Protocol of the Session on March 15, 2006

Deshalb stimmen wir dem Überweisungsantrag zu und freuen uns auf die Debatte im Fachausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Wolf das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen formuliert zum einen ein selbstverständliches Ziel und versucht zum anderen, Landtag und Landesregierung auf eine einseitige politische Position festzulegen.

Mit einer solchen Festlegung würde sich NRW von vornherein von einer konstruktiven und gestaltenden Teilnahme an der Diskussion über das Einbürgerungsverfahren ausschließen. So weit der Antrag auf eine bundeseinheitliche Regelung des Einbürgerungsverfahrens abzielt, ist dieses Anliegen durchaus zu begrüßen. Es stellt allerdings auch die bereits angesprochene Selbstverständlichkeit dar. Denn es ist das Bestreben aller Innenministerien der Länder und des Bundesinnenministeriums, das Staatsangehörigkeitsrecht des Bundes und somit auch alle Einbürgerungsfragen durch die Länder möglichst einheitlich anzuwenden. Hierzu bedarf es weder dieses Antrags noch eines entsprechenden Landtagsbeschlusses.

Ich bestreite keineswegs, dass es trotz dieser Bemühungen vereinzelt zu unterschiedlicher Auslegung und Handhabung kommt. Das ergibt sich in der Praxis einfach aus dem Umstand, dass nach Artikel 84 Absatz 1 des Grundgesetzes die Ausführung des Bundesrechts Ländersache ist.

Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Antragsteller gerade beim Staatsangehörigkeitsrecht für eine Ausführung durch eine zentrale Bundesverwaltung eintreten. Im Übrigen bleibt der Antrag jeden Beleg dafür schuldig, dass durch die bisherige Praxis der Länder die letztlich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz gebotenen rechtsstaatlichen Grenzen überschritten worden wären.

Im zweiten Teil des Antrags wird eine ausschließlich parteipolitisch motivierte Positionierung angestrebt, die der angeblich verfolgten Sache nicht dienen kann: Landtag und Landesregierung sollen

sich pauschal und kategorisch gegen von den Antragstellern so genannte Tests, Fragebögen oder Kurse wenden, ohne dass entsprechende Überlegungen verschiedener Länderinnenministerien bislang im Einzelnen bekannt, geprüft und diskutiert sind.

(Monika Düker [GRÜNE]: Aber was haben Sie denn in der Presse gesagt?)

Ein solches Ansinnen entbehrt jeglicher Sachgerechtigkeit. Sein Befolgen kann nur dazu führen, dass Nordrhein-Westfalen von der Diskussion um eine etwaige Optimierung eines bundeseinheitlichen Einbürgerungsverfahrens ausgeschlossen wird und jede eigene Gestaltungschance einbüßt.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Düker?

Ja.

Bitte schön.

Herr Minister, stehen Sie zu Ihrer Aussage in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 7. Februar, die sich wie folgt darstellt – Zitat –: „Die bisherige Prüfung der Verfassungstreue sei ausreichend“. In diesem Interview sprechen Sie sich auf Nachfrage der „Süddeutschen Zeitung“ gegen weitere Tests aus, wie sie etwa von Bayern beabsichtigt sind. Stimmt denn dieser Zeitungsartikel?

Dass die Zeitung das abgedruckt hat, ist richtig. Ich habe so etwas auch gesagt. Ich meine allerdings auch – wenn Sie mich hätten weitersprechen lassen, hätte ich Ihnen das auch sofort gesagt –, dass man sicherlich über die Eignung von Methoden, hier insbesondere über die Eignung von Fragebögen, streiten kann.

Zu Baden-Württemberg habe ich das Notwendige gesagt. Da gibt es gar nichts zurückzunehmen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Und Bayern?)

Frau Düker, wenn Sie schon fragen, möchte ich Sie bitten, mir auch zuzuhören.

Aber pauschale Bewertungen und Diskreditierungen, wie sie von Ihnen vorgenommen werden, verbieten sich von selbst. Wir werden zunächst einmal sorgfältig prüfen, ob diese oder andere Vorstellungen geeignet sind, Einbürgerungsentscheidungen im Hinblick auf den zu fordernden Integrationsgrad der Bewerber noch sicherer zu

machen. Gleichzeitig werden wir wie bisher darauf achten, dass eine Diskriminierung Einbürgerungswilliger genauso unterbleibt wie jegliche andere sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung.

Hierbei lehnen wir eine Vorfestlegung, wie sie durch den Antrag beabsichtigt wird, ab und empfehlen auch dem Landtag, den Antrag zurückzuweisen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe deswegen die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag Drucksache 14/1427 an den Innenausschuss – federführend – und an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration – mitberatend – zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Das sind alle, die im Raum verblieben sind.

