Protocol of the Session on February 2, 2006

(Hannelore Kraft [SPD]: Ich weiß nicht, wel- che Gespräche Sie führen!)

Sie haben auch deshalb keine Angst, weil sie wissen, dass sie bei dieser Regierung in guten Händen sind und

(Beifall von CDU und FDP – Lebhafter Wi- derspruch von SPD und GRÜNEN)

dass Verlässlichkeit zählt, dass wir nicht irgendwelche Dinge aufschreiben und nachher etwas anderes machen. Deswegen geht Ihre Angststrategie vollkommen ins Leere.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie scheinen heu- te Nacht gut geträumt zu haben!)

Sie haben in Wahrheit keine Alternative. Wenn Sie den Blick etwas über den Tellerrand unseres schönen Bundeslandes hinausschweifen lassen, werden Sie das auch sehen.

Herr Schartau, warum beschimpfen Sie andere Formen des Personalmanagements? Fragen Sie doch einmal Herrn Sarrazin, Ihren Parteifreund in Berlin, was er dort alles zusammen mit der PDS gemacht hat: furchtbaren neoliberalen – wie nannten Sie das? – Donnerhall und Getöse.

(Beifall von CDU und FDP – Lachen von SPD und GRÜNEN)

Schlimme Sachen, die da in Berlin passieren! Sie machen sich wirklich ziemlich lächerlich, wenn Sie das, was Sie in Berlin mit Parteitagsbeschlüssen unterlegen, in diesem Parlament wortreich bekämpfen.

Wer soll das denn bezahlen? Wir haben eine Personalsteuerquote von 60 %. Sie haben einen desolaten Haushalt hinterlassen. Für Sie ist sozial, was der Staat macht. Wenn Private das anpacken, ist gleich von „unsozial“, „neoliberal“ oder „marktradikaler Kälte“ die Rede.

In Ihrem Antrag, Frau Gödecke, steht auch etwas über den Landesbetrieb Straßenbau. Damit wollen Sie die Leute offensichtlich auch verunsichern. Ich hatte mit dem Personalratschef vom Landesbetrieb Straßenbau ein spannendes Gespräch. Er hat mir einen Zeitungsartikel aus der „Westfälischen Rundschau“ vom 10. November 2005 mit

gebracht. Ich erlaube mir, daraus zu zitieren: Die „künftige große Koalition“, die wir gemeinsam in Berlin bilden mussten, hat vor, „das deutsche Autobahnnetz in eine eigene Gesellschaft auszugliedern.“ – Da stellt sich mir die Frage: Was heißt das für die Straßenverwaltung im ganzen Land? Was soll das bedeuten? Das haben Sie gemeinsam mit der CDU im Bund beschlossen, um eine Koalition zu bilden. Ihr Verkehrsminister, Herr Tiefensee, sollte Ihnen einmal die Frage beantworten, was daraus für die Mitarbeiter resultiert.

Sie versuchen hier einseitig, Angstdebatten zu führen, obwohl Sie genau wissen – Herr Schartau hat von Pragmatismus gesprochen –, dass sich vieles ändern muss. Wir werden diesem Veränderungsdruck insofern nachgeben und Folge leisten, als wir im Dialog mit den Leuten die Entwicklungen, die unvermeidbar sind, anpacken. Wir tun das Schritt für Schritt. Schauen Sie in die freundlichen Gesichter links und rechts von mir. Hinter diesen freundlichen Gesichtern wird viel geprüft und viel gedacht. Warten Sie ab, bis dabei gute Ergebnisse herauskommen!

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Wie lange sollen wir noch warten? – Weitere Zurufe)

Danke schön, Herr Wüst. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Becker.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die Debatte, so wie sie bis jetzt stattgefunden hat, Revue passieren lässt, kann meiner Meinung nach sehr eindrucksvoll feststellen, wo das Problem dieser Koalition liegt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es liegt zum einen darin, dass die FDP mit dem Hund wedelt, und zum anderen darin, dass Teile der CDU das offensichtlich für ein geeignetes Programm halten, während andere Teile still und leise und tief betroffen dasitzen und mit dem Kopf schütteln.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, man muss sich zunächst einmal die Frage stellen: Wie soll es hier eigentlich zu der wunderbaren Steigerung von Effizienz, zu Entbürokratisierung, zu Gewinnen und gleichzeitig zu mehr Beschäftigung kommen? Herr Wolf hat vorhin gesagt, die „Marktgängigkeit der Aufgaben“ würde unternehmerische Freiräume schaffen und darüber hinaus zu positiven Be

schäftigungseffekten führen. Wie soll es zu all dem kommen?

Bei den Aufgaben der Landesbetriebe handelt es sich in der Regel nicht um Aufgaben, nach denen sich der private Markt drängt. Es handelt sich übrigens in der Regel auch nicht um Aufgaben, nach denen sich die Kommunen drängen. Das alles ist nicht der Fall.

Wenn das aber nicht der Fall ist, wenn man sie höchstens dann privatisieren könnte, indem man Geld zuschießen oder einem Privaten ein Quasimonopol zubilligen oder Kommunen eine Aufgabe zuschieben würde, ohne ihnen die finanzielle Ausstattung zu geben, stellt sich die Frage: Was ist das Ziel dieser Veranstaltung?

