Protocol of the Session on September 10, 2009

Meine Damen und Herren, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, eigentlich ist es doch skurril, dass wir als Gesetzgeber überhaupt dafür sorgen müssen, dass Kinderlärm als normal und Kinderlachen nicht als

Lärm eingestuft wird. Denn Kinderlärm ist eigentlich die natürlichste Sache der Welt.

(Beifall von der CDU)

Wie singt Herbert Grönemeyer so treffend in seinem Lied:

Gebt den Kindern das Kommando.

Sie berechnen nicht, was sie tun.

Die Welt gehört in Kinderhände.

Dem Trübsinn ein Ende.

Wir werden in Grund und Boden gelacht.

Kinder an die Macht.

Wenn unser geschätzter Bundespräsident Horst Köhler sagt, dass Kinderlärm Zukunftsmusik ist, hat er recht. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, der hoffentlich auch von den Oppositionsfraktionen unterstützt wird, dass von Kindern verursachte Geräusche unabhängig von ihrer Lautstärke nicht mit Verkehrs- und Industrielärm gleichgesetzt werden.

(Beifall von CDU und FDP)

Kinder sind willkommen und müssen dies auch spüren. Dies habe ich in meiner Abschlussrede zur Enquete-Kommission „Chancen für Kinder“ im Namen der CDU Fraktion festgehalten. Deshalb halten wir es für absolut überflüssig, unangebracht und im Kern kinderfeindlich, den Lärm spielender Kinder zum Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen zu machen. Kinder gehören zum Leben. Sie bringen Leben in unser Leben. Deshalb sind kleinliche Lärmschutzregeln beschämend und fehl am Platz.

Bemerkenswert und sehr erfreulich ist es, dass der Bundestag in der Sitzung am 2. Juli einstimmig einen Antrag zur Baunutzungsverordnung und zu einer Anpassung des Lärmschutzrechtes beschlossen hat. Meines Erachtens ist es absurd, dass Kinderlärm als schädliche Umweltauswirkung eingestuft werden kann. Wir begrüßen die Initiative des Bundes ausdrücklich, weil sie ein wichtiger Baustein für das selbstverständliche und kindgerechte Aufwachsen unserer Kinder ist.

Kinderspielplätze, Kindergärten und ähnliche Einrichtungen sind in reinen Wohngebieten zuzulassen. Geben wir ruhig zu: Die meisten Gesetze sind erwachsenenzentriert. Das muss sich ändern.

Kinder brauchen für ihre gesunde Entwicklung das freie und unbeschwerte Spiel. Ob der Basketballkorb vor dem Haus oder das begeisterte Fußballspielen auf das Garagentor – „Jogi Löw muss auch Straßenfußballer bekommen“ –, ob das stundenweise Schließen von Sportplätzen, ob die Verhinderung des Umbaus oder die Verhinderung der Eröffnung eines Kindergartens wie in Hamburg: Es muss Schluss sein mit der meines Erachtens falschen Interpretation, Nutzung und Auslegung von Gesetzen. – Respekt und Anerkennung für jeden Anwalt, der es ablehnt, in Sachen Kinderlärm einen Kläger

zu vertreten! Ich wünsche mir mehr solcher Anwälte.

Meine Damen und Herren, ich bin dem Kinderschutzbund Nordrhein-Westfalen dankbar dafür, dass er dieses Thema immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht und unseren Antrag öffentlich ausdrücklich begrüßt hat.

Unsere Kinder sind Kinder unserer Gesellschaft. Deshalb sollten wir hier alle an einem Strang ziehen. Seit der Föderalismusreform I sind wir als Bundesländer für verhaltensbezogenen Lärm zuständig. Deshalb muss sich auch der Landtag hiermit befassen.

Wir werden uns dieser Aufgabenstellung annehmen. Wir werden für diese Ziele in der Bevölkerung werben, sie mitnehmen und überzeugen. Das darf ruhig eine echte Bürgerbewegung werden. Es ist ein typisches Mehrgenerationenprojekt. Wir sind es unseren heutigen Kindern und den Kindern von morgen schuldig. Ihre Eltern können mit uns rechnen.

Kinder brauchen die frische Luft. Sie brauchen Bewegung und Spiel. Kinder sollen in ihrer Kindheit Kinder sein, den Spaß an Kindheit und Kindsein erleben. Wir müssen Ein-Weg-KommunikationsKinder vermeiden, die nur vor dem PC, vor dem Fernsehen oder vor der Konsole hocken.

