Protocol of the Session on November 12, 2008

Zweitens: die kleinteilige Diskussion der in Berlin vorgeschlagenen Kfz-Steuer-Befreiung. Dabei übersehen die Antragsteller geflissentlich, dass die Bundeskanzlerin unserem Ministerpräsidenten eine volle Kompensation etwaiger Steuerausfälle zugesichert hat – was Herr Rüttgers hier auch schon deutlich erklärt hat – und dass Wirtschaftsministerin Thoben statt der Kfz-Steuer-Befreiung für Neuwagen von Anfang an eine Verschrottungsprämie für Altfahrzeuge vorgeschlagen hat.

Drittens: die Beantwortung der Frage, was wir in Nordrhein-Westfalen sinnvollerweise tun können, um einer Krise der Realwirtschaft vorzubeugen.

Kollege Priggen, ich muss ehrlich sagen, dass die Punkte 1 und 2 es nicht wert sind, darauf Zeit zu verschwenden. Den interessanten Punkt 3 lassen

die Grünen völlig offen. Gerade dieser Punkt sollte aber diskutiert werden.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Antragsteller nicht so ganz verinnerlicht haben, vor welcher Herausforderung wir tatsächlich stehen. Es ist nicht nur die Finanzkrise. Erstmals seit mehr als 30 Jahren werden die USA, Japan, zentrale Schwellenländer und die EU gleichzeitig von einem konjunkturellen Abschwung erfasst.

An dieser Stelle kann es nicht um regionale Trippelschritte gehen. Vielmehr ist ein großer Ansatz vonnöten. Dazu will ich drei konkrete Punkte ansprechen.

Erstens. Ich meine, die Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank werden nicht ausreichen, um die Kreditversorgung der Wirtschaft nachhaltig zu sichern.

Zweitens. In der deutschen Industrie – auch in der Exportwirtschaft – ist der Auftragseinbruch bereits bittere Realität. Der beste Indikator dafür sind die Auftragseingänge in der Stahlindustrie. Wenn sie wegbrechen, folgt die gesamte industrielle Wertschöpfungskette zeitnah nach.

Drittens. Die EU handelt in dieser Situation unfair und unsinnig, wenn sie die Lasten der Klimaschutzpolitik höchst einseitig der deutschen Industrie und damit insbesondere der nordrhein-westfälischen Industrie zuweisen will.

(Beifall von der FDP)

Jürgen Rüttgers hatte daher völlig recht, als er bereits Anfang August dieses Jahres ein AntiRezessionsprogramm und kein klassisches steuerfinanziertes Konjunkturprogramm gefordert hat.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, falls die Weltmärkte zusammenbrechen, sind klassische Konjunkturprogramme – seien sie nun mit 10, 25, 50 oder 100 Milliarden € dotiert – nicht mehr als ein Tropfen auf einer heißen Herdplatte. Es verzischt und verpufft. Das Geld ist weg, und nichts ist geschehen.

(Beifall von der FDP)

Die zentralen Fragen lauten: Was bringt die Menschen und die Unternehmen dazu, Kaufentscheidungen wieder positiv zu treffen? Wie nehmen wir Ängste? Wie geben wir Sicherheit? Wie erzeugen wir Kauflaune? Wie bringen wir Menschen und Unternehmen dazu, nicht staatliche Programme zu nutzen, sondern wieder eigenes Geld in die Hand zu nehmen und auszugeben?

Die Antwort darauf ist nicht etwa – flapsig formuliert – grün-sozialistische Staatsgläubigkeit, sondern lautet: Wiederherstellung funktionsfähiger Märkte mit soliden ordnungspolitischen Leitplanken. – Nicht die Märkte haben versagt. Die Ordnungspolitik, die Vorschriften und die Leitplanken waren nicht ausrei

chend und haben uns in diesen Schlamassel hineingeführt.

