Protocol of the Session on October 23, 2008

Meine Damen und Herren, ich lasse abstimmen über den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Tagesordnung wie vorgetragen zu ändern. Wer will dem Antrag zustimmen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

Wie sehen die konkreten Maßnahmen des von der Landesregierung angekündigten Anti-Rezessionsprogramms aus?

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/7718

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und gebe Herrn Priggen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir diskutieren seit zwei, drei Wochen sehr intensiv die internationale Finanzmarktkrise; wir haben eben wieder einen Teilaspekt kurz berührt.

Der Ministerpräsident hat im August in seiner Pressekonferenz und danach auch im Plenum das erste Mal von möglichen drohenden Risiken einer Abschwächung der Konjunktur gesprochen. Er hat das letzte Woche in der Sondersitzung des Plenums wieder angesprochen, und auch die Wirtschaftsministerin hat gestern gesagt, die internationale Finanzmarktkrise werde ihren Durchschlag auf die reale Wirtschaft haben. Das ist kein Geheimnis; es gibt viele Sorgen, dass das wirklich geschieht. In den angelsächsischen Ländern, wo die Finanzmarktkrise eher ausgebrochen ist, ist sie schon auf die Realwirtschaft durchgeschlagen.

Ein Durchschlagen auf die Realwirtschaft heißt – das betrifft unsere Verantwortung –, dass es um Zehntausende von Menschen geht, die infolge einer sich abschwächenden Wirtschaft möglicherweise ihre Arbeitsplätze verlieren oder keine Arbeit finden. Insofern müssen wir sehr sorgfältig und sehr gründlich überlegen, welche Maßnahmen wir ergreifen können, um dem entgegenzuwirken. Ich habe in der Beschäftigung mit dieser Thematik gelernt, dass es sinnvoll ist, Maßnahmen am Beginn einer Abschwächungsphase einzuleiten, damit es nicht so tief ins Tal geht. Wir müssen im Interesse der Betroffenen sorgfältig und intensiv miteinander diskutieren, welche Maßnahmen wir ergreifen können, welche sinnvoll und verantwortbar sind und welche Effekte sie haben.

In Berlin und überall haben wir eine intensive Debatte über verschiedene Maßnahmen. Die Vorschläge fangen bei Steuererleichterungen an. Es gibt eine Diskussion darüber, die Krankenversicherungsbeiträge zukünftig steuerlich absetzbar zu machen. Für mich und meine Frau – wir zahlen etwa 11.000 € im Jahr an die Techniker Krankenkasse, in der wir seit Studentenzeiten sind – wäre das eine Ersparnis von 500 € netto im Monat. Für diejenigen, die gut verdienen, ist das also ein erheblicher Zuschuss. Aber andere werden nichts davon haben. Das Risiko, dass sich diese Maßnahme nicht in der Konjunktur niederschlägt, ist nicht unerheblich. Eine Alternative sind die von Wirtschaftswissenschaftlern diskutierten Pro-Kopf-Zuschüsse in den Monaten November und Dezember in Höhe von 100 € pro Person, die dann im Weihnachtsgeschäft ausgegeben werden sollen. Auch das ist aus meiner Sicht ein Strohfeuer.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meiner Meinung nach sollten wir investive Maßnahmen diskutieren, also Maßnahmen, die auf lange Sicht einen positiven Effekt haben und die wir sowieso ergreifen müssen. Unser Vorschlag ist es, uns mit den bekannten Instrumentarien über die Kreditanstalt für Wiederaufbau in einem ersten

Schritt – man kann später noch anderes machen – auf Maßnahmen bei der Gebäudesanierung und Energieeinsparung zu konzentrieren; das soll unser Denkanstoß sein. Der Hintergrund ist Folgender: Wir werden in der Bundesrepublik im Jahr 2008 nach Zahlen der Bundesbank eine Rechnung für Öl und Gas haben, die um 23 Milliarden € höher als im Jahr 2007 ist. Wenn man das auf 82 Millionen Deutsche umrechnet, sind das pro Kopf 250 €. Das heißt für uns zu Hause, fünf Personen, 1.250 €, die wir weniger ausgeben können für andere Zwecke, weil mehr für Treibstoff, Heizung ausgegeben werden muss. Das ist genau das, was durchschlägt, weil die Menschen das Geld ja nur einmal haben.

