Ich eröffne die Beratung und erteile dem Kollegen Peter Biesenbach für die Fraktion der CDU das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir hatten nach den großen Debatten im Landtag in den Jahren 2001 und 2002 gedacht, dass damit das Thema erst einmal erledigt sei. Wir müssen aber erkennen, dass die Volksinitiative eine große Zahl an Unterschriften zusammengebracht hat, und zwar mehr als doppelt so viel als notwendig gewesen wäre. Wir haben auch festgestellt, dass die Volksinitiative rechtmäßig zustande gekommen ist. Somit werden wir im Februar des nächsten Jahres
Alle Fraktionen dieses Hauses haben in den Debatten in den Jahren 2001 und 2002 dazu Stellung genommen. Meine Fraktion hat seinerzeit dazu einen Entschließungsantrag „Den Alltag unterbrechen und Gemeinschaft fördern - Kulturelle Tradition achten, den Sonntag schützen“ eingebracht. Dieser Entschließungsantrag wurde mit sehr viel Herzblut geschrieben und hier vertreten. Ich glaube, er ist auch heute noch vom Inhalt her aktuell. Es lohnt sich, ihn zu lesen.
Wir hätten heute eigentlich auf die Debatte verzichten wollen, und zwar aus Respekt vor der Anhörung, die es für die Volksinitiative Anfang des nächsten Jahres geben wird, um nach der Anhörung abschließend zu debattieren. Da aber der Wunsch bestand, heute schon einiges dazu zu sagen, wollen wir das auch gern tun. Wir werden heute aber keine abschließende Stellungnahme abgeben. Das gebietet der Respekt vor der Anhörung.
Wir als CDU kennen - das haben wir seinerzeit auch betont - den scharfen Wettbewerb, dem Videotheken ausgesetzt sind. Ich erinnere an Stichworte wie „Video on demand“, Videoautomaten, 360 TV-Programme. Selbstverständlich kämpfen wir als Union für mehr Arbeitsplätze und für Vorfahrt für Arbeitsplätze im Sinne der Reden von Bundespräsident Horst Köhler. Wohlklingend ist die Ankündigung der Initiative, 600 neue Arbeitsplätze und fast 100 neue Ausbildungsplätze zu schaffen.
Doch ohne hier schon über die Öffnung von Videotheken am Sonntag zu reden - darüber sind wir uns vielleicht alle einig -, ist zu sagen, Arbeitsplätze dürfen kein Argument sein, das alle anderen Grundsätze untergräbt. Für uns bleibt klar: Wir wollen keine totale Ökonomisierung des Lebens und auch keine totale Verfügbarkeit des Menschen.
Ich darf in diesem Zusammenhang einige Worte der Kollegin Milz zitieren, die seinerzeit in der Debatte im Jahre 2001 dargestellt hat: Dieses Thema ist auch Grund, grundsätzlich über den Wert der Sonntagsruhe nachzudenken. Sie hat damals für meine Fraktion auch gesagt:
„Ich würde auch empfehlen, nicht so leichtfertig immer mehr Kerben in den schon ausgehöhlten Wert des Sonntages als solchen zu hauen, sondern zu überlegen, den Menschen auch einmal Muße zu ermöglichen.“
- Herr Lindner, das gilt auch für Sie. Das Nachdenken ist doch ein Punkt, der sich zumindest lohnen würde.
Im Übrigen haben wir die Sonn- und Feiertagsruhe auch grundsätzlich geregelt. § 10 des Feiertagsgesetzes sagt ganz simpel:
„Beim Vorliegen eines dringenden Bedürfnisses können Ausnahmen … zugelassen werden, sofern damit keine erhebliche Beeinträchtigung des Sonn- und Feiertagsschutzes verbunden ist.“
Herr Lindner, erhebliche Beeinträchtigungen werden vielleicht auch dann nicht zu sehen sein, wenn ich mir meine Videofilme samstags zu holen habe. Wer ein Buch lesen will, müsste es ja ebenfalls kaufen können, und wer eine CD hören möchte, müsste auch die Chance haben, sie sonntags zu kaufen, wenn diese Grundsätze gelten sollen.