Natürlich müssen Kinder auch lernen, Rücksicht zu nehmen. Da sind die Eltern erzieherisch sehr in der Verantwortung. Aber meine lieben Erwachsenen, Toleranz ist keine Einbahnstraße. Toleranz folgt einem alten geometrischen Gesetz: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel.

(Lachen von Rüdiger Sagel [fraktionslos])

Oder anders: Wie wir mit unseren Kindern umgehen, so werden sie später mit uns umgehen. Toleranz muss vorgelebt werden. Also: Mehr Toleranz für spielende Kinder!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, merken wir uns: Unsere Nachbarkinder sind nicht nur die Kinder unserer Nachbarn, sondern die Kinder unserer Gesellschaft. Sie sind unsere Kinder. In dieser Einstellung haben unsere Nachbarländer uns etwas voraus; ich denke an Frankreich, Italien und die skandinavischen Länder. Wir wissen: Die heutigen Nachbarkinder sind in der Welt von morgen unsere Pfleger, Ärzte und sicher auch Rentenabsicherer im Generationenvertrag.

Kinder aufwachsen zu sehen und zu hören macht Spaß. Wir jedenfalls wollen die Kinder nicht nur aufwachsen sehen, sondern wir wollen sie auch aufwachsen hören.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Lebensbedingungen für Kinder hat sich auch die OECD befasst. Dort heißt es: „Kinder haben ein Recht auf eine glückliche Kindheit.“ Dazu, meine Damen und

Herren, zählt auch die Sicherung einer kindgerechten Lebensqualität. Was meinen wir mit kindgerechter Lebensqualität? Das ungetrübte Aufwachsen im Freundeskreis hat auch unter informellen Bildungsgesichtspunkten eine Schlüsselfunktion. Für die Entwicklung des Sozialverhaltens ist das Spiel mit anderen Kindern für jedes Kind wesentlich.

Deshalb: Lasst die Kinder spielen! Kinderlärm, Kinderlachen sind die natürlichste Sache der Welt. Kinder gehören zu uns und nicht an den Rand. Sie gehören mitten in die Wohngebiete. Wohngebiete sind keine Schlafgebiete, bei denen Nachtruhe auch tagsüber gerichtlich angeordnet werden kann.

Meine Damen und Herren, die Nobelpreisträgerin Astrid Lindgren hat 1957 augenzwinkernd geschrieben – ich zitiere –:

Wir wohnen in einem gelben Haus in einer Straße, die heißt Krugmacherstraße. „Möglich, dass in alter Zeit Krugmacher in dieser Straße wohnten, aber heutzutage wohnen hier nur Krachmacher“, sagt Papa. „Ich denke, wir taufen die Straße um und nennen sie die Krachmacherstraße.“

Wir brauchen auch in Nordrhein-Westfalen mehr Toleranz für spielende Kinder. Kinderlachen ist kein Lärm. Wir brauchen mehr Krachmacherstraßen.

Ich fasse zusammen: Wir fordern die Landesregierung auf, an den Beratungen für einen Entwurf zur Änderung der Baunutzungsverordnung sowie an einer damit verbundenen Anpassung der Lärmschutzgesetzgebung im Bundesrat initiativ mitzuwirken, die dem Freizeitlärmerlass zugrundeliegende Förderung der Entfaltung von Kindern durch eine Akzeptanzinitiative Nachdruck zu verleihen und für mehr Verständnis für Kinder zu werben, die Erstellung eines Leitfadens voranzutreiben, um die im Zusammenhang mit dem Betrieb von Kindertageseinrichtungen auftretenden möglichen Konflikte auch im Vorfeld angemessen mit den Nachbarn zu lösen.

Dazu sind unseres Erachtens Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden, Sportverbänden, der Wohlfahrtspflege und den Kirchen zu führen. Wir fordern die Landesregierung auf, durch eine landesweite Veranstaltung diesem Thema große Aufmerksamkeit zu geben. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die zweite antragstellende Fraktion, die FDP-Fraktion, bekommt der Abgeordnete Lindner das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Wir haben in den vergangenen Jahren hier in Nordrhein-Westfalen großartige Erfolge beim Ausbau der Betreuungs

plätze für unter dreijährige Kinder erzielt. Wir werden im nächsten Jahr bereits die Marke von 100.000 Betreuungsplätzen für kleine Kinder passieren. Wir haben uns ehrgeizige Ziele für die Zeit danach gesetzt. Wir werden im Jahre 2013 für deutlich mehr als 30 % der Kinder im Alter von unter drei Jahren Plätze anbieten.