Insofern wäre es intelligent, Gebäudesanierung zu betreiben. Es ist nicht nur ökonomisch vernünftig, weil wir dann weniger für den Import von Öl und Gas bezahlen müssen, sondern es wäre auch mit Blick auf die Umwelt vernünftig. Wir führen die Debatte um Klimaschutz an anderer Stelle. Und es ist vernünftig, weil die Menschen danach mehr Geld übrig haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da 80 % unseres Gebäudebestandes energetisch sanierungsbedürftig sind, werden wir diese Maßnahme sowieso machen müssen. Deswegen ist das ein vernünftiges Programm. Die Instrumente haben wir auch. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat ihre zinsvergünstigten Programme genau mit dem Instrumentarium. Über die Sparkassen, über die Banken könnten wir diejenigen, die Gebäude isolieren, erreichen. Wir könnten es auch vorrangig im öffentlichen Bereich machen, weil auch da erheblicher Bedarf besteht.

Wir haben – wir mögen uns streiten bei der Atomenergie und anderen Sachen –, was die Frage Energieeinsparung, Gebäudesanierung angeht, über alle Fraktionen hinweg keinen Dissens. Insofern könnte man diese Maßnahme konsensual befürworten.

Aus meiner Sicht gäbe es, um das ganz klar zu sagen, Finanzierungsmöglichkeiten, für die wir uns gemeinsam einsetzen müssten, die keine höhere längerfristige Verschuldung bedeuten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Bundesregierung wird über den Emissionshandel ab 2013 jährlich allein aus der Stromerzeugung etwa 12 Milliarden € einnehmen, 2013, 2014, 2015 bis 2020. Man könnte sehr wohl gemeinsam sagen: Bundesregierung, nimm aus diesen Einnahmen für die nächsten Jahre jeweils Tranchen und steigere die Programme für Gebäudesanierung um den Faktor drei oder vier. Mache das auch langfristig, weil es positive Effekte bei der Bauwirtschaft hat. – Das betrifft gerade das Bauhandwerk, weil Gebäudesanierung sehr stark eine Sache des Bauhandwerks ist und weil an der Stelle das Bauhandwerk und die Neubautätigkeit abnehmende Tendenzen haben,

und zwar durch den demographischen Wandel. Das führt also zu einem positiven Effekt in Gewerken, in denen wir das dringend brauchen. Das sind viele positive Aspekte.

Ich bitte diejenigen, die nach mir reden, konstruktiv auf meine Vorschläge einzugehen. Wir haben erlebt, dass das Bundesparlament bei Differenzen in Sachfragen letzte Woche sehr schnell reagiert hat. Mein Vorschlag ist, dass auch wir überlegen, ob wir uns nicht bei einem solchen Vorstoß, den wir in der Sache eigentlich alle teilen, gemeinsam aufstellen und schnell handeln könnten. Glauben Sie mir: Wenn das Signal aus diesem Landtag herausginge, dass alle Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtags die Bundesregierung bitten, diese Programme zu verstärken, diese Programme vorzuschießen und damit einen positiven Impuls zu setzen, dann würden wir denjenigen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben, zeigen, das wir in der Lage sind, uns auch im Konsens bei Themen, die wir alle teilen, aufzustellen und so etwas anzuschieben. Die Frage der Steuererleichterung im Detail für das eine oder andere ist eine andere Baustelle. Das kann man woanders regeln. Man würde signalisieren, dass man die Gefahr eines Abschwungs und die Sorge der Menschen um ihre Arbeitsplätze ernst nimmt. Die Möglichkeit hätten wir. Wir bekämen es auch kurzfristig hin. Es wäre ein gutes Signal, wenn der Landtag von Nordrhein-Westfalen über alle Fraktionen hinweg einstimmig den Bedarf sähe und bereit wäre, das zu artikulieren.