Wir wissen, dass andere Bundesländer - auch CDU-geführte - es inzwischen erlauben, Videotheken sonntags ab Mittag zu öffnen. Es existieren Möglichkeiten, Kompromisse zu schließen.
Wir wissen auch - das ist im Koalitionsvertrag festgehalten -, dass es in diesem Punkt einen Unterschied zwischen unserer Auffassung und der Auffassung der FDP gibt. Wir haben ihn im Koalitionsvertrag dokumentiert. Deswegen diskutieren wir diese Frage hier auch möglicherweise unterschiedlich.
Wir werden uns also im Hauptausschuss mit den Argumenten auseinander setzen. Wir werden hören, ob neue dazukommen. Ich glaube aber, dass die Tendenz bei uns folgende sein wird: Wir dürfen bei Sonn- und Feiertagsregelungen keinen Rutschbahneffekt befördern. Eine Regelung, an deren Ende alle Tage der Woche gleich sind und der Sonntag uns damit komplett gleichgültig wird, wird meine Fraktion gegenwärtig wohl nicht mittragen können.
Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. - Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD Herr Kollege Kuschke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Biesenbach, ich kann dem, was Sie ausgeführt haben, weitest
Was mich etwas irritiert, ist - das sage ich auch ganz offen -, warum Sie nicht auch schon den nächsten Schritt gemacht haben. Denn bei allem Respekt: Ihren Hinweis auf den Respekt vor der Anhörung halte ich für etwas überzogen. Auch in der Vergangenheit haben wir es uns bei weitaus wichtigeren Gegenständen nicht nehmen lassen, schon bei der ersten Lesung im Plenum den Standpunkt deutlich zu machen, ohne dass der Stellenwert einer anschließenden Expertenanhörung damit aufgegeben wurde.
Auch wenn der FDP-Kollege schon mit den Füßen scharrt und es kaum erwarten kann, zu einem so wichtigen Thema wie den VideothekenÖffnungszeiten zu reden, will ich noch ganz offen und ehrlich Folgendes hinzufügen: Dieses Thema kann ja eigentlich nur noch durch die Öffnungszeiten für Autowaschanlagen übertroffen werden, wie wir wissen. Das Ganze wird dann mit dem Anspruch eines politischen Liberalismus verbunden. - Ich muss das jetzt schon einmal sagen, weil ich nicht nach Ihnen reden kann. Aber wahrscheinlich trifft es das, was Sie sagen werden.
Auch wenn Sie kaum noch zuhören können, will ich dennoch hervorheben, dass natürlich auch in unserer Fraktion eine Diskussion dazu stattgefunden hat. Selbstverständlich sind Argumente dafür und dagegen ausgetauscht worden. Wir haben uns auch mit dem gerade von der FDP immer ins Rennen gebrachten Aspekt auseinander gesetzt, ob wir nicht eine Bevormundung von Bürgerinnen und Bürgern vornehmen. Das mag zunächst ein richtiges Argument sein. Wir haben als Gesetzgeber, als Landtag, aber doch die Aufgabe, eine Abwägung vorzunehmen. Wir müssen Pro- und Kontra-Argumente nicht nur bezogen auf den eigentlichen Gegenstand abwägen, sondern haben uns in der Tat mit Fragen und den entsprechenden Antworten auseinander zu setzen, die auf folgende Fragen abstellen: Was bedeutet das für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Rechte? Was für Arbeitsplätze entstehen dort? Sind das qualifizierte Arbeitsplätze? Sind das sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze?
- Sie werden ja gleich den Nachweis erbringen, dass das so sein wird. - Wie sieht es denn mit der Qualität eines Freizeitangebotes aus? Hat dieses Angebot etwas mit der Freizeit zu tun, die man gemeinsam miteinander verbringt und die auch Aspekte von Kommunikation aufweist - ja oder nein?