(Zuruf von der SPD: Der Minister nicht!)

Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

11 Haushaltsnahe Dienstleistungen ausbauen – Perspektiven für ältere Menschen, für neue Arbeitsplätze und zum Abbau illegaler Beschäftigung schaffen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/1433

Ich eröffne die Beratung. Als erste Rednerin hat Frau Abgeordnete Steffens für die antragstellende Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der letzten Legislaturperiode auf Antrag der CDUFraktion die Enquetekommission „Zukunft der Pflege“ gehabt. Wenn man sich die Zahlen und die Prognosen für Nordrhein-Westfalen als Ergebnis dieser Enquetekommission anschaut, sind wir jetzt bei 460.000 Pflegebedürftigen nach dem

Pflegeversicherungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, wovon ca. 322.000 zu Hause leben.

Im Jahr 2040 – bis dann ist es gar nicht mehr so lange – werden es in Nordrhein-Westfalen wahrscheinlich 700.000 Pflegebedürftige sein, wovon dann, wenn man von denselben prozentualen Quoten ausgeht, etwa 490.000 zu Hause leben werden.

Diese Menschen bekommen zwar die Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz, das heißt die Pflegeleistungen. Aber natürlich gibt es eine Menge an Bedarfen, die man als älterer Mensch hat, die über die reine Pflegeleistung hinausgehen – sei es das Füttern der Katze, sei es das Reinigen der Wohnung, sei es das Einkaufen. Es gibt in etlichen Bereichen Bedarfe, die die Pflegeleistungen ergänzen.

Die gibt es aber nicht nur bei den Menschen, die schon in der Pflegestufe eingestuft sind. Das Älterwerden ist ein Prozess. Es gibt irgendwann Phasen, in denen bestimmte Mobilitäten, die man vorher noch hatte, eingeschränkt sind, und in denen bestimmte Sachen, die man immer gemacht hat, nicht mehr einfach von der Hand gehen, sodass man nach und nach auf Unterstützung angewiesen ist.

Eigentlich ist das ja alles ganz einfach. Man könnte sich ja dann bestimmte Leistungen dazu kaufen und Menschen für bestimmte Arbeiten engagieren. Aber wenn man sich anschaut, wie Renten aussehen und wie viel Einkommen Menschen in dem Alter haben, dann stellt man zunehmend fest, dass es zum Beispiel bei einer durchschnittlichen Frauenrente von 697 € oder einer durchschnittlichen Männerrente von 997 € relativ schwierig ist, neben den ganzen anderen Lebenshaltungskosten noch Menschen zu bezahlen, die haushaltsergänzende Dienstleistungen übernehmen. Das heißt, der Bedarf an Unterstützung ist da, aber die Zahlungsfähigkeit, um sich diese Unterstützung kaufen zu können, ist nur bei den wenigsten Menschen gegeben. Bei denjenigen, die noch sehr hohe Renten haben oder die Vermögen haben, ist das vielleicht anders, aber das ist nun einmal nicht die breite Masse.

Es zeigt sich nach und nach, dass sich, da der Bedarf trotzdem da ist, zwei Sachen entwickeln.

Erstens kommt es dazu, dass Menschen in Heimen untergebracht werden, dass sie auf Heime angewiesen sind, weil sie die Probleme nicht anders lösen können, obwohl sie eigentlich überhaupt nicht in eine stationäre Einrichtung gehören und viel lieber zu Hause leben würden.

Zweitens zeigt sich, dass die Bedarfe anders gedeckt werden. Wir haben auch in Nordrhein-Westfalen eine extrem hohe Zunahme an Fachkräften oder auch Nichtfachkräften, an Personen aus Osteuropa, die entweder im Schwarzmarktsektor oder sogar legal arbeiten.

An der Universität Münster schreibt eine junge Frau im Moment eine Doktorarbeit über dieses Thema. Sie hat genau bei dieser Personengruppe Umfragen gemacht. Auf die Frage, ob es eigentlich stimmt, dass diese Frauen, diese Osteuropäerinnen zum Teil fünf Tage die Woche 24 Stunden arbeiten, lautete die Antwort: Nein, das sind nicht fünf Tage die Woche, sondern sieben Tage. Das heißt, es entwickelt sich ein Markt, bei dem Frauen nach folgendem Modell engagiert werden: Ein Zimmer zum Wohnen wird zur Verfügung gestellt, und 24 Stunden Pflegeergänzung ist dann sichergestellt.

Aus Sicht der Betroffenen und aus Sicht der Angehörigen ist das völlig verständlich, aber sozial- und arbeitsmarktpolitisch natürlich überhaupt nicht akzeptabel. Das grenzt in vielen Fällen schon an Ausbeuterei oder geht sogar darüber hinaus.

