Protocol of the Session on December 3, 2008

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ja, gestern Abend ist die Angelegenheit in den Vermittlungsausschuss gegangen. Aber am 7. November – Ihr Antrag datiert vom 25. – hat der Bundesrat mit allen Ländern zum Entwurf des Familien

leistungsgesetzes Stellung genommen und gefordert, diese Begrenzung des Bedarfspakets von 100 € auf die Sekundarstufe I zu streichen.

Dann schreiben Sie am 25. November Ihren Antrag, mit dem Sie die Landesregierung auffordern,

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

sich bei der Bundesregierung einzusetzen. Nordrhein-Westfalen war im Bundesrat dabei und hat auch entsprechend gestimmt. Am 29. November ist in den Zeitungen zu lesen, dass die Parteien der Großen Koalition sich verständigt haben, dass die Begrenzung aufgehoben wird. Ich bin, auch wenn die Angelegenheit jetzt im Vermittlungsausschuss ist, sehr sicher, dass die Begrenzung entsprechend aufgehoben wird und dass dieses Bedarfspaket von 100 € hoffentlich auf die Sekundarstufe II erweitert wird.

Genau das will auch die FDP. Da haben wir in der Sache überhaupt keinen Dissens; das ist völlig klar. Auch wir möchten, dass diese 100 € pro Schuljahr den Jugendlichen aus Sozialhilfeempfängerfamilien, aus Hartz-IV-Familien in der Sekundarstufe II zur Verfügung stehen; keine Frage.

Auch wir wollen das, weil es nicht hinnehmbar ist, weil es nicht sein kann und sein darf, dass Schülerinnen und Schüler, die die Fähigkeit besitzen, die auch das Leistungspotenzial besitzen, eine Sekundarstufe II zu besuchen, dies eventuell nicht können, weil es den Eltern zu teuer ist, weil sie es sich nicht leisten können, weil sie kein Schulmaterial, keine Bücher oder Materialien für Medien besorgen und finanzieren können. Das kann und darf nicht sein.

Es darf keine Angelegenheit des Portemonnaies der Eltern sein, ob Kinder und Jugendliche ihre Schullaufbahn weiterverfolgen oder nicht.

Von daher steht die FDP 100%ig dahinter. Wir sagen: Bildung darf keine Frage des Geldbeutels sein. Deswegen unterstützen wir selbstverständlich diesen Weg. In der Sache sind wir da überhaupt nicht auseinander.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich möchte gerne zu Ende führen. Ich frage Sie nur, Frau Beer – jetzt frage ich Sie, Frau Beer –: Was soll momentan das Land Nordrhein-Westfalen tun? Die Angelegenheit ist im Vermittlungsausschuss. Über den Bundesrat haben wir uns eingesetzt. Das Land NordrheinWestfalen, die Landesregierung, wird ganz sicherlich keine andere Stellung beziehen. Ganz im Gegenteil: Seien Sie sicher, dass wir dieses Anliegen unterstützen werden. Denn es ist in der Sache auch unser Anliegen.

Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche ihre Schullaufbahn weiterverfolgen können und nicht aus finanziellen Gründen unter Umständen sagen: Jetzt brechen wir die Schule ab, wir müssen sehen, dass wir in einen Job kommen. – Nein, das wollen wir ganz bestimmt nicht. Für die Liberalen ist Bildung Bürgerrecht. Es ist selbstverständlich, dass wir das allen zugestehen. Das darf keine Frage des Geldes sein. Das ist eine Frage sicherlich des Fleißes und des Engagements in der Schule selbst. Das ist auch keine Frage. Denn es gibt halt bestimmte Voraussetzungen auch für bestimmte Schullaufbahnen.

Sorge bereitet mir allerdings, dass wir das Problem nicht nur bei Familien von Hartz-IV-Empfängern haben, sondern dass es auch viele erwerbstätige Familien gibt, bei denen es auch sehr eng im Portemonnaie ist, die auch Probleme haben, Schulbücher und Schulmaterialien für ihre Kinder über eine lange Zeit zu kaufen, um es tatsächlich zu erreichen, dass ihre Kinder länger als bis zur Sekundarstufe I die Schule besuchen. Auch an der Stelle müssen wir gucken: Was bleibt den Eltern von dem verdienten Bruttogehalt netto im Portemonnaie übrig?