(Beifall von der FDP – Thomas Eiskirch [SPD]: Die Bestimmungen konnten der FDP doch gar nicht wackelig genug sein! Jedes Finanzprodukt durfte verkauft werden!)

Wir brauchen also eine Wiederherstellung funktionsfähiger Märkte mit soliden ordnungspolitischen Leitplanken und eine Schaffung von Rahmenbedingungen, die private Investitionen anreizen – nicht weil es zufällig Staatsknete dafür gibt, sondern weil es aus Sicht des Unternehmens und der Menschen erforderlich ist.

(Thomas Eiskirch [SPD]: Erst will sie keine Ordnung, und jetzt fordert sie sie ein!)

Neben verlässlichen Planungsgrundlagen für Großinvestitionen wie für das Kraftwerkserneuerungsprogramm der Energiewirtschaft, das Investitionen in Milliardenhöhe auslösen würde, und der Wiedereinführung von degressiven Abschreibungen könnten dafür Maßnahmen sinnvoll sein, die der privaten Nachfrage schnell, deutlich und dauerhaft mehr Spielraum verschaffen.

In Bezug auf die Industrie nenne ich in diesem Zusammenhang die Stichworte Kraftwerkserneuerungsprogramm, Zertifikatehandel – darüber werden wir in den nächsten Tagen noch intensiv reden müssen –,

(Thomas Eiskirch [SPD]: Das tote Pferd ga- loppiert wieder!)

Mehrwertsteuersatz, Gesundheitsfonds sowie Korrekturen am Einkommensteuertarif, um endlich den verdammten Mittelstandsbauch abzuschaffen.

Meine Damen und Herren, das sind nur einige Stichworte. Sie stehen aber auch für Herausforderungen, die nicht dadurch gelöst werden, dass alle auf einem offenem Markt durcheinanderschnattern, sondern dadurch, dass Menschen, die etwas davon verstehen und Entscheidungsmut haben, Verhandlungen führen, und zwar für meine Begriffe hinter verschlossenen Türen, damit die Menschen nicht ständig dadurch verunsichert werden, dass jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird.

Ziel dieser Gespräche muss es sein, in relativ kurzer Zeit Konzepte vorzustellen, die in der Bundesrepublik Deutschland, in Europa und nach Möglichkeit auch noch mit anderen Ländern einvernehmlich abgestimmt sind, um damit den Menschen wieder Mut zu geben. Die zentrale Aufgabe ist es, den Menschen wieder Mut zu machen, und nicht, Geld auf den Markt zu schütten, das wie in ein Fass ohne Boden fällt. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Weisbrich. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Eiskirch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Der Kollege Weisbrich hat sehr richtig von Regeln und Leitplanken gesprochen, die gerade der Finanzmarkt braucht, in denen gehandelt werden kann, damit diese Auswüchse, die wir in ihren für die deutsche und für die nordrhein-westfälische Wirtschaft wirklich deutlichen Ausprägungen im Moment zu spüren bekommen, nicht auftreten.

Ich will aber auch deutlich machen: Peer Steinbrück hat gerade, was Finanzmarktprodukte angeht, seit über einem Jahr immer wieder gewarnt und deutlich gemacht, was nicht gehen kann, wo kein wirklicher Wert dahinter steckt,

(Lachen und Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

wo es irgendwann wie in einer Pferdewettbude aussieht, wo nur noch auf Hoch und Tief und nicht auf das, was dahinter steht, gewettet wird.

Diese Leitplanken sind nicht gewollt worden von CDU und FDP, vor allem eben nicht von der CDU auf Bundesebene, Kolleginnen und Kollegen!

(Dietmar Brockes [FDP]: Wo waren wir denn in der Regierung in den letzten zehn Jahren, Herr Eiskirch?)

Recht hat aber der Kollege Weisbrich …

(Weiterer Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Besitzt der Kollege Brockes vielleicht eigene Redezeit, oder nimmt er meine?

Wollen Sie von mir eine Antwort haben? – Sie haben das Wort, Herr Kollege.