Wir haben daneben noch einen anderen Schwarzsektor. Das ist einer der größten Bereiche, in dem wir in ganz hohem Maße keine legalen Beschäftigungsverhältnisse haben. Das hat natürlich, wie gesagt, zum einen den Grund, dass es für viele nicht finanzierbar ist, legal Menschen in dem Bereich zu beschäftigen. Zum anderen ist das Problem aber auch, dass es immer schwieriger wird, entsprechende Personen zu finden, die sozialversicherungspflichtig genau in diesem Bereich tätig sind. Da hat man sowohl bei der Nachfrageseite die Finanzschwäche als auch bei der Angebotsseite eine extreme Schwäche.

Wir haben dann in Nordrhein-Westfalen vor einigen Jahren gesagt, wir wollen das Problem über den Anschub von Dienstleistungspools lösen. Das sind nicht die Dienstleistungspools, wie sie hier in den letzten Jahren noch versucht worden sind, sondern die, bei denen wirklich klar ist, es geht nicht um Minijobs, sondern um existenzsichernde Jobs. Es geht darum, Frauen die Möglichkeit zu geben, eine Vollzeitbeschäftigung oder wenigstens eine halbe Stelle zu bekommen, wo sie dann sozusagen über mehrere Arbeitgeberinnen verteilt beschäftigt sind. Nach der Anschubfinanzierung ist das leider nicht weiter fortgeführt worden.

Wir haben aus dieser Modellphase heraus in Nordrhein-Westfalen noch Dienstleistungspools, die mittlerweile allein existenzsichernd am Arbeitsmarkt tätig sind. Das Problem dabei ist nur

auch wieder, dass es sich um Stundenlöhne von 17 € handelt. Die können sich die Besserverdienenden leisten, und sie haben damit dann auch eine hoch qualifizierte Kraft. Aber genau für die älteren Menschen, die die Bedarfe haben, ist das Problem damit nicht gelöst.

Auf der anderen Seite haben wir – davor braucht man die Augen ja nicht zu verschließen – einen immer größeren Anteil von langzeitarbeitslosen Menschen auch hier in Nordrhein-Westfalen. Diese Langzeitarbeitslosen sind oft ältere Menschen, bei denen klar ist und bei denen jede Arbeitsagentur sagt, diese Menschen haben keine Chance auf Integration in den ersten Arbeitsmarkt, weder kurzfristig noch mittelfristig. Es gibt keine Perspektive, weil der Arbeitsmarkt diese Stellen nicht hergibt.

Diese Menschen bekommen zum Teil noch kurzfristige Angebote unterbreitet, Qualifizierungsmaßnahmen, Ein-Euro-Jobs, Halbjahresmaßnahmen. Aber das kann es nicht sein. Denn gerade für ältere Menschen macht es keinen Sinn, auf ein halbes Jahr Maßnahme zu setzen und danach dann bis zum Eintritt in die Rente doch wieder Arbeitslosengeld II zu bekommen. Da ist es mittlerweile klar – das sagen alle möglichen Leitungen von Arbeitsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen, das sagen aber auch Leitungen in Optionskommunen, das sagen die Wohlfahrtsverbände –: Genau für diese Personengruppe brauchen wir dauerhafte Angebote, die wirklich bis zum Eintritt in die Rente greifen.

Wir brauchen also auf der einen Seite dauerhafte Lösungen für Langzeitarbeitslose. Auf der anderen Seite haben wir Bedarfe bei den älteren Menschen. Wir Grüne finden, diese beiden Probleme können wir vielleicht im Zusammenhang viel besser lösen als jedes für sich alleine. Dazu gibt es auch eine Menge Anregungen und Modelle aus anderen Ländern. Eine Möglichkeit besteht darin, zu versuchen, einen Teil der Nachfrageseite, wie in Österreich, über Dienstleistungsgutscheine zu subventionieren. Man kann auch versuchen, die Angebotsseite weiter anzuschieben und zu unterstützen, über Dienstleistungspools oder darüber, dass man wie in Schweden oder Dänemark die Transferleistungen, die Menschen bekommen, also das Arbeitslosengeld, auch als dauerhafte SGB-II-Finanzierung nimmt, um darüber Menschen in die Beschäftigung zu bringen.

Wir Grüne haben das hier in Nordrhein-Westfalen im Landtag mit 180 Experten und Expertinnen diskutiert. Das Ergebnis ist der Antrag, der Ihnen heute vorliegt. Wir möchten das gerne auf der Fachebene mit Ihnen allen diskutieren. Das Prob

lem ist groß in Nordrhein-Westfalen. Die Lösungsansätze sind vielfältig. Ich glaube, es gibt nicht einen Weg, sondern viele Wege.