Die Berliner haben letzte Woche viel gearbeitet. Wir würden einen solchen Antrag auch heute noch hinbekommen. Morgen haben wir auch noch einen Plenartag. Von daher könnten wir ihn morgen zusammen beschließen. Das wäre ein Signal in die Republik. Es würden andere Landtage folgen. Die Berliner könnten reagieren. Wir hätten für das Bauhandwerk und für die Menschen, die Angst um die Arbeitsplätze haben, einen positiven Akzent und ein gemeinsames Signal gesetzt. Bei allem Streit, den wir im politischen Wettbewerb haben müssen, wäre das ein positiver Aspekt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Priggen. – Für die CDU spricht nun Herr Kollege Weisbrich.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition der Erneuerung hat dafür gesorgt, dass NordrheinWestfalen wirtschaftlich wieder gut aufgestellt ist.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Schlechter Ein- stieg! – Zurufe von der SPD)

Ich weiß, dass Sie das ärgert. Aber Sie sind halt abgewählt worden. Jetzt haben wir eine neue Koali

tion. Da machen wir eben alles anders und alles besser.

(Beifall von der FDP)

Immerhin müssen Sie zugeben: Diese Koalition der Erneuerung hat dafür gesorgt, dass NordrheinWestfalen wirtschaftlich wieder gut aufgestellt ist. Erstmals seit Jahrzehnten liegt das Wirtschaftswachstum wieder über dem Bundesdurchschnitt, nun schon das zweite Jahr infolge. Seit der Abwahl der rot-grünen Koalition, also in nur drei Jahren, ist die Zahl der Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen um mehr als 300.000 gesunken. Das ist ein ganz beachtlicher Erfolg. Gleichzeitig stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um mehr als 240.000. Der Landeshaushalt ist wieder verfassungskonform. Und die Nettoneuverschuldung ist auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei solchen Erfolgen hätten Sie im ganzen Land die Glocken läuten lassen; dafür hätten sie dann die katholische und evangelische Kirche bezahlt. Nehmen Sie das einmal so hin, das ist wirklich ein Erfolg. Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, dass die Regierung wirtschaftlich erfolgreich ist.

Wenn das so ist, dann mag es natürlich überraschen, dass Jürgen Rüttgers als erster deutscher Politiker bereits am 12. August ein Antirezessionsprogramm gefordert hat. Das zeigt aber nur, dass er ein kluger und vorausschauender Mensch und völlig zu Recht Ministerpräsident dieses großen und schönen Landes Nordrhein-Westfalen ist.

(Michael Groschek [SPD]: Don Quichote!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der spanische Philosoph Baltasar Gracian hat einmal behauptet: Der Kluge und der Dumme, die tun stets das Gleiche. Der Unterschied liegt nur in der Zeit. Bildhaft gesprochen: Der Kluge legt den Deckel auf den Brunnen, ehe es zu einem Unfall kommt. Der Dumme legt den Deckel drauf, wenn das Kind bereits im Brunnen liegt. Ganz in diesem Sinne hat Jürgen Rüttgers aus der internationalen Finanzmarktkrise, den bis vor kurzem noch explodierenden Rohstoff- und Energiepreisen sowie aus der inflationsbedingten Konsumzurückhaltung als Erster lange vor den Grünen, Kollege Priggen, Kollege Remmel, den Schluss gezogen, dass sich das Wirtschaftswachstum bereits in naher Zukunft abschwächen könnte.

(Zuruf von Michael Groschek [SPD])

Im Gegensatz zu den Behauptungen in dem Antrag der Grünen hat er aber kein Konjunkturprogramm angekündigt und schon gar keines auf Pump. Er hat sich lediglich die Erkenntnis von Ludwig Erhard zu eigen gemacht, dass erfolgreiche Wirtschaftspolitik zu wenigstens 50% aus Psychologie besteht. Deshalb hat er ein bundesweites Antirezessionsprogramm gefordert, nicht angekündigt, wie Sie das

unterstellen, um Investitionsneigungen und Wirtschaftsklima zu beleben, ehe es zu einem Einbruch kommt.

