Protocol of the Session on April 2, 2009

(Beifall von der SPD – Heiterkeit bei Ministe- rin Christa Thoben – Rudolf Henke [CDU]: Sie sind aber sehr sensibel! – Holger El- lerbrock [FDP]: Gilt das auch für Ihre Zwi- schenrufe?)

Was in diesem Antrag nicht auftaucht, ist das Einzige, was bisher passiert ist, nämlich der industriepolitische Dialog. Er taucht wahrscheinlich deswegen nicht auf, weil er im Moment nicht mehr klappt. Wir haben schon lange nichts mehr vom aktuellen Stand gehört.

Nein, das Einzige, was wir hören, ist, dass man jetzt zwar die ökologischen Aspekte sieht und umsetzen will, was man daraus industriepolitisch nehmen kann, aber bitte nicht so schnell. Ich kann nur sagen: Es ist eine absolute Energieverschwendung, ein Auto mit angezogener Handbremse zu fahren, Kolleginnen und Kollegen. So geht das nicht. Da muss Dampf rein. Man muss etwas tun, wenn man diese Chancen nutzen möchte.

(Beifall von der SPD – Ralf Witzel [FDP]: Damit meinen Sie wohl die Grünen!)

Insofern bin ich wirklich überrascht, dass wir hier Debatten haben, bei denen es darum geht, dass diese Landesregierung – zum Beispiel beim Emissionshandel – alles dafür tut, den industriepolitischen Aufbau in Nord-, Ost- und Süddeutschland zu betreiben: im Norden mit der Windenergie, die sich hier selber nicht richtig an den Start bringt, wo Re

powering in Nordrhein-Westfalen verhindert wird, in Ostdeutschland mit der Solarenergie und Solarzellenproduktion, die wir hier auch nicht im ausreichenden Maße an den Start bekommen, und in Süddeutschland mit dem, was Atomkraft und Biomasse angeht.

Nein, Kolleginnen und Kollegen, die Kraft muss für Nordrhein-Westfalen aufgewandt werden. Das tut diese Landesregierung nicht. Insofern ist der Antrag ein Dokument des Tiefschlags der bisherigen Arbeit dieser Landesregierung in industriepolitischer Sicht. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Weisbrich das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Priggen hat die Einordnung unseres Antrags angemahnt. Kollege Priggen, ich will Ihnen die Einordnung geben: Dieser Antrag der Koalitionsfraktionen ist eine Botschaft an die Industrie, und diese Botschaft lautet: Wir in Nordrhein-Westfalen lieben Industrie. Die Industrie ist der Quell unseres Wohlstandes. Die Industrie sichert einen Großteil der Arbeitsplätze in unserem Land. Die Industrie ist Garant unserer Erfolge im globalen Standortwettbewerb. Deswegen gilt unsere besondere Fürsorge den Rahmenbedingungen für diese Industrie, die in der letzten Regierungsperiode sträflich vernachlässigt wurden.

(Beifall von CDU und FDP)

Ob Sie es nun hören wollen oder nicht: In rotgrünen Regierungszeiten wurde eine regelrechte Deindustrialisierung unseres Landes betrieben. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, nicht an den Zukunftsperspektiven allein. Auch, was ihr in der Vergangenheit geleistet habt, ist wichtig. – Mit dieser Politik ist jetzt endgültig Schluss. Das ist unsere Botschaft an die Industrie.

Kollege Groschek, Modernisierung der Industriepolitik unter Rot-Grün? Dass ich nicht lache! Sie haben heute Ihren Obermodernisierer, der sich im lebhaften Streit mit der IG BCE befindet, schon wohlweislich versteckt. Aber was ist denn in diesem Land während Ihrer Regierungszeit passiert? Seit der Einführung des Farbfernsehens und seit der Ansiedlung von Opel in Bochum durch den CDUMinisterpräsidenten Franz Meyers hat es kein zukunftsorientiertes, industrielles Großprojekt mehr gegeben, das in diesem Land die Akzeptanz von Sozialdemokraten

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wo leben Sie denn?)

und Grünen fand.

(Beifall von der CDU)

Ich will ein paar Beispiele nennen: Die Einführung der Informationstechnik bei Wirtschaft und Verwaltung, die heute eine Grundlage des Erfolgs unserer Maschinenbauindustrie ist, wurde lange Zeit als Jobkiller, als Chip-Chip-Hurra-Mentalität diskriminiert, blockiert und behindert. Zu Beginn der 80erJahre war man in der heute hoch verschuldeten Stadt Oberhausen noch stolz auf sein technikfreies Rathauses. Man fasst es kaum, wie Menschen, Sozialdemokraten, damals so denken konnten.

