Protocol of the Session on October 26, 2005

Wenn ich mir das Papier genauer ansehe, stelle ich fest: Sie haben im Wesentlichen Ihren Koalitionsvertrag abgeschrieben. Wenn Sie wirklich gemeinsame Positionen formulieren wollen, bitte ich Sie, dass nicht in dieser Weise zu tun. Es ist doch

geradezu absurd zu erwarten, dass wir Ihre schwarz-gelben Vereinbarungen in Berlin umsetzen würden. Das ist wirklich absurd.

(Beifall von der SPD - Ralf Jäger [SPD]: Das ist eine Zumutung!)

Damit wir uns ganz klar verstehen: Die SPDLandtagsfraktion vertritt mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen nach innen und nach außen eindeutig und mit Nachdruck die Belange Nordrhein-Westfalens. Aber - machen wir uns da nichts vor -: Bundesministerinnen und Bundesminister vertreten in erster Linie Bundesinteressen. Auch dort bestimmt das Sein das Bewusstsein. Das ist ein realistischer Blick.

Wenn es um die Zukunft unseres Landes geht, hat die Landesregierung unsere Unterstützung. Das sagen wir ganz deutlich. Natürlich, lieber Herr Kollege Stahl, gilt dabei der Grundsatz: Zuerst das Land und dann die Partei. Das steht völlig außer Frage. Aber: Sie dürfen nicht den Fehler machen, Ihre schwarz-gelbe Landesregierung mit dem Land zu verwechseln. Diese Gefahr besteht dabei.

(Beifall von der SPD)

Es geht bei diesem Grundsatz auch nicht um den politischen Erfolg einer Landesregierung. Es geht um das Wohl des Landes. Das können sehr unterschiedliche Dinge sein.

Meine Damen und Herren, wir werden die Landesregierung immer dann in Berlin unterstützen, wenn sie Politik im Interesse des Landes macht - im Interesse des Landes, wie wir es sehen.

Das gilt ganz ausdrücklich für die FöderalismusReform. Dabei müssen wir gemeinsam kämpfen. Das haben wir im Hauptausschuss diskutiert. Die Gefahr besteht, dass der Bund versucht, den Ländern Kompetenzen abzunehmen. Die Linien werden quer durch die Parteien gehen. Es wird nicht einfach sein, dann im Bundesrat Kompetenzen zurückzuholen. Denn die einzelnen Bundesländer haben durchaus unterschiedliche Interessen. An dieser Stelle müssen wir gemeinsam aufpassen.

Wir werden aber auch in den Bereichen, in denen Sie aus unserer Sicht klar Politik gegen die Interessen des Landes machen, unseren Einfluss nutzen, um gegenzusteuern. Das gilt für die Energiepolitik und insbesondere für die Definition und Ausgestaltung einer sozial gerechten Politik. Dabei werden wir unterschiedlicher Meinung sein und unterschiedlich vorgehen.

In diesem Bereich erleben wir von Ihnen immer neue Wendungen, Herr Ministerpräsident. Bis zum 18. September waren Sie stolz darauf, mit der FDP zusammen einen Startschuss für einen radikalen Umbau der Republik gegeben zu haben. Sie haben sich ein Programm der sozialen Kälte verordnet.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Jetzt geht es wieder andersherum. Sie stehen angeblich an der Spitze derjenigen, die schon immer mehr soziale Ausgewogenheit verlangt haben.

(Lachen von der SPD)

Ihre Bundesvorsitzende spricht von „Sozialromantik“. Wir sind gespannt, wann Sie die nächste Wendung vollziehen.

Ich sage Ihnen: So lange Sie nicht in Ihrer eigenen Regierungspolitik umsteuern, wird Ihnen niemand diese Wendung abnehmen.

(Beifall von der SPD)

Ihre bisher erkennbare Regierungsarbeit spricht eine klare Sprache. Betrachten wir nur die Herabsetzung des Mieterschutzes oder die Abschaffung der Grundschulbezirke.

