Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, dass wir eine Debatte über die Frage, welche Schutzzäune wir aufziehen können, um unerfreuliche Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern, erst dann wirklich führen können, wenn wir in Deutschland zunächst einmal unsere Strukturprobleme lösen. Ich glaube, dass uns das süße Gift von gesetzlichen Vorschriften, etwa gesetzliche Mindestlöhne und viele andere Dinge, so lange nicht hilft, wie wir die strukturelle Benachteiligung in Deutschland für das Entstehen von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen nicht beseitigt haben.
Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Dass es richtig ist, jetzt dem süßen Gift zu erliegen, einen staatlichen Mindestlohn zu machen und anzunehmen, dann seien unsere Probleme gelöst, glaube ich nicht. Wir müssen uns zunächst einmal bemühen – zusammen in Berlin, aber auch hier in der Landespolitik –, die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum, für das Entstehen von mehr Selbstständigkeit und für das auch dadurch ausgelöste Entstehen von mehr sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu verbessern.
In einer Zeit, in der wir in drei Jahren 1,5 Millionen dieser Arbeitsplätze verloren haben, sollte man nicht glauben, mit staatlicher Garantie das Problem lösen zu können. Deswegen muss erst einmal klar sein, dass diese Landesregierung – ich würde mich auch freuen, wenn es darüber einen großen Konsens im Parlament gäbe – alle Anstrengungen unternimmt, aus denen mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen können.
Heute Morgen haben wir über einen ganz wichtigen Punkt gesprochen: Unsere Kinder müssen besser ausgebildet werden. Denn nur wer gut ausgebildet ist, kann Löhne erzielen, von denen er in Deutschland auch leben kann.
Wenn in Nordrhein-Westfalen nur 25 % der Kinder, die eine Zuwanderungsgeschichte in ihrer Familie haben, eine abgeschlossene Berufsausbildung schaffen, dann ist vorgezeichnet, auf welchem Standard die meisten anderen dieser Kinder leben müssen, wenn sie hier in diesem Land bleiben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir uns dafür einsetzen, dass es in diesem Land ein realistisches Energiekonzept gibt. Denn die produktiven Arbeitsplätze haben auch sehr viel mit Sicherheit von Energie und mit Preisen von Energie zu tun.
Wichtig ist, dass wir unsere Aufgaben in der Strukturpolitik machen. Ganz wichtig ist, dass sich der Staat in seiner Verwaltung, in seinem öffentlichen Dienst so aufstellt, dass wir wieder mehr Mittel für Investitionen haben und weniger für den Staat selber ausgeben.
Das sind erst einmal ganz große Grundsatzentscheidungen, die zu treffen sind, bevor man über andere Fragen reden kann.
Ich nenne einen weiteren Punkt. Warum reden wir eigentlich heute in allen Parteien und in vielen Bevölkerungsgruppen darüber, dass auf unserem Arbeitsmarkt einiges nicht in Ordnung ist? – Wir leben in einer globalisierten Welt. Das halten wir alle nicht auf. Es gibt keine Wissensvorsprünge mehr. Es gibt auch keinen Schutz durch Entfernungen mehr. Deutschland ist ein Land, das die Nahtstelle zu Osteuropa bietet. In Polen haben wir nun einmal Regionen, in denen für 1,80 € gearbeitet wird. Schauen Sie nach Ostpolen!
Dann haben wir die Situation, dass auch die SPD inzwischen über Mindestlöhne spricht. Vor wenigen Monaten haben Sie das ja noch gar nicht getan. Ich mache Ihnen da auch gar keinen Vorwurf. Das liegt an der bitteren Erkenntnis, dass wir immer mehr Wirtschaftsbereiche haben, in denen die Gewerkschaften keine Tarifverträge mehr erreichen und ihre Ordnungsfunktion verloren haben. Das ist die Wahrheit. Auch ich stelle die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Natürlich ist es völlig klar, dass ein System, in dem Unterneh
Es hat eine große Tradition, dass wir das so sehen. Deswegen haben wir Koalitionsfreiheit und viele andere Dinge.
Die Bundesregierung versucht in diesen Wochen, auf diese Situation, finde ich, sehr verantwortungsbewusst zu reagieren. Wir haben einen Kabinettbeschluss, die Arbeitnehmerfreizügigkeit weiterhin bis zum Frühjahr 2009 einzuschränken. Ich halte den für richtig. Die Landesregierung hat der Bundesregierung auch Mut gemacht, diesen Schritt zu gehen.