Ferner haben wir uns natürlich mit der Frage auseinander zu setzen, was das Ganze vom Grundsatz her bedeutet. An dieser Stelle hat mich die von der Volksinitiative unter dem Stichwort Problem angegebene Begründung irritiert, die Bürger müssten sich bereits am Vortag entscheiden, ob sie das Angebot der Videothek nutzen wollten. Ich gebe gerne zu, dass ich bei dieser Begründung eine Zeitlang gestutzt habe; denn darin wird es als unzumutbare Anforderung beschrieben, sich als Bürger und als Bürgerin 24 Stunden vorher Gedanken darüber zu machen, wie Freizeit denn verbracht wird. Dieses Erfordernis trifft die Bürger und Bürgerinnen auch in ganz anderen Lagen ihres Lebens. Ich halte diese Begründung für nicht sehr stichhaltig.
Ich will auch hinzufügen, dass wir nicht bei einem Weg mitmachen wollen, der versucht, in der Art eines Schweizer Käses eine Auflockerung des Sonntages als einem Tag, der doch noch so etwas wie eine Trennungslinie zwischen Arbeit und Freizeit bedeutet, vorzunehmen.
Wir gehen diesen Weg auch nicht mit, weil wir damit nicht die Chance haben, im Grundsatz über das Ladenschlussgesetz, die Ladenöffnungszeiten und all die Dinge, die damit zusammenhängen, zu diskutieren. Hierzu werden wir demnächst ja Gelegenheit haben - Stichworte: Föderalismuskommission und deren Ergebnisse sowie Ergebnisse der Koalitionsvereinbarung in Berlin. Lassen Sie uns diese Debatte dann aber wirklich vom Grundsatz her führen und nicht anhand dieses kleinen, überschaubaren Themas, das in keinem Verhältnis zu der Bedeutung der Entscheidung steht, die wir treffen.
An dieser Stelle will ich ausdrücklich meinem Vorredner, der CDU-Fraktion und auch dem, was Frau Milz vor einiger Zeit vorgetragen hat, zustimmen. Ich halte es wirklich für eine herausragende Entscheidung, ob wir die Tradition eines europäischen Modells von Arbeit und Freizeit mit diesem Weg vom Grundsatz her aufgeben wollen oder nicht.
Es gibt durchaus Veränderungen im Freizeitverhalten, auf die man reagiert und auf die auch wir reagieren. Die Frage ist aber: Wie weit sind wir eigentlich noch von der grundsätzlichen Entscheidung entfernt, mit der wir dann diese Trennungslinie überschreiten und uns auf ein anderes Ufer bewegen?
Das ist für uns das Entscheidende. Wir haben es uns in der Tat nicht leicht gemacht. Wir haben nach einer sehr intensiven Beratung in der Fraktion aber gesagt: Unbeschadet der Ergebnisse der
Anhörung, die wir noch durchführen werden und in deren Rahmen wir uns auch mit Fragen wie „Wird es dann ein stärkeres Angebot über Automaten oder Ähnliches geben? Und welche Konsequenzen hat das?“ auseinander setzen müssen, wollen wir diesen Weg nicht weitergehen.
Wir sagen an dieser Stelle: Mit Blick auf die Problemlage ist die Dimension des Begehrens der Volksinitiative nicht so, als dass wir ihm an dieser Stelle stattgeben sollten. Wir sehen in der Tat keinen Handlungsbedarf und werden mit großer Sicherheit auch in der zweiten, abschließenden Lesung ein entsprechendes Votum abgeben. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Kuschke. - Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollege Keymis das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es heute? Rund 4,1 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland an Sonn- und Feiertagen regelmäßig, 4,4 Millionen gelegentlich. Es wurde schon festgestellt, dass Sonn- und Feiertagsarbeit zugenommen hat. Die regelmäßige Arbeit bleibt übrigens konstant; die unregelmäßige, gelegentliche nimmt zu.
Die Arbeit außerhalb der Werktage in Deutschland hat in den vergangenen Jahren über 5 % zugenommen. Mit einem Anteil von 23 % liegen wir in Deutschland noch weit unter dem EUDurchschnitt, der bei rund einem Drittel liegt.