Um eine Begründung für Ihre Grundschulpläne zu konstruieren, haben Sie, Herr Ministerpräsident, die Öffentlichkeit und den Landtag mit falschen Informationen in Unruhe versetzt. Das war zunächst ein handwerklicher Fehler. Aber weil Sie nicht die Souveränität besessen haben, diesen Fehler einzugestehen, ist daraus eine politische Fehlleistung geworden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es hilft Ihnen auch nicht, für den Fehlstart Ihrer Regierung die Beamten in den Ministerien verantwortlich zu machen. Es hilft auch nicht, Pressesprecher auszutauschen. Ich will Ihnen deutlich sagen: Sie haben kein Problem mit der Vermittlung und mit der Erklärung Ihrer Politik. Sie haben ein Problem mit der Richtung Ihrer Politik, nachdem durch die Bundestagswahl klar geworden ist, wo es hingehen soll.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Menschen in diesem Land wollen keinen radikalen Umbau.

„Nordrhein-Westfalen braucht Zukunft, damit Deutschland Zukunft hat.“ Dieser Gedanke aus Ihrem Positionspapier, Herr Ministerpräsident, findet meine ausdrückliche Zustimmung. Darum werden wir kämpfen. Wir wollen, das NordrheinWestfalen eine Chance für die Zukunft gewinnt.

Wir werden das gemeinsam tun, wo immer das nötig und möglich ist.

Im Übrigen werden wir Alternativen zu Ihrer Politik formulieren. Das ist unsere Aufgabe als Opposition. Als Regierung müssten und sollten Sie endlich die Konsequenzen aus den Wahlergebnissen ziehen: Machen Sie Politik für die Interessen der Menschen in diesem Land. Das ist Ihre Aufgabe als Regierung. Dafür sitzen Sie am Verhandlungstisch in Berlin. - Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kraft. - Als nächster Redner hat Herr Dr. Papke von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Löhrmann, es gehört schon einiges dazu, uns Freien Demokraten zu sagen, wir seien nur noch das fünfte Rad am Wagen.

(Heiterkeit von der SPD - Zurufe von Sylvia Löhrmann und Johannes Remmel [GRÜNE])

Nur zur Erinnerung: Der grüne Feldversuch, den Sie unserem Land Nordrhein-Westfalen, anderen Bundesländern und auch dem Bund aufgezwungen haben, ist durch die Wählerinnen und Wähler beendet worden. Sie sind raus aus dem Geschäft!

(Beifall von FDP und CDU - Zuruf von Jo- hannes Remmel [GRÜNE])

An dem Bahnsteig, an dem Sie mit Ihrer grünen Truppe stehen, kommt schon lange kein Zug mehr vorbei. Das scheinen Sie nur noch nicht gemerkt zu haben, Frau Kollegin Löhrmann.

(Beifall und Heiterkeit von FDP und CDU)

Frau Kollegin Kraft, auch wenn Sie sich heute etwas moderater gegeben haben: Sie haben in den letzten Wochen und Monaten in Ihrer neuen Aufgabe als Fraktionsvorsitzende eine ganz bemerkenswerte Methode der Politik entwickelt. Diese Methode erinnert mich mehr denn je an eine berühmte Romanfigur der deutschen Nachkriegsliteratur. Wissen Sie, an wen? - An Oskar Matzerath, den kleinen Blechtrommler.

(Beifall von FDP und CDU - Widerspruch von der SPD)

Wissen Sie, wie diese Methode funktioniert? Man schnalle sich eine Trommel vor den Bauch, schlage immer kräftig darauf in der Erwartung, dass die anderen dann aufmerksam werden.

(Hans-Theodor Peschkes [SPD]: Sie haben das Buch nicht gelesen! - Weitere Zurufe von der SPD: … und nicht verstanden! Das ist Halbwissen!)

Frau Kollegin Kraft, das ersetzt keine konstruktive Politik. Sie werden erleben, dass Ihnen die Bürgerinnen und Bürger Ihre Vorstellungen nicht abkaufen, wenn Sie sich der Verantwortung, die Sozialdemokraten als Opposition in diesem Hause, aber in erster Linie in Berlin haben, so verweigern, wie Sie es in den letzten Wochen und Monaten wieder dargelegt haben. Das werden die Bürgerinnen und Bürger nicht mitmachen. Dies werden Sie noch mitbekommen.

(Beifall von der FDP)

Sie haben sich doch noch in der letzten Woche - Herr Kollege Dieckmann hat dem ausdrücklich zugestimmt - aufgeplustert und voller Stolz verkündet, die Sozialdemokraten würden auch weiterhin im Bund mit drei gewichtigen Ministern vertreten sein. Wenn Nordrhein-Westfalen etwas erreichen wolle, dann solle sich die nordrheinwestfälische Landesregierung am besten gleich an die Sozialdemokraten wenden.