Der Kollege Weisbrich hat auch recht, wenn er deutlich macht, dass es im Moment das A und O ist, den Menschen Mut zu geben, ihnen Vertrauen zu schenken, ihr Vertrauen in die Märkte und in die Wirtschaft in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen zu stärken und Ruhe einkehren zu lassen. Die Frage ist nur, wenn das Vertrauen, der Mut und die Ruhe im Moment nicht da sind, welche stabilisierenden und vielleicht auch anregenden Effekte der Staat leisten kann, um Mut, Ruhe und Vertrauen wiederherzustellen, das heißt, nicht alles zu übernehmen, aber es zu initiieren, damit die Menschen wieder bereit sind, ihr eigenes Geld auszugeben.

Im Gegensatz zum Kollegen Weisbrich finde ich den Untertitel des Antrages der Grünen allerdings absolut richtig. Dort steht: „Alle reden von einem

Investitionsprogramm … Rüttgers redet von der Schönheit des Zuckerhuts“. Dieser Untertitel macht deutlich, dass dieser Ministerpräsident sich nicht um das Land kümmert, sondern draußen schlau redet und hier nicht handelt, wo er gefragt ist, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Herr Rüttgers spendet aus Landesgeld 20.000 € für Obdachlose am Zuckerhut in Brasilien und kürzt zum gleichen Zeitpunkt bei den WohnungslosenInitiativen in Nordrhein-Westfalen das Geld, bis die in ihrer Existenz bedroht sind. Das ist das wahre Gesicht der Regierung Rüttgers, Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Priggen hat deutlich gemacht: Vor drei Wochen hatte diese Landesregierung keine Antworten auf die Fragen, welche Probleme die Finanzkrise für die Realwirtschaft bedeutet und wie wir in Nordrhein-Westfalen damit umgehen wollen. Sie hatte keine Vorstellungen, wie sie mit den konjunkturellen, teilweise branchenspezifischen Auswirkungen der Finanzkrise in NRW umgehen will. Antworten gibt es bis heute nicht. Diese Landesregierung hat keinen Plan dafür, wie sie in Anbetracht der NRWspezifischen Herausforderungen Maßnahmen ergreift, die für Ruhe, Vertrauen und Mut ganz im Sinne des Kollegen Weisbrich Sorge tragen könnten.

Da will ich Ihnen ehrlich sagen: Gut, dass die Bundesregierung einen Plan hat. Darin können wir uns zumindest einig sein. 15 Milliarden € bundesweit für die KfW, für die Kreditversorgung des Mittelstandes – das bringt Stabilität; überhaupt keine Frage. 3 Milliarden € mehr für ein CO2-Gebäudesanierungsprogramm – das ist gut für die Bauwirtschaft, für das Handwerk und hat zusätzlich gesellschaftlichen Nutzen. Es geht nicht darum, Staatsgeld irgendwie auszugeben. Sondern: Wenn man staatliches Geld in die Hand nimmt, muss das einen gesellschaftlichen Zusatznutzen haben. Bei der Gebäudesanierung ist das der Fall, genauso wie bei den 3 Milliarden € mehr für die Infrastruktur in strukturschwachen Regionen.

Dann – und da sind wir bei Frau Thoben – hat die Bundesregierung auch beschlossen, mehr Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur“ zur Verfügung zu stellen.

(Zuruf von Ministerin Christa Thoben)

Da freuen wir uns beide, da bin ich ganz sicher. Meine Hoffnung ist, dass Sie es nicht machen wie immer, nämlich diese Mittel zu nehmen, um EUMittel kozufinanzieren und nichts Neues damit zu schaffen, sondern dass Sie bereit sind, Landesmittel dazuzugeben und wirklich etwas Zusätzliches in Nordrhein-Westfalen zu initiieren.

(Ministerin Christa Thoben: Das geschieht!)

Wenn Sie das tun, sind wir ausnahmsweise einer Meinung, und das werde ich auch gerne positiv begleiten.