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass nicht am Ende die Geringverdiener mit ihrer Erwerbstätigkeit hinterher dümmer dastehen als diejenigen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, aber der in Rede stehenden Sorge enthoben sind. Ich möchte, dass allen Kindern und Jugendlichen, auch aus ärmeren Schichten, aus einkommensarmen Schichten, aber auch denen, deren Eltern aus Erwerbstätigkeit wenig Geld haben, ein Schulbesuch bis zum Abitur ermöglicht wird. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt. Den Aspekt vergessen Sie als Grüne immer gerne. Darauf müssen wir auch gucken; wir müssen auch auf der Bundesebene dafür kämpfen, dass den Menschen endlich mehr netto vom Brutto übrig bleibt. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Pieper-von Heiden. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Laumann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich froh bin, dass es in dieser Debatte in dieser Frage im Landtag keine inhaltlich unterschiedliche Bewertung gibt und auch mich mit meiner Ansicht davon nicht ausnehme.

(Beifall von Norbert Killewald [SPD])

Zweiter Punkt. Die Landesregierung von NordrheinWestfalen muss wirklich nicht aufgefordert werden,

sich hierum zu kümmern. Es war immerhin diese Landesregierung, die 2007 eine Expertenkommission eingesetzt hat, aus deren Arbeit wir die Forderung eines eigenständigen Bedarfssatzes für die Kinder abgeleitet haben.

(Beifall von der CDU)

Es ist wahr: Sie haben es auch gefordert. Wir haben damals Entscheidungen in diese Richtung im Bundesrat mit erwirkt. Es war schwer genug, wenn ich daran denke, wo in dieser Frage einige andere Länder damals noch standen.

Dass wir bei der Frage, ob Kinder einen für sie ausgerechneten Bedarfssatz brauchen, nicht weiterkommen, liegt daran, dass das Bundesarbeitsministerium bis heute die notwendigen Untersuchungen darüber einfach nicht vorgelegt hat. Herr Killewald, reden Sie einmal mit Ihrem Kollegen Scholz; er soll in dieser Abteilung etwas Gas geben, damit wir diese Daten erhalten.

(Britta Altenkamp [SPD]: Dann stimmen Ihre Kollegen zu? – Das ist ja gut!)

Die Daten werden deswegen nicht vorgelegt, weil man weiß, welche Debatte das dann nach sich zieht. Die Erfinder der momentan praktizierten Pauschalierung sitzen noch – ich kenne sie namentlich – in den Abteilungsleitungen. Deswegen tun sie sich auch so schwer, dieses zu verändern.

Dritter Punkt. Das Schulpaket ist dadurch entstanden, dass man aus bestimmten Gründen – ich will dazu nicht näher ausführen, weil mir die Zeit dann auch wegläuft – die Kindergelderhöhung bei den SGB-II-Kindern im System anrechnen muss.

Daraufhin haben wir – und das war eine gute Idee – das Schulbedarfspaket geschnürt. Mir wäre es allerdings lieber, das Geld aus dem Schulbedarfspaket würde nicht in bar ausgezahlt, sondern für alle wären die Schulbücher nach den Sommerferien da. Viele Eltern werden mit dem Geld sicherlich gut umgehen, aber ich hätte das Paket – um das ganz offen zu sagen – lieber mit Quittungen für Schulbücher verbunden. Es ist aber anders entschieden worden.

Dass diese Hilfe über das 10. Schuljahr hinausgehen muss, darüber sind wir uns einig. Das ist mit meiner Unterstützung am 23. Oktober im Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates beantragt, dort mit 16:0 verabschiedet und am 7. November im Bundesrat mit der Stellungnahme zum Familienfinanzgesetz so mit Mehrheit beschlossen worden.

Jetzt zu dem, was gestern im Finanzausschuss passiert ist, Kollege Killewald. Es gab ein Paket. Die beiden Fraktionsführungen hatten sich darauf verständigt, dass wir auf der einen Seite beim Schulbedarfspaket über das 10. Schuljahr hinaus gehen – es also auch für die Gymnasiasten bereitstellen –, dass wir auf der anderen Seite Arbeitgeberleistungen an

Eltern für die Betreuung von über sechsjährigen Kindern steuerfrei gestalten wollen. Das ist uns ein großes Anliegen. Wenn Firmen Eltern für die Kinderbetreuung einen Zuschuss zahlen, damit Vater und Mutter berufstätig sein können, dann ist das keine schlechte Sache.

