Wissen Sie, Frau Kollegin Kraft, Opel hat zu Beginn des Jahres den Kapitalbedarf vonseiten der öffentlichen Hand mit 1,8 Milliarden € beziffert. Sechs Wochen später waren aus den 1,8 Milliarden € schon 3,3 Milliarden € geworden – allerdings verbunden mit dem freundlichen Hinweis, General Motors müsse auch mindestens 3 Milliarden € zuschießen. Wer glaubt denn allen Ernstes, dass so ein Zuschuss von General Motors kommt? Wer garantiert uns denn, dass der Kapitalbedarf bei General Motors Europe in sechs Wochen nicht schon bei 5 Milliarden € und in zehn Wochen nicht bei 10 Milliarden € liegt?
Jeder weiß doch: Wenn sich der Staat einmal direkt bei Opel engagieren würde, gäbe es kein Zurück mehr.
Es ist auch daher nicht seriös, Frau Kollegin Kraft, weil wir nicht akzeptieren können, dass 723.000 mittelständische Betriebe alleine in NordrheinWestfalen anders und schlechter behandelt werden als ein Großbetrieb.
Viele Unternehmer von Kleinbetrieben schauen in der Wirtschaftskrise sorgenvoll in ihre Auftragsbücher und können nachts keine Ruhe mehr finden, weil sie sich über die Zukunft ihres Unternehmens den Kopf zerbrechen müssen. Wollen Sie denen auch Staatsbeteiligungen anbieten? Oder ist das Ende vom Lied wieder, dass die Großen eben doch besser behandelt werden als die Kleinen, immer nach der Devise:
Zu Philipp Holzmann, zum Großbetrieb, kommt im Zweifel der Bundeskanzler, und zum mittelständischen Betrieb kommt im Zweifel der Gerichtsvollzieher!? Das ist nicht die soziale Marktwirtschaft, wie wir sie verstehen.
Dazu gehört auch, Frau Kollegin Kraft, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir keine Wettbewerbsverzerrung hinnehmen dürfen, die natürlich auch zulasten anderer Automobilproduzenten ginge. Es geht um 5.300 Arbeitsplätze bei Opel in Bochum, die uns wichtig sind. Wenn wir da helfen können, wollen wir das tun. Aber alleine bei Ford in Köln gibt es 17.300 Arbeitsplätze. Das Unternehmen hat vor zwei Wochen erfreulicherweise – das haben wir alle begrüßt – publik gemacht, dass es dort 200 Millionen € in die neue Motorenfertigung investieren will. Wollen Sie den Ford-Mitarbeitern in Köln zumuten, dass durch mögliche MilliardenSubventionen für General Motors, auch für Opel, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze bei Ford in Köln in Gefahr geraten?
(Beifall von der FDP – Hannelore Kraft [SPD]: Spielen Sie die Beschäftigten nicht gegen- einander aus! Das ist doch albern!)
Sie versuchen, sich in dieser zutiefst populistischen Art und Weise bei Opel anzubiedern, Frau Kollegin Kraft. Ich fordere Sie auf: Fahren Sie bitte zu Ford in Köln und erklären Sie dort den Mitarbeitern,
mit Milliardenrisiken für die Steuerzahler und mit gewaltigen Risiken für Ford-Arbeitsplätze in Köln.
Danke schön, Herr Dr. Papke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Priggen.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe jetzt drei Beispiele dafür gehört, dass die Debatte um Opel, um die Krise in der Autoindustrie zunehmend auch von der kommenden Bundestagswahl beeinflusst wird und dass sie – das ist ein Stück weit bedauerlich – auch zunehmend Fakten ausblendet. Ich will ein paar Dinge erwähnen.
Wir haben eine Wirtschaftskrise, die bedrohlich zunimmt. Wir haben gleichzeitig – das muss man wissen, wenn man über Opel redet – eine strukturelle Krise in der Automobilindustrie, die auch gelöst werden muss. Das heißt, alle, die darüber reden, dass Opel gerettet werden soll, wissen, dass es nicht in der Form gerettet werden kann, in der es heute existiert. Es wird unvermeidbar Anpassungsprozesse geben müssen.
Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, weil wir mehrere Ebenen haben. Es ist populistisch, die Abwrackprämie von der Bundesregierung bis hinter die Bundestagswahl zu verlängern – das ist eine Maßnahme wider besseres Wissen. Wir wissen, dass die Abwrackprämie, wenn man nüchtern hinguckt, kein Problem löst, dass der Katzenjammer hinterher nur größer wird.
Fritz Kuhn hat das im Bundestag richtig auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt: Das ist, als ob man gegen die Kälte Schnaps trinkt. Wenn man danach noch friert, trinkt man noch einen. Hinterher wird es richtig kalt, es hilft nicht, es gibt nur Katzenjammer.
Das heißt, kein Problem wird gelöst. Die Strukturkrise, in der Opel ist, zeigt sich darin, dass der Marktanteil von 17 % auf 8 % gefallen ist. 8 % sind immer noch viel; es ist immer noch eine Automarke, die man nicht ignorieren kann. Neben den Beschäftigten haben diese 8 % Marktanteil einen erheblichen Wert.
Es ist auch völlig klar: Opel kann 1,6 Millionen Autoeinheiten fertigen. Sie sagen uns selber, dass sie, wenn es gut läuft, nur 1,1 Millionen verkaufen kön
nen. Wir wissen, dass in der gesamten Automobilbranche eine solche Überkapazität da ist. Also muss man das Problem fairerweise so angehen, dass man genau die Prozesse, die notwendig sind, benennt.
Jetzt erleben wir den Bundestagswahlkampf. FrankWalter Steinmeier montags in Mainz, dienstags die Bundeskanzlerin in Rüsselsheim, und heute Morgen um 0:16 Uhr habe ich die ddp-Meldung gelesen: Der frühere Bundeskanzler hat, ganz pünktlich zum 1. April, in seiner unnachahmlichen Qualität – das muss man zugeben – die Melodie für den Bundestagswahlkampf sehr klar auf den Punkt gebracht: 500 Milliarden für die Banken, 50 Milliarden Konjunkturprogramm, 100 Milliarden Deutschlandfonds, 100 Milliarden für die Hypo Real. Und ihr wollt den Arbeitern in Rüsselsheim und in Bochum klarmachen, dass die 3 Milliarden nicht da sind?
Das wird die Melodie sein. Das ist eine außerordentlich populistische und im Moment außerordentlich unsachliche Melodie. Das hilft niemandem,
aber wir werden sie hören. Entscheidend und wichtig ist doch – da müsste man zu den Fakten zurückkommen –, was jetzt in den USA läuft. Da wurde der Chef vom GM ausgetauscht. Da wird jetzt ganz konstruktiv über die Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens geredet. Da wird nach Lösungen gesucht. Und von den Lösungen, die sie da finden, hängt entscheidend ab, was bei Opel möglich ist.
Ich finde die Vorgehensweise der Bundesregierung, dementsprechend jetzt intensiv mit Amerika zu verhandeln, in der Sache richtig. Ob das hilft, sich hier in so einer Art aufzuschaukeln, da habe ich meine Bedenken. Die Verhandlungen sind aber jetzt notwendig. Ich habe die Töne von gestern so sorgfältig gehört wie Herr Wittke: Die Bundeskanzlerin hat gesagt, was sie präferiert. Sie hat aber nicht ausgeschlossen, was in dem Antrag der SPD im Punkt 1 steht,
was auch Frau Kraft dargestellt hat und was der Ministerpräsident mehrfach in den vergangenen Wochen angesprochen hat. Das heißt, die Option einer zeitlichen befristeten Beteiligung an Opel als Ultima Ratio ist weder von der Bundeskanzlerin noch vom Ministerpräsidenten ausgeschlossen worden.