Wenn man sich diese Frage stellt, hilft ja möglicherweise Textstudium. Dieses Textstudium will ich hier – mit Genehmigung der Präsidentin – betreiben. Ich zitiere aus einer Kabinettsvorlage. Die Kabinettsvorlage, die mir vorliegt, hat an verschiedenen Stellen interessante Aussagen, unter anderem folgende:

„Die materielle Privatisierung stellt eine echte Verlagerung der staatlichen Betätigung in den privaten Sektor dar, das heißt in den Wettbewerb privater Anbieter am Markt. Sie kann durch die Veräußerung eines öffentlichen Unternehmens oder einer Einrichtung, durch Vermögensprivatisierung oder durch andere Formen der Aufgabenüberlassung/Aufgabenprivatisierung an Private erfolgen.“

An anderer Stelle heißt es:

„Vor allem drei Argumente werden für die Privatisierung angeführt: die zu hohe Staatsquote – über 50 % – als Überlastungssymptom, die Erschließung neuer Betätigungsfelder für private Unternehmen auch angesichts der Globalisierung,“

man stelle sich das bei Eichämtern und Ähnlichem vor –

„die erforderliche Haushaltssanierung durch Begrenzung der öffentlichen Verschuldung.“

Weiter heißt es:

„Von erheblicher Bedeutung sind zunächst die fiskalischen Ziele. Kosten, auch die Personalkosten, sollen gesenkt werden, Gewinne erhöht, staatliche Ausgaben reduziert und Einnahmen gesteigert werden, höhere Produktivität, bessere Produktqualität, niedrigere Produktionskosten.“

Meine Damen und Herren, das ist ein Musterbeispiel aus dem Ideologiehandbuch der Stiftungen der FDP. Es würde mich nicht wundern, wenn Herr Papke aus dem Feuchtbiotop der NaumannStiftung wesentliche Bestandteile für Herrn Wolf geliefert hätte.

(Beifall von der SPD)

Wer sich diese Dinge sorgfältig auf der Zunge zergehen lässt, muss erstens feststellen: Nichts von alledem lässt sich so realisieren; es gibt Aufgaben, die der Markt nicht regelt. Zweitens. Wir müssen feststellen, dass das, was Herr Wolf hier vorgetragen hat, schlichte Fantasie war.

Herr Wolf, Sie haben eben zur LEG Stellung bezogen. Ich kann Ihnen nur sagen: Es war nie so, dass die Summe, die Sie genannt haben, dafür eingestellt war. Richtig ist: Es sollten Umstrukturierungen innerhalb der LEG erfolgen. Es ist nie zu einem Parlamentsbeschluss gekommen, die LEG zu verkaufen.

Eine zweite Bemerkung, die ich Ihnen gerne mit auf den Weg geben will: Sie haben im Verlauf der Haushaltsdebatte über 600 Millionen € für den Bau- und Liegenschaftsbetrieb bereitgestellt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie und der Finanzminister das Parlament darüber aufklären würden, was mit diesem Geld geschieht, wenn Sie ernsthaft erwägen, das alles zu privatisieren.

Glauben Sie wirklich, dass der Landesbetrieb Straßenbau, der in der Tat – da würde ich sogar die Analyse teilen – heute nicht wirtschaftlicher arbeitet als zu der Zeit, in der die Aufgaben bei den Landschaftsverbänden organisiert waren, wirtschaftlicher arbeitet, wenn Sie demnächst Privaten mit Gewinnabschöpfung diesen Betrieb übertragen?

Ich glaube, Sie tragen hier Ideologie vor. Ich gebe Herrn Schartau in diesem Fall völlig Recht: Sie werden sich an der Praxis messen lassen müssen. Das wird spannend in den nächsten Jahren. Sie werden da sicher viele Niederlagen einstecken. Das Problem ist nur, dass Sie hier Experimente auf Kosten der Beschäftigten betreiben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist das Prinzip; das ist das Bedauerliche daran.

Ein letzter Satz: Wer effizienzsteigernd wirken will, sollte nicht so arbeiten, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wesentliche Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen müssen. Das wirkt nicht motivierend, sondern demotivierend, und das trägt

nicht zu einer guten Aufgabenerledigung bei, sondern eher zum Gegenteil.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Schönen Dank, Herr Becker. – Für die FDP spricht nun Frau Freimuth.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Becker, wenn man sich schon dem Literaturstudium etwas intensiver widmen will, dann sollte man damit anfangen, die Quelle genauer zu untersuchen. Denn wenn man schon die Quellenherkunft falsch einsortiert, kann man auch nicht die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Der Innenminister hat vorhin klargestellt, dass es sich hier nicht um eine Kabinettsvorlage handelt.

Wenn Sie die Friedrich-Naumann-Stiftung loben, dann ist das völlig ehrenwert und auch völlig berechtigt. Aber das, was Sie hier heute vorgetragen haben und was Sie hier auch an ideologischem Popanz aufbauen, ist dann leider schwach.

Die Haushaltssituation des Landes ist Ihnen genauso bekannt wie uns. Sie wissen – Sie haben das in der Vergangenheit selber vorgetragen –, dass es durchaus einen sehr engen Sachzusammenhang zwischen Haushaltskonsolidierung und Strukturfragen gibt. Sie tun aber heute völlig überrascht – als ob die Idee Privatisierung, „Privat vor Staat“ irgendetwas wäre, was erst gestern ganz plötzlich über das Land gekommen sei.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nicht nur in den letzten fünf Jahren hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen immer wieder gesagt, dass wir uns mehr Privat vor Staat wünschen. Wir haben das auch im Koalitionsvertrag mit den Kolleginnen und Kollegen von der CDU ganz offen verabredet. Wir haben das jedem gesagt, der es wissen wollte. Jeder hat davon Kenntnis nehmen können.

Es ist auch richtig, weil nämlich Privatisierung auch den Wechsel vom öffentlichen Sonderrecht zum Privatrecht bedeutet. Wir haben natürlich Ziele, die wir damit verfolgen. Die sind ebenfalls richtig.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Wer ist „wir“?)

Herr Sagel, wir.