Dieser Teil der Zusage war gestern in der SPDFraktion nicht mehrheitsfähig. Wenn man sich in der Politik auskennt, dann weiß man, dass darauf bestanden wird, dass beide Teile zustande kommen; so ist das nun einmal in einer Koalition. Ich weiß auch, dass es heute nach den Fraktionssitzungen – meine Partei hat heute erst ihre Fraktionssitzung, gestern fand unser Parteitag statt – noch Gespräche auf der Ebene der Fraktionsvorsitzenden geben wird. Warten wir ab, was am Ende morgen oder übermorgen im Bundestag verabschiedet wird.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Killewald?

Ja. – Ich habe heute noch mit meinen Kollegen im Bundestag telefoniert. Ich bin sehr daran interessiert, dass die Sache nicht so hoch aufgehängt wird, dass wir noch zu einer Lösung kommen und der Bundestag morgen oder übermorgen, wenn er das Finanzpaket verabschiedet, diese Änderung aufnimmt.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Killewald?

Ja, sofort. Ich will nur noch einen Gedanken zu Ende führen. – Der Bundestag muss das Finanzpaket in dieser Woche verabschieden; das ist auch wichtig. Denn wir alle wollen, dass die in dem Paket steckende Kindergelderhöhung, die Erhöhung der Kinderfreibeträge und das Absetzen von Handwerkerrechnungen in Privathaushalten zum 1. Januar in Kraft treten. Deswegen muss das Gesetz diese Woche durch. Wir dürfen das Gesetz nicht aufhalten. Ich bin guten Mutes, dass das trotz allem klappt.

Eine persönliche Anmerkung: Man soll nicht so tun, als wenn es von 100 € im Jahr abhinge, ob ein 16Jähriger zum Gymnasium geht oder nicht. Als ich 16 war, war ich in der Lage, mir 100 DM zu besorgen, ohne überall zu betteln.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Besorgen? Was haben Sie denn gemacht?)

Ich habe gearbeitet.

(Beifall von CDU und FDP)

Jetzt können wir die Zwischenfrage aufrufen.

Bitte schön, Herr Kollege Killewald. – Meine Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, dass Sie insgesamt ein bisschen leiser sind. Die Verständigung ist sonst nur schwer möglich.

Herr Kollege Killewald hat das Wort für eine Zwischenfrage. Herr Minister hat dann noch Zeit zu antworten. Die Redezeit an sich, Herr Minister, ist ja abgelaufen. – Bitte schön, Herr Kollege Killewald.

Herzlichen Dank für das Gestatten der Zwischenfrage. Wenn sich der Bundesgesetzgeber morgen nicht für die Ausweitung, wie es der Bundesrat gewünscht hat, aussprechen und anders entscheiden sollte, ist es dann zu erwarten, dass die Landesregierung bzw. Sie die Diskussion anschließend noch einmal derart gestalten, dass das später doch noch realisiert werden kann?

Wir müssen uns noch damit beschäftigen, was die Landesregierung tut, wenn der Fall eintritt. Ich möchte das Familienfinanzpaket auf gar keinen Fall gefährden und sage noch einmal: Wenn wir deswegen die Kindergelderhöhung, die Freibetragserhöhung für die Familien zum 1. Januar nicht hinbekommen, dann wäre das nicht gut. Dann muss man abwägen.

In der Sache sind wir aber nicht auseinander. Da ich grundsätzlich Optimist bin, gehe ich davon aus, dass sich in unser beider und auch im Interesse der Grünen und der FDP heute Abend in Berlin noch einiges tut, Herr Killewald, und diese Lösung kommt.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Die FDP, das sind nicht Ihre Freunde!)

Ich denke, dass das eine gute Sache wird.

Man kann diesen Punkt rein theoretisch auch gesetzestechnisch abtrennen und den anderen Bereich laufen lassen, aber man darf die Kindergelderhöhung und die Erhöhung der Kinderfreibeträge wegen dieser Frage zeitlich nicht verzögern. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)