangen werden. Internationale Erfahrungen haben deutlich gezeigt, dass immer wieder versucht wird, festgeschriebene Mindestlöhne zu unterschreiten. Das würde die Verschärfung von Kontrollen und die noch stärkere Aufblähung der Bürokratie bedeuten. Gerade damit haben wir in Deutschland doch schon ein großes Problem.
Selbstverständlich ist es nicht hinzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer einen Stundenlohn zwischen 3 und 4 € bekommt und davon seine Existenz bestreiten soll. Auch wir wollen keine Armut trotz Erwerbsarbeit und damit kein Working pur. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer Zuschüsse zu seinem Einkommen erhalten. Wir Liberalen bevorzugen in diesem Zusammenhang eine negative Einkommensteuer nach dem Bürgergeldkonzept.
Es könnte ein Niedriglohnsektor entstehen, der arbeitslosen Menschen einen Anreiz bietet, auch Tätigkeiten mit einer geringen Entlohnung anzunehmen. Gerade bei Personen mit geringerer Qualifizierung liegt die Arbeitslosenquote im Vergleich um zwei Drittel höher. Sie sind in besonderem Maß von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Wir müssen daher alles tun, damit diese Menschen wieder eine Chance auf Beschäftigung erhalten.
Ein weiterer Schritt – der ist hier noch viel zu wenig angesprochen worden – sind natürlich die Möglichkeiten, die der Staat außerdem hat, damit den Menschen mehr Geld in der Tasche verbleibt, nämlich sich vernünftig darum zu bemühen, gerade niedrige Einkommen steuerlich so zu entlasten, dass sie existenzsichernd auf den Beinen stehen, und die Verringerung der Lohnnebenkosten.
Mein Fazit lautet: Mit der Einführung von Mindestlöhnen lösen wir keinesfalls die bestehenden Probleme. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerk
(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Und auf Ihre Ansatzpunkte, wie wir die Probleme lösen!)
Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. Wir erkennen alle an, dass Sie sich heute an Ihrem Geburtstag hier zu diesen Themen äußern. Herzlichen Glückwunsch noch einmal von meiner Seite! – Wir kommen jetzt zum Beitrag der Landesregierung. Herr Minister Laumann hat das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, dass wir eine Debatte über die Frage, welche Schutzzäune wir aufziehen können, um unerfreuliche Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern, erst dann wirklich führen können, wenn wir in Deutschland zunächst einmal unsere Strukturprobleme lösen. Ich glaube, dass uns das süße Gift von gesetzlichen Vorschriften, etwa gesetzliche Mindestlöhne und viele andere Dinge, so lange nicht hilft, wie wir die strukturelle Benachteiligung in Deutschland für das Entstehen von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen nicht beseitigt haben.