Der Ministerpräsident unterbreitet Ihnen dann eine sachliche Vorschlagsliste von Kernanliegen des Landes Nordrhein-Westfalen. Und wie ist Ihre Reaktion nach wenigen Minuten darauf? - Das Ganze wird vom Tisch gewischt. Sie haben gerade gesagt, Sie hätten das Papier noch einmal gelesen. Als ich Ihre Presseerklärung am Montag gelesen habe, hat sich mir der wohl begründete Eindruck aufgedrängt, dass Sie bis dahin das Papier noch nicht gelesen haben, Frau Kollegin Kraft. Ich empfehle Ihnen, erst einmal in die Inhalte hineinzuschauen, bevor Sie sagen: Das interessiert uns nicht, dem verweigern wir uns.

Dies gilt umso mehr, als man doch sieht, dass in dem Papier eine ganze Reihe von Anliegen zusammengetragen worden sind, für die sich auch die Sozialdemokraten - auch Ihre Fraktion - in den letzten Jahren mit allem Nachdruck eingesetzt haben. Haben Sie das nicht zur Kenntnis genommen? Fragen Sie einmal den Kollegen Horstmann, was den Rhein-Ruhr-Express angeht. Anfang des Jahres hat er noch voller Stolz verkündet, die Vereinbarung mit dem Bund und mit der DB AG sei unterzeichnet worden. Nun sagt diese Landesregierung: Wir greifen das auf, um sinnvolle Infrastrukturmaßnahmen mit Unterstützung des Bundes realisieren zu können. Und da sagen Sie: Das ist alles nur der Koalitionsvertrag der neuen Regierung, das ist Marktradikalismus, da machen wir nicht mit. - Haben Sie Kollegen Horstmann

einmal dazu befragt? Haben Sie ihn einmal zu dem Ziel befragt, das hier ausdrücklich verankert worden ist, die Finanzierungsquote im Bundesverkehrswegeplan wieder auf den Landesanteil von 21,9 % zu heben, also dort hin, wo wir angesichts unserer Infrastrukturprobleme hin müssen? Das ist hier klar skizziert. So etwas wischen Sie vom Tisch. Das ist keine sachgerechte Antwort auf einen konstruktiven Vorschlag dieser neuen Landesregierung.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Sie haben das auch nicht gelesen! Das steht dort nicht drin!)

Es spricht Ihren Auftritten in den letzten Wochen Hohn, als Sie so getan haben, als sei die eigentlich relevante Kraft in Berlin nach wie vor die Sozialdemokratie. Sie werden sich aus Ihrer Verantwortung nicht herausstehlen können, und zwar schon allein deshalb nicht, meine Damen und Herren von der SPD, weil Sie die Verantwortung dafür tragen, dass wir in Nordrhein-Westfalen vor einem solchen Desaster bei Wachstum, Beschäftigung und der Staatsverschuldung stehen.

Schauen Sie sich einmal an - diese Empfehlung kann ich Ihnen nur geben -, was gestern die Expertenkommission vorgelegt hat, und zwar ausdrücklich auch in der Retrospektive: Dass wir vor solch gigantischen Herausforderungen stehen, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es ist das Resultat Ihrer verfehlten Politik in den letzten 39 Jahren. Damit sollten Sie sich endlich einmal auseinander setzen!

(Beifall von FDP und CDU - Zuruf von der SPD)

Eines ist natürlich klar: Die Erwartung, die wir als FDP-Fraktion, für die ich hier spreche, an die neue Bundesregierung stellen, erschöpfen sich nicht in dem Papier, das der Ministerpräsident vorgelegt hat. Die Reformanstrengungen müssen weit darüber hinausgehen. Wir werden ja sehen, meine Damen und Herren von der SPD, was wir diesbezüglich von den Sozialdemokraten zu erwarten haben.

Wir haben in diesen Tagen das Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vorgelegt bekommen. Die Institute haben noch einmal klipp und klar benannt, welche Reformnotwendigkeiten in Berlin existieren und was endlich angepackt werden muss. Beispielsweise ist von einem Steuervereinfachungsprogramm und von einer Entlastung von Bürgern und Unternehmen die Rede.