Der Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop wurde aus fadenscheinigen Gründen ohne eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Technologiekonzept abgeschaltet,

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Gott sei Dank!)

Kalkar eingemottet, das Kernforschungszentrum Jülich geschleift, der Anschluss an internationale Forschungslinien bewusst gekappt, und selbst die Sicherheitsforschung wurde ausgetrocknet.

Meine Damen und Herren, die Folge dieser Antiindustriepolitik war eine dramatische Verlagerung des Schwerpunktes industrieller Arbeitsplätze innerhalb von Deutschland. Kollege Priggen, auch da muss ich noch einmal sagen: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

(Beifall von CDU und FDP – Reiner Priggen [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfra- ge.)

Gleich! – Ich will dass jetzt noch einmal im Zusammenhang sagen: 1996 entfielen auf 1.000 Einwohner noch 76 industriell Beschäftigte im Ruhrgebiet und 89 in Nordrhein-Westfalen, während es in Bayern 100 und in Baden-Württemberg 119 waren. Das waren die Folgen der Industriepolitik in den 80er-Jahren.

Bis 2004, dem letzten Jahr der rot-grünen Antiindustriekoalition in Nordrhein-Westfalen, sank die Zahl der Industriebeschäftigten im ganzen Land auf 77 und im Ruhrgebiet sogar auf 61 je 1.000 Einwohner. In Bayern und Baden-Württemberg blieb sie stabil.

Meine Damen und Herren, angesichts dieser Zahl hätten Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit längst einen Schutzschirm für industrielle Kerne aufspannen und einen Pakt des Vertrauens schmieden müssen. Ihre heutigen Krokodilstränen kommen leider viel zu spät.

Lassen Sie mich noch eines sagen: Auf einen Lohnwettbewerb mit europäischen oder asiatischen Staaten können und wollen wir uns nicht einlassen. Damit wir unsere hohen Lebens- und Sozialstandards halten können, müssen wir auf Dauer um so viel besser und innovativer sein, wie wir teurer sind als andere. Dabei erinnern mich die Erfolgsfaktoren,

die für uns gelten, an die Formel 1 im Automobilrennsport. Dort entscheidet nicht eine einzige Größe, ein einziger Faktor. Dort entscheidet ein ganzes Paket aus Fahrer, Motor, Reifen, Aerodynamik und Boxenservice.

Über den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes entscheiden Ausbildungsstandard, Kreativität und Motivation der Arbeitnehmer, ein wirtschaftsorientierter Verwaltungsvollzug, die Vernetzung der Unternehmen mit Wissenschaft, Forschung und untereinander, eine Infrastruktur, die besser ist als jede an einem anderen Standort, nicht zuletzt aber auch das Verständnis der Bevölkerung für wirtschaftliche Zusammenhänge und für Wertschöpfungsketten. Denn nur dieses Verständnis führt zur Akzeptanz unverzichtbarer Produktionsanlagen und Infrastrukturprojekte.

Herr Weisbrich, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Priggen?

Herr Priggen, bitte schön.

Danke schön, Herr Kollege Weisbrich. Meine Frage ist: Das, was Sie eben Rot-Grün vorgeworfen haben, halte ich zwar für falsch, aber Sie hätten es bei Regierungsantritt vor vier Jahren vorwerfen können. Jetzt sind wir vier Jahre weiter. Wir sind am Beginn einer der größten Weltwirtschaftskrisen, wenn nicht sogar der größten Weltwirtschaftskrise, die es je gegeben hat. Meinen Sie, dass die Vorwürfe vier Jahre nach Ihrem Regierungsantritt irgendetwas mit der realen Situation, in der sich die Wirtschaft jetzt befindet, zu tun hätten, oder flüchten Sie vor der Realität?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Kollege Priggen, das musste ja so kommen, dass Sie so tun, als sei vor unserer Zeit nichts gewesen. Natürlich ist das nicht die Perspektive für die Zukunft. Ich habe gesagt, dass Sie hier in Nordrhein-Westfalen seit der Niederlassung von Opel in Bochum unter Franz Meyers kein Großprojekt mehr entwickeln konnten.