Während Sie von den Grünen nicht gerade in der Person von Kollegen Priggen, der hier eben vorgetragen hat, sondern in Ihrem Antrag graue Theorie pflegen und sich geradezu naiv auf vorherrschende Lehrmeinungen berufen, hat der Praktiker Rüttgers der Bundesregierung in fünf Punkten längst Vorschläge gemacht, wie sich eine Abkühlung des Wirtschaftsklimas noch verhindern ließe. Nachzulesen ist dies in der Wirtschaftspresse vom 12. August und zu hören im „WDR Morgenecho“ am 18. August:

Steuervereinfachung – ein sehr umfassender Ansatz; nicht kleinkariert, wie das hier unterstellt wird –, Steuerberaterkosten wieder absetzungsfähig machen – ein wirklich umfassender Vereinfachungsansatz –, Energiepolitik mit Feststellungen, die Ihnen nun ganz und gar nicht passen werden, ein nationales Rohstoffkonzept, eine Reform der Finanzmärkte und Instrumente gegen den Ingenieurmangel in der Wirtschaft.

Sie haben das in Ihrem Antrag als skurril bezeichnet, weil Sie den Ansatz überhaupt nicht verstanden haben. Und wie begrenzt Ihr Einfühlungsvermögen in wirtschaftlichen Zusammenhängen ist, das hat die gestrige Debatte hinreichend gezeigt.

Für diejenigen aber, die verstehen können und wollen, hat Jürgen Rüttgers seine Karten bereits vor Monaten auf den Tisch gelegt. Es gibt seitdem keine neuen Ankündigungen, die eine Aktuelle Stunde rechtfertigen würden. Deshalb hat Ihr Antrag aus meiner Sicht nur einen einzigen Sinn. Kollege Priggen, Sie haben das ein bisschen umschifft, aber wenn man das einmal auf den Kern bringt: Sie wollen das parlamentarische Instrument der Aktuellen Stunde als Plattform missbrauchen, um Ihr eigenes sozialökologisches Zukunftsprogramm, das Sie in den letzten Tagen beschlossen haben, vorzustellen; denn für dieses Programm würde sich sonst niemand interessieren, weil es nicht mehr ist als alter Wein in neuen Schläuchen.

(Beifall von CDU und FDP)

Zwar haben Sie gesagt, auch Sie wollten kein steuerfinanziertes Programm. Das habe ich mit Interesse zur Kenntnis genommen; das ist ja schon mal ein Fortschritt. Aber gleichwohl wollen Sie wieder den Bürgern – über die Wirtschaft und dann doch wieder beim Steuerzahler ankommend – Geld aus der Tasche ziehen, das Sie dann mit der Staatsmacht nach Kriterien, die Sie gut finden, umverteilen wollen. Sie haben jetzt zum x-ten Mal vorgetragen, was man alles machen könnte, wenn man die Wirtschaft über den Emissionshandel nur kräftig genug zur Kasse bittet. Das bezahlen die doch nicht aus ihren Erträgen, das geben sie doch an die Bürger weiter. Also ist das genauso wie eine Steuererhöhung, genauso wie eine Steuerfinanzierung. Sie wollen

den Bürgern Geld aus der Tasche ziehen und damit dann ein sozialökologisches Zukunftsprogramm finanzieren.

Wirtschaftklima verbessert man anders. Man muss den Menschen das Gefühl geben, dass wir wirklich versuchen, die Situation in den Griff zu bekommen, dass wir versuchen, Erleichterung bei den Menschen ankommen zu lassen und den Menschen nicht zusätzliche Steuern bzw. Abgaben abzuverlangen. Wie sich der Ministerpräsident das vorstellt, das wird Ihnen für unsere Fraktion der Kollege Lienenkämper in der nächsten Runde noch etwas dezidierter erläutern. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Weisbrich. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Eumann.

(Zuruf von Edgar Moron [SPD]: Nach so einer Rede hast du es schwer!)