Bislang ist es gelungen, diese zusätzlichen Kapazitäten in bestehenden Einrichtungen zu schaffen. Aber in Zukunft wird es stärker und immer öfter an vielen Stellen im Land notwendig sein, auch neue Baumaßnahmen anzustoßen, neue Kindertageseinrichtungen zu bauen – im Übrigen auch in den Kommunen, die trotz des demografischen Wandels noch Bevölkerungswachstum haben; solche gibt es ja noch. Vor Ort werden dann Diskussionen zu führen sein, wo Kindertageseinrichtungen gebaut werden können, wo Kindertageseinrichtungen erweitert werden können.

Jeder, der das Berufsfeld kennt, der die Praxis kennt, weiß, dass, wenn eine Gruppe von 25 kleinen Kindern einmal richtig aufdreht, das den Lärmpegel eines startenden Düsenjägers erreichen kann. Aber das ist eben nicht mit einem Düsenjäger und mit anderem Verkehrslärm vergleichbar, weil es – Walter Kern hat den Bundespräsidenten schon zitiert – sich um Kinder handelt und ihr Lärm nicht Geräuschemission ist, sondern lebendiger Ausdruck von Spiel, von Spaß, manchmal auch von Streit und Traurigkeit. Das gehört zum Leben dazu. Viel zu selten sind diese Äußerungen noch in unserer Lebenswirklichkeit, in unserem Alltag für uns greifbar – weil wir eben nicht mehr in Großfamilien leben wie noch die Generationen vor uns.

Mit diesem Antrag wollen die Koalitionsfraktionen eine Lanze dafür brechen, diese freudigen Äußerungen von Kindern auch in Wohngebieten wieder für alle erfahrbar zu machen.

Das ist durch eine Veränderung der Baunutzungsverordnung möglich. Wir haben da schon jetzt Differenzierungen etwa für Geräuschemissionen durch Sport oder sogenannten Freizeitlärm. Nur Kindertageseinrichtungen waren in reinen Wohngebieten bislang eher die Ausnahme denn die Regel. Hier gibt es nun eine Möglichkeit, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, diesem Umstand abzuhelfen, diesen Makel zu beseitigen.

Wir als Koalitionsfraktionen haben uns entschlossen, ein Signal in dieser Richtung zu senden. Flankiert wird es durch einen einstimmigen Beschluss des Deutschen Bundestages. Deshalb bin ich optimistisch, dass auch die Oppositionsfraktionen in diesem Haus unserem Antrag werden beitreten können. – Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Abgeordnete Wiegand.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist für uns als SPDLandtagsfraktion im bevölkerungsreichsten Land der Bundesrepublik schon bemerkenswert, dass CDU und FDP in diesem Hohen Haus mit einem gemeinsam eingebrachten Antrag so einmütig die Arbeit der Großen Koalition in Berlin lobpreisen –

(Christian Lindner [FDP]: Einstimmiger Bun- destagsbeschluss!)

und das knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, leider haben Sie aber auch hier wieder ein Musterbeispiel dafür eingebracht, wie man gute Anträge verschlimmbessern kann. Hätten Sie doch einfach nur abgeschrieben! Selbst meine kleine Tochter kennt mit ihren knapp zwei Jahren bereits einen Spruch für Ihren Antrag: blubber, sabbel, trööt.

Als ich erstmalig die Überschrift Ihres Antrages und die dazugehörigen PR-Kampagnen gelesen habe, habe ich gedacht: Gut, endlich einmal etwas Positives von den regierungstragenden Fraktionen. – Ich hätte es aber besser wissen müssen. Ein Blick in den Antrag, und Ihre Hochstapelei ist entlarvt. Statt sich wirklich zum Anwalt der Kinder zu machen, setzen Sie nur halbherzig die Vorgaben des Bundestags um.

Beim Kinderlärm kann es nämlich nicht nur um Kindertageseinrichtungen, Schulen und Spielplätze gehen. Kinder spielen auch auf unseren Straßen, in Garagenhöfen und in Hausgärten. Selbst meine Kleine fährt mit den Nachbarskindern lieber mit ihrem plastikbereiften Bobby-Car über unsere Straße, als nur brav auf dem Kinderspielplatz zu bleiben. Dabei geht es mitunter ganz schön laut zu. Das ist für mich die eigentliche „Zukunftsmusik Kinderlärm“.