Wir haben auch erreicht, dass wir heute oder gestern von der Kommission einen Beschluss über die europäische Dienstleistungsrichtlinie vorgelegt bekommen haben, der sich an dem orientiert, was das Parlament von der Kommission gefordert hat. Auch das halte ich für einen Fortschritt. Denn ich weiß ja, dass vor einem Vierteljahr auch die Stimmung im Europaparlament zu diesen Themen noch ganz anders war. In den letzten Wochen ist da eine Entwicklung eingetreten, im Übrigen auch deswegen, weil die Europaparlamentarier gemerkt haben, dass die Freizügigkeit, die ja unabdingbar mit der Europaidee verbunden ist, alleine Europa nicht trägt, sondern dass das in ein soziales Gefüge eingebettet sein muss. Da haben auch sicherlich die Voten in Frankreich und Holland über die europäische Verfassung den einen oder anderen in Brüssel ein bisschen zum Nachdenken gebracht. Ich bin auch mit dieser Entwicklung sehr einverstanden.
Wenn man jetzt – Herr Schmeltzer, Sie haben ja nur einen Teil Ihres Antrags angesprochen – über Mindestlöhne nachdenkt, muss man, finde ich, eine Abwägung treffen. Die größte soziale Ungerechtigkeit, die wir haben, ist der Ausschluss von Menschen von der Erwerbstätigkeit. Dass wir diesen Ausschluss von Menschen von der Erwerbstätigkeit seit vielen Jahren insbesondere bei den Menschen haben, die eine einfach strukturierte Arbeit brauchen, wissen wir beide auch.
Die Arbeitslosigkeit ist im Übrigen in unseren Parteien erst dann ein richtiges Thema geworden, als es auch andere Schichten in der Bevölkerung erwischt hat, die jetzt ebenfalls von Arbeitslosigkeit betroffen und bedroht sind. Als ich 1990 in den Bundestag kam, hatten wir die strukturelle Arbeitslosigkeit bei den ungelernten Kräften auch schon. Nur damals haben wir geglaubt, dass wir das alles aushalten. Wir halten es nicht aus.
Und jetzt haben wir ganz einfach die Situation, dass man abwägen muss: Verlieren wir, wenn wir einen staatlichen Mindestlohn einführen, dadurch Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich in Deutschland oder nicht? Denn eine Spedition, die ihre Leistungen in Nordrhein-Westfalen anbietet – im Übrigen auch in Nordrhein-Westfalen mit Tarifverträgen mit 6,30 € für Lagerarbeiter –, kann nach Polen verlagern. Das können wir beide nicht verhindern. Diese Frage beschäftigt ganz viele: Wie bekommen wir diesen Spagat verantwortungsbewusst hin?
Auf der anderen Seite sind Lohnentwicklungen, wie es sie vor allem in Ostdeutschland gibt, die weit unter dem liegen, was wir alle wohl als sittenkonform bezeichnen würden, nicht hinnehmbar.
Im Übrigen haben wir in der Politik einen ganz großen Fehler gemacht, was die Frage des Wertes von Arbeit angeht: Nicht die Einführung von Ein-Euro-Jobs, aber, sie „Ein-Euro-Jobs“ zu nennen, war psychologisch gesehen ein riesiger Fehler. Die Wortschöpfung „Ein-Euro-Job“ ist nicht in der CDU erfunden worden, sondern in der HartzKommission.
Damit hatten wir Gott sei Dank wenig zu tun. Wir haben im Übrigen das Instrument der Ein-EuroJobs im Bundestag abgelehnt. – Ich wollte nur sagen: Sie „Ein-Euro-Jobs“ zu nennen, hat psychologisch mit dem, was Sie und ich hier beklagen und ich auch in Pressestellungnahmen beklage, eine ganze Menge zu tun. Hätten wir es „Brückengeld“ oder anders genannt, hätten wir manche Debatte, die wir heute führen, und auch manche Entfesselung, man könne auf dem Arbeitsmarkt fast alles machen, schlicht und ergreifend in diesem Umfang nicht gehabt.
Für mich ist völlig klar, dass zu unserer Wirtschaftsordnung gehört, die Entwicklung von sittenwidrigen Löhnen zu verhindern. Aber wie macht man das? – Ich glaube zum Beispiel, dass ein Instrument, was eines der wesentlichen Instrumente meiner Arbeitsmarktpolitik ist, auch eine richtige Antwort ist, nämlich Potenzialberatungen in Firmen zu unterstützen, um nicht billiger, sondern besser zu werden und um bestimmte Strukturen auch wirtschaftlich in diesem Land zu erhalten.