An Sonn- und Feiertagen arbeiten vor allem Krankenschwestern, Pfleger, Hebammen. Auf Platz zwei folgt die Gruppe der Soldaten, Bundesgrenzschutz, Polizei. Danach, auf Platz drei, liegen schon die Landwirte. Das ist in der Tendenz das, was das Institut Arbeit und Technik, Wissenschaftspark Gelsenkirchen, schon vor einigen Jahren festgestellt hat.
Sie wissen auch, dass immer mehr Frauen an Sonn- und Feiertagen arbeiten. Es ist abzusehen, dass wir in einer wachsenden Dienstleistungsgesellschaft künftig diese Konflikte immer häufiger haben werden. Wir Grüne im Landtag haben uns schon vor einiger Zeit - die Vorrednerinnen und Vorredner haben darauf hingewiesen - klar positioniert. Auch wir wollen Sonn- und Feiertagsruhe so weit wie möglich gewahrt sehen. Aus unserer Sicht sollen auch in dieser Legislaturperiode we
Der Vergleich des Freizeitverhaltens übrigens zwischen dem zeitgebundenen gemeinschaftlichen Erleben von Kino, Theater oder Konzert und dem privaten Video- und DVD-Konsum ist falsch. Es mag sein, dass das in anderen Bundesländern anders gesehen wird. Wir hier in NRW können sechs Tage die Woche, also von montags, 0 Uhr, bis samstags, 24 Uhr, Videos und DVDs praktisch rund um die Uhr ausleihen. Damit sind alle Möglichkeiten gegeben. Herr Kollege Kuschke, an dieser Stelle hatten Sie schon darauf hingewiesen, dass in Nordrhein-Westfalen diese Möglichkeiten außerhalb des Sonntags bestehen.
Die heutigen und künftigen Probleme der Verleiher durch zunehmende technische Verfügbarkeit von Unterhaltungsmedien via Internet oder tv on demand lassen sich aus unserer Sicht ganz sicher nicht durch die Änderung der Sonn- und Feiertagsgesetzes bewältigen.
Nach dieser Logik - Kollege Biesenbach hat schon darauf hingewiesen - der technischen Verfügbarkeit müssten Buchhandlungen, CD-Läden, Sportshops, überhaupt alle Anbieter von Freitzeitartikeln künftig sonntags öffnen können. Damit wäre der Sonntag als Ruhetag endgültig dahin. Das wollen wir nicht.
Über die Bedeutung des Sonn- und Feiertagsgesetzes ist auch von mir im Namen meiner Fraktion an dieser Stelle bereits mehrfach Stellung genommen worden. In der letzten Legislaturperiode haben wir das diskutiert. Natürlich ist die Videothekenaktion - ich sage das mit allem Respekt - mit rund 120.000 Unterschriften für eine Sonntagsöffnung sehr eindrucksvoll. Wir beraten hier aber stellvertretend für 18 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen.
Ich erinnere mich noch sehr gut an eine ebenso wenig repräsentative, aber mindestens genauso eindrucksvolle Umfrage in der WDR-Sendung „Westpol“ vor einiger Zeit. Wenn ich mich richtig erinnere, riefen an dem Abend in der Sendung spontan 70.000 Menschen an, um auf die Frage zu antworten, ob sonntags die Videotheken geöffnet sein sollten. 82 % sprachen sich damals - das fand ich sehr eindrucksvoll - für die Beibehaltung des Sonn- und Feiertagsgebotes in Zusammenhang mit der Videothekenöffnungsfrage aus.
Ich wiederhole an dieser Stelle zum Abschluss eine Aussage der evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen und zitiere:
Die gemeinsame Unterbrechung der Arbeit dient den Menschen und hilft, das Leben vor der ausschließlich ökonomischen Logik zu bewahren. Der Mensch lebt nicht allein vom Kaufen und Verkaufen und vom Produzieren und Konsumieren.