Natürlich brauchen wir neue Projekte. Frau Thoben hat ja darauf hingewiesen. Natürlich brauchen wir auch eine ganze Reihe von dem, was Sie vorhin vorgetragen hat, was moderne Industriepolitik ist. Bitte vergessen Sie bitte nur eines nicht: Wenn man die Vergangenheit nicht aufarbeitet und die Vergangenheit nicht kennt, wird man die Zukunft nicht gewinnen.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Wer in der Vergangenheit lebt, kommt in der Zukunft nicht an!)

Versprechen für neue Technologien sind wunderbar. Da heißt es immer, das ist es, und am Ende kommt nichts dabei heraus, sondern im Ergebnis das, was hier an Arbeitsplatzvernichtung in Nordrhein-Westfalen gewesen ist. Wir können uns gerne an anderer Stelle über Akzente, Energieeffizienz, Materialeffizienz ausführlich unterhalten. Das ist sicherlich sinnvoll, reicht aber allein nicht aus.

Wissen Sie, wenn ich mir anhöre, was Sie heute beispielsweise zur Energiepolitik von sich geben und wie selektiv dort Ihre Wahrnehmung ist, muss ich sagen: Sie hätten seinerzeit Galilei mit Sicherheit verbrannt, weil er gesagt hat: Und sie dreht sich doch!

(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)

Herr Weisbrich, es gibt noch eine zweite Frage von Herrn Eiskirch.

Es reicht erst einmal. Ich möchte fortfahren, sonst sitzen wir morgen früh noch hier.

Meine Damen und Herren, zu den unverzichtbaren Infrastrukturprojekten, die unser Land braucht, zählen nicht nur Schienen, Straßen, Häfen, Flugplätze, Müllverbrennungsanlagen oder Kraftwerke, die Sie von Fall zu Fall kräftig bekämpfen, sondern auch Leitungen zur Strom- und Wasserversorgung, zur Beseitigung von Abwasser und zum Transport flüssiger oder gasförmiger Massengüter. Kollege Wittke hat es schon gesagt: Ohne Rohstoffe können wir unsere Wirtschaft und Industrie im Land nicht betreiben.

Ohne Transportleitungen für Erdöl oder Erdgas oder Kohlendioxyd zwischen Kraftwerken und Einlagerungsstätten wird es in den nächsten Jahrzehnten keine sichere, saubere und bezahlbare Energie geben. Wir können nicht von einem Tag auf den anderen komplett umsteigen. Raus aus den fossilen Primärenergieträgern, rein in erneuerbare Energien, das funktioniert nicht. Wir werden im 21. Jahrhundert weltweit ein Jahrhundert der Kohle erleben – nicht der heimischen Steinkohle, die Kollege Römer so gerne hat, sondern der Kohle in anderen großen, aufkommenden Industrieländern. Wir werden Technologien brauchen, um die CO2-Ausstöße bei dieser Kohle umweltpolitisch beherrschbar zu machen. Dafür müssen wir entsprechende Signale senden.

Sie weisen darauf hin, dass wir uns in der größten Wirtschaftskrise zumindest der Nachkriegszeit befinden. Arbeitsplätze brechen weg. Einer der großen Schwerpunkte der Wirtschaft und der Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen ist die chemische Industrie. Ohne Transportleitungen für Ethylen oder Kohlen

monoxyd werden wir die großen Chemiestandorte nicht halten können. Das wissen Sie ganz genau. Darin hat großer Konsens bestanden, sonst hätten wir nicht gemeinsam ein Gesetz für die CO-Pipeline durchgebracht. Heute geht beispielsweise der ExMinisterpräsident der SPD in seinem Wahlkreis hin und holzt wie verrückt gegen die CO-Pipeline, die er vorher selbst gefördert und mit geplant hat.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, so etwas ist intellektuell doch einfach nicht redlich und den Bürgern gegenüber unfair.

(Beifall von der CDU)

Das ist einfach verlogen. Mit einer solchen Art von Politik werden wir die Industrie und die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen nicht voranbringen. Wir sollten uns dazu bekennen, dass wir die Industrie brauchen, die zugegebenermaßen auch Probleme hat. Die Bürger müssen eine Vorleistung in Richtung Akzeptanz erbringen. Die Wirtschaft muss für Sicherheit sorgen. Aber wir können nicht mehr sagen: Hannemann, geh du voran, zünd’ Nachbars Haus, nicht meines an. – Das wird nicht gehen. Dann werden wir unsere wirtschaftliche Leistungskraft in Nordrhein-Westfalen verlieren. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Weisbrich. – Für die FDP-Fraktion erhält der Abgeordnete Ellerbrock das Wort.