Im Übrigen können wir die Frage nach dem Mindestlohn in einem ganz anderen Zusammenhang andenken. Ich stelle dabei nämlich sehr häufig die Frage: Wie weit können uns Kombilöhne auf dem Arbeitsmarkt helfen?
Ich will Ihnen etwas zu meinem Kompass sagen, den ich habe: Ich glaube nicht, dass uns ein Kombilohn hilft, wenn wir damit normal ausgebildeten Leuten ein Einkommen verschaffen wollen, das oberhalb der Armutsgrenze liegt. Wenn wir anfangen, das für gut ausgebildete Leute einzusetzen, kommen wir in eine Lohnsubvention, deren Ende nicht überschaubar und daher nicht zu verantworten ist.
Ich glaube, der Kombilohn muss von uns Arbeitsmarktpolitikern auch mehr in der Richtung verstanden werden: Er ist nicht die Wunderwaffe. Mich stört an der jetzigen Debatte, dass viele glauben, wir könnten die Probleme unseres Arbeitsmarktes durch die Einführung von Kombilöhnen lösen. Ich verstehe Kombilöhne als ein Angebot an Menschen, die eine einfach strukturierte Arbeit brauchen, weil sie sonst in dieser großen arbeitsteiligen Welt, die wir in Deutschland haben, überhaupt keine Teilhabechancen mehr am Arbeitsmarkt hätten.
Deswegen muss sich das aus meiner Sicht sehr stark auf Menschen ohne berufliche Qualifikation konzentrieren.
Dann kommt der Punkt: Je breiter Sie in den Ansatz einer Kombilohnüberlegung gehen, desto mehr stellt sich die Frage von Mindestlöhnen zwingend, weil sonst der Kombilohn in der Subvention eine Wirkung auf die Löhne nach unten bekommt, die Sie am Ende nicht mehr ausgleichen können.
Ich kann mir deswegen Mindestlöhne nur in dieser Kombination für einen Teilbereich der Wirtschaft vorstellen.
Bei allen Presseveröffentlichungen und bei allem, was ich in den letzten Monaten zu Mindestlöhnen gesagt habe, wird Ihnen vielleicht aufgefallen sein – das haben Sie in Ihrer Rede klugerweise auch nicht getan –, dass ich mich nie zur Höhe von Mindestlöhnen geäußert habe. Ich sage Ihnen auch ganz offen, warum ich das nicht getan habe: weil ich diese Höhe der Mindestlöhne bis jetzt nicht kenne.
Wenn wir sie daran orientieren, dass wir einen Mindestlohn festschreiben müssen, der oberhalb der Armutsgrenze liegt, wenn wir Armutsgrenze wie Hartz IV definieren, bedeutet das nach meiner Auffassung, dass wir die Teilhabe von ganzen Bevölkerungsgruppen am Arbeitsmarkt ausschließen. Deswegen kann das nicht das tragende Kriterium sein.
Ich glaube im Übrigen auch, dass wir die unterschiedlichen Lohnhöhen in Deutschland anschauen sollten. Ein Mindestlohn von beispielsweise 6 € wirkt in unserer Stadt Düsseldorf ganz anders als im Eichsfeld. Im Eichsfeld ist das nämlich für viele Menschen aus ihrem Gefühl heraus ein sehr guter Lohn. Ich kann auch nicht ändern, dass das so ist. Deswegen ist es äußerst schwierig, das umzusetzen.
Ich glaube, dass die alte Auslegung, die wir nach dem BGB hatten – dass die Gerichte gesagt haben, dass die Sittenwidrigkeit gegeben ist, wenn die Löhne ein Drittel unter den ortsüblichen Niedriglöhnen liegen –, keine schlechte Definition war, um Sittenwidrigkeit zu verhindern. Das Problem ist nur, dass die Gerichte in vielen Teilen Deutschlands diese Mindestlohngrenze nicht mehr ausmachen können. Deswegen sehe ich dabei gerechtfertigterweise den Ansatz, dass Menschen, denen es um Gerechtigkeit in der Arbeitswelt geht, darüber nachdenken, ein anderes Kriterium für das zu finden, was wir zurzeit Mindestlohn nennen.
Ihre Redezeit ist großzügig überschritten. Aber wird handhaben das mit Genehmigung des Hauses etwas laxer.